Von der Kunst, Bilder zu schießen

Was gibt es schöneres, als ein richtiges Feuerwerk? Ein Blick in die Pyrotechnik, die mit höchster Präzision wunderbare Bilder in die Luft jagt.

Es ist ein Versäumnis, sich nachts den Himmel nicht anzusehen. Man verpasst, wie der Mond wandert, die Sterne Bahnen ziehen. Man müsste sich dazu auf den Boden legen und ihnen eine Weile zugucken. Der moderne Mensch hat keine Zeit dazu. Er hat andere Himmel im Kopf. Das Firmament interessiert ihn eigentlich nicht, obwohl es jeden wolkenfreien Abend umsonst zu sehen ist. Würde dessen Anblick Geld kosten, wäre die Wertschätzung dieses Schauspiels anders.

Der moderne Mensch würde die Stadt verlassen, wo Lichtschmutz aus Glühbirnen aller Art die Nacht zur dunstigen Dämmerung aufhellt, den Blick nach oben trübt, Mond und Sterne verblassen läßt. Die klare Sicht über sich wäre dem modenen Menschen den Weg in die Berge wert. Oder er würde irgendwo in der Wüste und draußen auf dem Meer das Weite suchen, wo die Sterne in kaum beschreiblicher Präsenz funkeln: phänomenal, zum Pflücken nahe.

Er würde sich wundern. Er würde still. Er bliebe stehen. Er setzte oder legte sich auf der Stelle hin, um über sich hinaus zu schauen. Er gewönne Abstand vom Alltag. Er nähme Mass am Gelebten und der vor ihm liegenden Zeit. Er dächte freundlicher, gelassener über seine Zeitgenossen. Das Meiste erschiene ihm vor diesem Horizont in einem anderen Licht.

Doch braucht der moderne Mensch für das Verstummen, den erstaunten Blick in den Himmel einen kalendarischen Anlass. Und er benötigt ein Spektakel dazu; einen ohrenbetäubenden Augenschmaus, die spritzende, sprühende Signatur über sich, das grosse barocke Musikfeuerwerk. Ein Jahrwechsel kommt zum künstlich geschaffenen Lichtfestspiel gerade recht, der Schritt von einem Jahrtausend als weltweit inszenierte pyrotechnische Party ohnehin.

Wir werden staunen über farbige Buketts, Chyrsanthemen, Girandolen, in changierenden Farben als Kugel, Tropfen, Krone, als Spinne, Herz, Ring, Schmetterling, Kosmos oder Croisette auseinanderstiebende Leuchtsterne. Es wird wieder die ganz neue Farbkomposition und Form himmelfüllend über unseren Köpfen geben. Was wäre der Mensch ohne die Steigerung, die Sensation des noch nie Dagewesenen? Wir werden schweigen, uns einige größere bis kleinere Gedanken machen und all das Pathos mit einem kräftigen Schluck Metternich bewältigen.

Seit jeher wird in China mit Salpetergemisch aus entzündlichem Material und funkensprühenden Eisenspänen laboriert. Seit taoistische Mönche im achten oder neunten Jahrhundert mit Schießpulver das Ausgangsmaterial für Böller zur Verfügung hatten, wurde das explosive Gemisch bevorzugt zum Fortscheuchen unwillkommener Besuche, speziell böser Geister genommen. Wer würde bestreiten, daß es zum Abschied allein des ausklingenden Jahrhunderts nicht allerhand zu vertreiben gilt? Rumsende Kanonenschläge, satt platzende Böller, knatternde Cracker, furios pfeiffend, zischend, jaulend, heulend in die Mitternacht sausende Treibsätze kugelrunder oder zylindrischer Bomben. Das gesamte Arsenal neuzeitlicher Feuerwerkerei kann sich gar nicht lärmend genug aus Mörserbatterien, Abschußrampen und Feuertöpfen erheben.

Allein bei den Großfeuerwerken, wie sie die Trittauer Pyrotechnik in Berlin, Hamburg und Zürich zum Jahreswechsel selbst veranstaltet, werden jeweils hunderte von Kilo Sprengstoff netto in die Luft gepustet. Vom Brutto, all dem flammbaren Beiwerk der Pappe, Reisstreu, Rapskörner, von Kleber und Wurstband der Schwarzpulvergebinde ganz zu schweigen. Oh heilige Barbara, Schutzpatronin der Bau- und Bergleute, der Kanoniere, Feuerwehrleute, Glöckner und der Feuerwehrleute steh uns bei! Und Du, Sankt Florian bitte auch.

Damit nichts schiefgeht, wird auf die sogenannte Mehrschlagzylinderbombe, das schwerste, zugleich riskantere Geschütz der professionellen Großfeuerwerkerei verzichtet. Diese, bis zu acht Kilo wiegend, vierschichtige Schwarzpulver-Komposition aus drei Sternladungen und einer Blitzlage unten, wie sie sich während des Aufstiegs nach zwei, vier, sechs und acht Sekunden in farbenprächtiges Wohlgefallen auflöst, müßte mit der dreifachen Austoßladung, aus einem eigens halb in ein Sandfaß eingegrabenen Rohr aus 10 mm gezogenem Stahl geschossen werden. Sprödes Gußmaterial wäre gefährlich. Es hielte der Druckbelastung nicht stand. Der in der Pyrotechnik gefürchtete Zerleger, das ist die Detonation der gesamten Sprengkraft im Mörser, nachdem sich die Bombe im Rohr verklemmte hat oder vorzeitig explodierte, hiesse das Ende des Feuerwerks. Der Grat zwischen eine gelingenden Feuertheater und dem Unglück ist schmal.

Auszug Heft 4/99. Zur Artikelübersicht