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Steuerfrei

Die Solosegler der Vendée Globe brauchen ihre Kraft, wachen Momente und Konzentration für wichtigere Aufgaben als das Steuern. Diesen Dauerjob übernimmt ein Automat. Mit zahlreichen Sensoren an Bord vernetzt, macht er das besser, als es der Mensch je könnte. Wie es funktioniert und was er alles kann. Von Erdmann Braschos Die Vendée Globe findet an der frischen Luft statt. Wie könnte das bei einer 44.000 Kilometer Regatta auf hoher See auch anders sein. Tatsächlich absolvieren die Segler sie jedoch fast ausschließlich in einem kleinen Kabuff unter Deck. Es hat eine Pritsche zum Schlafen, eine Sitz- und Kochgelegenheit, Instrumente, Rechner und Bildschirme. Während ältere Imoca 60 Boote hinter dem Unterschlupf noch ein halbwegs spritzwassergeschütztes Cockpit draußen haben, sind die neuen Boote weitgehend überdacht. Der deutsche Teilnehmer Boris Hermann beispielsweise segelt die Regatta im Schutz eines oft überspülten, hinten offenen Unterstands. Einzig bei leichtem Wind und entsprechend ruhiger Fahrt kann er unbehelligt von Spritzwasser an Deck gehen. Bei mittlerer Brise wird es naß. Bei voller Fahrt wäscht das Meer regelmäßig mit einem Schwall massiven Wassers über das Boot. Marinisierte Mechatronik Gesteuert wird nicht vom Segler selbst. Diesen Job übernimmt ein Autopilot – und zwar praktisch die gesamte Strecke von Les Sables-d’Olonne bis Les Sables-d’Olonne. Von diesem Hochleistungs-Segelautomaten wird der Segler um die Welt gelenkt. Er macht das besser, als es der Segler selbst könnte. Denn der Autopilot ist nicht nur Tag und Nacht im Einsatz. Er ist bestens vernetzt und immer wach. Der Mechanismus eines Autopiloten ist einfach. Ein seitlich an der Ruderwelle angebrachter Hebel wird vom Schubgestänge des Autopiloten bewegt. Boris Hermanns „Seaexplorer“ ist mit einem elektrischen Autopiloten unterwegs, wobei ein zweiter als Backup zum Umschalten bei einer Störung bereits eingebaut ist und sofort aktiviert werden kann. Ein Ruderlagengeber informiert über den aktuellen Winkel des Ruders. Etwas komplizierter ist, wie die Kurskorrekturen zustande kommen. Der Rechner des Autopiloten wird mit Daten aus vielen Bereichen des Bootes gefüttert, beispielsweise dem eingestellten Kurs. Früher wurde dieser mit einem sogenannten Fluxgate Magnetometer bestimmt, der für heutige Anwendungen jedoch zu ungenau ist. Heute übernimmt das die Interferometrische Glasfaser-Gyro-Technologie (IFOG), kurz Faserkreisel genannt. Er enthält keine beweglichen Teile oder Verschleißteile und mißt Bewegungen und Richtungsänderungen mit enormer Geschwindigkeit und Präzison bei Grand Prix Regattabooten, der Marine, der kommerziellen Schifffahrt oder selbstlenkenden Waffen. Die kleine „Quadrans“ genannte Box ist wartungsfrei, nach IP 66 spritzwassergeschützt und wiegt keine 3 kg. Die Windmeßanlage informiert über die Windrichtung und -stärke. Der Wind wird zugunsten brauchbarer Messwerte am Ende einer deutlich über oder vor das Top ragenden Stange gemessen, wo es weniger Wirbel gibt. Der lange Hebelarm, Vibrationen und bis zur Mastspitze gelangende Schläge der hart gesegelten Boote macht den Gebern zu schaffen. Da sich der Solo-Segelmarathon um die Welt ohne Windmeßanlage nicht erfolgreich absolvieren läßt, haben bereits mehrere Segler die Sensoren 30 m über dem Meer ersetzt. Denn die größte Geschwindigkeit wird anhand des Kurses passend zur Windrichtung erreicht, auf den die Segel eingestellt sind. Der Automat steuert anhand eines vorab eingestellten Windwinkels. Da das Präzisonsinstrument infolge der rasanten Bewegungen des Bootes im Seegang aber auch permanente Windrichtungsänderungen an der Mastspitze mißt, werden die Schiffsbewegungen herausgefiltert. Fährt das Boot beispielsweise mit dem Bug einen Wellenberg hinab, schwingt die Mastspitze nach vorne und der Windeinfallswinkel wird entsprechend spitz. Übernähme der Autopilot nun diese Informationen ungefiltert, würde der Kurs ständig geändert. Der zentrale Bordrechner des französischen Spezialisten Madintec beispielsweise gleicht die Winddaten mit den Bewegungen des Bootes per Beschleunigungs-, Dreh- und Gierratensensorik in einem zentralen Rechner ab und wandelt die Datenflut von 100 Herz (d.h. 100 x pro Sekunde) in 50 Herz Steuerbefehle für den Autopiloten. Last-Geber füttern den Bordrechner des Bootes ständig mit Daten aus den Segeln, Takelage, dem Rumpf und Foils. Denn die größte Herausforderung der Vendée Globe ist es überhaupt anzukommen. Während früher überwiegend Gefühl, Tagesform, Müdigkeit und Stimmungen entschieden, was dem Boot und der Takelage an Schräglage, Geschwindigkeit und Schlägen infolge des Seegangs zumutbar ist, treffen bei modernen Vendée Globe Booten Beschleunigungs- und Belastungsmesser diese Entscheidung. Boris Hermann berichtet von jeweils 15 Meßpunkten jeweils in den seitlichen Tragflächen seiner „Seaexplorer“. Lästige Piepstöne, wie man sie aus dem Krankenhaus kennt, warnen und wecken den Segler – sei es um die Segelfläche anzupassen, oder mit etwas eingezogener Tragfläche Druck aus dem Boot zu nehmen. Neulich wurde Boris Hermann bei einem plötzlichen 38 Knoten Sprint gewarnt. Der sogenannte „Beast Mode“ des Autopiloten hält das Boot mit flinken Kurskorrekturen bei geringstmöglich bremsendem Wasserkontakt auf der Tragfläche und damit auf Spitzengeschwindigkeit. Bei hohen, für normale Freizeitsegler unerreichbaren Geschwindigkeiten von teilweise 30 Knoten und mehr profitieren Boot und Autopilot vom erwähnten Datendurchsatz. Der schnellstmögliche Kurs wird anhand des Kränungswinkels des Bootes eingestellt. Ein moderner Imoca 60 wird idealerweise mit maximal aufrichtendem Moment in einem möglichst konstant gehaltenen Winkel auf der leewärtigen Tragfläche gesegelt. Dafür gibt es einen speziellen Algorithmus. Den haben Spezialisten für die Vendée Globe Teams selbst geschrieben. Madintec aus La Rochelle ist als Entwickler für die französisch dominierte Szene des Hochsee Regattasegelns und regelmäßig unterbotender Rekorde mit riesigen, neuerdings foilenden Dreirümpfern da schon länger im Thema. Die Steuerung des Autopiloten im kompletten Hochsee-Tieffug mit den derzeit bei den Imocoa 60 Booten noch nicht zugelassenen Tragflächen auch am Ruder ist bereits startklar. Noch ziehen die Boote die Heckpartie ihrer Rümpfe durch das Wasser. Ergänzend zu einem besonders schnellen GPS mit zehn- statt zweifacher Datenrate pro Sekunde wird die Geschwindigkeit durch‘s Wasser mit einem kleinen Paddelrad gemessen, wie es heute jedes Freizeitboot im Rumpf stecken hat. Seit die modernen Vendée Globe Boote mittschiffs im Tiefflug segeln, sitzt der Impeller des Loggengebers ganz unten im 4,50 m tiefen Kiel. Faseroptische Belastungsmessungen in Bauteilen aus Verbundwerkstoffen sind beispielsweise in den Flügeln von Windenergieanlagen oder im Yachtbau bei großen Schiffen oder Regattabooten seit einer Weile üblich. Dort, wo große dynamische Lasten zustande kommen und die Beanspruchung sicherheitshalber zu drosseln ist. An Bord von Boris Hermanns „Seaexplorer“ beispielweise wird die Beanspruchung der Takelage mit sogenannten Ring Pins anhand Verformung der Bolzen an zentralen Punkten gemessen. Die Daten stehen dem Vendée Globe Segler auf dem Bildschirm zur Verfügung, und dem Autopiloten für Kursänderungen, wenn es zu heftig wird. Seit einem Jahrzent beschäftigt sich Pixel sur Mer in Lorient mit nautischer Mechatronik, Navigationsinstrumenten und fiberoptischen Sensoren. Zur Belastungsmessung in Faserverbundteilen wird Laser durch 250 Mikrometer dünne Glasfaserfäden geschickt, die in die Tragflächen, in den Mast oder beispielweise das Deck einlaminiert sind. 1 µm entspricht einem tausendstel Millimeter. Ein Menschenhaar ist 100 µm dick. Mehrere, in ein Foil einlaminierte Meßpunkte entlang eines solchen Glasfaserfadens geben anhand der geänderten Lichtfrequenz per sogenannter Faser-Bragg-Gitter Auskunft über die Verformung und damit Beanspruchung eines Bauteils. Die Franzosen haben die Technologie des amerikanischen Herstellers Luna Innovations marinisiert, eines Spezialisten für die fiberoptische Messung von Deformationen, Temperaturschwankungen, Beschleunigung oder Gewicht. Fiberoptische Beschleunigungsmesser werden an Staudämmen oder Brücken, in der Energiegewinnung bei Windmühlen und Plattformen zur Öl- und Gasgewinnung montiert. Damit lassen sich Erdbeben noch in 3000 km Entfernung messen. 1956 begannen Major R. N. Gatehouse und sein englischer Kompagnon Ronald Brookes mit einem Funkpeiler, führten in den Sechzigerjahren moderne Instrumente zur Geschwindigkeitsmessung, in den Achtzigern den Computer ins Regattasegeln ein. Heute bietet Brookes & Gatehouse mit der H 5000-Serie eine prozessorgesteuerte Instrumenten- und Autopilotfamilie. Darauf wurde für Grand Prix Anwendungen wie das Vendée Globe das sogenannte Expert System aufgepfropft. Es reagiert nicht allein wie ein erfahrener Segler auf Windänderungen, es lernt auch dazu. Etwa wenn das Boot nach Verlassen des Wassers im Flugmodus beschleunigt und der Fahrwind entsprechend zunimmt. Der spitzere Windwinkel verlangt eine blitzschnelle Kursänderung, um das Boot in der Luft zu halten. Samantaha Davies von “Initiatives Cour” schwärmt von der Präzision ihres Autopiloten. „Er segelt schneller als ich das Boot steuern kann. Außerdem kannst Du beim heute gesegelten Tempo keine zehn Minuten draußen sein, ohne von einem Schwall Meerwasser erwischt zu werden.“ Der Vendee Globe Segler ist unter Deck besser aufgehoben, wo er den Kurs durch die Hoch- und Tiefdruckgebiete festlegt, die Besegelung anpasst, die Technik instandhält und die nächste Reparatur vorbereitet.

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Keine halben Sachen

Wie ein schwimmender Klassiker und sein originaler Transporter aus prominentem Vorbesitz zu neuem Leben fanden. Von Erdmann Braschos Jungs gleich welcher Größe brauchen Spielzeug. Das ist ebenso bekannt, wie der Zusammenhang zwischen den Spielzeugerwerbs- nebst Betriebskosten und der Spielzeuggröße in Relation zum Alter schon beschrieben wurde. Jeder, der aus 1:87, dem Maßstab des Wiking-Modells, herausgewachsen ist und mit deutlich überschrittener Adoleszenz das Spiel in 1:1 fortsetzen möchte, kennt die blöden Limits der sogenannten Realität. Diese will der Spielende ja gerade hinter sich lassen. Weithin übersehen ist die Tatsache, dass das Spiel gleich welchen Maßstabs keine halben Sachen duldet. Nur das authentische, detailgetreue und zueinander passende 60er Jahre Ensemble, bestehend aus einem Magirus Deutz Rundhauber, und zwar dem mit luftgekühlter Sechszylinder Maschine, dazu passendem Kässbohrer Sattelauflieger und apartem Mahagoniboot huckepack lässt das große Kind in beinahe vergessener Glückseligkeit versinken. Also, der Laster sollte zum Boot passen. Alles andere, liebloses, schlecht gemachtes oder nicht stimmiges Spielzeug etwa, trübt die Stimmung. Der Berliner Verleger Konrad Börries ist da auf einem guten Weg. Er fährt mit diesem auf Originalgröße vergrößerten Matchbox Set gerade in den überwiegend sonnigen Südwesten. Im Sommer ist es am Bodensee etwa eine Welt angenehmer als mitten in Berlin zu schwitzen. Man kann mal in das herrlich klare und erfrischend kühle Wasser des Schwabenmeeres springen. Noch schöner ist es, mit den beiden durchzugsstarken Chris Craft Achtzylindern aus Frank Sinatras Zeiten über den Lago zu röhren. Das geht zwar auf Berliner Gewässern im Prinzip auch. Aber nur, wenn die Wasserschutzpolizei gerade Fußball statt mit dem Fernglas aufs Wasser guckt. Einzig auf penibel definierten Wasserskistrecken dürfen die elfenbeinfarbenen Knäufe der beiden Gashebel mal durchgedrückt werden. Außerdem macht Motorbootfahren in der Edelholzklasse – Sipo Mahagoni mit dünnen, in Fahrtrichtung verlegten, Intarsien-gleich eingelassenen honigfarbenen Kotostreifen – mit Gleichgesinnten mehr Spaß. Dazu gibt es eine Art geheimbündlerischer Zusammenkünfte der Tropenholz-Bootsfetischisten, beispielsweise die Riva Classics. Sie finden von Donnerstag bis Sonntag, den 1. Juli am Nordufer des Bodensees bei Ultramarin in Kressbronn-Gohren statt. Dieser Hafen mit trendigem Namen wird von allen, die entweder kein Boot oder – noch schlimmer – dort keinen Liegeplatz haben, geringschätzig „Baggerloch“ genannt. Beim größten Bodenseehafen handelt es sich um eine zum Bootsresort mit assoziiertem Hotel nebst Gastronomie veredelte Kiesgrube mit Seeanschluss. Börries sind solche Rubrizierungen ziemlich gleich. Hauptsache, das Ensemble schafft es bis zum See. Dort wird die zweimotorige Last Edition der Tritone, wie sie Peter Tamm 1966 als rechte Hand des Verlegers Axel Cäsar Springer bestellte, ins Hafenbecken gehoben und mit dem durchdringenden Grollen der beiden Maschinen akustisch das Revier markiert. Dem Anfänger und Ignoranten, der die lombardische Edelholzklasse womöglich nicht kennen sollte, sei an dieser Stelle diskret zugeflüstert, dass eine Riva die Sophia Loren unter den Motorbooten ist. Etwas in die Jahre gekommen vielleicht, aber nach wie vor unvergleichlich. Dieses Geschöpf hat mit anderen, modernen, pflegeleichten Vollplastikerzeugnissen und etwaigen Imitationsversuchen gemeinsam, das die auch schwimmen, laut sind, man sich damit ohne weiteres ein Knöllchen einfahren kann und regelmäßig die Tankstelle aufsuchen sollte. Erfreulich ist, dass sich Börries dem Spiel und seinem Ensemble mit gebotener Hingabe widmen kann. Seine Inanspruchnahme vom Berufsleben liegt seit dem Verkauf der Zweite Hand Annoncenblätter schon erfreulich achteraus. Entsprechend wurden Gebrauch und Pflege des Bootes zum Laster in den vergangenen Jahren kultiviert. Da macht es nichts, wenn die Fahrt dauert, weil dem alten Magirus 7DL auf langen Steigungen, wie es sie unterwegs zum Bodensee nun mal gibt, langsam aber sicher die Puste ausgeht. Die Zugmaschine des ehemaligen Lasters der Deutschen Bundespost zerrt die knapp drei Tonnen Mahagoni, silbern funkelnden Beschläge, die leuchtend blauen Chris Crafts, die türkisen Polster, das Kabriolet-Verdeck und die nachtschwarzen VDO Instrumente schließlich mit 40 Stundenkilometern über die Kuppe. Auf gerader Strecke beschleunigt der von Ende der fünfziger Jahre bis ‘67 in Ulm gebaute Sechszylinder in 7 ½ Minuten auf 80 Stundenkilometer. Macht nichts, flott fahren können heute ja viele. Dafür ist alles schön vintage und stimmig. Das Boot zum Laster, Axel Springers „Raimond“, galt lange als verschwunden, was in der Szene der Riva-Fetischisten, die über jedes Exemplar praktisch alles weiß oder mit detektivischer Besessenheit heraus findet, fast unmöglich ist. Es wurde 1998 auf dem alten Magirus bei einem Bootshändler in Rhumspringe im Harz entdeckt. Dort stand es als unverkäufliches „Holz-Schätzchen“ in einer ehemaligen Wasserstoffsuperoxid Fabrik aus dem zweiten Weltkrieg zwischen amerikanischer Importware aus ziemlich buntem Kunststoff und Weinrotmetallic-farbigen Zierstreifen. Man kennt dieses Dekor vom Autoscooter auf dem Jahrmarkt. Die Nautiquität war ein Gruß des mediterran gestimmten Jet Sets in die niedersächsische Provinz. Das Ansichtsexemplar trug die Initialen des „Motor Yacht Club Hitzacker“ auf dem Heck und hieß wie diese seltsame, längst ausgestorbene Vogelart „Dodo“. Das letzte Exemplar der legendären zweimotorigen Tritone Serie, wie sie Carlo Riva von 1950 bis 1966 in 258 Exemplaren zur Rauhwasser-tauglichen Fahrt mit V-förmigem Bug, kernigem Antrieb und in wegweisender, aus dem Flugzeugbau adaptierten Holzbauweise perfektioniert hatte, war gut getarnt. Günstige Umstände ließen das Boot als Botschafterin und Messe-Exponat des Zweite Hand Verlages nach Berlin gelangen. Dort ergriff die Riva langsam aber sicher, wie hübsche Holzboote mit Herkunft und Klasse das halt so machen, vom zunächst reservierten Kaufmann Börries Besitz. Der baldigen Umbenennung in „Hermes“,  einer ersten Instandsetzung und mancher Reise auf dem alten Magirus Deutz folgte vergangenes Jahr eine aufwändige Restaurierung durch den Hamburger Riva-Spezialisten Jürgen Renken. Dieser Bootsrestaurator mag die Marke und adäquates Handwerk so sehr und halbe Sachen so wenig, dass er sich selbst samstags und an Feiertagen über manches Liebhaberstück beugt, wie es einst in der legendären Werft in Sarnico am norditalienischen Iseosee für hoch- und vermögende Kundschaft entstand. Begleitet wurde die insgesamt 18-monatige Instandsetzung von der Fotografin Nicole Werner für den soeben erschienenen Band „T 258“. Das drei Kilo schwere 224 Seiten Werk ist das Buch zum Boot und Laster und für 198 Euro zwar nicht gerade geschenkt. Es ist aber bereits günstiger, als eine dreistündige Fahrt mit dem zweistrahligen Gleiter, der bei zahmen 25 Knoten Reisetempo eine Drittel Tankfüllung Superbenzin durchlässt. Übrigens lässt sich das 60er-Jahre Ensemble anlässlich der „Riva Classics“ bei Ultramarin umsonst besichtigen. Das exquisite Finish des raffiniert gewölbten, mit skulpturaler Eleganz zu einem Bootskörper zusammengefügten Mahagonis ist etwas für stille Genießer. Börries kann es nach der aufwändigen Wiederherstellung in den Originalzustand von Anno ’66 und der langen Reise kaum erwarten, die „Hermes“ endlich wieder zu fahren. Wenn sich der erste Achtzylinder mit anarchischer Rotzigkeit unter dem Konzertflügelfinish der Motorraumdeckel meldet, glaubt der arglose Zuschauer zunächst nicht richtig zu hören. Nach einer Schrecksekunde meldet sich der zweite Krachmacher mit den nächsten 4,6 Litern Hubraum. Der 53-Jährige mag diese „fuel to sound conversion“ und meint, dass bereits dieser archaische Hörgenuss es verbietet, die Motoren auf eine zweckmäßig thermostatgesteuerte, technisch bessere Zweikreiskühlung umzurüsten. Auch die ersten Takte müssen richtig, so wie früher klingen. Damals, als der Springersche Haushalt auf der Wannsee Insel Schwanenwerder zu vorgerückter Stunde nicht auf ordinäre Bedürfnisse wie etwas Deftiges aus der Fritteuse vorbereitet war, ließ Peter Tamm genau diese Motoren an. Dann brüllte der Vertraute und angehende Geschäftsführer des Verlegers mit der „Raimond“ zum Pommes holen zu einem Imbiß an der Heerstraßenbrücke. Später am Abend mal mit einer Riva über den Wannsee holzen war für die Luxusinsulaner halt der direkte Weg. Sonst wäre das Essen kalt geworden. Ganz legal und am Wochenende mit der Zweimotorigen vor einer Schneise weißer Gischt im Tiefflug über den Bodensee bis Konstanz oder rüber nach Bregenz reiten und gucken, ob die 41 Knoten (76 km/h) noch drin sind ist eine schöne Abwechslung zur langsamen Anreise im Magirus. Dazu das Wahnsinnsgebrüll der beiden jetzt ganz zur Sache gehenden Achtzylinder und die bewundernden Blicke der träge auf dem spiegelglatten Gewässer dümpelnden Segler im Rücken. Sämtliche lästigen, das Spiel in 1:1 störenden Gesichtspunkte bleiben natürlich an Land und so irreal fern wie der über dem Appenzeller Land thronende Fels des Säntis. Das Spiel gleich welchen Maßstabs duldet keine halben Sachen.

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Swan 441 R Best Buddies

Diese Swan von 1979 hat ein ereignisreiches Logbuch mit bemerkenswerten Regatten, einem Dutzend Atlantiküberquerungen und ein viel beachtetes Refit hinter sich. Nach dem Motto „es gibt keine alten Porsche, nur neue Besitzer“ ist sie ein Beispiel dafür, was sich aus einem guten Schiff machen lässt. Mittschiffs breite und achtern eingeschnürte, auf zahlreiche Crew angewiesene Boote der International Offshore Rule haben keinen besonders guten Ruf. Mit ihren riesigen Genuas und ebensolchen, am Top gesetzten Spinnakern werden sie ab frischem Wind nur von versierten Seglern ohne den gefürchteten Sonnenschuss über die Regattabahn gebracht. Hinzu kommt, dass IOR Boote seit dem fürchterlichen Fastnet Race von 1979 als nicht besonders seetüchtig gelten. Genau dieses hat die seit 1997 dunkelblaue Ron Holland Swan vom Typ 441 R namens „Best Buddies“ hinter sich. Die entsetzliche  Regatta durch die chaotische irische See absolvierte sie gleich in ihrer ersten Saison als „Milene IV“. Atlantiküberquerungen, Chartertörns, Eignerwechsel, eine vielbeachtete Verwandlung in einem Cruiser-Racer und ein neues Leben als begeistert in norddeutschen, dänischen und englischen Gewässern gesegeltes Regattaboot stehen in ihrem Logbuch. Die „Best Buddies“ ex. „Pepsi“, ex „Leda IV“, ex. „Milene IV“ ist eine vom souveränen Admiral’s Cup Sieger „Marionette“ von 1977 inspirierte Ron Holland Konstruktion. Der Wahlire zeichnete nach Sparkman & Stephens eine Weile für die finnische Nautor Werft, insgesamt fünf Typen, darunter die Swan 441. Sie entstand 1978 bis ‘82 vierzig Mal mit dem Nautor-typisch keilförmig aus dem Deck ansteigenden Aufbau, außerdem fünf Mal als Swan 441 R (wie Racing) als Glattdecker und leichtere Version ohne Teakbelag. Bei „Milene IV“ handelt es sich um die Baunummer drei dieser Regattaedition. Nach dem Fastnet Race ist ihr erster Eigner namens Mirlesse erst mal vom Segeln bedient. Er verkauft das Boot an einen Holländer, der es „Pepsi“ nennt. Bald übernimmt der passionierte Berliner Segler Peter Lühr das Schiff. Als „Leda IV“ ist es abwechselnd in der Karibik und im Mittelmeer als Charterboot unterwegs. 13 Atlantiküberquerungen absolviert sie mit ihrem spartanischen wie funktionalen Interieur. Es besteht aus einer Naviecke unter dem Brückendeck, acht Rohrkojen im hinteren Drittel des Schiffes, einem Toilettenraum und Pantry hinter dem Mast. Vor dem Hauptspant ist das Boot leer. 1996 wird Kay-Johannes Wrede im Hamburger Yachthafen in Wedel an der Elbe auf einen sichtlich gebrauchten Cupper mit Ron Holland typischem Heck aufmerksam. Der ehemalige Regattasegler und Bootsbaumeister würde das Boot gern kaufen, sauber machen und segeln. Doch hat er gerade die Zahnärztin Dr. Birgit Susann Eggers geheiratet und die ist von der fixen Idee nicht angetan. Doch wozu hat man gute Freunde, welche die Notwendigkeit solcher Anschaffungen nicht bloß verstehen, sondern ohne großes Federlesen gleich mit finanzieren. Also kaufen Kay Wrede und Frank Buddenhagen das Schiff. Als ehrlicher Gatte unterrichtet Wrede seine Frau sinnvollerweise tagsüber telefonisch über die geschaffene Tatsache. Die begeisterungsfähige Ehefrau weiß, dass sie einen Segler geheiratet hat, macht das Beste draus und sagt: wenn schon, denn schon. Sie besteht auf einer Generalüberholung. Aus dem Bootskauf wird ein Projekt, und ein Projekt, wenn auch eines mit erfreulich seglerischem Schwerpunkt, ist die Swan bis heute geblieben. Innerhalb eines Vierteljahres ist der betagte Cupper entkernt und mit einem glänzend lackierten Kirschinterieur nach Plänen von Birgit Schnaase und einem von Frank Neubelt überarbeiteten Exterieur mit sechs statt 14 Winschen und einer niedrigen, das breite Deck zierenden Spritzkappe als Schau- und Schmuckstück, als Refit-Visitenkarte der Yachtwerft Wrede in die Messehalle der Hanseboot 1997 gestellt. Sie begeistert auch einen Stuttgarter Architekten, der sie von 1999 bis 2006 besitzt und dem Ehepaar Dr. Susann und Kay Wrede verkauft. Nach einem zweiten, dem Interieur und der Technik gewidmeten Refit beginnt das eigentliche zweite Leben des aufgemöbelten Swan bei der „Copenhagen Swan Challenge“ 2007. Dank der freundlichen Aufnahme im Nautor Zirkel und einem ermutigenden Debüt bei den Regatten der Saison gibt es für die Wredes und ihre zügig erweiterte Crew nun kein Halten mehr. „Unser Schwänchen“ erinnert Susann Wrede mit leuchtenden Augen, „kam ins Laufen“. Es wird umgestellt auf honigfarbenes Kevlar, die Garderobe der Profis und angefressener Amateure, die auf der Regattabahn über das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ hinaus sind. Zwar bleibt der Trimm der sogenannten, ihrer Kostspieligkeit halber als „Ming Vase“ bezeichneten Kevlar Genua I vorerst das Geheimnis des Glückstädter Segelmachers Christoph Thomsen (Tommy Sails, vormals Hood Germany), auch beeinträchtigen ein gebrochener Kohlefaserspibaum in der Flensburger Förde oder eine rissige Kielperipherie das Renngeschehen. Solch Malaisen halten die Wredes jedoch nur vorübergehend auf. Beim Fastnet Race, der Eigner Nordwand der Hochsee Segler, ist die elegante dunkelblaue Swan dreißig Jahre nach ihrem Debüt natürlich dabei. Zum Nahkampf auf der Regattabahn gehört die hart aber fair ausgetragene Fight mit der 48er Sparkman & Stephens Swan „Elan“ von Harald Baum. Da wird natürlich alles gegeben und weil es zu den Spezialitäten der neuerdings wieder gemeinsam an Bord gesichteten Gebrüder Kay und Peter Wrede gehört, nicht nur gut zu starten, sondern praktisch immer Spinnaker zu segeln und das Boot mit einem verwegen tief bis übergeigt gesteuerten Kurs meistens heil zur Leetonne zu bringen, ist die „Best Buddies“ eine ernst genommene Größe auf dem Swan-Parkett. Zur Saison 2012 ist der betagte und weich gewordene Alumast von Stearns durch einen etwas längeren Hall Spars Karbonmast von ersetzt. Auch am Rating, einem ständig diskutierten Thema an Bord, soll innerhalb eng gesteckter Grenzen etwas getan werden. Dank Kay Wredes Ok-Jollen, Starboot und „Pinta“ Knowhow und seines Bruders Peter „Saudade“ Praxis greift die Ron Holland Swan an. Wenn es weiterhin so läuft, wird die Admiral’s Cup Edition der Nautor Werft in absehbarer Zeit durch das Mittelmeer pflügen. Groß und auch erfahren genug zum Überführen des Schiffes ist die Crew mittlerweile. Die Copa del Rey, Sardinien und auch das Middle Sea Race locken. Früher hieß es in Zuffenhausen: „Es gibt keinen alten Porsche, nur neue Besitzer“ schwärmen die sechsten Eigner für ihr begeistert gesegeltes und erhaltenes Schiff.

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Unter Drachenseglern

Der Drachen ist ganz und gar von gestern. Das macht ihn heute so begehrt. Es gibt schnellere und praktischere Boote, kaum jedoch ein schöneres. Und auch deren Segler sind bemerkenswert. In unserer abwechslungsreich bunten Warenwelt mit alljährlich vorgestellten Neuheiten und unterschiedlich interessanten Messepremieren ist das demnächst 80 Jahre alte Dreimannkielboot Drachen eine wohltuende Ausnahme. Es wird unbeirrt gesegelt, meist von einflussreichen, neuerdings als „mover“ und „shaker“ bezeichneten Menschen. In der Hansestadt Hamburg beispielsweise schickt es sich, einem der beiden maßgeblichen, an der Alster beheimateten Segelvereine anzugehören. Wichtiger als die bloße, meist an der Heckklappe mit einem kleinen Aufkleber mitgeteilte Clubmitgliedschaft ist es, das richtige Boot mit dem schlichten Klassenzeichen „D“ zu segeln. Obwohl ein regattaklares Boot etwa so viel wie ein Porsche oder Maserati kostet, gilt die Wahl als Ausdruck stilbewussten Understatements. Die flachbordig charmante kleine Yacht mit den aparten Überhängen und der Spritzkappe vor dem schachtähnlich engen Cockpit bleibt äußerlich wie sie ist. Zugleich wird sie, im Detail zum ausgeklügelten Regatta-Nahkampfapparat perfektioniert, Jahrzehnt für Jahrzehnt immer besser. Frode Andersens in den Siebzigerjahren für den unter-Deck-Betrieb erdachte Winschen werden gerade abgeschafft. Die heutigen Gurus bringen das Gefährt winchless, mit synchron beim Anluven und Beschleunigen des Bootes per Flaschenzug dichtgeholter Genua ein Quäntchen besser an den Wind. Das gediegene offene Kielboot gehört zu den Gegenständen des sams- und sonntäglichen Gebrauchs anspruchsvoller Seglerhaushalte, die unbeirrt gesegelt, kultiviert und mit vorausschauend klugen Schlägen durch das gefährliche tiden- und klippenreiche Gewässer des Auf und Ab der Moden gesteuert wird. Es gibt bekanntlich wenige Dinge, wo dies überhaupt versucht wird oder lohnend wäre. Das Objekt muss sich schon durch eine besondere, eine kostbar bleibende Qualität auszeichnen. Der Drachen ist auch im siebten Jahrzehnt ein hinreißend hübsches Boot. Der Regattaklassiker mit dem handbreit um das Cockpit ausgekragten Süllrand, der filigranen Takelage mit Back- und Jumpstagen, der Geometrie von Vor- und Großsegel nebst kugelförmigem Spinnaker, ist ein bezaubernder Anblick. Man kann sich bei Regatten, sollte es einmal nicht so gut laufen, tatsächlich daran trösten. Sogar an Land herumstehend, wo Schiffe meist eine abtörnende Angelegenheit sind, macht das knapp neun Meter lange, 1,95 m breite, 1,7 Tonnen schwere Schiff eine ausgezeichnete Figur. Wir könnten schwärmen für die Eleganz des Bootskörpers mit langem Kiel und dahinter hängendem Ruderblatt, die Finesse der zum traditionell geneigten Heckspiegel geführten Linie. Wir könnten versuchen, die zurückgenommene skandinavische Eleganz zu erklären und riskieren, von der nautisch weniger affizierten Leserschaft für bescheuert gehalten zu werden. Daher überlassen wir es dem Zeitgenossen mit Sinn für schöne Formen, den Drachtentest selbst zu machen. In der Segelsaison steht auf den Seitenstraßen wassernah gehobener Wohnlagen meist einer. Der Drachen ist ganz und gar von gestern. Er segelt naß, schwerfällig und neigt bei auffrischendem Schiebewind unter Spinnaker zum abtauchen. Manches Exemplar wurde gehoben,  einige blieben unten. Erst neuerdings ist der Drachen dank abgeschotteter Plicht unsinkbar. Beim Am Wind Kurs in bewegtem Wasser ist ein Vorschoter der Drachencrew mit dem Abpumpen des hereinschwappenden Naß beinahe so gut beschäftigt, wie seine Mitstreiter mit Steuern, Segeltrimm, der Taktik, Vorbereitung des nächsten Manövers und der Meute andauernd angreifenden Verfolger. Es gibt agilere, schnellere, vielseitigere, irgendwie praktischere  Boote, als den Drachen, wo sich drei erwachsene Menschen gut verstehen sollten, um ein Regattasegelwochenende mit einer vertretbaren Zahl Beulen und psychischen Blessuren in gehabter Freundschaft zu absolvieren. Es gibt vom Chiemo, H-Boot, Twin, über die Soling und hin bis zur Trias verschiedene, zweifellos moderne Kielboote. Man kann sich von einem aktuellen Exemplar vollgleitender Raumschotswunder namens Grand Surprise, Hip 30 oder Max Fun 25 von einem großen, am vorn ausgefahrenen Karbonrüssel befestigten Gennaker über den See zerren lassen. Aber ach, gibt deren marktschreierische Typenbezeichnung nicht bereits kund, dass sie sich kaum mit dem schlechthinnigen Dreimannkielboot messen können? Im Unterschied zu den Modeerscheinungen und Eintagsfliegen wird der Drachen in beeindruckend großen, konstant wachsenden Regattafeldern gesegelt. Über 1.400 Drachen gibt es weltweit, wobei die mit Abstand stärkste Flotte hierzulande mit über 400 Booten unterwegs ist. In Frankreich, Holland und der Schweiz sind jeweils rund hundert Schiffe registriert, in England und den Staaten an die zweihundert. Zur 75-jährigen Jubiläumsregatta der Klasse, sie wurde von der schweizerischen Hanseatic Lloyd AG gesponsort, starteten Oktober 2004 Segler aus 31 Ländern. Sage und schreibe 254 Drachen, Jung und Alt, Bürgerliche und Adelige, Liebhaber und Segelasse versammelten sich an der quer über den Golf von Saint Tropez führenden Startlinie. Die Handhabung des Drachen ist eine Wissenschaft für sich. Sie ist so unergründlich wie die erfolgreiche Ausübung des Golfsports. Man versteht und lernt es wahrscheinlich nie ganz. Ob man es vorübergehend „drauf hat“ erfährt man allenfalls in Relation zur unterschiedlich geschätzten und gemochten Konkurrenz, die dann wiederum tagesformabhängig freundlich im Club grüßt. Drachensegler sind ehrgeizige Menschen, eine kompetitive Spezies, die sich die kostbare Freizeit ungern mit nachrangigen Platzierungen verdirbt. Dieses Malheur lässt sich mit einer guten, harmonierenden Crew, regelmäßig erneuerter Segelgarderobe, gelegentlich einem neuen Boot, Trimmanleitungen und Drachenseminaren vermeiden. Letztere sind für nicht ganz so eingeweihte Kreise leider so ergiebig wie die Teilnahme an Management- oder Motivationskursen. „Don’t look, don’t move“ rät der zweimalige Olympiasieger und von England nach Dänemark umgezogene Engländer Poul Richard Høj-Jensen dem Steuermann eines Drachen. Was so viel heißt wie „Klappe halten, sich nicht ablenken lassen, Kurs halten“. Zu viele Ruderausschläge und Wenden bremsen das bei leichtem Wind untertakelte, bei Seegang von den Wogen übel aufgehaltene Boot. Man muss es in Fahrt halten und sollte eine Regatta mit so viel Gelassenheit und Übersicht beginnen, wie der Dalai Lama sein Leben bestreitet. In der sehens- und lesenswerten Hommage „75 Years of Dragon“ wird das komplexe Thema mit entspannter Mokanz aus der Perspektive eines eher durchschnittlich begabten Seglers wie folgt zusammengefasst: „Das Problem mit dem Segeln einer Einheitsklasse ist, dass der beste Segler im Allgemeinen gewinnt.“ Das war vom 21. bis 24. Juli anlässlich des Hanseatic Lloyd Dragon Grand Prix wieder zu erleben, als 61 Mannschaften aus zehn Nationen vor dem idyllischen Strande an der Kieler Außenförde bei drei Windstärken aus West segelten. Ganze acht Punkte trennten die ersten fünf Teams, ein Beweis für die Leistungsdichte der Klasse. Es gewannen Dänen vor Bayern, Preußen, Ukrainern und Engländern. Die perfekt frisierte Königin Silvia von Schweden, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der sympathische deutsche Spitzensegler Jochen Schümann, einige B bis D Promis und 200.000 Euro für die World Childhood Foundation kamen zusammen. Schön segeln, abends im Kaisersaal des Kieler Yacht Clubs tafeln und für einen guten Zweck die Brieftasche zücken, das ist eine win-win-win Situation, die zur Klasse der Mover und Shaker und ihrem derzeit engagierten Förderer, dem cleveren Schifffahrtskaufmann Harro Kniffka, passt.

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Meereselefanten mit Motoryachtkomfort

Wie der toskanische Maschinenbauer und Erfinder Fabrio Perini mit komfortablen und entsprechend großen Motorseglern einen eigenen Markt schuf. Es ist ein eindimensionaler Gesichtspunkt, Schiffe (und deren Eigner) anhand der Mastlänge einzuschätzen. Doch schweift der Blick des Seglers in Hafennähe immer nach oben, zu den Masten. So sieht er gleich wo die dicken Pötte liegen. In Viareggio, dem toskanischen Badeort nordwestlich von Pisa, künden stets mehrere endlos himmelwärts ragende Takelagen von einer Flotte stattlicher Segler. Denn im Zentrum des italienischen Luxusyachtbaues werden die Perini Navi Segler aufgetakelt, gewartet und repariert. Abends künden Großseglerlaternen, wie sie sonst im Topp der „Gorch Fock“ oder „Sea Cloud“ leuchten, von der Masthöhe. Die Mastlänge ist Ausdruck von Macht und Reichtum, symbolisiert Potenz. Doch von dieser Gigantomanie abgesehen geht es bei Luxusyachten um Platz, Komfort, um Rückzugsmöglichkeiten an und unter Deck. Und damit der voluminöse Meereswohnsitz auch noch passabel segelt, braucht er diese riesige Takelage. So werden einige hundert Tonnen Schiff von vielen hundert Quadratmetern Segelfläche an 40, 50 und neuerdings mehr Metern Mast bewegt. Neulich wurde auf der „Salute“ ein 75 Meter Mast errichtet. Anfang der achtziger Jahre dachte der norditalienische Fabrikant Fabio Perini über eine komfortable Segelyacht nach. Als Spezialist für Papiermaschinen konnte sich Perini nebenher einer neuen Aufgabe zuwenden, der Entwicklung seines Traumschiffs für schöne Stunden vor der italienischen Küste. Komfortabel, also groß genug sollte es sein, um die Familie, Freunde und auch mal Geschäftspartner mitzunehmen. Perini dachte an eine 40 Meter Yacht. Da es die Hardware zum Bedienen derart großer Segel durch eine kleine Besatzung damals nicht gab, gründete er ein Ingenieurbüro, Perini Navi. 1984 lief bei einer venezianischen Werft das Traumschiff des Tüftlers vom Stapel, ein eleganter Zweimaster mit kühn geneigtem Bug und traditionellem Yachtheck. Die windschnittigen Aufbauten erinnerten eher an eine Motor- als Segelyacht. Gezeichnet hatte es der auf Regattabahnen ausgewiesene Amerikaner Dick Carter. Das Boot war ein kühner Crossover als alt und neu, amerikanisch groß und mit italienischer Raffinesse gestaltet. Gesegelt wurde das Gefährt aus einem oben offenen Steuerstand mit dahinter angeordneter Polstergarnitur. So ein „unseglerisch“ komfortables Arrangement kannte man von der Flybridge großer Motoryachten. Und wie bei Motoryachten, in Seglerkreisen als „Ginpaläste“ verspottet, saß man abends im Hafen auf dem windgeschützten Achterdeck mit Blick auf die Promenade. Der Laie staunte und die konservative nordeuropäische Segelszene schüttelte sich. Das  eigentliche Novum aber war der Prototyp einer motorisierten Winde im Schiff, welche das eingeholte Seil einem Baukran um eine Trommel aufwickelt. Mit dieser 350 Kilo schweren, selbst stauenden Winsch im Format einer Kühltruhe war der erste Schritt zur automatisierten Segelyacht mit diskreten Helfern getan. Der Apparat wurde hydraulisch bewegt und pneumatisch gesteuert. Zwar funktionierte die Sache im Prinzip, doch steckte der Teufel im Detail. Denn die selbst stauende Perini Winsch war unregelmäßigem Zug ausgesetzt, von ganz lose, über rucken eines flatternden Segels bis hin zu zerstörerisch großer Last. Sie musste bei verschiedenen Neigungswinkeln des Bootes funktionieren. Auch wurde damals noch mit Drahtschoten gesegelt, einer fingerdicken Ware, wie sie die meisten Segler vom Travellift zum Aus- und Einwassern von Yachten in der Marina kennen. Drittens musste die Perini Winsch fehlbedienungssicher werden. Denn im Unterschied  zum Kranführer drückt der Freizeitsegler spaßeshalber Knöpfe und neigt Joystickhebel in der Annahme, dass alles hält. Bald ersetzte Perini die gefährlichen Drahtschoten durch angenehmeres Tauwerk aus Kevlar und Spectra. Die Sensoren und Überwachungsmechanismen zur Steuerung des Wickelmechanismus und Abschalten bei den gefürchteten Überläufern (sie können eine Yacht im Sturm gefährden), zum automatischen Stopp bei Fehlbedienung und Überlastung entwickelte Perini Navi rasch selbst. Welche dynamischen Lasten an Bord einer großen Yacht in bewegter See entstehen, lernte die Werft anhand eingebauter Segelfahrtenschreiber. Ein Tüftler, der die technisch anspruchsvolle Papierverarbeitung auf schnell laufenden Maschinen beherrscht, bekommt auch das semiautomatische Segelmanagement in den Griff. So wurde aus dem privaten Spleen des Fabrikanten, dem Ingenieurbüro, dem Winschprototypen und „Aleta“ nach Beteiligungen bei verschiedenen Bootsbauadressen in den 80er Jahren schließlich jene Werft in Viareggio, wo die großen Pötte heute geradezu in Serie entstehen. Da der Stratege weiß, dass Millionäre ungern warten, finanziert Perini die Rohbauten und damit ein Drittel des gesamten Schiffes einfach vor. So konnte die Werft die Schiffe quasi auf Vorrat schweißen und hatte immer ein oder zwei Kaskos zur Ansicht und Vereinbarung des individuellen Innenausbaues bis zur nächsten Segelsaison in der Halle. Dieses sonst bei Motoryachten mittlerer Größe übliche Kalkül ging für die Perini Werft die vergangenen Jahrzehnte immer auf. Im Nischenmarkt sehr großer Segelyachten ist es einmalig. 1987 gründete Perini im türkischen Tuzla eine Tochter zur Fertigung der Rohbauten (zunächst in Stahl, neuerdings Aluminium), die bis heute am ligurischen Meer zu den Perini Yachten veredelt werden. Skeptiker, die meinen, die türkischen Metallbauer seien als Billigheimer nur zu kruden Erzeugnissen fähig, sind spätestens seit der viel beachteten „Maltese Falcon“ eines besseren belehrt. Dieser 88 Meter lange, über tausend Tonnen schwere Dreimaster mit 2.400 Quadratmetern Tuch an freistehenden Masten entstand der Größe halber komplett in der Türkei. Das Schiff mit dem konzeptionell interessanten, technisch anspruchsvollen Dynarigg (siehe FAS vom 6.8.06, FAZ vom 15.8.06) ließ die Kritiker verstummen. Denn Skepsis und Spott gegenüber den Perini Navi Yachten war in Seglerkreisen groß. Da berichtete ein namhafter Yachtkonstrukteur Anfang der 90er Jahre erschüttert, die Werft müsste die fertigen Boote in Unkenntnis der Gewichtsverhältnisse erst probehalber in Viareggio zu Wasser lassen werden, damit die Maler wüssten, wo die Wasserlinie anzubringen ist. Ein Kompass Kompensierer verließ einmal in den Staaten Mitte der 90er Jahre erschüttert eine Perini Yacht, weil sie sich angeblich nicht genau geradeaus steuern ließ. Und in der Straße von Gibraltar soll eine schwere Böe einen dieser Panorama-verglasten Meereselefanten mit den Masten fast ganz bis aufs Wasser gedrückt haben, weil die Schotautomaten nicht locker ließen. Sicher ist, dass Fabio Perini, seine Ingenieure und Yachtbauer binnen drei Jahrzehnten einen respektablen Kurs im Superyachtbau zurück gelegt haben. An die 50 Prozent Marktanteil bei den sehr großen Segelyachten weltweit, Kunden die wiederholt Perini Yachten kaufen, prominente Eigner wie der kalifornische Risikokapitalist Thomas Perkins  („Andromeda la Dea“, gefolgt von „Maltese Falcon“), die Medienkaufleute Rupert Murdoch („Rosehearty“) oder Silvio Berlusconi kaufen keine Gurken. Für den Genießer, der gern ohne störende Motorengeräusche und lästige Vibrationen mit allem erdenklichen Komfort durch‘s Mittelmeer pflügt, ist eine Perini Yacht richtig. Heute, wo große Motoryachten mit verschwenderischem Treibstoffkonsum nicht mehr zeitgemäß sind, die Branche fieberhaft über umweltverträgliche Antriebe, Rumpfformen bis hin zu cleveren Nutzungsarten der Schiffe nachdenkt, ist der mit reichlich Pferdestärken ausgestattete Perini Motorsegler als ausgereiftes „Hybrid“boot zur Nutzung des kostenlos vorhandenen Windes ausgereift. Die Maschine und Generatoren werden bei Flaute, für Hafenmanöver und zur Stromversorgung gebraucht. Aus den schwerfälligen, für die üblichen Leichtwindbedingungen im Mittelmeer untertakelten Motorseglern wurden zeitgemäß Ketsch- und neuerdings auch einmastig getakelte Blauwasseryachten. Und wie segelt sich so etwas? Also, es ist ein abstraktes Vergnügen, auf der Flybridge hinter dem Steuerpult mit den Joysticks einige Meter über dem Wasser durch das ligurische Meer zu pflügen. Wie bei der Modelleisenbahn braucht der Besucher eine Weile zum Verständnis, dass hier keinesfalls per Hand einzugreifen, alles per Fernbedienung in die Wege zu leiten ist, und zwar nicht bloß beim Bugstrahlruder, wie es ja heute schon normalgroße Yachten haben. Den gesamte Segeltrimm wird ziemlich weit vorn und oben leise surrend ausgeführt. Eine aktuelle 56 Meter Perini Ketsch ist mit einem Dutzend selbststauender Winschautomaten, fünf herkömmlichen unter Deck versteckten Motorwinschen, zwei an Deck sichtbaren und zwei Winschen zum Vertäuen des Hecks unterwegs. Natürlich ist wie beim veritablen Dampfer mit mehrerer hundert Tonnen unter den Füßen ein gewisser Kümoeffekt nicht kleinzureden. Wer wie gewohnt sportlich segeln und dabei mal nass werden möchte, kann ja ein flottes kleines Wassersportgerät auf dem geräumigen Meereszweitwohnsitz mitnehmen. Oder er steuert die windreiche Costa Smeralda  an. Da ist der Eigner bei der Regatta der Perini Navi Yachten mit einer stattlichen Flotte Meereselefanten unter seinesgleichen und es gibt am späten Nachmittag im Hafen Gelegenheit für diesen zugegeben etwas eindimensionalen Mastlängenvergleich. Da begegnet man auch Fabio Perini, einen leise redenden, gelassenen Selfmademan, der es gewohnt ist, heute die Entscheidungen für Übermorgen zu treffen, weil die für Morgen schon getroffen sind. Neulich ließ die Werft die 50. Perini Yacht in Viareggio vom Stapel. Demnächst werden die endlos langen Masten mit den Großseglerlaternen im Top errichtet.

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Yachtcharter – ein windiges Geschäft

Ein paar Bootsurlaube, flotte Sprüche und schnelle Aquise – fertig ist der Unternehmer in der Yachtcharterbranche. Fertig ist auch der Bootsurlauber – wenn sich das Urlaubsdomizil vor Ort als Seelenverkäufer entpuppt. Türkisfarbene Buchten, azurblauer Himmel, Salz auf den Lippen und Abenteuer voraus: „Wer sagt, dass man Glück nicht kaufen kann?“ lockt die Werbung für den Yachtcharter. Leider löst die Wirklichkeit selten ein, was die Reklame versprochen hat. Zusammengeschusterte Billigschiffe, schlecht ausgerüstet und mangelhaft gewartet, lassen den Traum vom Skipperglück ins Wasser fallen. Das Überangebot von Agenturen und Yachten führt zu Dumpingpreisen, die einen soliden Charterbetrieb nicht zulassen. Mehr und mehr Urlauber werden, unbeschwert von jeglichem Segelwissen, nach amerikanischem Vorbild auf sogenannte Bare Boats, Selbstfahreryachten, gesteckt, obwohl jede Agentur weiß, dass daraus selten ein erholsamer Urlaub wird. Die Folge: Es geht viel kaputt. Die Geschäftsidee „Yachtcharter“ ist seit Anfang der Achtzigerjahre bei abschreibungsfreudigen Unternehmern beliebt. Die Erfahrung beschränkt sich dabei auf den eigenen Bootsurlaub im sonnigen Süden. Schickes Marketing und verkäuferisches Geschick am Telefon ersetzen den nötigen Background. „Jeder kann nebenberuflich Charterreisen verkaufen“, sagt Hans-Jörg Maug, Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Yachtcharterunternehmen. So tummeln sich im deutschsprachigen Raumtummeln rund 400 Anbieter. Ein Großteil davon betreibt die Dienstleistung Abends und am Wochenende zuhause. Aber so schnell, wie die eine Agentur gegründet wird, so stillschweigend verschwinden andere wieder. Und mit ihnen nicht selten 20 bis 50 Prozent Anzahlung, die Kunden Monate vor Törnbeginn überwiesen haben. Nur etwa ein Dutzend Agenturen, so die Einschätzung von Branchenkennern, arbeitet rentabel und professionell genug, um den angebotenen Service durch regelmäßige Besuche der Charterstützpunkte vor Ort zu prüfen. Das erfährt der Kunde dann, wenn er tagelang in irgendeinem Hotel auf „seine“ Charteryacht warten muss, das gebuchte Schiff nicht segelklar ist. Schlechte Wartung, fertige Schiffe Die Konkurrenz drückt die Qualität im Yachtverleih. „Mit den heutigen Charterpreisen kann niemand eine Flotte kaufen, geschweige denn warten oder einen guten Service garantieren“, sagt der Hamburger Vercharterer Knut Hamann. So versuchen Agenturen zunehmend neue Yachten als segelnde Renditeobjekte mit Freizeitwert oder in Form von Timesharing-Modellen an den Eigner zu bringen. Bei den bunten Bildern und den coolen Sprüchen setzt schnell der Verstand aus. Basis der Kalkulation ist, dass die Yacht nach vier Jahren zu wenigstens 50 Prozent des Neupreises verkauft wird. Doch „nur ein Doofer“, so zwei Insider, die selbst Time-sharing-Verträge anbieten, „kauft noch so eine Yacht. Diese Schiffe sind fertig“. Sicher ist nur die Verkaufsprovision des Vermittlers. „Viele große Anbieter“, so Hamann, „gaukeln ihren Kunden Steuerersparnisse und Chartererlöse vor, die sie in den wenigsten Fällen bekommen. Dann haben die Leute aber das Schiff und die Kosten am Bein und nehmen lieber 2.500 Mark pro Woche als nichts.“ Der Unterschied zwischen Auto und Yacht 90 Prozent des Umsatzes machen die Agenturen mit dem Verleih von Selbstfahreryachten, die der Kunde nach Vorkasse und Hinterlegung einer Kaution (zwei- bis viertausend Mark) für eine, zwei oder drei Wochen leiht. Nur sind Yachten nicht so ausgereift wie etwa ein Auto oder ein Wohnmobil. Das liegt an den geringen Stückzahlen. Trotz vieler Verbesserungen und praktischer Ausstattungsdetails, die den Urlaub auf einer modernen Kunststoffyacht gegenüber den ersten GfK-Erzeugnissen der Sechzigerjahre vereinfachen, gibt es störanfällige, nässe- und seewasserempfindliche Technik an Bord. Urlauber oder Bootsklempner? Auf Nummer sicher gehen wollte deshalb Dieter Kempf, Geschäftsführer eines Computerunternehmens in Karlsruhe. Nach einer Enttäuschung mit einer abgesegelten Yacht an der Cote d’Azur (Toiletten defekt, unter den Bodenbrettern schwappende Fäkalien) buchte er eine werftneue Serienyacht vom Typ „Sun Magic 44“. Charterpreis für zwei Wochen: 9300 Mark. Doch anstelle des Sektkübels stand die Werkzeugkiste an Deck. Statt Bacardi machten Maulschlüssel, Sicaflextube, Schlauchschellen und ein Eimer mit öligen Feudeln die Runde. Wie der stinkende Cocktail aus Brackwasser, Gas und Diesel im Schiffskeller zustande kam, blieb Kempf und seiner Crew bis ans Ende der Reise unklar. Ausgiebige Erfahrungen als Schiftsklempner durfte auch der Geschäftsführer der Münchner Holzimportfirma Interholz, Michael Berghofer, machen. „Meine gebuchte Beneteau war fünf Jahre alt, weich, das Deck undicht, die Schotten verzogen, und der ganze Rumpf verwand sich. Unterwegs verabschiedete sich die Propellerwelle, in der Kajüte stand das Wasser knöchelhoch.“ Berghofers Fazit nach zahlreichen Chartertouren im Mittelmeer, in Norwegen und in der Karibik: „Wenn überhaupt noch mal, dann nur mit professionellem Skipper, der die Verantwortung für das Schiff hat, es in Stand hält und sich im Revier auskennt. Da mach‘ ich dann Urlaub.“ Problem Selbstfahreryacht Das Handling eines bare boats verlangt die Beherrschung des nautischen Handwerks. Da das Potential erfahrener Segler für die Anbieter von Charterreisen jedoch ausgeschöpft ist, werden zehn Tonnen schwere Yachten Anfängern anvertraut. „Heute geben wir jedem Hansel, der 300 Meilen für einen Segelschein irgendwie hinter sich gebracht hat, ein Schiff. So gut kann man Yachten gar nicht bauen, wie die kaputtgesegelt werden“, sagt Knut Hamann. Seiner Ansicht nach hängt die Qualität nicht allein von der Güte der Yacht und der Wartung ab, sondern auch davon, dass die Kundschaft die Schiffe nicht zusammenfährt. Dieses „größte Problem der Branche“, so Hamann, sei allabendlich in jedem Hafen des Mittelmeeres zu beobachten, wenn Charterboote mit dem Bug oder Heck gegen Kaimauern krachen, weil das Einparken der Yacht unter Motor bei Seitenwind eine schwierige und selten beherrschte Übung ist. In der Marina der südtürkischen Charterbasis Marmaris, einem Stützpunkt Hunderten von bare boats, erkundigte sich im Frühjahr ein besorgter Familienvater und Skipper einer neun Meter langen Bavaria, „wie man vor der türkischen Küste ankert“. Eine Frage, die für einen Segler etwa so frappierend ist, wie die, ob man auf der Autobahn wenden darf. Gefürchtet sind auch erfahrene Segler. Oft schinden sie die Mietyachten derart, dass die Schiffe nach zweijährigem Chartereinsatz älter aussehen als manche Privatyacht mit 15 Jahren unter dem Kiel. „Ich habe Kunden, die gehen bei Sturm aus dem Hafen raus und segeln bei acht Windstärken gegenan“, weiß Knut Hamann. „Ist doch klar, dass da was kauptt geht.“ Der rasant gestiegene Bedarf an Selbstfahreryachten hat den Bootsbau verändert. Allein von der Sun Magic 44, einem der zur Zeit beliebtesten bare boats, setzte die französische Werft Jeanneau innerhalb von vier Jahren 800 Stück ab. Eine im Yachtbau mittlerer Grösse sensationelle Stückzahl. Statt der aufwändig im Auftrag eines kundigen Eigners gefertigten Yacht lassen die Werften jetzt flott zusammengeschusterte, konfektionierte schwimmende Bettenburgen in Großserie für die Abrufaufträge der Vercharterer vom Stapel: trendig gestylt, mit windschlüpfrigen Decks, Streifen an den Seiten, mal eckigen, mal ovalen Fenstern, doppelten Steuerrädern, grossen Badeplattformen und Instrumententafeln. Auch den Targabügel, ein Zubehör von Sportwagen oder Motorbooten, gibt es neuerdings auf Segelyachten. Dafür werden die Yachten so billig gebaut, dass ihre Rümpfe sich in den Wellen verwinden, das Interieur im Seegang quietscht, sich Türen und Luken verziehen und sich im Hafen nach einem Sturmtag nicht mehr schließen lassen. Durch die Fenster und Decksluken teurer Leihyachten gelangt das Salzwasser tassenweise in Gepäck und Polster. Es sind „Modeartikel, Produkte für die Wegwerfgesellschaft“, meint Ruth Müller von der Charterhanse Hamburg, seit 23 Jahren im Geschäft. Mit einem guten Schiff, beispielsweise einer Baltic oder Swan mittlerer Grösse für 800.000 Mark, „fährt kein Vercharterer die Kosten rein“. Geschickt haben sich Werften wie Jeanneau, Beneteau (Frankreich), Moody (England), X-Yachts, Mön und Bianca (Dänemark) oder Elan (Jugoslawien) auf die Nachfrage des Chartermarkts eingestellt. Dem bequemen Bordleben zuliebe haben vor allem die Franzosen die Gestaltung der Yacht konsequent zum pflegeleichten Gebrauchsgegenstand vorangetrieben. So zeigten sie dem traditionellen skandinavischen Bootsbau, wie eine perfekt gestaltete, dem Sanitärraum im Flugzeug nachempfundene Naßzelle aussieht. Statt Stückwerk aus angeleimten Holzbrettchen und Blenden mit unzähligen Schmutzecken bauen sie Wasch- und Toilettenraum aus einem Guss. Der handwerklich Standard soliden Bootsbaus geht dabei leichtfertig und kostensparend über Bord: Kleine, wie Haifischflossen unter dem Rumpf hängende Kiele zeigen schon nach zwei Jahren ringsum Haarrisse. Bei einer üblichen Grundberührung nehmen sie Schaden, haben ein Knacks. Schon nach einer dreiwöchigen Reise mit dem Passatwind von Gibraltar zur Charterdestination Karibik ist der Steuermechanismus im Heck der meisten Konfektionsyachten so ausgeleiert, dass er überholt werden muss, berichtet Agenturinhaber und Hochseesegler Thomas Stürzebecher vom „Törnclub“ in Horb/ Neckar. Die Ausrüstung der Yachten mit verschleissträchtigen, tropfenden und riechenden Pumptoiletten, festgebackenen Seeventilen, Frischwasser- und Fäkalientanks, mit salz- und nässeempfindlichen motorisierten Ankerwinden, Generatoren und Dieselaggregaten und immer mehr Elektronik samt leger verlegten Kabeln und Schläuchen geht im rauhen Alltag an Bord schneller kaputt, als ein handwerklich geschickter Segler reparieren kann. Ankerwinden mit integrierten eisernen Fahrradnaben (Standard des namhaften englischen Herstellers Simpson Lawrence) rosten von innen nach außen unter der glänzend verchromten Oberfläche und quittieren eher früh als spät ihren Dienst. Die meisten Kettenbremsen der im Charterbetrieb täglich gebrauchten Ankerwinden sind bereits beim ersten Törn erledigt: wenn die Bremsen ein paarmal lässig per Fußtritt betätigt wurden. Die Achillesferse der modernen Charteryacht ist die sanitäre Ausstattung. Jedes moderne Bordklo mit Gummimembranen und allerlei Hebeln kapituliert vor seinem unbedarften Benutzer. Nur mit sorfältiger Wartung, bei der die Schiffe regelmäßig komplett durchgecheckt und Verschleißteile im Sechs- oder Zwölfmonats-Rhythmus vorsorglich ausgewechselt werden, sind die konstruktiven Mängel der billig gebauten Konfektionsyacht wettzumachen. Wer sich mit seinem Schiff in rauhen Gewässern bewegt, wird ohnehin andere Booktypen wählen. Die Hochsee Yachtschule Bremen beispielsweise fährt im Frühjahr und Herbst mit ihren Schiffen zum Sturmtraining auf die Nordsee hinaus, eines der anspruchsvollsten Reviere der Welt. Die Teilnehmer erleben in einer Woche mehr als mancher in seinem ganzen Seglerleben. Gesegelt wird mit Swan-Yachten aus Finnland, die in der Anschaffung leicht das Doppelte einer Konfektionsyacht kosten. Firmenchef Logemann: „Alles andere bricht uns bei diesen extremen Wetterbedingungen nach kurzer Zeit auseinander.“ Kein Wunder, denn kaum eines der konfektionierten bare boats ist wenigstens mit einer Sturmfock aus kräftigem Tuch ausgerüstet. Das ist ungefähr so unverantwortlich, wie jemanden ohne Haken und Leine in die Alpen zu schicken. So zog es der Skipper einer 15 Meter langen Oceanis bei neun Windstärken vor, durch die Felsenklippen zum südtürkischen Städtchen Kas zu dieseln. Seine Antwort auf die Frage, warum er die 16 Tonnen schwere Segelyacht bei diesem Wetter mit Motorhilfe bewege: „Eine Sturmfock haben wir nicht. Das Großsegel können wir nicht setzen, weil Latten zur Versteifung des Tuchs fehlen. Das Segel wäre nach einer halben Stunde Flattern im Sturm zerrissen.“ Ein Stottern oder Aussetzen des Motors vor den Klippen hätte das Abenteuer Yachtcharter für die zwölfköpfige Crew aus Pforzheim schnell und vielleicht glimpflich beendet. Die Yacht wäre von der Brandung auf den Felsen zerstört worden. So wird aus der Verheißung eines Segeltörns motorisiertes Seewassercamping. Mit 3000 U/min. auf dem Tourenzähler geht es schnurstracks zum nächsten Hafen.

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Eine Frage der Kultur

Ein Besuch der Cantiere dell’ Argentario in Porto Santo Stefano. Von Erdmann Braschos Zeig mir Dein Büro, und ich sag Dir, wer Du bist. Wir kennen Sachbearbeiterzimmer mit Behördencharme und Hydrokultur, funktionale Denkzellen, wo kreativ mit „c“ geschrieben wird, mausgraues Schreibtischeinerlei mit aktueller Prozessorleistung, oder „chief executive“ Ausstattungen mit Sitzgarnitur und Glastisch. Der argentinische Yachtarchitekt Germán Frers hält seine mailändische Niederlassung aufgeräumt wie einen Prada Showroom. Einige Bilder vom America’s Cup, ein glänzend schwarzer Tisch mit Block und Stift. Ein süddeutscher Bootsbauer beschäftigt seinen Besuch mit maritimem Nippes von der Neufundlandbank auf Möbeln von USM Haller. Die geschichtsreiche Yachtbauadresse Abeking & Rasmussen empfängt in der germanenschweren Patina des Eiche-getäfelten Besprechungszimmers aus Henry „Jimmy“ Rasmussens Zeiten. Wir erinnern den berstend mit Zeichnungen und alten Schwarten gefüllten Kokon von Harry Spencer über dem Medina River im südenglischen Cowes. Dort reproduzierte der Traditionalist und Takler mit Bleistift und Transparentpapier den Stand der Technik von Horatio Nelsons Schlacht von Trafalgar bis zur vorletzten Jahrhundertwende. Das Büro von Federico Nardi in Porto Santo Stefano ist irgendwo zwischen Spencers Klause und einem Jugendzimmer der antiautoritären Ära anzusiedeln, oder im mittelbaren Einflussbereich eines anthroposophischen Haushalts, das dem Jäger, Sammler und Selbstverwirklicher grenzenlose Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Nardis Refugium in der ersten Etage der Cantiere dell’ Argentario wird so 20 Quadratmeter haben, gefühlt sind’s eher zehn. Wir staunen über das Fassungsvermögen des Raums und darüber, dass er sich betreten lässt. Auf und unter den Tischen Winschen, Blöcke, Fallscheiben, Schotschienen, Relingsfüße und -stützen. Das alles in mehreren Generationen und in verschiedenen Provenienzen, australischer, amerikanischer und großbritannischer Ausführung. Zöllig natürlich, in grünspänig patinierte Marinebronze und ziemlich krude. Die meisten Winschen in Nardis Kollektion werden über eine seitlich versetzte vierkantige Kurbel angetrieben. Sie stammen aus der Zeit, als noch mit Zwischengas Auto gefahren wurde. Auf der geneigten, einst als Zeichenbrett benutzten Fläche, die absedimentierten Projekte. Auf den rings umlaufenden Bücherborden einige Jahrgänge des einst maßgeblichen Periodikums Rudder, des Lloyd’s Register of Yachts, vergilbte Kataloge der Bootsausrüster und weitere substanzielle Literatur einer beinahe vergessenen Segelära. Darunter, in der bewährten Hängetechnik von Schwalbennestern, Zeichnungsrollen. Der Endfünfziger ist ein von mancher Seemeile gegerbter Beau mit weiß-blond langem Haar und gewinnend freundlichem Wesen. Einer, der auf dem Tennisplatz, im Hafen oder an der Bar den ersten und letzten Blick kriegt. Am winterlich kühlen Morgen unserer Begegnung trägt Nardi eine dunkelblaue Windjacke über einem hellbraunen Pulli zur marineblauen Hose. Die geschmackssicher legere Kleidung des Italieners. Die Wildlederstiefel sind mit fröhlich bunter Hightech Leine, wie sie ansonsten auf Rennjollen zum Einsatz kommen, geschnürt. Abgesehen von seinem regelmäßig läutenden Handy scheinen die Schnürsenkel die einzigen modernen Zutaten zu Nardis Leben zu sein. Wir sind zu einem vertieften Gespräch über Boote gekommen. „Es ist eine Frage der Kultur“ wie Yachten heute restauriert werden“ meint Nardi resigniert. „Die meisten machen die Boote irgendwie zurecht, weil es gerade „in“ und ein Geschäft ist. Doch man sollte das Metier schon mögen. Denn schauen Sie, zu einem Schiff eines bestimmten Jahrgangs gehören eben auch die passenden Beschläge. Da schraubt man nicht irgendwas an Deck.“ Deshalb shoppt Nardi die Seglerhardware im großen Stil bei Ebay. Sie wird irgendwann und -wo mal eingebaut. Das ist natürlich nicht die ganze Wahrheit. Ein großer Junge, Sammler, Segler und Jäger wie Nardi hat solche Sachen gern um sich. Er lebt in seiner Nautiquitäten Klause, in den ausgerechnet jetzt die Putzfrau eindringen möchte, um mal den zwischen Tischen, Kartons und Stühlen verbliebenen Gang zu feudeln. Na, dann winden wir uns halt aus dem Nautiquitätenkabinett und gucken uns den Laden an. Die Cantiere Navale dell’ Argentario ist Museum, rund laufender Betrieb für die üblichen Drecksarbeiten unter Muschel bewachsenen Rümpfen und eine richtige Werft mit beachtlicher Fertigungstiefe, also ein Gemischtwarenladen für nahezu jedes Problem, das schwimmt und segelt. Es gibt eine Schlosserei mit Drehbänken, Schweißapparaten und Standbohrmaschinen, Lackiererei, eine elektrische Werkstatt und eine Tischlerei mit Mastbauabteilung für traditionelle Holztakelagen. Im Schatten der großen grauen Halle hinter dem Kreisverkehr am Ortseingang stehen Kostbarkeiten wie die berühmten Sparkman & Stephens Zwölfer „Nyala“ oder „Vim“ aus den 30er Jahren, im eigenwillig lindgrün oder weiß glänzenden Lack. Die aparten Achterschiffe ragen über unsere Köpfe, wie das lange Ende eines Flugzeugs. Es ist die gefährlichste Perspektive unter ein Schiff, eine, die Nackenstarre, Bewunderung und den Impuls des Habenwollens auslöst, ganz gleich, ob die Yacht zum Verkauf steht und das Segelspielzeug auch nur entfernt zu den Vermögensverhältnissen passen würde. Bei diesem Blickwinkel neigen eigentlich erwachsene Männer dazu, ihr Leben irgendwie zur kühnen Skulptur mit dem sensationellen Achterschiff passend zu machen. Richtige Männer kennen diesen Implus auch in anderen Lebenslagen. Die Übernahme eines Flugzeugs oder seltenen Sportwagens, wäre ähnlich sinnvoll und notwendig, allerdings kaum so interessant. „Nyala“ und „Vim“ sind die eher nebenher besessenen als passioniert genutzten Spielzeuge des Modekaufmanns Patrizio Bertelli und des mailändischen Verlegers Alberto Rusconi.      Asservate amerikanischen Yachtsports, Rennyachten, die in den Dreißiger Jahren die Dominanz auf den heimischen America‘s Regattabahnen bereits bis Ende der Fünfziger einleiteten. „Nyala“ gelangte als Mitgift von Lucy Bedford in die Ehe mit dem legendären Autorennfahrer und Segeltalent Briggs Cunningham. Mit „Vim“ kalibrierte Harold Vanderbilt im letzten Sommer vor dem Krieg im englischen Heimatgewässer des Yachtsports das Niveau auf den Regattabahnen.      1995 übernahm der italienische Modekaufmann Patrizio Bertelli das Schiff. Er ließ Nardi und den Bootsbauern in Porto Santo Stefano freie Hand. Nardi genießt das Vertrauen des salotto buono. Er kennt Bertelli seit Jahrzehnten. „Wir haben schon zusammen oder gegeneinander Regatta gesegelt, als er noch nicht so bekannt war“ berichtet Nardi, der sich damals auch um Bertellis Green Marine Werftbau „Ulysse“, ein 32 Meter langes Karbon Sommerurlaubsboot der südenglischen Werft Green Marine kümmerte und dem legendär cholerischen Modekaufmann, der seine Ehefrau Miuccia als Beklagter anlässlich eines Plagiatsprozesses kennenlernte, nur ganz smarte Burschen wandeln eine derart missliche Lage in eine so genannte win-win Situation, und während seiner gefürchteten Gefühlsausbrüche einer echten und vertrauenwürdigen Insiderin zufolge nicht bloß mit Handys, sondern mit ganzen Laptops wirft, vor einigen Jahren gemeinsam mit Yachtkonstrukteur Frers die Luna Rossa/Prada America’s Cup Herausforderung soufflierte. Diese Vertrauensstellung ist „Nyala“, sie ist neben „Vim“ der bestrestaurierte Mittelmeer Zwölfer, anzusehen. Eine carte blanche Bootssanierung, die den technischen Stand der Dreißiger Jahre wiederholt, mit nobler Schlichtheit überzeugt und von der Bootsbauer und Segler träumen. Das Deck ist mit 27 Millimeter Spruce statt Teak belegt. Die Bauvorschriften verlangen diese Wandstärke und so wurde Spruce als das leichtere Holz genommen. Zu den kleinen Zugeständnissen an die Handhabung und Gegenwart in engen Yachthäfen gehört ein Yanmar Einbaudiesel unter den Bodenbrettern. Als die Werft 2004 für den Medienkaufmann Alberto Rusconi Harold Vanderbilts einstigen Zwölfer „Vim“ fertig aus der Halle schiebt, hängt eines der Platz sparenden und in den Dreißiger Jahren üblichen Klapp-Handwaschbecken im Waschraum. Ein I-Tüpfelchen und Geschenk Nardis an einen Geschäftsmann, der neben zwei großen Motoryachten noch den Zwölfer „Tomahawk“ zum privaten Pläsier Hobby bereedert und solche Geschenke nicht nötig hat. „Gefreut hat er sich trotzdem“ berichtet Nardi. Im Klassikerhangar der Cantiere Navale dell’ Argentario, er befindet sich ausgerechnet neben einer Bank, steht außer „Nyala“, „Vim“ und weiteren Kostbarkeiten die etwas kleinere „Cotton Blossom II“, eine Johan Anker Konstruktion der Q-Klasse gemäß amerikanischer Universal Rule von 1924. Damit brachte sich das einstige America’s Cup Segelass Dennis Conner neulich noch mal ins Gespräch. Nardi äußert sich zurückhaltend zu diesem Umbau mit deutlich, für die leichte Mittelmeerbrise vergrößerter Takelage. Niemand, außer ein übergewichtiger Kalifornischer Teppichhändler, würde mit einem modernen Motor in einem historischen Ferrari einen Konvent historischer Sportwagen ansteuern. Genau das hat Conner neulich in der maritimen Szene der Cote d’ Azur und italienischen Riviera versucht, und dann verkauft. Weil der Segelsport und Erhalt klassischer Yachten eine Frage von Stil und Kultur ist, bekommt der hübsche dunkelblaue Renner jetzt wieder mit dem passenden, ursprünglichen Rigg seine angemessene Motorisierung. Nardi weiß, wie man ein verbautes Objekt in eine stimmige, den seinerzeitigen Bauvorschriften entsprechende Yacht zurück verwandelt. Anlässlich der Restaurierung der Sparkman & Stephens Zwölfer wurde daher die bei der America Pokal Verteidigerin „Ranger“ 1937 bereits ausprobierte Winschtechnologie mit den historischen, von Rod und Olin Stephens gemeinsam mit der New Yorker Nevins Werft entwickelten Kaffeemühlen für die Zwölfer reproduziert. Die klobigen 24 Zentimeter Aluminiumgehäuse der so genannten Grinder beherbergen ein Getriebe, das Nardi von einem Spezialisten im südschwedischen Malmö nachbauen ließ. Längst gibt es solche Modelle in aktueller Ausführung mit separaten Kurbeln bei namhaften Herstellern. In der Welt des verfeinerten maritimen Geschmacks ist eine gleichermaßen krude wie schöne Konsequenz, die Vorsegel mit reproduzierter Mechanik nach dem technischen Stand der Dreißiger Jahre dichtzuholen. Die nötigen Muckis und Wartungseinheiten für die antiquierte Mechanik bringt die Crew schon mit. Der Segler, Sammler und Liebhaber Nardi ist ein Projektleiter, der seine Kunden zu solch schöner, leider seltenen Konsequenz ermutigt. „Ich verstehe nicht, was ihr Deutschen und vor allem die Dänen mit den Booten macht. 2006 habe ich mit Doug Peterson bei der Weltmeisterschaft der Sechser die alte Olin Stephens Konstruktion „Bob Kat“ gesegelt. Da waren Boote mit high tech Segeln und dem halben Harken Katalog aktueller Bootsbeschläge dabei. Da kann ich doch gleich ein modernes Boot kaufen!“ Beeindruckend ist auch das große Holzlager. Es gibt ganz wenige Werften, die heute noch Kapital für die Lagerung und weitere kontrollierte Lüftung des entscheidenden Rohstoffs für ihre Arbeit binden. Meist wird es recht spät und Ofen getrocknet im Holzhandel gekauft. „Das Holz macht etwa zehn Prozent der Restaurierungskosten aus“ erklärt  Nardi. „Ja, sollen wir denn daran sparen?“ fragt er und räumt bei der Gelegenheit mit einer gern in der Branche gepflegten Behauptung auf.  „Wenn man eine Weile Boote restauriert, kann je nach der damaligen Werft, den verarbeiteten Hölzern und Bauweise einschätzen, wie weit ein altes Schiff auseinander genommen werden muss. Viele Werften ködern den Eigner mit einem niedrigen, unverbindlichen Angebot und behaupten nachher, sie hätten nicht gewusst, wie viel tatsächlich zu tun ist. Wir nennen einen Festpreis bis zum strukturell gesunden, schwimmfähigen Schiff und überlassen es dem Eigner, uns nachher auch den Innenausbau machen zu lassen.“ Draußen neben den Gleisen der Slipbahn, wo die alltägliche Arbeit an den Sommerurlaubsbooten für das Buchtenbummeln durch die toskanische Inselwelt erledigt wird, schwimmtt „Gretel“, die erste australische America’s Cup Herausfordererin von 1962 im  kreischend hellen Sonnenlicht des Mittelmeeres. Eine morsche Legende, für die sich bislang kein Eigner gefunden hat. „Die hat mein Freund Doug Peterson gekauft. Höchste Eisenbahn, dass wir die mal zurecht machen.“ Die Zeit für dieses Boot wird kommen, so wie für die legendären Sparkman & Stephens Hochsee Rennyachten „Dorade“ und „Stormy Weather“. Die Instandsetzung der Dorade-Nachfolgerin wurde der Werft vorab bezahlt. Eigner Giuseppe Gazzoni Frascara, ein Unternehmer aus Bologna übernahm bei Übernahme des Schiffes jene mehrkosten, auf denen die Werft vertragsgemäß durchaus hätte sitzen bleiben können. Solche Geschäftsbeziehungen gibt es auch heute noch, in der scheinbar smarten, budget- und vertragstreuen „Ich bin doch nicht blöd“ Welt. Solches gegenseitige Vertrauen ist Voraussetzung für jene Exzellenz im Handwerks und Arbeitsleben, die heute weithin vermisst wird.     So sind wir nach den aparten Flugzeughecks der Yachten, der Besessenheit reproduzierter Kaffeemühlen, umsichtiger Holzlagerung und der Fron herkömmlichen Bootsbaus beim wichtigsten Thema, dem Geld angekommen. Denn ohne gediegenes Wealth Management, wie sich die beinah bodenlose Liquidität zum Betrieb solchen Spielzeugs heute modern deutsch nennt, keine Cantiere Navale, kein verfeinerter maritimer Geschmack, keine richtigen Boote im ausreichend tiefen Wasser rings um Monte Argentario, jene Halbinsel, um deren naturbelassene Schönheit sich unter anderen Giovanni Agnellis Schwester Susanna als Bürgermeisterin gegen die verwüstende Bauspekulation verdient machte. „Schauen sie, ich bin kein Rassist, aber die Römer zahlen noch schlechter, als Neapolitaner. Der Römer kommt am Tag, wenn das Boot wirklich ins Wasser muss, weil wir auf dem Hof keinen Platz mehr haben, noch mal mit einer sagenhaften Geschichte. Deshalb erwarten wir vom Römer immer Vorauskasse. Lieber drei Neapolitaner, als einen Römer“ fasst Nardi die Zahlungsmoral zusammen. Deutsche Eigner sind Nardi in dieser Hinsicht Welten lieber, obwohl der Deutsche dazu neigt, es genau zu nehmen. Sicher liegt es an Nardis Herkunft, dass er mit internationaler Kundschaft ganz gut kann. Seit Großvater eröffnete in Siena das erste Hotel mit fließend warmem und kaltem Wasser. Nardi ist der Sproß einer norddeutschen Mutter und eines nach dem Krieg in Pommern inhaftierten italienischen Admirals, der das Beste aus seinem Gefängnisaufenthalt machte. Italiener sind halt auch in beschränkten Verhältnissen noch verblüffend Aquisitionsstark. Nardi wird in La Spezia groß, wo die Mutter dem Jugendlichen anlässlich seines etwas extravaganten Freizeitwunsches die deutsche Tugend beibringt. Erst die Arbeit, dann, vielleicht, etwas Vergnügen: „Wenn Du segeln möchtest, dann arbeite dafür.“ Nardi repariert in einem Segelverein die Boote und hockt bald in einem der beiden Baglietto 5.5er Rennyachten des Vereins, wo er derart interessante Kontakte knüpft, dass er das später in Florenz begonnene Architekturstudium als Profi auf modernen Renn- und traditionellen Charteryachten fortsetzt. Nach einer Weile skippert er nicht bloß die dicken Schlitten. Der Ästhet hat mit dem ansehnlichen 32 Meter Zweimaster vom Reißbrett des amerikanischen Konstrukteurs John Alden auch ein ansehnliches Schiff. Es gibt sträflichere Lebensformen als die an Bord gediegener Planken an der italienischen Riviera, der ligurischen und toskanischen Küste. Ende der 80er Jahre beendet der Sonnyboy das maritime Zigeunerleben. In Porto Santo Stefano, wo er bei der Cantiere Navale dell’ Argentario seit Jahren für die üblichen Arbeiten mit seinem großen Holzschiff anlegt, geht Nardi an Land. „Der Betrieb gehörte damals einem Römer, der ihn hauptsächlich für sein eigenes Boot nutzte und sich ums Geschäft kaum kümmerte.“ Dabei war die Werft, die Ende des zweiten Weltkriegs von den Alliierten als Torpedofabrik in Schutt und Asche gelegt wurde, seit den 50er Jahren bei gut situierten, auf Odysseus Spuren kreuzenden Engländern eine geschätzte Adresse. Auch vermögende Italiener ließen ihre Yachten über den 400 Tonnen Slip aus dem Mittelmeer ziehen. Die stattliche Rennyacht „Candida“ oder der Fahrtenschoner „Puritan“ wurden schon in Porto Santo Stefano zurecht gemacht. Gemeinsam mit dem Tischler Piero Landini, dem Mechaniker Umberto Berti, Betriebsleiter Carlo Terramoccia und Buchhalter Stefano Busonero kauft Nardi die traditionsreiche Adresse. Formal ist Nardi so was wie ein Produktmanager, eigentlich ist er entspannter Kommunikator, Galeonsfigur, laufendes Yachtbaulexikon und Protagonist der internationalen Klassikerszene, Jäger, Sammler und Liebhaber. Wenn wieder mal ein ungern Auto fahrender Kunde anlässlich des Stapellaufs seiner Nautiquität unbedingt mit dem Hubschrauber im beschaulichen Fischer- und Fährhafen landen möchte, findet Nardi die geeigneten Worte, dem Eigner die nicht ganz zu den Umständen vor Ort passende Landung auszureden. „Du brauchst Freunde in der ganzen Welt und musst das Metier wirklich mögen, dann kommen auch die Kunden“ meint Nardi. 32 Leute beschäftigt die Werft, „die meisten kommen als Lehrlinge und gehen mit weißen Haaren.“ Auch diese selten gewordene Beständigkeit ist in der vermeintlich smarten Ära des Ex und Hopp mit clever gemeinter Prozessoptimierung Voraussetzung für ein bemerkenswertes Handwerk. Sie ist wie die Ausrüstung eines Bootes mit den passenden Beschlägen „eine Frage der Kultur“.

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Mastbau Rechnungsprüfung

Der Alptraum jedes Seglers geschah aus heiterem Himmel bei Bedingungen, wo eigentlich kein Mast bricht. Die 42 Meter Röhre der eleganten Mahagoniketsch „Hetairos“ knickte unmittelbar über dem Deck. Dann landete die Takelage neben dem Schiff im Pazifik. Das Boot hatte die angesehene Werft Abeking & Rasmussen, eine führende Adresse für Yachtsonderanfertigungen für einen in der Schweiz ansässigen Eigner gebaut. Bezüglich der Masten hatte sich dessen Yachtberater Jens Cornelsen mit Vehemenz für ein Fabrikat eines kalifornischen Spezialisten stark gemacht. Und das lag nun im Wasser. Damals war der „Hetairos“ Mast einer der ersten großen in Karbon. Die Gewichtsersparnis von überschlägig einem Drittel gegenüber Aluminium erschien derart interessant, dass mit solch einem Prototypen gern ein neues Kapitel Takeltechnologie aufgeschlagen wurde. Große Yachten werden damit in luftiger Höhe um einige hundert Kilo, oft eine bis mehrere Tonnen entlastet. Damit liegt das Boot Welten ruhiger im Wasser. Es segelt aufrechter, was nicht nur den Segelleistungen, auch dem Komfort auf See zugute kommt. Die Gewichtsersparnis oben in der Takelage lässt sich auch zur Entnahme von Ballast unten im Kiel nutzen. Nach einer gängigen Faustformel kann etwa das Zehnfache jedes im Rigg eingesparten Kilos beim Bleiballast entfallen. So führt das neue Mastbaumaterial zu einem spürbar leichteren, agileren Schiff. Lassen sich bei der Takelage einer großen Yacht beispielsweise 1 ½ Tonnen einsparen, entspricht das 15 Tonnen Blei. So wird das Boot bei gleicher Steifigkeit zunächst einmal 16 ½ t leichter. Doch damit nicht genug: entsprechend leichter können die Beschläge, Segel, Schoten, sogar das Ankergeschirr und die Maschine ausfallen, was die Gewichtsbilanz nochmals günstiger ausfallen lässt. So wurde der Hetairos Mast ein Karbonprototyp, der für hundert Tonnen Stauchdruck ausgelegt war. Er hatte mehrere tausend Meilen gehalten, doch plötzlich nicht mehr. Eine Katastrophe auch für die Versicherung, in diesem Fall Pantaenius. Damals sah der seinerzeitige Geschäftsführer und versierte Segler Harald Baum ein großes Problem. Wenn sich der Mast eines namhaften, in der Luftfahrt angesehenen Herstellers aus heiterem Himmel verabschiedet, der Trend zum fortschrittlichen Karbonmastbau aber unumkehrbar ist, wer soll dieses Risiko dann versichern? Normalerweise halten Masten gleich welcher Bauart bei Tourenyachten so lange wie das Schiff, also mindestens ein Seglerleben. Baum wandte sich an die ebenfalls in Hamburg ansässige Klassifikationsgesellschaft, den Germanischen Lloyd. Dieser Schiffs-TÜV entwickelt seit jeher Richtlinien für den betriebssicheren Bau von Schiffen und überprüft deren Zustand. Ein Standard zur Konstruktion und Bauweise von Karbonmasten der hält was Ingenieurbüros und Laminierbetriebe versprechen, musste her. Es große Kommission untersuchte den Mastbruch, der auch der 31-jährige Schiffbauingenieur Hasso Hoffmeister vom Germanischen Lloyd angehörte. „Man hat damals noch zu sehr in Metall gedacht und die Stärken und Schwächen des Materials erst in Ansätzen verstanden“ fasst Hoffmeister den seinerzeitigen Stand der Technik zusammen. Im Unterschied zu Metall ist Karbon kein isotropes Material. Es kann folglich nicht in alle Richtungen gleich belastet werden.“ Man muss die Beanspruchung eines Bauteils folglich genau kennen, um die erforderliche Fasermenge einschließlich der gebotenen Sicherheitsmargen in der nötigen Last-Zugrichtung unterzubringen. „Die Finite Elemente Modellierung zur Darstellung der Belastung von Bauteilen steckte damals im Mastbau noch in den Kinderschuhen“ berichtet der heutige Mastenspezialist der GL Special Craft Abteilung. Sie befasst sich mit Binnenschiffen, Fähren und Yachten. „Hinzu kam, dass das Boot einen Rollmast hatte, dessen Profil mit dem Stauchdruck und der Torsion gerade im unteren Bereich nicht so gut zurecht kommt, wie ein übliches, ringsum geschlossenes, von Haus aus steiferes Mastprofil. Der neue „Hetairos“ Mast war komplett vom Germanischen Lloyd nachgerechnet und die Takelage GL klassifiziert. 1996 veröffentlichte das Institut erstmals seine „Guidelines for Design and Construction of Large Modern Yacht Rigs.“ Sie wurden 2002 und nochmals 2009 überarbeitet. Dank dieser Richtlinie, des technischen Fortschritts und der Nachfrage, es gibt mittlerweile mehrere auf den Mastbau spezialisierte Ingenieurbüros, sind Karbonmasten mittlerweile halt- und versicherbar, obwohl gelegentlich was auf Regattabooten, meist infolge von Fehlbedienung oder crewseitigen Modifikationen, passiert. Doch letztlich hat die Initiative Harald Baums und die GL Richtlinie die Takelagen sicherer gemacht. Der 62 Meter Mast des 52 Meter langen Seglers „Tiara“, der 53 m Hauptmast der „Salperton“ bis hin zur 88 Meter himmelwärts ragende Takelage des 75 m Einmasters „Mirabella“ beispielsweise profitieren vom GL Testat. Neben der bekannten statischen Beanspruchung solcher Masten gab es zu den dynamischen Lasten bei schweren Touren- und Luxusyachten anfangs vergleichsweise grobe Schätzungen. Sie wurden die vergangenen Jahrzehnte mit Sensoren, Fahrtenschreibern und zeitgemäßer Datenübertragung erfasst. Rasant ging die Entwicklung bei den Haltedrähten, den sogenannten Wanten und Stagen, weiter. Denn eigentlich wiegt die leere Röhre eines Karbonmastes ohne übliche Beschläge, Wanten und Stagen gerade mal die Hälfte eines Aluminiummastes. Die Ausrüstung mit herkömmlicher, überwiegend metallischer Hardware, den Haltedrähten aus Stahl, reduziert die Gewichtsersparnis auf das eingangs genannte Drittel. Bereits in den 80er Jahren wurden schon Faserkabel für wissenschaftliche oder militärische Zwecke entwickelt, wo große Entfernungen zu überbrücken sind und bereits das Eigengewicht des Materials eine Rolle spielt. Von der Verankerung von Bohrinseln auf großen Wassertiefen, beim Betrieb von Unterwasserkameras, vom Brückenbau und der Sicherung von Radiomasten beispielsweise wurde das Know How übernommen. Würde man beispielsweise den heute im Serienbootsbau üblichen 1×19 Draht von einer Spule abwickeln und hängen lassen, risse das Material durch sein Eigengewicht bei 17 Kilometern ab. Mit Aramid gelänge das Experiment bis 46 Kilometern. Die Zylon oder PBO genannte Faser des japanischen Herstellers Toyobo ließe sich 77 Kilometer abspulen. Das Karbonrigg eines neulich gebauten 40 Meter Einmasters wiegt mit Zubehör 5,5 Tonnen, wobei die Wanten und Stangen in herkömmlicher Metallausführung 1,3 Tonnen schwer sind. In Zylon bleiben 75 Prozent davon, also eine Tonne an Land. Damit kommen die Vorzüge des Materialwechsels von Alu zu Karbon voll zur Geltung. Leider sind die neuen Fasern mit bärenstarken Eigenschaften ab Werk an Bord kaum geeignet. Denn im Unterschied zu 1×19 Edelstahldraht oder Strangware sind sie Feuchtigkeits-, Licht- und Schlagempfindlich. Einige Fasern neigen zum tückischen Kriechen. Gibt ein Want bei erheblicher Zugbeanspruchung eine Idee nach und verharrt im verlängerten Zustand, ist der Mastbruch vorprogrammiert. Auch die Verbindung der Fasern mit Endbeschlägen war und ist eine Wissenschaft für sich. Teils werden sie in einer Art Konus eingespannt, teil werden sie wie die Taue historischer Rahsegler um Führungen mit materialgerechten Radien (Kauschen) gewickelt. Die Frage, bei welchen Voraussetzungen das Zeug lange hält, beantwortet die „Type Approval of Carbon Strand and PBO Cable Rigging“ vom März 2008. Detaillierte Hinweise zur Verarbeitung, zur Beschlagsanbindung und Schutz vor Nässe, UV-Licht wie Abrieb und ein Ermüdungs- und abschließender Zerreißtest beseitigen etwaige Zweifel. „Rigorose Ermüdungstests mit 100.000 Hüben zwischen lose und der maximalen Arbeitslast, gefolgt von einem abschließenden Zerreißen“ geben Auskunft über die tatsächliche Bruchlast solcher Kabel nach intensivem Gebrauch. Der letzte Schrei sind sich astförmig an den Salingsenden in Ober- und Zwischenwanten gabelnde, fertig konfektionierte Faserstränge. Wenn alles richtig gemacht wird, hat diese Machart viele Vorteile. Der Takelagen Berechnungsprüfer Hasso Hoffmeister und seine Kollegen aus der Special Craft Abteilung haben in der Hamburger Hafencity also weiterhin viel zu tun. Die Geschichte des Schiffs-TÜV Im 18. Jahrhundert treffen sich Reeder, Schifffahrtskaufleute und Versicherer im Cafe von Edward Lloyd in der Londoner Innenstadt zum Informationsaustausch. Es geht um das Fassungsvermögen, Bauweise, Eignung und Zustand der Schiffe, denen wertvolle Ladung anvertraut wird. Mit der Veröffentlichung des sogenannten „Green Book“ wird 1760 aus den Kaffeestunden die erste Klassifikationsgesellschaft, das britische Lloyd’s Register of Shipping. Dem Beispiel folgend entstehen von 1828 bis Ende des 19. Jahrhunderts 15 andere Schiffsklassifikationsgesellschaften in verschiedenen Ländern, darunter 1867 der Germanische Lloyd. Aus den knapp 300 registrierten Schiffen im Gründungsjahr werden 1878 über zwei Tausend. 1890 wird Friedrich Ludwig Middendorf technischer Leiter. Er treibt im Interesse der Sicherheit eigene Untersuchungen voran oder spezifiziert beispielsweise den Ausbau der Rümpfe mit wasserdichten Trennwänden, den sogenannten Schotten. Sein 400-seitiges Handbuch zur „Bemastung und Takelung der Schiffe“ ist ein Beispiel für die wegweisende Arbeit des Instituts und eine bis heute von Sachverständigen und segelgeschichtlich Interessierten genutzte Dokumentation zum Stand der Segeltechnologie zur Jahrhundertwende. Der 1903 erstmals erschienene “Middendorf“ wurde wiederholt, teils als sehenswerter Reprint der Originalausgabe, zuletzt 2009 wieder aufgelegt. Ein Nachschlagewerk ersten Ranges zur Rahseglerära. Es ist derzeit bei Amazon für 45 € zu bekommen. Seit den 60er Jahren kümmert sich der GL nicht allein um schiffbauliche Belange. Es werden auch Richtlinien zum sicheren Betrieb von Ölbohrplattformen oder Windkraftanlangen entwickelt.             Ende 2006 besteht die Aktiengesellschaft eine ihrer größten, wenn auch nichttechnischen Herausforderungen. Der Tchibo-Erbe Günter Herz verhindert mit dem Kauf von 90 Prozent der GL-Anteile eine feindliche Übernahme durch den französischen Konkurrenten Bureau Veritas. Der neuerdings in der Hamburger Hafencity angesiedelte GL beschäftigt in 80 Ländern an 212 Standorten knapp 7.000 Mitarbeiter. Derzeit sind über 7.000 Schiffe GL klassifiziert. Jüngst wurden die Standbeine Öl- und Gasgewinnung nebst Raffinerietechnik, zugleich das Windkraftanlagen-Know How ausgebaut.

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Die Papiersegler

Die Bücher und der Blog der Franzosen François Chevalier und Jacques Taglang sind ein Beispiel dafür, was Boote und das Metier der Yachtkonstuktion mit geschichtlich und kulturell interessierten Menschen machen. Von Erdmann Braschos Die Linien von Regattabooten sind das bestgehütete Geheimnis der Konstrukteure. Aus guten Gründen lässt sich da keiner in die Karten gucken. Denn das sogenannte Blaupausen-Engineering, auf Deutsch als Nachmachen bekannt, ist leider schon lange üblich. Wenn überhaupt, werden die Pläne bedeutender Boote im Nachhinein, sofern ihre Form sprichwörtlich überholt und veraltet ist, gezeigt. Doch selbst dann geben Yachtarchitekten ungern Einblick. Die Modellbauszene, die sich meist vergeblich um die Linien bemüht, weiß ein Lied davon zu singen. Als Fachjournalist werde ich gelegentlich um Hilfe gebeten. Trotz langjährig bestehender Kontakte bleibt es bei einem freundlichen wie unmissverständlichen Nein. Leuchttum im Meer des Seichten Die Zeit, da Boote mit Seitenansichten, Decks- und Einrichtungsplänen oder Segelrissen präsentiert werden, ist lange vorbei. In unserer marketingorientierten Zeit werden Neuheiten oder Regattaboote mit farbenfrohen Renderings, Fotos oder Filmen präsentiert. Abgesehen davon, dass der Interessent das Boot kaufen und nicht analysieren soll, hat das mehrere Vorteile. Die Linien werden nicht Preis gegeben. Das Vorhaben – meist ist es ja noch ein Projekt –  läßt sich aus einer vorteilhaften Perspektive zeigen. Nicht zuletzt kann sich der Betrachter das Boot anhand solcher Visualisierungen besser vorstellen. Aus dem richtigen Blickwinkel lässt sich das Prinzip einer Konstruktion anhand eines Rendering ohnehin besser begreifen als anhand von Linien, die eine dreidimensionale Form auf zwei Dimensionen reduziert. Die Zeichnung muss ja wieder im Kopf in eine Form zurück verwandelt werden. Das Lesen von Linien ist ein Thema für sich, etwas für Fachleute und versierte Betrachter. Welcher Konstrukteur im Detail was gemacht hat versteht man vielleicht, wenn man sich Zeit nimmt und die Pläne nebeneinander liegen hat oder – besser noch – mit verschiedenfarbigen Linien übereinander legt. Doch selbst dann ist es schwer. Denn die Risse sind maßstäblich verkleinert. Die Unterschiede bewegen sich im Millimeterbereich. Auf dem Bildschirm eines Rechners mit entsprechender Zoomfunktion sähe das natürlich anders aus. Doch wenn die Linien digital vorhanden sind ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Rendering. All das hat die beiden Franzosen François Chevalier und Jacques Taglang nicht beeirrt. Unbeeindruckt von solchen Hindernissen dokumentieren bei beiden Freunde seit den achtziger Jahren, was sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts, genauer seit den Vorbereitungen zu einer Regatta anlässlich der Londoner Weltausstellung von 1851 um die Isle of Wight in New York und England auf den Reißbrettern getan hat. Wenn es die Linien längst vergessener, im Sepia der Geschichte verschwundenen Yachten nicht mehr zu geben scheint, suchen die beiden in beharrlicher Arbeit Quellen und Beschreibungen. Chevalier beugt sich über’s Reißbrett. Taglang recherchiert und schreibt die Geschichte dazu. Die Besessenheit der beiden ist ein Beispiel dafür, was Boote und das ihnen assoziierte Metier der Yachtkonstuktion samt der Korona der darin steckenden Voraussetzungen, Überlegungen, Tradition, sprich der Kultur mit Menschen machen. Im Herbst 1987 machte mich der damalige „Yacht“ – Chefredakteur Jörg Neupert während einer Recherche zum America’s Cup auf das soeben erschienene Buch der beiden aufmerksam. Damals wollten Norddeutsche Segler mit einem Zwölfer bei der Segelschlacht um die bodenlose Kanne mitmischen. Der Pokal war damals von Newport an die australische Westküste nach Fremantle gegangen. Dort hatte ausgerechnet Dennis Conner, der Verlierer vor Newport, ihn wieder in die Staaten zurückgeholt. Seine Strategie: Conner hatte beim Training im Starkwindrevier vor Hawaii bei absehbar ähnlichen Bedingungen wie vor Fremantle erkannt, wie nachteilig die großen Flügel des damals fetischisierten Flügelkiels bei den großen Hüben im Auf und Ab erheblichen Seegangs sind. Vor Fremantle führte er die Konkurrenz in die Irre, indem er zunächst wie alle anderen auch mit großen Flügeln segelte. Erst in den Pokal-entscheidenden Regatten vor der australischen Küste zog Conner mit kleinen Flügeln sein Ass. So hat es mir der Schweizer Mathematiker, Vermesser und Meterklassen-Spezialist Oskar Weber einmal erzählt. Damals schien es sicher, dass weiterhin im bewährten und mit endloser Finesse weiterentwickelten Zwölfer um den Amerika Pokal gesegelt würde. Das Buch hieß „America’s Cup Yacht Designs 1851 – 1986“ und war eine Liebeserklärung der beiden Franzosen an 135 Jahre Yachtkonstruktion. Es wog acht Kilo, ließ sich nur auf einem großen Tisch absetzen und vorsichtig aufschlagen. Als sogenanntes Landscape Format zog es über das Thema und die Materialfülle hinaus in Bann. Man kennt den Effekt vom Kinobesuch oder dem heute üblichen Flachbildschirm. François Chevalier hatte jeden jemals anlässlich der Pokalregatten als Verteidiger oder Herausforderer entworfenen Cupper im einheitlichen und somit vergleichbaren Maßstab gezeichnet – soweit dessen Linien zugänglich waren. Und Taglang war als Außendienstler gleichermaßen vertrauenswürdig, freundlich, charmant, beharrlich und entsprechend erfolgreich. Er bekam fast alle Pläne, soweit sie damals bekannt waren. Sogar den von „Mariner“ des Schlepptank-optimierten Britton Chance Zwölfers, der angeblich rückwärts besser als vorwärs gefahren sein soll. Taglang hatte die Geschichte ihrer Konstrukteure, die Umstände des Baues und die Ereignisse auf den Regattabahnen minutiös dokumentiert. Von der „America“ und sieben ihrer Rivalinnen bis zum Jean Groberty Entwurf für den Zwölfer „Swissmade“ 1987. Das 684 seitige Buch dokumentierte 117 America’s Cupper in jeweils drei Rissen und einem Segelplan. Dazu französische und englische Texte, die den Verlauf der Regatten detailliert wie einen Krimi festhalten. Der Foliant war 6 Zentimeter dick und kostete so viel wie eine gescheite Winsch oder ein Gebrauchtwagen. Die letzten der etwa 2 ½ Tausend Exemplare wurden neulich für tausend Euro verkauft. Doch es tauchen immer wieder Antiquarisch erhältliche Exemplare auf. Die beiden hatten das sorgfältig recherchierte und mit aufwändigen Zeichnungen illustrierte Werk in vierjähriger Arbeit zusammengetragen und auf eigene Kosten gedruckt. Der Verkauf und somit die Finanzierung dieser Herkulesarbeit sollte dann fast drei Jahrzehnte dauern. Die Beiden bewiesen einen sprichwörtlich langen Atmen als das Wort Nachhaltigkeit – man kann es heute kaum mehr hören – noch nicht erfunden war. Kein Verlag mit der normalkurz angelegten Buchhalterdenke von Lagerkosten, Kapitalbindung oder Return on Investment-Gesichtspunkten hätte die Ausdauer und den Mut dazu gehabt. Das Werk zweier Überzeugungstäter, die begannen und durchzogen, was sie machen mußten – ein Buch für die Yachtwelt, den Bootsnerd und für sich. Publizistik gleich welcher Art bewegt sich im Spannungsfeld von Geist und Kommerz, von Entbehrung oder Porsche. Hier geht es um Geist und Hingabe. Geist und Hingabe finanzieren sich im Idealfall – wenn nicht zu viele parasitäre Kostenstellen dazwischen hängen – eines Tages selbst. Der Foliant bietet Schwarzbrot für Insider und Leser, die etwas dazulernen wollen. Man kann in den Linien schwelgen, in der Geschichte einer der verrücktesten, dekadentesten und zugleich stilvollsten Beschäftigung der Menschheit, der Entwicklung und dem Bau von Regattabooten, die sich in einer Serie von vier oder sieben Amerika Pokal-Wettfahrten bewähren mußten, versinken. Seitdem Jörg Neupert mir das Buch Ende der Achtziger für einige Tage lieh, träumte ich von einem Exemplar. Im Herbst 2006 begegnete ich Jacques Taglang in Straßburg. Anläßlich seines Wechsels vom Arbeitsleben als Krankenhausmanager in den Ruhestand und Umzug nach La Rochelle bekam ich ein Konvolut loser Blätter. Ich ließ sie später in Hamburg zum erträumten Buch mit den gleichen Lettern auf dem Leineneinband binden. Taglang ist ein gelassener, liebenswürdiger Mann mit im besten Sinne bourgeoisem Umgang. Ein Mensch, der zu leben und zu speisen weiß. Ich erinnere das mehrgängige Mittagessen mit Wein als eine Art feiertägliches Sabbatical. Es fand an einem Wochentag statt. Taglang lebt weder von noch gedanklich in der Medienbranche. Entsprechend angenehm und uneitel war die Begegnung, so tiefgängig und freundlich das Gespräch. Damals erzählte er von einem Projekt, einem Buch über die Ursprünge des Impressonismus in Frankreich, die nicht zufällig den Anfängen des Segelsports an der Seine entsprächen. Malerei, die hingerissene, verzauberte Betrachtung der Natur und die Bootspartie vor der Metropole als zwei Seiten der gleichen Medaille. Ein wunderbarer Gedanke. Das Buch wird 2021 erscheinen. Das kultivierte Duo recherchiert und publiziert einfach, was es für interessant und wichtig hält. Die Arbeit der beiden ist ein Leuchtturm im Meer des Seichten, Immergleichen, des Fad erzählten, alt bekannten, des hastig neu aufgewärmten, wie wir es in bunten Seglerpostillen, Verlagsprogrammen, Webseiten und den Distributionskanälen der sogenannten Social Media als Publizistik von Anfängern für Anfänger ertragen müssen. Zuhause wuchtete ich den gebundenen Folianten mit den seitenfüllenden, liebevoll neu und der Vergleichbarkeit halber im einheitlichen Maßstaß reproduzierten Plänen gelegentlich auf den Eßtisch. Welche dokumentarische Leistung. Welche Opulenz. Und dennoch kein Coffeetable Buch. Ein Werk, auf das man sich einlassen muß. Legendäre Schiffe wie „America“ und ihre amerikanische Rivalin „Maria“, eine landestypisch flache und formstabile 97 Fuß Gaffelslup mit einem riesigen Schwert sind darin zu finden. Und natürlich das englische Aufgebot wie den schmalen plank on edge-Kutter „Alarm“, „Volante“, „Arrow“ oder der Schoner „Titania“. Staunend entdeckt der Betrachter auf den nächsten Seiten „Sverige“ von 1852, eine Nachahmung der berühmtem „America“, ein Schoner, der dem Debüt der Amerikaner zur Verwechseln ähnlich sah. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Amerika Pokal Yachten – die rasante technische Entwicklung repräsentierend – maßlos übertakelte Schmetterlinge wie die amerikanische „Defender“ und ihre Herausfordererin „Valkyrie III“ (1895) oder weitere für die Pokal Regatten gebaute Segelmaschinen. Eine monströse Entwicklung, die mit dem Duell zwischen „Reliance“ und der dritten „Shamrock“ endete, als der Hauptübeltäter, der amerikanische Konstrukteur und Werftchef Nathanael Greene Herreshoff mit der Formulierung der Universal Rule den Segelwettstreit mit der sogenannten J-Class in ein vergleichsweise vernünftiges Fahrwasser lenkte. Es ist faszinierend zu sehen, welche unterschiedlichen Wege die Konstrukteure damals beschritten. Viele J-Klasse Yachten gingen mit einem zusätzlich ausgeklappten Schwert an den Wind. 1930 dann der Wechsel vom Gaffelgroß unter einem Topsegel zur am Wind leistungsfähigeren Bermuda- oder Marconitakelage. Chevalier hat jede Yacht der Vergleichbarkeit halber im einheitlichen Maßstab für die Nachwelt festgehalten. Pläne, die im analogen Zeitalter des ausklingenden 20. Jahrhunderts nur bei einem Besuch in den Archiven zugänglich waren. Taglang liefert dazu die Geschichte der jeweiligen Herausforderungen, die Regeländerungen, die yachtbaulichen und takeltechnischen Finessen und dokumentiert den Verlauf der Regatten. Richtig spannend wird es, als 1958 mit den Pokalregatten ein neues Kapitel vor Newport im Zwölfer aufgeschlagen wird. Es wird mit zehn Herausforderungen im Lauf von drei Jahrzehnten außerordentlich produktiv für die Yachtkonstruktion. Sie wird den Yacht- und Mastbau, die Takeltechnologie und Tuchherstellung vorantreiben, weil sich alle Beteiligten innerhalb des rigiden Korsetts der dritten Version der International Rule für das nächst schnellere Exemplar der 12 mR-Yacht etwas einfallen lassen: Vom Profilstag wie dem Hoodschen Gemini-Stag, es erlaubt den Vorsegelwechsel an zwei nebeneinander angeordneten Nuten, profiltreue Segeltuche, den Nylonspinnaker, moderne Decksbeschläge wie zunehmend leistungsfähigere und vielseitigere Winschen, Schotwagen und Traveller bis hin zu Trimmklappen und schließlich den Flügelkiel. Der Betrachter entdeckt nach den schönen Zwölfern mit vertrauten Linien radikale Entwürfe wie Olin Stephens „Vailant“ mit abgesägtem Heck oder das Britton Chance Boot „Mariner“, als Überlegungen zum Wasserwiderstand und Schlepptankuntersuchungen die Entwicklung der Boote prägten. Das Buch gibt einen ausgezeichneten Überblick zur Entwicklung der Yachtkonstruktion vom langkieligen Schoner „America“, dessen vom Heck zum Vorschiff hin ansteigende Kielsohle zunächst einmal die Neigung der Helling, auf der Arbeitsschiffe damals entstanden,  ausgleichen sollte, bis hin zum 12er Projekt „Swissmade“ mit tiefstmöglich angeordnetem Ballast in einem upside down Kiel. Die Entwicklung endete 1988 mit Michael Fays Herausforderung mit einem 37 m Einrümfer gemäß den Regularien der Stiftungsurkunde, den Dennis Conner mit einem Flügelsegel-Katamaran – ebenfalls gemäß der Deef of Gift, parierte. Weil sie eh im Thema sind veröffentlichen die Beiden 1990 und 91 zwei weitere Bände im gleichen Stil und Format: „American and British Yacht Designs 1880 – 1887“. Obgleich nur ganze sieben Jahre umspannend zeigt es die Entwicklung des formstabil breiten amerikanischen Schwertbootes und ihres Kontrapunkts, der schlanken, schweren und tief im Wasser liegenden britischen plank on edge-Typen. Abgesehen davon, das die unterschiedlichen Typen schwammen und segelten, hatten sie wahrlich wenig gemeinsam. Der zweite Band zeigt wunderbare Blauwasser-Motorsegler und herrliche Dampfyachten. Das Vorwort dazu schrieb die französische Segellegende Eric Tabarly. In Paris geboren und lebend lernt François Chevalier (Jahrgang 1945) in der Seine schwimmen und segeln. Dem Abschluß an der Ecole des Beaux-Arts als Architekt folgt ein Studium der Yachtkonstruktion an der Westlawn School of Yacht Design in den USA. 1978 entwirft er den BOC und OSTAR Teilnehmer „Ratso“, gemeinsam mit Daniel Andrieu den Halbtonner „EJP“ und 1981 das zweimastige Serienboot Sea-Land 46. Chevalier arbeitet seit 1982 als Journalist, Illustrator und Kartograf, lehrte 12 Jahre als Dozent Yachtkonstruktion und betreibt gemeinsam mit Taglang einen sehenswerten Blog, der den modernen Yachtbau im Stil ihrer Bücher dokumentiert. Sehr anschaulich ist beispielsweise der Vergleich der großen Yachten für das Sydney-Hobart Race. Es verdeutlicht, wie unterschiedllich der schmale Maxi „Wild Oats“ von 2005 und die formstabil breite „Comanche“ von 2014 sind. Zu seinen Entwürfen der vergangenen Jahre gehört eine Wallycento und ein Scowartiger Maxi für den Raumschots Ritt von Kalifornien nach Hawaii. Mit Bootsmonografien, etwa über den französischen Schoner „Velox“ von 1875, die Begleitung und Dokumentation der Restrauration von Gustave Caillebottes „Lézard“ von 1891, der „Nan“ von William Fife jr. aus dem Jahr 1897, eines Charles Nicholson Achters von 1924, von „Eileen“ (Fife 1935) und „Runa IV“ (Yawl von 1918) und „Runa VI“ von 1927, gezeichnet von Gerhard Rønne setzte Chevalier die Papiersegelei in den vergangenen Jahren fort. Jacques Taglang stammt aus dem Elsaß, lernte auf dem Rhein segeln, jobbte in einer Bibliothek, als Detektiv und Kommissar bis er seinen eigentlichen Beruf eines Krankenhausmanagers ergriff, den er bis zu seiner Pensionierung 2006 ausübte. Seiner Berufung – die Beschäftigung mit der Geschichte des Segelsports und historischen Yachten – ging er nebenher nachts nach, wenn seine Frau und die drei Kinder schliefen. Die Ergebnisse seiner Papiersegelei, seine Manuskripte, werden von seiner Frau Luce seit dem ersten Buch Korrektur gelesen. Richtig und bei Licht gesegelt ist Taglang übrigens auch: auf der Nordsee, im Mittelmeer, von La Rchella nach Schottland, 2015 die Atlantik Regatta für Klassiker an Bord von „The Blue Peter“, einer 20 m Alfred Mylne Slup von 1930. Nach einer Odyssee durch Frankreich mit Wohnorten in La Rochelle und in der Nähe von Bordeaux ist Taglang mit seiner Bibliothek von 7.500 Titeln, einer umfänglichen Sammlung von Mississippi und Chicago Bues Platten und einer Kollektion trinkbarer Bordeaux, elsässischer und Rheinweine in Turckheim bei Colmar seßhaft geworden. Im vergangenen Jahr erschien das Jahrbuch anläßlich des 150. Geburtstags des Yacht Club de France, zugleich eine Geschichte des französischen Segelsports, geschrieben von Taglang, Chevalier, und den Kollegen Delaive, Pillon, Sézérat, Gabirault. Derzeit entstehen Bootsmonografien über den 20 m Doppelender „Serenade“ von 1938 und „Sumurun“, eine William Fife Ketsch von 1914. Die Bücher werden Ende dieses und des nächsten Jahres im Auftrag des Eigners beider Schönheiten, des französischen Kunsthändlers Alain Moatti erscheinen. Die beiden Papiersegler halten Kurs – für Leser, Eigner, Liebhaber, denen die Herkunft der schwimmenden Kostbarkeiten, die Geschichte und Kultur so viel bedeutet wie das Vergnügen, sie zu besitzen, zu pflegen und segeln. Tja und in dreieinhalb Jahren wird „The Impressionists and Yachting on the river Seine“ erscheinen. Jenes Buch, von dem Jacques Taglang mit wunderbarer Gelassenheit bei unserem Bacchanal damals in Straßburg erzählte. Es wird dann zwar 15 Jahre gedauert haben, denn es schoben sich immer weitere Projekte dazwischen. Hauptsache wir stauenden Leser werden eines Tages eingeführt in diese wunderbare Parallelwelt, diese vermeintlich ferne, uns im Grunde doch vertraute Welt des Kontemplativen, des Hinsehens, Beobachtens und Staunens. Außerdem lernte François dort, wo „alles“ begann, schwimmen und segeln. Das ist außer lesen, dazu lernen, weiterfragen und es aufschreiben und neu zeichnen eine schöne und wichtige Beschäftigung. Bis dahin empfehle ich eines der letzten Exemplare von „American & British Yacht Designs 1870–1887”. Es ist über die Webseite der beiden erhältlich. Oder „America’s Cup Yacht Designs, 1851-1986. Gibt’s bei Amazon secondhand derzeit für 830,87 Dollar. Das ist natürlich Geld. Aber selbst ein knauseriger Kaufmann wird die Stunden und Tage, die er im Lauf der Jahre, vielleicht Jahrzehnte mit dieser dokumentarischen Liebeserklärung an 135 Jahre Yachtkonstruktion verbringen wird, ins Verhältnis zu setzen wissen. Bücher

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Seen und gesehen werden

Seit hundert Jahren liefert Boesch gediegenes Spielzeug für den ansehnlichen Bootsausflug. Und neuerdings trifft der Charme der Sechziger auf moderne Elektromotoren. Ein Motorboot fährt sich fast so unbeschwert wie ein Sportwagen. Einsteigen, Zündschlüssel rein, Leinen los und einkuppeln. Mit blubberndem Motor schieben sich die Planken aus dem Hafen. Sonor brummend befreit uns das Triebwerk im Rücken bald aus der Enge des Landlebens. Von allen denkbaren schwimmenden Untersätzen duldet die nicht ganz so bootsaffine Partnerin das Motorboot am ehesten. Es verlangt nur kleine Zugeständnisse an die Geheimwissenschaft der sogenannten Nautik. Sehr schön, wenn es aus maronenbraunem Mahagoni statt Allerweltsplastik ist. Ein hübsches Boot wandelt die zögernde Duldung der Partnerin in lächelnde Sympathie. Der lombardische Bootsbauer Carlo Riva fasste das Thema einmal mit drastischem Snobismus so zusammen: seine Kunden würden grundsätzlich nur auf einer Toilettenbrille aus Holz Platz nehmen. Plastik käme nicht in Frage. Der glänzende Bootslack über den maronenbauen Planken, die funkelnden Beschläge entzücken. Auch lässt das Mahagoniboot die prosaische Kosten-Nutzen Abwägung nonchalant achteraus. Es beglückt wie der seltene Sportwagen bereits mit seiner bloßen Existenz und lässt den Blick auf das Pekuniäre kleinlich erscheinen. Auf dieses Detail kommen wir noch zu sprechen. Wie oft das Boot genutzt wird, ob drei-, fünfmal oder öfter, entscheiden das Wetter und übliche Landlebens-Verpflichtungen wie Einladungen, Familienfeste oder der Garten. Im Grunde langt es, wenn es ein Boesch gibt, wenn man nach dem Tagwerk abends mal ans Wasser geht und es sich einfach anschaut. Fahren ist schön, aber gegenüber dem Haben nachrangig. Von Ausnahmen abgesehen zeichnen sich alpenländische Gewässer durch phänomenalen Windmangel aus. Friedlich spiegelt das Wasser die Kuh- oder Obstwiesen und Weinberge der Gegend. Selten bis nie schuppt eine Brise den See. Weit gereiste Engländer begriffen das beim Besuch der Schweiz sofort. Sie kümmerten sich deshalb um die Berge. Ortsansässige Handwerker wie Jacob Boesch machen seit hundert Jahren auf ihre Weise mit Kähnen zum Rudern und Motorbooten das Beste draus. In Kilchberg am Zürisee kultivierte Sohn Walter Boesch in den Vierzigerjahren dann die annähernd waagerechte Gleitfahrt der flotten Spritsäufer. Mitte der Fünfziger schob er das erste in Serie gebaute Boesch Motorboot ans Wasser. Wer ein sogenanntes Runabout, einen generös motorisierten, mühelos gleitenden Sportflitzer steuert, hat es aus der angestrengten Verdränger- zur lässigen Gleitfahrt des Lebens gebracht. Wesentliche wirtschaftliche Fragen des Lebens sind gelöst. Wer sonst würde heute das üblicherweise einer Eigentumswohnung oder dem Haus in ordentlicher Lage gewidmete Budget für ein apartes Boot versenken? Für einen 7 ½ m Mahagonigleiter vom Typ Boesch 750 Portofino De Luxe wird derzeit mit zwei 320 PS Benzinern und unverzichtbarem Zubehör 480.000 € einschließlich Mehrwertsteuer ausgegeben, für die stärkere E-Motor Variante 725.000. Mit einem knapp 10 m langen Boesch 970 St. Tropez wird mit zwei 8,2 l Benzinern und jeweils 370 PS für annähernd 800 Tausend € abgelegt. Auf hundert Jahre Bootsbau und eine stattliche Flotte gediegener Motorboote blickt die Schweizer Boesch Werft dieses Jahr zurück. Wirtschaftskrisen, den Zweiten Weltkrieg, die Ausbreitung beliebiger Plastikboote an unseren Ufern, vom starken Schweizer Franken erschwerte Exportmöglichkeiten und strenge Vorschriften für den Gewässer- und Umweltschutz hat der über mehrere Generationen geführte Familienbetrieb mit interessanten Finessen gemeistert. Die Vorzüge des Mittelmotorbootes Abgesehen von schneller Fahrt durch raues, von Wellen aufgewühltes Wasser gibt es für ein Motorboot keinen härteren Test als den Wasserski-Einsatz. Lastwechsel, große Leistung und enge Kurven verlangen dem Antriebsstrang allerhand ab. Das geht am besten, wenn er einfach gehalten ist, die Kraft vom Motor über eine starre Welle direkt mit der Schraube ins Wasser kommt. Eine durchzugsstarke Maschine hilft, hat aber den Nachteil schwer zu sein, weshalb sie als Mittelmotor und nicht wie heute üblich im Heck vor einem Z-Trieb untergebracht ist. In den großen doppelschraubigen Boesch Booten wirken zwei schwere Achtzylinder. In den Fünfzigerjahren, als in der Hinterlassenschaft des deutschen Reiches noch der Schutt zusammengekehrt wurde, waren Boesch Boote bereits zum Wasserskifahren auf dem Genfer See gefragt. Diese Spezialität festigte den Nimbus der Boote als zuverlässiges wie edles Süßwasserspielzeug. Die Propellerwelle bringt die Kraft 15 Grad aus der Horizontalen geneigt ins Wasser. Der Winkel hebt das Heck an und macht bremsende Trimmklappen entbehrlich. Die unter statt hinter dem Rumpf wirkende Schraube schließt Verletzungen und versehentliches Aufwickeln des Wasserski-Schleppseils weitgehend aus. Durchdacht und anders ist auch das sogenannte Beulenruder zum Steuern des Bootes. Es hat von oben gesehen den keilförmigen Querschnitt einer Axt. Der Blick von hinten verrät die geschwungene statt gerade Form. Sie gleicht den Drall des Schraubenwassers aus. Man kann das Lenkrad ohne lästigen Gegendruck loslassen. Das Boesch hält Kurs. Die amerikanische Marine hat es von Urs Boesch mitten in Europa, 406 Meter über dem Meeresspiegel übernommen. So einen Ritterschlag vergeben sonst eigentlich nur Chinesen. Schiffbauingenieur Klaus Boesch und sein Bruder Urs, er ist Maschinenbauingenieur, leiteten die Werft viele Jahre, bis Junior Markus den Betrieb vor einer Weile übernahm. Weitere Finessen werden durch den anstehenden Generationswechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor demnächst obsolet. Diese technikgeschichtlich grausame Entwicklung ist unvermeidlich. Weil beim klassischen Mahagoni-Gleiter der domestizierte Sound der herkömmlichen Verbrennungsmotoren so wichtig ist wie der Fahrt selbst, entwickelten die Schweizer für ihre Boote eine spezielle Schalldämmung. Sie trennt hinter der Maschine die schnell entweichenden Abgase vom langsam abfließenden Kühlwasser, führt sie separat durch das Boot zum Heck, wo sie in einer speziellen Mischkammer außenbords direkt über der Wasserlinie wieder zusammenkommen. Eine Kamm-ähnliche Vorrichtung an der Abrisskante des Hecks füllt das kleine Gehäuse mit einem dämmenden Wasser-Schaumgemisch. Mit der sogenannten Kaskadendämpfung bleibt Lärm des Achtzylindermotors im erträglichen Rahmen. Da bemüht der Nachbar vom Wassergrundstück keinen Anwalt. Ein generös motorisierter Gleiter mit Verbrennungsmaschine ist von Haus aus ein Krachmacher. Liebhaber solcher Boote raunen nach dem ersten Glas Wein gerne von der sogenannten Fuel to Sound-Transmission. Wir hielten das für nerdig-maskulinen Quatsch – bis wir mal das erste Anlassen der Triebwerke und weitere Krachmacherei bei höheren Drehzahlen draußen in der freien Wildbahn des Wassers erlebten. Eine richtige Kleine-Jungs-Geschichte. Nun steht und fällt die Zukunft der Mahagonigleiter mit der Motorisierung. Auf dem Ammer-, dem Chiem- und dem Starnbergersee, dem Wörther- oder Wolfgangsee haben einzig neue Boote mit Elektroantrieb eine Chance. Markus Boesch erinnert, dass sein Uropa Jakob bereits von der Vorgängerwerft Treichler ein 20 kW Boot namens „Elektra“ Baujahr 1895 kannte. Mit 4 Tonnen Batterien an Bord war es leider noch eine dröge Geschichte. „1996 haben wir nochmal angefangen, mit 20 Bleisäureakkus und Dieselgeneratoren. Seit 2005 ermöglichten Hochleistungsakkus Antriebe mit 50 kW, ab 2010 dann 100 kW. Mit den leistungsstarken Motoren haben wir etwa 100 Boote gebaut, ganz wenige auch in Doppelmotorisierung.“ Auch wenn deutlich leichtere Lithium-Ionen-Polymer-Batterien anstelle der Bleiakkus den Elektroantrieb für schnelle Gleiter erst sinnvoll machen, bleibt noch eine deutliche Lücke zur Reichweite der Verbrennungsmotoren. Der von 198 Ah Lithium Akkus angetriebene Piktronik 80 kW Synchronmotor bietet laut Werftangaben im 360 Volt Betrieb bei 40 km/h (knapp 22 Knoten) Geschwindigkeit im Boesch 710 eine Reichweite von 47 km (25 Seemeilen). Mit einem 125 kW Motor und 432 Volt Betriebsspannung ist bei gleicher Geschwindigkeit eine Reichweite von immerhin 76 km (41 sm) drin. Mit der herkömmlich Achtzylindrigen 5,7 l Maschine und 175 l Tank wird zum gedankenlos gefahrenen Wochenende abgelegt, einschließlich 38 Knoten Vollgas-Spurts. So wird die Fuel to Sound Transmission, die delikate Koexistenz eines heißen Achtzylinders im Resonanzkörper aus fugenlos zusammengefügtem Mahagoni, in absehbarer Zeit durch den zunehmend interessanten Elektromotor obsolet. Es ist reizvoll, nahezu lautlos mit einem ansehnlichen Boot aus der Enge des Landlebens auszubüchsen. Das wusste auch der den wichtigen Gesichtspunkten der Erdenbürgerschaft zugewandte Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. Er hatte ein kleines Boeschli, wie die Schweizer ihr Seespielzeug schon mal nennen. Als bodenständiger Mann natürlich eins zum Rudern. Das macht keinen Krach, keine Wellen und es riecht nicht.

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Die Sache mit der Zwölf

Die beinahe vergessene Klasse der 12 mR-Rennyachten hat sich wieder zum exquisiten Parkett alljährlicher Segelfestspiele entwickelt. Mit einer Note Gemauschel. Ein Blick hinter die Kulissen von Erdmann Braschos. Der Zwölfer ist der Platzhirsch der Regattabahnen. Eine ansehnliche wie fordernde Rennyacht. Seit auf diesen Planken die Segelschlachten des America’s Cups vor Newport und Fremantle ausgefochten wurden, eine Yacht mit speziellem Nimbus. Hinreißend elegant, endlos auf die Seite zu legen, tierisch gut am Wind. Das ultimative Männerspielzeug für ein Dutzend Buddies, die mit Augenmaß, Bizeps, Hirn und Puste knapp 30 Tonnen Edelholz der Vintage-Exemplare aus den Dreißigerjahren um die Bojen scheuchen. Sehenswerter, arbeitsteiliger, intensiver als auf einem Zwölfer lässt sich das Wochenende auf dem Wasser kaum verbringen. Nach jahrzehntelanger Agonie, in der es hierzulande wenige segelfähige Exemplare gab, wächst die Ostseeflotte seit einer Weile beeindruckend. Josef Martin holte „Anitra“ aus den Staaten und möbelte sie in Radolfzell auf. Der Flensburger Tafelsilber-Fabrikant Oliver Berking gründete nach der Wiederinbetriebnahme von „Sphinx“ eine Werft, in der bisher mit „Nini Anker“ und „Jenetta“ zwei Neubauten nach alten Vorlagen entstanden. Deutsche und dänische Protagonisten wie beispielsweise Wilfried Beeck oder Patrick Howaldt pushen das Retro-Segelfestspiel mit Klassikern der Dreißigerjahre. Im Vergleich zu „Anita“, „Anitra“ „Evaine“, „Jenetta“, „Flica II“, „Nini Anker“, „Nyala“, „Trivia“, „Vanity V“ oder „Vim“ sind andere Regattayachten rasch vergessene Durchlauferhitzer. Der Aufwand, mit dem die Schiffe erhalten, restauriert oder nach alten Plänen neu gebaut werden, ist groß. Das Ego der Eigner, die sich das Jahr für Jahr gönnen, auch. Die jährlichen Betriebskosten ehrgeiziger Besitzer liegen beim Neupreis eines 5er- oder 8er-BMW. So kam es, dass einige Spezialisten in aller Stille an der Zwölf feilten. Wie das geht, obwohl es eigentlich nicht geht, zeigt dieser Artikel. Die zwei wesentlichen Gesichtspunkte einer Rennyacht Die Zwölf ist Ergebnis einer 1908 erstmals zum internationalen Regatta­segeln vereinbarten, 1933 zuletzt als „Third Rule“ überarbeiteten Formel, dem jedes Exemplar dieser Klasse zu entsprechen hat. Die Zwölf steht für den sogenannten Rennwert. Er darf kleiner oder gleich zwölf sein, keinesfalls mehr. Neben anderen Werten verrechnet die Formel die beiden wesentlichen Gesichtspunkte einer Yacht: den Antrieb in Gestalt der Segelfläche und ihr Geschwindigkeitspotential anhand der Länge. Das Längenmaß wird beim Zwölfer 18 Zentimeter über der Wasserlinie abgenommen. Bei der Vermessung wird sogar zwischen Salz- und Süßwasser unterschieden, weil das Schiff entsprechend tiefer oder höher im Wasser liegt. Es geht um jeden Zentimeter Länge und davon abhängig jeden Quadratmeter Tuch. Das machte den Zwölfer immer schon vorab, damals am Reißbrett, heute am Computer, interessant. Man hat ein eher kurzes, dafür größer besegeltes Leichtwindschiff oder ein längeres, das entsprechend kleiner besegelt und bei mehr Wind dann schneller ist. Nun liegt es in der Natur der Sache, dass die Holzplanken Wasser aufnehmen und ein betagtes, zum Tourensegeln genutztes Schiff durch Um- und Einbauten im Lauf der Jahrzehnte schwerer wurde. Die tiefere Schwimmlage infolge des Gewichts und damit das größere Längenmaß würde wie gezeigt eine kleinere Besegelung verlangen. Um das zu vermeiden, vereinbarte die Klasse anlässlich des 150. America’s-Cup-Jubiläums 2001 im Seglermekka Cowes eine kluge, lebensnahe Ausnahme. Zu schwere alte Exemplare mit Einbaumaschine, Tanks und weiteren Zugeständnissen an die Fahrtentauglichkeit erhielten einen Bonus, damit sie mit unveränderten und entsprechend leichteren Schiffen vergleichbar Regattasegeln können, den sogenannte „Age/Design Correction Factor” (ADCF), festgehalten in der Anlage „E“ der Klassenbestimmungen. Er erlaubte die Teilnahme schwerer Schiffe ohne unnötige teure Umbauten für diese eine Regatta. Wie „Jenetta“ gebaut ist Wie in anderen Lebensbereichen auch bleiben jedoch einmal gemachte Zugeständnisse in der Welt. So kommt es, dass der als Restaurierung deklarierte Neubau „Jenetta“ 2019 dank ADCF mit 19 Quadratmetern mehr vermessener Segelfläche aufgetakelt wurde als das Original. Obwohl es bei diesem Schiff – in Epoxidharz gekapselte Holzbauweise – keine Wasseraufnahme gibt. Außerdem ist „Jenetta“ unter Deck leer. Wie bei anderen Bootsklassen liegt die tatsächliche Am-Wind-Besegelung mit Groß- und Genuavorsegel deutlich über der vermessenen. Bei Jenetta sind es 246,50 Quadratmeter. Das sind etwa acht Prozent mehr Am-Wind-Besegelung. Tatsächlich ist „Jenetta“ ein 12,111er. „Jenetta“ segelte die ersten drei Sommer mit einem angeblich vorläufigen, bis zur 12er-Weltmeisterschaft August 2021 in Helsinki unbestätigten wie unveröffentlichten, also de facto ohne Messbrief. Kay-Enno Brink, der den Neubau des Boots in der Werft Robbe & Berking Classics technisch begleitete und das Boot vermessen hat, blieb nach beharrlichem Fragen zu dem Thema einsilbig. Wie sich später herausstellte, wurde der ADCF-Bonus von 0,9626 „auf Anweisung des Eigners festgelegt“. Die Mitnahme der Gutschrift für Vintage-Boote drückt den Rennwert soeben auf die 12. Mit dem gleichen Kniff wurde „Nini Anker“ (ex „Siesta“), ein Holz-Epoxidharz-Neubau nach alten Plänen Baujahr 2015 vermessen. Auch hier konnte sich der Eigner die Gutschrift abweichend von den Klassenvorschriften selbst aussuchen. In Anlage E der Klassenbestimmungen ist allerdings vom tatsächlichen Baujahr die Rede, nicht vom Jahr des Entwurfs. Wie die Segelfläche vergrößert wurde Die Blaupause für dieses Gemauschel lieferte die dänische Eignergemeinschaft von „Wings“. Sie nutzte den Vintage- und Gewichtsbonus konsequent. Die ursprünglich 13,93 Meter lange Wasserlinie von 1937 wurde 20 Zentimeter länger. Zugleich wurden aus 179 Quadratmeter nomineller Segelfläche 190. Das entspricht etwa 261 Quadratmeter am Wind mit Groß und Genua 1. Als Segler zweier Zwölfer und für die nordeuropäische Flotte zuständiger Klassenvize setzt sich Patrick Howaldt seit Jahren mit endloser G eduld und vielen Gesprächen dafür ein, dass die Segelflächen nicht mit Nutzung des ADCF per Umbau der Schiffe vergrößert werden. „Wir haben anlässlich der Vermessung von ,Wings‘, wo alle Lücken konsequent genutzt wurden, damals leider nicht aufgepasst“, fasst Howaldt zusammen. Angeregt durch beharrliche Recherchen zu diesem Artikel, wollten die Zwölfersegler die missbräuchliche Nutzung des Vintage-Bonus beenden. Eine aus Yachtvermessern bestehende Kommission sollte die Willkür der Zwölfereigner eindämmen und die Rennwerte in Ordnung bringen. Es ist ihnen nicht gelungen. Die Eigner von „Northern Light“, „Jenetta“, „Sphinx“ und „Wings“ beharren auf den ihrerseits geschaffenen Tatsachen. Mit tollen Booten und America’s-Cup-Nimbus Regatten segeln und dabei wie beschrieben mogeln passt nicht zusammen.

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Endlich mal ein leeres Boot

Klappkojen statt Edelholz: Die „Firefly“ ist keines dieser protzigen Boote, deren Aufgabe sich darin erschöpft, den üblichen Landlebenskomfort auf dem Wasser zu duplizieren. Wir leben in einer seltsamen Welt. Während die Mehrheit derer, die von ihrer Arbeit leben, von Krise zu Krise schlechter dasteht, gibt es eine wachsende pekuniäre Oberschicht. Die weiß nicht, wie sie das Geld ausgeben soll. Ihr bietet die Luxusartikelindustrie, zu deren schillernder Abteilung der Yachtbau zählt, zunehmend ausgefalleneres Spielzeug an, große Motor- und Segelyachten. Mit einem durchzugsstarken Spritsäufer durchschnittlicher, in Südfrankreich kaum zur Kenntnis genommener Größe ist schon mit wenigen hochsommerlichen Fahrten vom Yachthafen zum Badestrand die Jahresheizölrechnung eines Einfamilienhauses verfeuert. Dabei wird man an dieser Küste erst mit einem 60 Meter langen oder bei passenden Bedingungen 60 Knoten schnellen Schlitten zur Kenntnis genommen. Spezialität von André Hoek Einer, der sich in dieser Branche auf den Stil und Charme von Segelyachten vergangener Zeiten spezialisiert hat, ist André Hoek. Mitte der achtziger Jahre stieg der clevere Holländer auf die gerade erst losschwappende Retrowelle. Sie hält bis heute an. Mittlerweile surft er sie mit seinen „nieuwe klassiekers“ so variantenreich und geschickt, dass der Eindruck entstehen kann, Hoek verkörpere sie. Sein 17 Personen starkes Konstruktionsbüro entwirft meist Segelyachten mit antiquiertem Löffelbug und einer ansehnlich geschwungenen Deckskante. Sie wird von einem oder zwei niedrigen Aufbauten überragt, die so anachronistisch wie ein viktorianischer Eisenbahnwaggon verglast sind. Wie in der seglerisch guten alten Zeit enden Hoeks Yachten mit einem apart aus dem Wasser gehobenen Heck. Unter dem Schiffsbauch gibt es allerdings keinen herkömmlich langen Kiel, wie die sichtbaren Proportionen des Rumpfs vermuten lassen, sondern eine zeitgemäß kurze Kielflosse und ein separates Ruder. Bislang hat Hoek eine ganze Flotte in dieser Manier entworfen, von elf bis hin zu 80 Meter Länge. Als prototypisch klassische Yacht gilt die sogenannte J-Class. In dieser etwa 40 Meter langen, rund 150 Tonnen schweren Bootsklasse wurde in den dreißiger Jahren um den America’s Cup gesegelt. Die längst ausgestorbenen Dinosaurier der Regattabahnen gelten als Quintessenz der klassischen Yacht. Abgesehen von einer kleinen Eignerkabine mit Tagestoilette waren sie unter Deck ziemlich leer. Die magere Ausstattung hielt den bei schmalen Yachten entscheidenden Ballastanteil hoch. Aus funktionalen Gründen trugen die Glattdecker kein Deckshaus, allenfalls eine spitzkappenartige Behausung für das Schiebeluk über der steilen Stiege ins Schiff. Als Elisabeth Meyer die einstige Sopwith-Yacht „Endeavour“ des englischen Flugzeugfabrikanten und Pokalherausforderers Ende der achtziger Jahre in eine zum Blauwassersegeln und für Chartertörns mit allem erdenklichen Komfort versehenen Luxusschlitten verwandelte, begann eine bis heute andauernde Fehlentwicklung. Unter Deck wurde die damals vielbewunderte Yacht vollständig mit vertäfelten Kajüten ausgebaut und unter den Bodenbrettern der Kabinen mit moderner Technik wie Hilfsmotor, Stromerzeuger, Meerwasserentsalzer und Klimaanlage, Kühlkompressoren für die Eisboxen, Tanks, Batteriebänken, Wandlern und Hydraulikpumpen vollgestopft. Die heutige J-Class ist leider ein Fake Trotz der Entnahme von zehn Tonnen Blei aus dem einst 80 Tonnen schweren Kiel geriet die umgebaute „Endeavour“ 23 Tonnen schwerer. Wie bei jeder anderen J-Class, ganz gleich ob es sich um ein modernisiertes Original oder einen Neubau handelt, stimmt die Wasserlinie nicht mehr. Die heutige J-Class ist ein Fake. Schon Mitte der neunziger Jahre monierte der Werftinhaber, Kunst- und Ferrari-Sammler Albert Obrist diese Entwicklung. Nach Ansicht des Baseler Fabrikanten sollten die Eigner einer historischen Amerca’s-Cup-Yacht sie so erhalten und segeln, wie sie damals war. Obrists Ansicht mochte damals als rigoros, realitätsfremd und dekadent erscheinen. Allein: Die J-Class ist dekadent. Sie ist die verschwenderischste, konsequenteste Yacht überhaupt – und halt die schönste. André Hoek, neben seinem Landsmann Gerard Dykstra als Yachtkonstrukteur sowie den Eignern und Beratern einer der Hauptantreiber dieser Fehlentwicklung, hat nun mit einem neuen, etwas kleineren Lookalike Abhilfe geschaffen. Er hat sie „F-Class“ genannt. Der im Mai in Holland aufgetakelte Prototyp namens „Firefly“ machte die vergangene Saison im Mittelmeer bei den üblichen Events in Palma de Mallorca, an der Costa Smeralda und an der Côte eine gute Figur. Außer dem Mast, der traditionellen Fuß- und Griffleiste, der geduckten Lukgarage, den Winschen und einigen Lüfterhutzen ragt wenig über das ziemlich glatte Deck. Schöner segeln wie Vanderbilt, Morgan und Co. mit einer abgeräumten Retro-Rennmaschine. Die J-Class reloaded. Auch sonst ist das Schiff überzeugend netto. Hoek hat von den überschlägig 150 bis 180 Tonnen der J-Class mehr als 100 an Land gelassen, indem er den messerscharfen Vorsteven am Schiffsbauch in einen modernen U-Spant übergehen ließ. Anstelle des langen Kiels mit viel wasserbenetzter Fläche des Vorbilds, die amerikanische Universal Rule schrieb einen langen Kiel mit angehängtem Ruder vor, ließ Hoek einen modernen T-förmigen 28-Tonnen-Kiel unter den Bootsboden flanschen. Solche Kielkonstruktionen sind bei heutigen Regattabooten üblich. Beinahe ebenbürtig Übrigens ist die F-Class mit annähernd 600 Quadratmeter Segelfläche am Wind einer J-Class beinahe ebenbürtig betucht. So kommt das 62-Tonnen-Boot bei den lauen Lüftchen, wie sie an der Côte d’Azur oder in der Bahia de Palma oft wehen, eher in Fahrt. Hat die mediterrane Thermik dann von Mittag an eine passabel erfrischende Brise installiert, hält das wirksam tief angebrachte Blei das Boot aufrecht. So viel zur Segelphysik. Höchste Zeit, sich mit dem interessantesten Aspekt, der Dekadenz, zu beschäftigen. Also, diesen 35-Meter-Daysailer kann man wie die Platzhirsche der America’s-Cup-Regattabahnen eigentlich nur segeln. Natürlich lässt sich damit auch ankern und baden gehen. Man wird mit fünf Meter Tiefgang etwas weiter draußen in der Badebucht „parken“ oder die Liftkieloption mit drei bis fünf Meter Tiefgang ordern. Übrigens lässt sich in der L-förmigen Pantry gleich links neben dem achtstufigen Niedergang ohne Malheur die Mittagsmelone aufschneiden. Beim Blick unter die unverkleidete Decke sind allerdings sichtbare Schrauben und das Gerippe der Aluminiumunterzüge zu ertragen. Es ist immerhin weiß gestrichen. Tagesausflüge und Segelregatten Weil das elegante Tagesausflugssegelboot mit schieren 35 Metern Deckslänge mit Motorwinschen und diskret angebrachten Knöpfen versehen ist, kann es von einem erfahrenen Segler auch mit wirklich kleiner Crew bewegt werden. Die acht bis zwölf Mann starke Besatzung muss lediglich zur Regatta zusammentelefoniert werden. Natürlich gibt es unter dem Boden der knietief ins Deck eingelassenen Plicht das allernötigste wie beispielsweise einen Maschinenraum mit einem Steyr-Sechszylinder, der die 60 Tonnen vom Liegeplatz vor die Hafenmole zum Segelsetzen schiebt. Sogar einen Toilettenraum mit Duschmöglichkeit bietet die „Firefly“. Für das Nachmittagsnickerchen bieten sich die beiden Sitzbänke mittschiffs an. Richtig übernachten kann man auf dem Boot übrigens auch, auf einer der zehn Rohrkojen, die neben den stilsicher verlegten Wegerungsleisten im Vorschiff hängen. Herrlich konsequent aufs Segeln zugeschnitte Ein komfortables Bett hat jedes Mitglied der pekuniären Oberschicht eh zu Hause, in einem seiner Lofts, Penthouses und Ferienhäuser. So ist die „Firefly“ ist keines dieser erwartbar protzigen Boote, deren wesentliche Aufgabe sich darin erschöpft, den üblichen Landlebenskomfort auf dem Wasser zu duplizieren. Sie ist eindeutig auf die Hauptsache, das Thema schön segeln, fokussiert, Prototyp einer neuen Bootsklasse, deren Klassenvereinigung den einheitlichen wie preiswerten Bau mit Aluminiumrumpf und weiteren Einzelheiten überwachen soll. So apart sich der rabenschwarz lackierte Renommierschlitten durch die Wogen des Mittelmeers schiebt: Es ist zu bezweifeln, dass sich die „F-Class“ durchsetzen wird. Der Eigner dieses Bootsformats mit entsprechend großem Ego ist eher Bauherr als Segler mit der Bereitschaft, in eine fertige Einheitsklasse einzusteigen. Das wurde vor gut einem Jahrzehnt schon mal mit der sogenannten W-Class in Amerika versucht, die sich als hübscher Ladenhüter erwies. Doch haben wir uns dieses köstlich dekadente Segelspielzeug gern angesehen. So was traut sich sonst keiner: ein konzeptionell klares, unverbautes und mal richtig leeres Boot mit zehn Klappkojen statt Edelholzklasse. Übrigens kostet dieser stilvoll-spartanische Retroluxus mit knapp fünf Millionen Euro ein Drittel des Einstiegspreises für eine neue, überladene J-Class. Zählten wir zur pekuniären Oberschicht, die nicht so recht weiß, wohin mit dem Schotter, wir würden ihn stilvoll für eine F-Class versenken. Bezüglich der Lackierung, ob dieses John-Pierpont-Morgan-Rabenschwarz oder aktuelles Chromsilbermetallic, sind wir einstweilen unentschlossen. Bis zur Klärung dieser Frage begnügen wir uns einfach mit einem kleineren Boot.

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Vom Schwimmen zum Fliegen

Die anstehenden Regatten um den America’s Cup treiben die Segeltechnik rasant voran. Jetzt fegen einrümpfige Flugobjekte übers Wasser. Einblicke in eine abgefahrene Seglerwelt von Erdmann Braschos. Ende 2017 präsentierten die Veranstalter des 36. America’s Cup die kühne Idee, die nächste Regattaserie mit einrümpfigen Tragflächenseglern auszutragen. Die Skizzen dazu erschienen irreal. Mittlerweile haben Segler in Amerika, England, Italien und Neuseeland diese Vision mit kühnen Flugversuchen rasant in die Gegenwart vorgespult. Sie lassen den bisherigen Segelsport alt aussehen. Der America’s Cup ist ein nach dem K.-o.-System ausgetragener Segelwettstreit. Der Verteidiger und der erste Herausforderer vereinbaren die Modalitäten des nächsten Wettkampfs miteinander. Meist sind die Regeln mit vergleichbaren Booten einigermaßen reell. Die Änderung der Modalitäten lohnt sich für den Herausforderer, wenn es mit einem ausgereiften Bootstyp kaum Aussicht auf Erfolg gibt. Sie lohnt für beide Seiten, wenn die Rennen ein größeres Publikum interessieren. In den Staaten, wo die Dinge klar beim Namen genannt werden, hieß es einmal, eine America’s-Cup-Regatta mit herkömmlichen Booten anschauen sei so interessant wie Farbe beim Trocknen zu beobachten. Es interessierte allenfalls Insider. Allein handlungsreiche und rasante Rennen sind für die Sponsoren der teuren Boote interessant. Aus dem sogenannten weißen Sport ist längst ein bunter geworden, eine telegene Action, die ein großes Publikum fesselt. Deshalb ließ Oracle-Chef Larry Ellison den 34. America’s Cup 2013 mit 22 × 14 Meter großen Katamaranen segeln. Sie bretterten auf Tragflächen mit 75 km/h über die San Francisco Bay. Das Spektakel war so rasant wie ein Formel-1-Rennen. Hinzu kam die Sensation, dass es den amerikanischen Pokalverteidigern gelang, die Regatten nach dem eigentlich unaufholbaren 1:8-Rückstand gegenüber den Neuseeländern doch noch für sich zu entscheiden. Vier Jahre später gewannen die Neuseeländer dann die nächste Auflage des America’s Cup souverän. Diesmal mit 15 Meter langen, bis zu 92 km/h schnellen Katamaranen. Der technische und seglerische Vorsprung mit fliegenden Zweirümpfern schien für Europäer unaufholbar. Auch vermissten Segler wie Prada-Boss Patrizio Bertelli die seglerische Finesse und Eleganz von Einrumpfbooten. Also wurden die Karten mit einem neuen Bootstyp nochmals neu gemischt. Die neuseeländischen Verteidiger vereinbarten mit dem italienischen Herausforderer für den Cup-Wettbewerb im März ’21 vor Auckland ein- statt zweirümpfige Boote, die auf Tragflächen im Tiefflug übers Wasser jagen, und zwar ohne Kiel als Ausgleich zum Winddruck. Das war bisher allein mit handlichen Jollen möglich, wo die Besatzung das Boot mit ihrem Gewicht aufrecht im Wind hält. Die neue AC75-Klasse ist aber 23 Meter lang, 5 Meter breit, knapp 8 Tonnen schwer und mit 230 bis 340 Quadratmeter Segelfläche unterwegs. Da ist mit Crewgewicht wenig auszurichten. Anstelle eines Bleikiels, wie er bei Segelyachten als Gegengewicht üblich ist, wird das Boot von Tragflächen aufrecht gehalten. Das geschieht mit seitlich unter dem Rumpf beweglichen Armen, an deren Enden Tragflügel mit vier Meter Spannweite angebracht sind. Der Auftrieb der Tragflügel wird wie beim Flugzeug mit Trimmklappen justiert. Auf der windabgewandten Seite erzeugen die Tragflächen bei Fahrt durchs Wasser Auftrieb. Der große Abstand von etwa fünf Metern des überschlägigen Flächenschwerpunkts der Tragfläche zur Mittellinie des Boots bietet einen wirksamen Hebel. Dabei bestimmt die Neigung des Arms neben dem Boot die Flughöhe über dem Wasser. Auf Kursen, auf denen der Wind das Boot seitlich wegdrückt, verhindern schräg angesetzte Tragflächen die Abdrift. Das ersetzt den Kiel oder das Schwert herkömmlicher Segelboote. Tragflächen-Segelknowhow als Blaupause für Einrümpfer Zwei solcher seitwärts beweglicher Arme hat die neue America’s-Cup-Klasse. Der zur windwärtigen Seite hin wird aus dem Wasser gehoben, wo seine 1,4 Tonnen zum Gleichgewicht des Gefährts beitragen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass in den 62 Seiten starken Bauvorschriften der AC75-Klasse nicht mehr von einem Boot, sondern einer „Plattform“ die Rede ist. Versierte Bootskonstrukteure wie Rolf Vrolijk, 73, der seit den siebziger Jahren erfolgreiche Regattayachten entwickelt, zum Sieg des Schweizer Alinghi-Teams 2003 beitrug und derzeit für das englische Team Ineos arbeitet, sehen Boote im Wesentlichen als Plattform, die der Segelfläche möglichst viel aufrichtendes Moment entgegensetzt. Je kippsicherer, desto schneller. Das ging bisher mit zwei- oder dreirümpfigen Booten am besten, deren große Plattformbreite enorme Geschwindigkeiten ermöglichen. Jetzt wird dieses Tragflächen-Segelknowhow als Blaupause für Einrümpfer genommen. Die AC75-Boote sind Vrolijk zufolge unter Stabilitätsgesichtspunkten „Dreirümpfer, bei denen die seitlichen Schwimmer durch Tragflächen ersetzt wurden“. Der deutsche Tragflächenspezialist Martin Fischer ist als international gefragte Kapazität schon länger im Thema und nach längerer Arbeit für den französischen Rennstall Groupama derzeit für das italienische Team Luna Rossa Prada Pirelli tätig. Wir wollten von Fischer wissen, wie acht Tonnen nur vom Wind bewegt aus dem Wasser kommen. Das war bisher allein mit reichlich motorisierten Spezialschiffen möglich. Fischer rechnet beim Telefonat aus dem Kopf vor, dass ein AC75-Renner dazu ganze 140 PS braucht. Diese 100 kW kommen schon bei drei Windstärken zusammen. Das ist eine mittlere Brise, die normale Freizeitsegler überhaupt als Wind ernstnehmen. Schnelle Reaktion und Routine am Joystick entscheidend Dann jagt die Plattform mit 56 km/h (30 Knoten) im Tiefflug über das Wasser. Im Wesentlichen auf einer etwa 1,5 Quadratmeter großen Tragfläche. Der Auftrieb wird mit hydraulisch justierten Trimmklappen hinter den Tragflächen eingestellt. Die Trimmklappen werden manuell per Joystick bedient. „Es wäre besser und auch sicherer, wenn ein Computer diese permanente Feinjustage übernehmen würde“, sagt Fischer. Aber das ist nicht erlaubt. So werden die schnelle Reaktion und Routine am Joystick entscheidend sein, ebenso wie das Geschick, das Gefährt in einer idealen Flughöhe zu halten. Kommen die Tragflächen der Wasseroberfläche bei zu großer Flughöhe nah, reduziert das von Wellen erzeugte Wasser-Luft-Gemisch den nötigen Auftrieb, das fragile Gleichgewicht von Auftrieb und Geschwindigkeit ist hin, und das Flugboot klatscht aufs Wasser. Eine große Flughöhe mit viel Abstand zwischen Rumpfunterseite und Wasser lässt dagegen den bremsenden Druckausgleich zwischen Luv und Lee zu. Dann entsteht ein beim Segeln und in der Fliegerei gefürchteter bremsender Wirbel. Eine niedrige Flughöhe bietet der Tragfläche dagegen sicheren Auftrieb und verringert den Spalt zwischen Bootsboden und Wasser. Zu tief geflogen, berührt der Rumpf allerdings das Wasser. Wasser ist 800 mal dichter als Luft. Entsprechend abrupt bremst das Gefährt ab. Es sieht also ganz danach aus, als würden die Regatten vom 15. Januar an über die Flughöhe entschieden. Ideal ist Fischer zufolge eine „konstante Flughöhe von plus/minus 20 Zentimetern. Bei Wellen ist das allerdings nicht immer möglich. Gelingt es, den Abstand zwischen Rumpf und Wasseroberfläche zwischen 30 bis 100 Zentimetern zu halten, ist das nicht schlecht.“ Um die Entwicklungs- und Baukosten im Rahmen zu halten, bieten die Bauvorschriften der AC75-Klasse den Teilnehmern wenige Spielräume. Einer davon ist die Gestaltung der Tragflächen. Die neuseeländischen Verteidiger setzen auf große, annähernd ebene Flügel, die das Boot möglichst bald aus dem Wasser heben. Die Italiener montierten stattdessen winklige Tragflächen mit weniger Fläche und etwas späterer Abflugzeit. Mit geringerem Wasserwiderstand bieten sie eine höhere Endgeschwindigkeit. Die Bootsböden sind entweder zugunsten einer möglichst kurzen Startphase optimiert oder hinsichtlich eines geschmeidigen Übergangs vom Schwimmen zum Fliegen. Ebenso wichtig sind die windschnittigen Bugpartien für den Segelflug. Jeder Kabrio- oder Motorradfahrer kennt den Windwiderstand bei 50 km/h. Die neuseeländischen Verteidiger und die italienischen Herausforderer entwickelten die AC75-Klasse gemeinsam, was ihnen gegenüber den anderen Mitstreitern einen deutlichen Zeitvorsprung bot. Auch konnten Neuseeländer und Italiener von Anfang an Computersimulationen nutzen, welche die Neuseeländer für den vorherigen America’s Cup entwickelt hatten. Das ist wichtig, weil Messreihen im Windkanal und Schlepptank nicht erlaubt sind, es wenig Zeit zur Entwicklung und Erprobung des neuen Bootstyps gab und jeder Teilnehmer aus Kostengründen lediglich zwei Boote bauen darf. Zusätzlich reduzierte die Corona-Pandemie kostbare Trainingszeiten auf dem Wasser. Es braucht aber einige Flugstunden, bis die Plattform mit konstanter Flughöhe und hoher Geschwindigkeit über die Regattabahn gebracht wird. Selbst stark bremsende Kursänderungen wie Wenden oder Halsen sollen zuverlässig in der Luft absolviert werden. Anders als bei herkömmlich langsamen Booten sind die Unterschiede zwischen Kursen im spitzen Winkel zum Wind, mit seitlich einfallendem oder Schiebewind marginal. Der Fahrtwind dominiert den Windeinfallswinkel so weit, dass Vrolijk zufolge Unterschiede von ganzen fünf Grad beim sogenannten „scheinbaren Wind“ zustande kommen. Der scheinbare Wind ist der, der an Bord weht. Die tatsächliche Windrichtung spielt nur noch beim Start eine Rolle. Dann verlässt das Boot mit 33 bis 37 km/h (18 bis 20 Knoten) das Wasser. Bei guten Bedingungen erreicht ein AC75-Renner die dreifache Windgeschwindigkeit, bis zu 93 km/h (50 Knoten). Hochgeschwindigkeitssegeln macht sich seinen eigenen Wind, jetzt mit ein- statt mehrrümpfigen Segelplattformen. Die Geschichte der Segelfliegerei Es ist verblüffend, wie lange sich Tüftler schon mit der widerstandsarm schnellen Fahrt auf Tragflächen beschäftigen. Die französischen Segelchronisten François Chevalier und Jacques Taglang haben die fast 160 Jahre währende Entwicklung zusammengetragen. 1861 entdeckt Thomas William Moy beim Schleppen einer Jolle per Pferdegespann die Geschwindigkeitszunahme dank Tragflächen. 1869 meldet Emmanuel Denis Farcot ein Patent für ein Segelboot mit beidseitig am Rumpf sitzenden beweglichen Tragflächen an, die sich geschwindigkeitsabhängig neigen. 1898 entwickelt Enrico Forlanini einen Tragflächenponton, mit dem ihm 1906 auf dem Lago Maggiore mit einem 70-PS-Motor ein 50-km/h-Flug gelingt. 1907 überbietet ihn der Neapolitaner Gaetano Arturo Crocco mit 70 km/h. 1920 reichen die Gebrüder Malcolm und Thomas A. McIntyre ein Patent für ein Tragflächen-Segelboot ein. 1955 gelingt dem Amerikaner J. Gordon Baker nach langjährigen Versuchen mit der einrümpfigen „Monitor“ mit 56 km/h der Durchbruch im besegelten Tragflächenflug. Deren acht Meter langer, 360 Kilo schwerer Rumpf steigt bei fünf Windstärken unter 21 Quadratmeter Segelfläche ab 18 km/h aus dem Wasser. Das Boot ist im Mariners Museum in Newport News, Virginia, zu sehen. Seit den sechziger Jahren wird die Entwicklung mit Tragflächen-Trimaranen vorangetrieben, maßgeblich von französischen Hochseeseglern wie Eric Tabarly mit „Paul Ricard“, später von Alain Thébault mit „Hydroptère“. 1999 revolutionieren die Australier John und Garth Ilett das Jollensegeln mit flugfähigen Moth-Jollen. 2007 entsteht mit dem „Bladerider“ ein Serienboot. 2009 fliegt Thomas Jundt mit einem australischen Tragflügelschiff namens „Mirabaud IX“ über den Genfer See (Sonntagszeitung vom 1. Februar 2009). Damals steigern Kite-Surfer ihren Geschwindigkeitsrausch mit Tragflächen. 2010 wird mit WASZP eine universell flugfähige, in Serie gefertigte Einheits-Moth-Jolle vorgestellt. Weitere Tragflächen-Serienmodelle als Einrümpfer und Katamarane folgen. 2016 prophezeit Martin Fischer die Entwicklung des Tragflächensegelns bei mehr- wie einrümpfigen Booten: „Es wird ozeantaugliche Tragflächen-Mehrrümpfer geben und daraus abgeleitet Lösungen für schnelle Fahrten-Mehrrümpfer, einrümpfige Tragflächensegler auch für schnelles Tourensegeln.“ Heute sind sogar Stand-up-Paddler mit Foils unterwegs.

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Luca, Stefano und das krumme Geschäft

Die venezianische Gondel ist Transportmittel, Prestigeobjekt und Touristenschaukel. Vor allem ist sie aber eins: krumm. Nur so kann sie seitwärts gleitend geradeaus fahren. Das ist nicht ohne weiteres zu verstehen, aber ganz einfach. Eigentlich müssten die Kanäle der amphibischen, von Wasserstraßen durchzogenen Adria-Metropole als Heimat der venezianischen Gondel der ideale Ort sein, etwas über das merkwürdig gekrümmte Gefährt der Serenissima zu erfahren. Schneller, als der Besucher gucken kann, sieht er sich in ein sacht schwankendes, mit Samt gepolstertes Gefährt komplimentiert, um alsbald zwischen verzückt lächelnden Japanern, „gorgeous“ rufenden Yankees und den ersten digital filmenden Russen zu sechst für 80 Euro eine dreiviertel Stunde durch die schattigen Häuserschluchten zu treiben. Für eine Bootspartie sind die Gondolieri zu haben, erzählen wollen sie über ihr Gefährt und ihre Arbeit aber nichts. Immerhin sind nach beharrlichem Fragen bei abends ermattendem Besucherstrom Luca Rizzi und Stefano Galletta zu Auskünften bereit. Wir treffen uns an der südlichen Treppe der hölzernen Accademia-Brücke. Rizzi und Galletta stehen mit Strohhut, blau-weiß gestreifter Marinéra, dem Matrosenhemd, in schwarzer Hose und schwarzen Schuhen am Dorsoduro-Ufer. Man glaubt gern, dass es sich bei dieser Kluft um die traditionelle Kleidung eines Gondoliere handelt. Dabei wird der Strohhut in der Zunft erst seit dem Zweiten Weltkrieg getragen, das Matrosenhemd seit den siebziger Jahren, als Venedig-Reisen mit Bootspartie üblich wurden und dem Gondoliere mit der Spezialisierung auf den Fremdenverkehr ein regelmäßiges Einkommen boten. Die Hemden waren zunächst rot-weiß, später blau-weiß gestreift. Rizzi hat die Aufgabe, mit dem Fremden zu plaudern, während Galletta mit Adleraugen den Besucherstrom über die Brücke im Blick behält und das Zaudern oder Verweilen eines Passanten als Einstieg in eine beiläufig eingefädelte Kaltakquisition nimmt. Kiellos plattbödige Konstruktion „Rudern ist einfach“, meint Rizzi. Anstrengender sei, „jeden Tag 14, 16 Stunden auf den Beinen zu sein und Kunden zu kriegen“. Die vergleichsweise einfache Handhabung ihres schwimmenden Arbeitsplatzes verdanken die Gondolieri Domenico Tramontin. Ende des 19. Jahrhunderts gab Bootsbauer Tramontin der Gondel die charakteristisch asymmetrische und gekrümmte, rechts um 24 Zentimeter gekürzte Form. Die Asymmetrie und mehr Volumen auf der linken Bootsseite gleichen das Gewicht des backbord stehenden Gondoliere aus. Der Gondelrumpf ist so geformt, dass er leer deutlich nach rechts geneigt, mit dem Gondoliere an Bord leicht nach rechts geneigt, mit kommod auf den Bänken sitzenden Passagieren waagerecht schwimmt. Die Mitte des Schiffs liegt etwa 15 Zentimeter neben der üblichen Mittschiffslinie. Die Konstruktion kündet von einer virtuosen Beherrschung der Netto- und Bruttoschwimmlage. Die gekrümmte Bootsform lässt die Gondel unabhängig von ihrer Beladung geradeaus fahren, wobei sie ständig seitwärts nach links über das Wasser rutscht. Es ist eine kiellos plattbödige Konstruktion mit seitlich gekrümmten, am Übergang zum Gondelboden geknickten Spanten. Die Vorwärtsbewegung des Gondoliere erzeugt vorübergehend einen Gierwinkel von gerade mal vier Grad, was eine geringe Kursabweichung durch das steuerbordseitige Ruder ist. Die Fèro symbolisiert die sechs Stadtteile Anhand eines CAD-Programms (Computer Aided Design) beschäftigte sich der italienische Ingenieur Carlo Donatelli eingehend mit der Schwimmlage, den Auftriebsverhältnissen, der bemerkenswerten Manövrierfähigkeit und Kursstabilität des Gefährts. Interessant ist auch die ergonomische Standposition des Gondeliere auf dem leicht abschüssigen Achterdeck des Bootes, die einst Sicht über das früher überdachte Gefährt und Diskretionsabstand zu den Passagieren bot. Nachzulesen in Carlo Donatellis „Monographie La Gondola, una stradordinaria architettura navale“. Bis zu Tramontins pfiffiger Idee wurde die venezianische Gondel von mindestens zwei Ruderern bewegt. Es wird angenommen, dass der abnehmende Reichtum in der Lagunenmetropole die Rationalisierung erzwang. Ein Gondoliere musste fortan an Land bleiben und sich anderweitig verdingen, eine frühe Maßnahme eiskalten Outplacements. Seitdem wird praktisch jede Gondel allein, „alla venezia“, also von einem hinten links stehenden, in Fahrtrichtung blickenden Gondoliere, bewegt. Die Fèro genannte stählerne Bugzierde der Gondel symbolisiert die sechs Stadtteile und ist neben dem Campanile San Marco längst Wahrzeichen Venedigs. Die Massenträgheit des Gewichts der Bug- und Heckverzierung verzögert Donatelli zufolge das Giermoment bei Geradeausfahrt und vereinfacht die einmal in Gang gesetzte Drehbewegung der Gondel, deren Wasserlinienlänge leer 55 Prozent der Gesamtlänge entspricht, beim Umschiffen von Kanaleinfahrten Die üblichen Kitschfallen Venedigs Interessant ist die Fórcola als Druckpunkt und vielseitig verwendete Führung des Ruders. Ellenbogenförmig aus Kirsch- oder osteuropäischem Walnussholz getischlert, ermöglicht sie entlang ihrer Rundungen und Ausbuchtungen vom Schnellgang über verschiedene Anlegevarianten bis zur Rückwärtsfahrt sieben verschiedene Fahrtzustände und hilft dem Könner bei der routinierten Handhabung des langen Ruders selbst in engen Kanälen. Damit ist die Fórcola vielseitiger als das Getriebe jedes modernen Autos. Sie wird binnen drei Tagen von den Remeri, den Ruder- und Fórcoletischlern geschnitzt. Drei Spezialisten dieses Handwerks gibt es dafür noch in Venedig. Sie fertigen die Fórcola je nach Größe, der Kniehöhe und Vorlieben des Gondoliere. Einem von ihnen ist mit „Fórcole, a cura di Saverio Pastor“ ein sehenswerter 136 Seiten starker Bildband gewidmet (siehe Kasten). Längst hat sich die Fórcola vom nüchternen Gebrauchsgegenstand zur kunstgewerblich herausgehobenen Skulptur verselbständigt. Für den Reisenden mit Sinn für anspruchsvolle Tischlerei ist der Besuch der Werkstatt eine Möglichkeit, die üblichen Kitschfallen Venedigs zu umschiffen und den Aufenthalt in der Stadt mit einem handwerklichen Einblick zu vertiefen. Verdienst eines Assistenzarztes Saverio Pastor, der sein Handwerk Ende der siebziger Jahre beim sogenannten Forcolekönig Giuseppe Carli und Ruderspezialisten Gino Fossetta lernte, gründete 2002 den Verein El Fèlze. „Die Gondel ist ein dynamisches System. Es setzt das Wasser, das Gefährt und den Gondoliere voraus. Erst die Fahrt durch das Wasser wandelt ihre Asymmetrie in eine Art von Symmetrie, die Fahrt geradeaus. Man kann eine Gondel nicht ohne weiteres hinter einem anderen Boot herziehen. Sie funktioniert nur mit dem Gondoliere als Antrieb und Steuermann zugleich. Alles hängt miteinander zusammen, so wie die Gondelkultur viele verschiedene Handwerke voraussetzt“, sagt Pastor. Über die Position der unten als Vierkant ausgeführten, im Bootsdeck steckenden Fórcola gibt es verschiedene Ansichten. „Vor einer Weile wurde sie dreißig, vierzig Zentimeter nach vorn gelegt. Da kann man mehr Druck machen und ist wendiger. Mit der hinten sitzenden Forcola fährt man leichter geradeaus“, berichtet Rizzi. Früher war die Gondel als privates Fortbewegungsmittel in der Stadt so selbstverständlich wie heute das Auto außerhalb Venedigs. Zum gutsituierten venezianischen Haushalt gehörte die gondola casada nebst Personal zu deren Handhabung, für Botenfahrten, zum Abholen oder Übersetzen der Familienmitglieder oder Gäste. Der in den fünfziger Jahren anschwellende Fremdenverkehr machte das Verkehrsmittel zum Highlight eines Venedig-Besuchs und damit für private Haushalte zu teuer. Er liquidierte und wandelte die Tradition zugleich. Heute verdient ein Gondoliere im Fremdenverkehr mit 80.000 Euro ungefähr so viel wie ein Assistenzarzt oder Unternehmensberater auf halber Höhe seiner Karriereleiter. Die Fèlze ist verschwunden Zwar soll es immer noch die eine oder andere Privatgondel geben, die aus sentimentalen Gründen oder Stolz gehalten wird, eher findet man sie jedoch als Exponat in der interessanten Gondelabteilung des Schifffahrtsmuseums Museo Storico Navale (Castello 2148, täglich 8.45 bis 13.30 Uhr geöffnet), wo unter anderem Peggy Guggenheims private Gondel ausgestellt ist. Von den Kanälen verschwunden und allenfalls auf historischen Gemälden und verblichenen Fotos, mit viel Glück beim Blick in die Hinterhöfe zu entdecken ist die Fèlze, ein leichter hölzerner Aufbau mit einem halbrunden Dach, einer schmalen Tür und kleinen Fenstern, der auf die Gondel gesetzt wurde. Im Sommer spendete die Kabine Schatten, die Lamellen boten Diskretion und ließen auch an heißen Tagen etwas Luft herein. In den nebligen Wintermonaten schützte die Fèlze vor Nässe und Kälte. Der Aufsatz gehörte früher zur Ausstattung jeder Gondel. Im Zeitalter der ausschließlich touristischen Nutzung ist die Fèlze verschwunden. Sie würde den Ausblick sowie Ein- und Ausstieg erschweren. Eiche, Walnuss, Kirsche und Mahagoni Die Fèlze symbolisiert die private Nutzung der Gondel und wäre vergessen, gäbe es die „El Fèlze“-Vereinigung der Künste und Gewerke, die zum Bau der Gondel beitragen, in San Marco 430 (Telefon 0 41/5 20 03 31, www.elfelze.com) nicht. Sie hat sich der Dokumentation und dem Erhalt der Jahrzehnt für Jahrzehnt nivellierten Gondelkultur verschrieben und sich bewusst nach dem bereits obsoleten Zubehör genannt. Das von ihr herausgegebene Faltblatt erklärt die zehn Gewerke von den Squerariòli genannten Bootsbauern über die als Ottonài und Fonditori bezeichneten Schlosser, die Intagiadòri (Kunstschnitzer), Tapessièri (Polsterer), Caleghèri (Schuhmacher), Remèri (Forcola- und Ruder-Tischler), Fravi (Schmiede für die Ferro-Bugverzierung), Indoradòri (Vergolder) bis hin zu den Baretèri (Hutmachern), Sartòri (Schneidern), alles in allem 28 Betriebe. Selbst das Gondelschwarz ist eine lokale Spezialität. Es wird alle zwei Jahre aufgefrischt. Die Gondel wird in fünf Arbeitsgängen aus sechs verschiedenen Hölzern und 280 Teilen binnen vier Monaten gebaut, wiegt etwa eine halbe Tonne und kostet annähernd 30.000 Euro. Sie ist etwa 10,75 Meter lang und 1,38 bis 1,75 Meter breit. Nach der Kiellegung werden zunächst drei Rippen, im Fachjargon Spanten genannt, errichtet und mit der obersten Planke stabilisiert. Dann werden sämtliche Aussteifungen des Bootskörpers mit etwa 27 Zentimeter Spantabstand von oben in die Gondel geschoben. Wie im Bootsbau üblich sind sie meist aus Eiche, wobei für die Aussteifungen mittschiffs bei der Gondel Walnuss genommen wird. Dann wird der Rohbau gedreht und fertig beplankt. Kirsche eignet sich besonders für Gravuren, Mahagoni für das aufwendig geschnitzte Vordeck, Kastanie für Bug und Heck. Die Squero San Trovaso (Dorsoduro 1097) ist neben der Tramontinschen Gondeltischlerei (Dorsoduro 1542, www.tramontingondole.it) die bekannteste Werft und für Besucher zugänglich. Leuchtend gelbe Kunststoff-Imitate 2002 gab es in Venedig noch sieben Gondelbauer. Die Werften schließen nach und nach. Es bleibt abzuwarten, ob der lokale Stolz und Sinn für die venezianische Gondel reicht, das einmalige Gefährt, sein Handwerk und seine Kultur in seiner Vielfalt zu erhalten. Die Fèlze ist bereits verschwunden. Am Geld, das der Fremdenverkehr täglich in die Stadt bringt, kann es nicht liegen. Neuerdings schaukeln Imitate aus glasfaserverstärktem Kunststoff in der Lagunenstadt. Sie sind leuchtend gelb und somit auch von strapazierten Tagestouristen als Fälschung zu erkennen. Sollten Sie mal nach Venedig kommen und den Spießrutenlauf der überall lauernden Gondolieri bis ins Revier vom dicken Rizzi und dünnen Galletta rings um die Accademia-Brücke geschafft haben, können sie bei den beiden ruhig Platz nehmen. Wir hatten ausgemacht, dass wir sie empfehlen, wenn sie was über Gondeln erzählen, und Germanen halten bekanntlich ihr Wort. Ob und wie die beiden singen, wissen wir nicht.

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Thomas Bscher: Open Season reloaded

Jeder ehrgeizige Segler kennt das. Es läuft ganz gut, dennoch bleibt der Eindruck, da ginge noch was, wäre ein Quantum mehr Dampf drin. Also fragte Eigner Thomas Bscher den von Admirals und America’s Cup Regattabahnen und mit den Finessen anspruchsvoller Vermessungen von IOR bis IRC versierten Konstrukteur Rolf Vrolijk. Vrolijk war ohnehin im Thema. Sein Bremerhavener Büro Judel/Vrolijk & Co. hatte das erste Exemplar der WallyCento Klasse entworfen. Das Boot hieß zunächst „Hamilton“, seit der Übernahme durch Bscher „Open Season“. Bei der WallyCento handelt sich um eine Box Rule verschiedener Grenzmaße, bei der unter anderem die maximale Länge von 100 Fuß (30,48 m) nicht überschritten werden darf. Vrolijk ging eine Saison mit Bscher segeln. Er sah sich seine 2012 eingewasserte Konstruktion in der Praxis, auch dessen tatsächliche Schwimmlage gründlich an und die Bedingungen, bei denen der exklusive Zirkel der Wally-Eigner seine Regatten aussegelt. „Vor Palma oder Porto Cervo wird meist bei 6 bis 20 Knoten Wind gesegelt. Die Up und Down-Kurse absolvieren die Boote mit 8 bis 16 Knoten.“ Diese Art der Bestandsaufnahme macht Vrolijk immer, ganz gleich um welche Aufgabenstellung, welchen Bootstyp und welches Rennen es sich handelt. „Anhand dieser Matrix von 7 bis 9 Regatten, die die Wallys segeln“ machte Vrolijk mehrere Studien, um innerhalb der IRC Vermessung den besten Mix aus Zeitfaktor und Geschwindigkeitszuwachs auszutüftlen. Nach Erörterung der Möglichkeiten mit Bscher begann er mit der Optimierung. Dabei war klar, dass das WallyCento Reglement verlassen wird. Open Season wurde zum 107-Füßer. Das Boot erhielt mit dem um 80 Zentimeter von 6,20 auf 7 m abgesenkten Ballast mehr Stabilität. „Das war mit einem gründlichen Blick in das CAD Programm und einer längeren Kielfinne einfach“ so Vrolijk. Die zweite Maßnahme war die Verlängerung des Bootes. „Bei der WallyCento handelt es sich um Boote mit der maximalen Wasserlinienlänge. Das heißt der Konstrukteur zeichnet im Prinzip einen längeren Rumpf und schneidet ihn dann achtern regelkonform ab. Das hat den Nachteil einer relativ großen wasserbenetzten Fläche am Heck. Dieser macht sich bei leichtem Wind bemerkbar“ erläutert Vrolijk. „Im Grunde haben wir dieses fehlende Stück mit einer Art Spoiler drangehängt. Der Spoiler ist 2,10 m lang, verlängert die effektive Wasserlinie und gibt dem Boot bei Wind eine größere Grundgeschwindigkeit. Das 300 Kilo schwere Faserverbundteil wurde bei Green Marine, der Werft, die „Hamilton“ 2012 gebaut hatte, gefertigt und an das in Palma aufgebockte Boot laminiert. Zwecks Aufnahme der erheblichen Zugbelastung aus den nach hinten versetzten Backstagen mit entsprechender Biegebeanspruchung des gesamten Rumpfes waren die Längsträger (Stringer) und Übergänge am Rumpf überlegt abzuschneiden und für den neuen Laminataufbau vorzubereiten. Das dem Boot am achteren Ende zugefügte Gewicht wurde durch gezielte Entnahmen und vereinfachte Hydraulik gezielt ausgeglichen. So blieb der Längstrimm erhalten. Die dritte Maßnahme war die Beschäftigung mit der Segelgarderobe, insbesondere der Segelgeometrie. Hier galt es den IRC Rennwert zu schonen, das heißt die neue „Open Season“ besser zu motorisieren, ohne das es gegenüber dem ursprünglichen Boot zu gravierenden Zeitstrafen kam. Dank näherer Beschäftigung mit dem Mastfall und der Mastbiegung erhielt „Open Season“ mit besser überlappenden Vorsegeln 10-20 qm mehr Tuch. Das machte Vrolijk in bewährter Zusammenarbeit mit Henrik Söderlund von North Sails Dänemark. Weil es mit der optimierten Hardware allein nicht getan ist und das Boot vom Start weg ausgezeichnet gesegelt werden muß ist Jochen Schümann als Taktiker, Souffleur und Segel-Steuerberater bei den Regatten an Bord. Das die ausgedachten Maßnahmen über die Stärken einer Neukonstruktion oder Modifikation auch auf dem Wasser genutzt werden, ist seit jeher Teil der Erfolgsgeschichte von Judel/Vrolijk & Co auf den Regattabahnen. „Wenn es da nicht von vorherein läuft und das Boot nicht vom Start gut wegkommt, wird es schwer“ berichtet Vrolijk, der ebenfalls regelmäßig dabei ist. Denn die Maßnahmen führten zu einer um 20 Punkte nachteiligen Vermessung. Das heißt auf dem Wasser das innerhalb einer Stunde 70 Sekunden schneller gesegelt werden, um das Rating auszugleichen. Das verlangt vom Start weg freie Fahrt ohne störende Abwinde oder Scharmützel mit eigentlich langsameren Booten. Vrolijk sieht sich nach wie vor an, ob und wie das Konzept für Bschers „Open Season“ aufgeht. „Das ist ein fortlaufender, kein abgeschlossener Prozess.“ Die vergangenen Segelsommer jedenfalls schlug sich die getunte „Open Season“ als schnellste Wally ausgezeichnet. Manchmal muß man das Reglement einer bestimmten Klasse (hier der WallyCento) einfach verlassen, um auf der Regattabahn vor Palma de Mallorca, Porto Cervo oder Saint Tropez vorne zu segeln. Der frühere Bankier, Bugatti-Manager und Rennfahrer Thomas Bscher ist ehrgeizig. Der will nicht bloß spielen. Die Maßnahmen haben sich für den Präsidenten der International Maxi Association gelohnt.

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Der Tiefstapler

Die Schweizer Wilke-Werft punktet international mit hoher Fertigungsqualität und technischer Finesse. Ein Besuch im Berner Oberland von Erdmann Braschos Im Bootsbau geht es zu wie in der Politik. Alles schielt mit unterschiedlichem Erfolg zur Mitte. Dank großer Stückzahlen bietet der umsatzstarke Massenmarkt dem Kunden viel Schiff zum interessanten Preis. Clever ködern die Großserienwerften mit variantenreichem Kajütausbau, einem betont modernen Ambiente und neuerdings markantem Falz in Aufbauten und Heckpartie. In die Rümpfe eingelassene Panoramafenster oder pfiffig eingebaute Kaffeeautomaten überzeugen selbst die bei der Anschaffung kostspieligen Segelspielzeugs generell zurückhaltende Ehefrau. Es ist eine mörderische Konkurrenz um Marktanteile, die da alljährlich auf den Bootsmessen mit immer neuen Gadgets ausgefochten wird. Vor einigen Jahren noch gehörten Badeplattformen und Flügelkiele zum Novitätenfeuerwerk. Denn mit etwas America’s Cup Appeal verkaufen sich auch gemütliche Familienkutschen und Segelurlaubsboote Welten besser. Mit diesem speziellen Kiel, er hat ähnlich wie der Flügel eines Flugzeugs kleine Winglets am Ende, beschäftigt sich Christof Wilke mitten im Berner Oberland am Thuner See auch. Allerdings aus anderen Gründen. Zudem schiebt sein elf Mannbetrieb jährlich gerade mal zwei bis vier, statt mehrere hundert neue Boote aus der Halle. Leissigen ist eine Ortschaft mit vielen Chalets, zwei Gasthäusern, einem Supermarkt und einem Cafe am Südufer des Thuner See. Rund sechshundert Meter über dem Meer fährt man auf der Schnellstraße flott in die alpine Enge der Zentralschweiz. Die Eiger Nordwand, Jungfrau und Mönch befinden sich um die Ecke. Ab und zu rauscht die Bahn auf der Strecke Spiez – Interlaken den See entlang. Wer einen mit mancher Finesse ausgefuchsten Neubau in der kompetitiven Dreimannkielboot-Konstruktionsklasse der 5.5er für sein Seglerglück braucht, ein Starboot, eine Finn-Jolle oder einfach nur einen auf das persönliche Gewicht, eigene Kondition und Segelstil maßgeschneiderten Jollenmast aus Karbon, der schaut früher oder später mal in Leissigen bei „Ch. Wilke Swiss Marine Composites“ rein. Im Neonlicht der Halle, die auch eine Bauschreinerei beherbergen könnte, steht ein glänzend lackierter Fünfeinhalber-Neubau neben einem Starboot, über das drei schweizerdeutsch redende Eidgenossen gebeugt sind. Nach einer Weile löst sich ein dunkelhaariger, sportlich schlanker Endvierziger im Sweatshirt aus der Gruppe. Karbon galt in der Schweiz als militärisch relevant Christof Wilke ist einer aus der Abteilung ernst und still, dabei von jener schweizerischen Freundlichkeit, die sich als schwer zu knackende Firewall erweist. Und so braucht es die gefühlte Ewigkeit von etwa einer Stunde, bis sich das zähe Frage- und Antwortspiel zu einer Art Gespräch verflüssigt. Wilke erinnert an den prototypischen Radio- und Fernsehtechniker, der lieber über einer kniffelige Schaltung grübelt, als die kostbare Zeit mit Geplänkel und banalen Auskünften über sein Metier zu vertrödeln. Erst im technischen Detail wird Wilke mitteilsam. Sachlich informiert er aus einer exotisch anmutenden Welt abgefahrener Kleinstserien-Präzision. Denn in dieser Wilke-Welt wird mittlerweile mit aufwendigen Kohlefaser- und Aluminiumformen die strömungstechnisch und seitens der Bauvorschriften geforderte Maßhaltigkeit bis hin zum Bereich der thermischen Verformung ausgereizt. Als der studierte Schiffbauingenieur und gelernte Bootsbauer Ende der achtziger Jahre für einen Segelfreund und sich zwei 9,5 Meter lange Boote aus Karbonfaser und arg adhäsivem Elefantenkleber, dem sogenanntem Epoxid, über einem Schaumkern zu einem gleichermaßen leichten wie ansehnlich sauber verarbeiteten Binnenrenner bauen will, hat Wilke Mühe, das damals in der Schweiz als militärisch relevant eingestufte Karbon für seine eindeutig zivilen Zwecke überhaupt zu bekommen. 1993 steigt Wilke mit zwei Neubauten in die ambitionierte Gentleman-Regattaklasse der 5.5er ein. Dieser 1948 als Variante der traditionsreichen Internationalen Meterklassen eingeführte Typ war 1952 bis 1968 olympische Bootsklasse und ist mit einer weltweit beharrlich wachsenden Flotte ein Treibhaus segeltechnischer Entwicklung. Der Entwurf stammt vom Newcomer Sebastien Schmidt aus Genf, und Wilke erinnert sich: „Es war seine zweite Konstruktion überhaupt“. Auf Anhieb wird eines der beiden Boote Europameister. Zügig übernimmt das Duo vom Thuner und Genfer See das Zepter von den amerikanischen Matadoren Buddy Melges und Doug Petersion, einem auf dem Parkett internationaler Regattabahnen ausgewiesenen Yachtkonstrukteur. „Ich hatte mich damals in den Umgang mit Epoxidharz und in die Verarbeitung belastungsorientiert verlegter Fasern eingearbeitet sowie über die Massenkonzentration nachgedacht“, berichtet Wilke. Und fügt hinzu: „Ich glaube, ein bisschen Glück war auch dabei“. Wieder so ein typischer Wilke-Satz. Denn er erklärt seine Arbeitsweise mit sachlicher Bescheidenheit und stapelt gleich wieder tief. Normalerweise werden Boote in einer Rumpf- und einer Decksschale laminiert. Dann werden die beiden Teile horizontal zusammengefügt. Entsteht das Boot aus zwei senkrecht geteilten Hälften, die später entlang der Mittellinie zusammengefügt werden, trägt die Doppelung des Materials entlang der Naht zu einem insgesamt verwindungsärmeren Boot bei. Natürlich ist das Laminieren senkrecht geteilter Formen in den schwer zugänglichen Kanten und Ecken schwierig, dort den Vakuumdruck zum Verpressen des Materials und Absaugen überflüssigen Harzes aufzubauen auch. Doch „interessiert mich in erster Linie die Qualität, der Weg dorthin weniger“, meint Wilke. Seit dem Debüt ist der Werftchef ungefähr bei der siebten Version angekommen, im Jahr 2000 richtete der Qualitätsfetischist eine Art Weltmeisterschafts-Abo für seine Erzeugnisse ein. Beim aktuellen Modell sind die Linien auf einen bestimmten, sich beim Segeln üblicherweise ergebenden Neigungswinkel hin abgestimmt. Neuerdings wird selbst die Sitzposition der Crew bereits bei der Volumenverteilung des Rumpfes berücksichtigt. Ein weiterer, eigentlich naheliegender Beitrag, um den Entwurf von vornherein an die Realität des Bootes im Wasser anzuschmiegen. Man muss nur gründlich über solche Finessen nachdenken. Der eigentliche Clou aber ist die Trimmklappe hinter dem Kiel mit den kleinen Winglets unten dran. Die Flügel verhindern den bremsenden Druckausgleich und die arg bremsende Wirbelschleppe hinter der Flosse. In Mittelstellung der Trimmklappe ergibt sich ein hinten sichtbar eingezogenes Profil, bei drei bis fünf Grad angewinkelt eine asymmetrische Form. Die zieht das Boot beim Segeln hart am Wind nach Luv – so wie ein Flügel ein Flugzeug in der Luft hält. Zwar braucht man am Ruder eines solchen Bootes keinen Pilotenschein, auf jeden Fall aber viel Gefühl und Übung. Denn so ein Trimmklappen-5,5er wird nicht mit dem üblichen Mix aus spitzem Windanschnitt und Bootsgeschwindigkeit gesteuert, sondern mit einem stumpferen Winkel auf Geschwindigkeit hin durch die Wellen gescheucht. Den Rest erledigt die mit einem handtellergroßen Drehknopf im Cockpit bis auf ein halbes Grad genau eingestellte Trimmklappe. Das ist interessanter, als eines dieser saugünstigen Volumenmodelle mit einem Knick in der Kajütwand und schicker Espressomaschine.

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Bewährte Systeme vom Sortierspezialisten

Effizienzgesichtspunkte stellen Abfüllbetriebe und Logistikzentren vor neue Herausforderungen. Schnellere Durchsatzleistungen bringen herkömmliche Ausleit- und Verteilsysteme an ihre Grenzen. Hinzu kommt die vertriebsseitig geforderte wachsende Gebinde- und Produktvielfalt. Die Anforderungen an ein materialschonendes Handling sind also groß. Zugleich ist der reibungslose und störungsfreie Sortierbetrieb möglichst ohne Auszeiten ein wichtiger Beitrag zur Produktivität des gesamten Betriebs. Nach Entwicklung eines Sortiersystems für Getränkekästen stellte der südwestfälische Spezialist Sortec 2006 seine erste Drehstation für die Packbildzusammenstellung vor. Drei Jahre später wurden Getränke- und Lebensmittellogistikzentren mit eigens hierfür entwickelten Einrichtungen ausgerüstet. Mittlerweile werden mit gezielt weiterentwickelten Programmen vielfältige Sortieraufgaben übernommen. Eigens per IPOS-Programm gesteuerte Servoantriebe bieten einen an die Eigenschaften des Produkts und dessen jeweilige Position vor dem Überschubbrett im Millisekundenbereich angepassten Sortiervorgang. Damit ist es möglich, eine 500 Gramm leichte Faltkiste ebenso wie einen 40 Kilo schweren Karton materialschonend, störungsfrei und wiederholungsgenau positioniert zu sortieren. Dank Arbeitsweise mit einer rotierenden, stets in der gleichen Richtung wirkenden Mechanik mit zwei oder drei Überschubbrettern werden Verschleiß und damit der Wartungsaufwand über einen langen Zeitraum niedrig gehalten. Ein weiterer Vorzug sind platzsparende Lösungen mit neben- und übereinander angeordneten Systemen. Sortec bietet hierzu eine Profibus-Anbindung mehrerer in Reihe geschalteter Systeme. Mit zwei Überleitbrettern werden bis etwa 7.000 Einheiten/Stunde, mit drei Überleitbrettern mehr als 9.000 Einheiten sortiert. Sortec Systeme laufen bereits bei mehreren Großbrauereien, überregionalen Logistikzentren und Lebensmittelkonzernen.

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Weniger Strippen, mehr Knoten

Die Branche hat ihn verschmäht und belächelt, doch hat sich Luca Bassani von seinem Ziel nicht abbringen lassen. Mit alten Erfindungen, neuen Ideen, mit Reduktion und Beharrlichkeit hat der Unternehmer die Luxusyacht neu erfunden. Bassani schuf seinen eigenen Markt – und zeigte der konservativen Yacht-Branche einen neuen Kurs. Text: Erdmann Braschos Der Chef ist schon da, an diesem Apriltag 1994 im norditalienischen Erbusco. Im Schatten der Werfthalle liegt kopfüber eine honiggelbe Wanne aus Kevlar, deren 24 Meter noch den letzten Schliff bekommen. Mehr Jolle als Yacht. Luca Bassani, ein kleiner energischer Italiener, Igelschnitt, Dreitagebart, farbenfroher Blouson, kommt seinen Besuchern entgegen. „Hi“, sagt er, „do you like it?“ Was für eine Frage. Das Schaustück ist Bassanis dritte Sonderanfertigung. Die erste Wallygator, die heute Mr. Gecko heißt, ließ er vor drei Jahren in Ligurien vom Stapel. 17 Segelwinden waren auf dem Deck montiert, bedient von einer mehrköpfigen Mannschaft. Dieses Boot hier wird mit zwei Winschen auskommen und von einer Person gesegelt. Die notorisch konservative Yacht-Branche behauptete bisher, so etwas gehe nicht, sei nicht seetüchtig und überhaupt. 15 Winschen weniger binnen drei Jahren künden entweder von einer eingefahrenen erstaunlichen Gedankenlosigkeit, einer steilen Lernkurve oder beidem. Wer nicht kann oder will, kennt viele Gründe, bei 17 Winschen zu bleiben. Meister in der Kunst des Weglassens Bassani kennt kaum einen. Luca Bassani Antivari, Erbe der italienischen Elektroartikelfabrik BTicino, ist ein Überzeugungstäter. Einer, der sich den Teufel um Traditionen schert oder darum, was man wie machen muss, weil es schon immer so gemacht wurde. Bassani ist Segler aus Leidenschaft. Also baut er Boote. Weil er das nötige Kleingeld besitzt, baut er sie zunächst auf eigene Rechnung. Und weil seine Prototypen schlicht, technisch herausragend, schön und funktional sind, stoßen sie die Insider erst vor den Kopf – und werden am Ende die Branche umkrempeln. Sein dritter Prototyp, den die Besucher wenig später in Saint Tropez als fertiges Produkt bestaunen, hat zwei Steuerräder, besagte Segelwinden, einige Knöpfe, davor eine Sitzgarnitur, ein kleines Deckshaus, einen Mast. Ansonsten zum Bug hin fluchtende Teakleisten. Keine Schienen, Schäkel, Umlenkrollen oder Strippen. Die übliche zehenschindende Hardware hat Bassani komplett in den Katalogen der Bootsausrüster gelassen. Der Mann segelt gern barfuß. Weglassen, sich vom angeblich Nötigen trennen, ist eine schwere, eine selten beherrschte Disziplin. Sie setzt Nähe und Abstand zugleich voraus: eine intime Kenntnis der Materie und doch einen distanzierten Blick auf das, was zählt. Und unbeirrtes Festhalten am Konzept. Bassani versteht sich auf all das wie kaum ein anderer. Am Anfang gibt es wenige Bewunderer, der reiche Italiener gilt als Spinner, der um jeden Preis auffallen will. Seine notorisch andersartigen Boote nennt er selbstironisch Wally, was so viel heißt wie gaga. Er baut sie für sich selbst, sie lassen die Szene stöhnen oder feixen. Ein gutes Jahrzehnt später ist Wally ein Synonym für modernen Yachtbau geworden, für Segelspaß und Coolness auf See. Insgesamt 23 Yachten zwischen 18 und 32 Metern ließ Wally inzwischen vom Stapel – und ist mit dieser Stückzahl weltweit führender Lieferant großer Yachten in fortschrittlicher Kompositbauweise. Beim Maxi Yacht Rolex Cup im Spätsommer 2003 gingen allein neun Wallys an den Start, sie bildeten eine eigene Klasse. In der Vergangenheit fochten die Swan-Yachten der finnischen Nobelmarke Nautor ihre Regatten vor Porto Cervo exklusiv aus. Es war ein Jahrzehnt, geprägt von Versuch und Irrtum, von altem Wissen in neuer Kombination. Und vom unbeirrbaren Festhalten an der Idee des Weglassens. „Praktisch alle Yachten, gleich welcher Größe, sind Daysailor“, erklärt Bill Langan, einst Leiter des namhaften New Yorker Konstruktionsbüros Sparkman & Stephens. Die Branche baut dennoch unbeirrt und grundsätzlich Kap-Hoorn-taugliche Boote für den Zweck, den Heimathafen vormittags zu verlassen und nachmittags zurückzukehren, weil der Eigner abends noch eine Verabredung an Land hat. Bassani sieht sich weniger als Yachtbauer, er versteht sich als Entwickler. Und schon seine dritte Konstruktion lässt die Konkurrenten im Vieux Port aussehen wie überladene Schlachtschiffe. „Genie of the Lamp“ ist dagegen leicht, agil, aufgeräumt. Sie hat alles an Bord, was man für die mehrstündige Bootspartie oder eine Atlantiküberquerung braucht. Und Bassani manövriert ihre 27 Tonnen so spielerisch im Zickzackkurs die Hafenmole von Saint-Tropez entlang, als hockte er in einer Jolle. Auf eine 24-Meter-Yacht hat dieses elementare Segelvergnügen noch keiner übertragen. „Genie of the Lamp“ ist ein Concept Boat für den Yachtbau: Es braucht weniger Strippen und macht mehr Knoten. 1991 denkt Bassani erstmals über eine eigene Bootsfirma nach, drei Jahre später gründet er Wally Yachts. Weil er möglichst nah bei seinen Kunden sein will, zieht er mit seiner Familie von Lugano nach Monaco. Dort findet er die zahlungskräftige Klientel – das Wally-Einsteigermodell kostet gut 2,5 Millionen Dollar – und ausreichend tiefes Wasser. Theoretisch lassen sich Yachten überall verkaufen, praktisch geht es in der Bonsai-Monarchie zwischen Italien und Frankreich am besten. Boote werden von viel beschäftigten Auftraggebern gekauft, die keine Zeit haben, sich über Monate oder Jahre mit dem Projekt zu beschäftigen, das nicht selten im Bermuda-Dreieck zwischen Yachtarchitekt, Werft und Zulieferern umherirrt. Jede Sonderanfertigung steckt voll technischer, finanzieller und rechtlicher Risiken, die so mancher Eigner erst überblickt, wenn es zu spät ist. Die Einschaltung einer externen Bauaufsicht kann diese Probleme lösen – oder vergrößern, weil sie dem Projekt eine zusätzliche Schnittstelle, neue Kosten und ein weiteres Ego hinzufügt. Wally tritt deshalb von Anfang an als Bauträger auf: Bassani koordiniert die verschiedenen Gewerke, Spezialisten und Zulieferer und übergibt dem Auftraggeber eine segelfertige Sonderanfertigung. Das ist klar gedacht, bricht mit den Gepflogenheiten des Boots-Business – und macht den Italiener nicht gerade zum Liebling der Branche. Boote werden in der Regel von Männern gekauft, selten jedoch ohne Zustimmung der Frau. Also baut Bassani Yachten, die beide mögen. Avantgardistische Segelspaß-Maschinen: ästhetisch schlichte und aufgeräumte Trendsetter, die ihr gefallen und ihm durch einfaches Handling Freude machen. Die meisten Funktionen sind smart zusammengefasst und werden versteckt, von mehreren hydraulisch bewegten Zylindern, übernommen. Anfang der neunziger Jahre beeindrucken die meisten Yachten noch durch Größe und Ausstattungsreichtum, die Wiederholung eines Komforts, den begüterte Menschen auch an Land haben. Weil dieses Konzept die Boote deutlich tiefer im Wasser liegen und die Segeleigenschaften damit absaufen lässt, entscheidet sich Bassani von Anfang an für den funktional eingerichteten Leichtbau. Diesen Weg hatten auch andere vorher diskutiert. Schon Ende der achtziger Jahre wurde der Hamburger Yachtkonstrukteur Rolf Vrolijk von einem Journalisten gefragt, warum in der Branche kaum in leichter Verbundstoff-Technologie gebaut werde. Deutschlands führender Rennyacht-Architekt gab zur Antwort, es lohne nicht, Rümpfe und Decks mit erheblichem Aufwand leicht zu bauen, wenn die Gewichtsersparnis mit herkömmlich schweren Systemen und gedankenlos massiven Holzausbauten von Zulieferern und Luxusyachtwerften wieder aufgehoben würde: „Yachten müssten ganz anders, nämlich durchgängig gewichtsoptimiert und auf Segelleistung hin konzipiert werden“, so Vrolijk. Der versierte Regattasegler Bassani tut genau das. Erfinden muss er für seinen konzeptionellen Alleingang nichts, es ist alles da, der Entwickler muss es nur erkennen – und neu zusammensetzen. Revolutionäre „Leicht-Deplacement-Renner“ gibt es schon seit den zwanziger Jahren. Die neuen Verbundwerkstoffe und Karbonmasten lassen sie dank Bassani auch handwerklich im Bootsbau möglich werden. Für die fehlbedienungssichere Takelage, die dem Italiener vorschwebt, gibt es bereits das so genannte Bergström-Rigg, das ohne zusätzliche Haltedrähte auskommt. Ein automatisiertes Segel- und Tauwerksmanagement sowie manche hydraulische Extrawurst – etwa die Neigekiel-Technik – lässt sich Bassani von Spezialisten wie Cariboni liefern. Auch optisch geht der Italiener neue Wege. Leichte und luftige Einrichtungen schweben ihm vor. Er wird sie in Zusammenarbeit mit dem Florentiner Yacht-Stylisten Tommaso Spadolini und den römischen Architekten Claudio Lazzarini und Carl Pickering, sonst eher mit der Einrichtung arg aufgeräumter Modeboutiquen befasst, an Bord holen. Bassanis Boote sind mittlerweile so übersichtlich, dass sie ein paar Farbtupfer gebrauchen können. Beigemetallic kontrastiert er mit hippem Vivara-Dekor – ein Affront für die betont werthaltig anmutende Welt des tropenholzreichen Pub- und Club-Ambientes, wie sie beispielsweise der Brite John Munford oder sein niederländischer Kollege Pieter Beeldsnijder variantenreich in große Boote tischlern lassen. Als Lazzarini/Pickering für einen Londoner Bankier Wally B einrichten, lassen sie die schwarze Karbonstruktur unverkleidet, hängen einige Lederkoffer als Schrankersatz unter die umlaufenden Rohre aus gebürstetem Edelstahl und schaffen mit Halogenspots räumliche Effekte. Das war nicht bloß „pretty wally“, also cool, gewöhnungsbedürftig und ein wenig abgefahren. Es beantwortete auch die Aufgabenstellung, ein leichtes Interieur zu schaffen, das die Vibrationen einer rasant durch die bewegte Buckelpiste des Meeres bretternde Hightech-Yacht möglichst ohne unangenehme Knister- und Knackgeräusche wegsteckt. Das kann eine hängende Einrichtung am besten. Bassani sucht und findet Partner, die nicht vor branchenfremden Lösungen zurückschrecken. Mit dem ideenreichen Mailänder Konstrukteursduo Luca Brenta und Lorenzo Argento entwickelt er den dunkelgrünen 32-Meter-Zweimaster Wallygator (heute: Nariida) – und relauncht damit das beinah vergessene Vanderbilt-Gefühl: Auf den Rennyachten der Gatsbys erhoben sich von 1910 bis 1930 nur die Takelage, das Steuerrad und der Boss über den geneigten Decksplanken, sonst nichts. Der ungehinderte Blick über das Schiff und die elementare Begegnung mit Wind und Wa ser war der Inbegriff des Yachtsports. Sechs Jahrzehnte später sind Luxusyachten dieser Kategorie träge dümpelnde Bollwerke, deren Besatzung sich hinter klobigen Aufbauten wie in einem Seenot-Rettungskreuzer verschanzt. Boote dieser Größe drückten bislang 100 bis 150 Tonnen Wasser beiseite, Wallygator bahnt sich seinen Weg mit nur 50 Tonnen. Das ist in etwa so, als ob man eine enge Alpenstraße im voll beladenen Möbelwagen erklimmt – oder Kurven und Steigung rasant im Sportflitzer nimmt. Alte Regeln gehen über Bord Weil das Manövrieren in engen, gut belegten Yachthäfen der Côte ein Albtraum ist, erhielt Wallygator einen neuartigen Antrieb – und lässt sich damit spielend leicht einparken. Anstelle eines herkömmlich aus dem Rumpf ragenden Propellers, hat das Boot zwei aus der Bordwand geschobene und in jede Fahrtrichtung drehbare Bug- und Heckstrahl-Antriebe, die das Gefährt auf der Stelle drehen, aber auch schräg vor- oder rückwärts und sogar seitwärts gegen den Wind an den Liegeplatz bewegen. So etwas können nicht einmal Hafenschlepper. Die unbeliebte, weil hässlich-schwere Ankerkette samt Anker wurde mit deutlich vorteilhafterem Gewichtsschwerpunkt weiter hinten und unter Deck versteckt. Sie wird durch eine geöffnete Pforte zu Wasser gelassen. Möglich macht das ein modifiziertes Spornrad aus dem Flugzeug, eine Idee, die selbst Bassani zunächst für zu abgefahren hielt. Der Tüftler Luca Brenta überzeugte ihn, während sie am Züricher Flughafen Kloten auf ihren Weiterflug warteten und diverse Starts und Landungen beobachteten. Was mit Flugzeugen geht, meinte Brenta, müsste sich doch auch mit Booten machen lassen. Und tatsächlich, die Kooperation mit dem oberitalienischen Flugzeughersteller Aermacchi führte 1994 zu jener Innovation, die die uralte Tradition ablöste, den Anker über Bord zu werfen: das Wally-Ankermanagement. Ganz nebenbei sorgte sie an der Côte für Gesprächsstoff, was in dieser Gegend erstens nicht einfach und zweitens ein nutzbringender Marketing-Gesichtspunkt ist. Nach einer irgendwie großen weißen Yacht mit Satcom-Schüssel und glänzender Gangway dreht sich in Monte Carlos Port Hercule, auf der Promenade von Villefranche-Sur-Mer oder am Ankerplatz den Isles des Lerins keiner mehr um. Da muss schon unübersehbar mehr anlegen – oder raffiniert wenig. Wally fällt durch Letzteres auf und durch Mut zur Farbe. Dass man eine Segelyacht im Prinzip wie ein Auto lackieren kann, nämlich al gusto, ist so nahe liegend, dass es bisher kaum gemacht wurde. Boote sind weiß, dunkelblau, vielleicht noch schwarz oder dunkelgrün. Alles andere gilt als gewagt, modisch oder daneben. Die erste und zweite Wally hatten noch die Farbe des Hubschraubers, den ihr Entwickler benutzt wie Normalsterbliche den Bus: Sie kam in dezentem British Racing Green daher, das Bassani Wallygreen nennt. Manchmal treibt er es mit der Etikettierung ein bisschen weit. Ende der Neunziger wurde es in der Wally-Welt mit der kupfer- bis karotten-metallicfarbenen Tiketitoo entschieden bunter. Die vierte 79-Fuß (24 m)-Wally Carrera verließ die Werft in Himmelblaumetallic, die neue kleine 18-Meter-Wally hat Bassani in einer changierenden, schwer zu bestimmenden Mischung spritzen lassen. Er weiß auch nicht so recht, wie er sie nennen soll, ringt sich am Ende zu Labradormetallic durch. Die Branche ist wallysiert Wo immer heute über ein modernes Boot geredet wird, kommen früher oder später die fünf Buchstaben zur Sprache. Die Yachtwelt ist längst wallysiert. Der niederländische Traditionalist und Trendscanner André Hoek versuchte sich neulich auch an einem modernen Boot, natürlich à la Wally. Als zwei Mannheimer Tüftler im vergangenen Jahr ein Zehn-Meter-Boot mit Neigekiel für den Bodensee oder das Isselmeer entwickelten, war ihnen klar, dass es „eine kleine Wally“ werden sollte. Selbst die angesehene Nautor-Werft, deren wertstabile und solide gebauten Swan-Yachten seit Jahrzehnten als Mercedes zur See gelten, unter altem Management jedoch ein wenig altbacken gerieten, werden unter Luciano Scaramuccias Leitung mittlerweile aufgeräumt, gewichtsreduziert und wally, will sagen: modern gebaut. Eine Entscheidung, die dem neuen Inhaber, Modemacher und Bassani-Landsmann Salvatore Ferragamo, in diesem Jahr sogar schwarze Zahlen bescherte. Bassani freut sich über die Trendwende und darüber, dass er an seinen revolutionären Ideen jetzt langsam auch verdient. Sechs der insgesamt 23 Wallys hat Bassani zunächst für sich selbst gebaut – und sein Konzept der reinen Bauträgerschaft inzwischen modifiziert: In eigenen Bootsbaubetrieben in Nordafrika und Italien beschäftigt Wally heute 120 Mitarbeiter. Sie werden in diesem Jahr einen Umsatz von rund 30 Millionen Euro erwirtschaften – und schafften sich ihren eigenen Markt: Große Segelyachten ab 80 Fuß (24 Meter) wurden in der Vergangenheit nur sehr selten gebaut. Heute wird die Zahl auf weltweit knapp 20 Exemplare geschätzt, damit hält Wally einen Weltmarktanteil von 40 Prozent. Doch während die Branche sich noch an seine modernen Segelboote gewöhnt, ist Bassani schon wieder einen Schritt weiter: Wallytender ist ein 14 Meter langes, 40 bis 50 Knoten schnelles Yachtbei- und Ausflugsboot mit 600 bis 800 PS. 15 Stück davon hat Wally im vergangenen Sommer bereits verkauft und unmittelbar nach dem Erfolg die nächste Innovation vom Stapel gelassen. Fast zehn Jahre nach Firmengründung präsentierte Bassani sein erstes Motorboot, die 36 Meter lange Wallypower 118, angetrieben von drei Flugzeugturbinen mit zusammen 16.800 PS, die das Schiff mit 65 Knoten (119 km/h) Spitzengeschwindigkeit übers Ligurische Meer pusten. Die Branche grinste und feixte wieder, und zunächst wollte keiner das Ding versichern. Der italienische Bootsbauer jedoch wird auch für dieses Problem eine Lösung finden. „Wally“, meint Luca Bassani, „ist eine Art, Aufgaben anzuschauen und zu lösen. Und das können andere vielleicht nach-, aber nicht vormachen.“ Mck Wissen Heft 7 zum Thema Strategie