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Eine Scheibe abschneiden

Ein Außenseiter mischt das Geschäft mit dem Dartsport auf.Sein Motto: Das Bessere ist der Feind des Guten. Text: Erdmann Braschos Der ehemalige Bauunternehmer Charles Rechberger hat Ende des Jahres 2008 jede Menge Ärger. Er gehört zu den Geschädigten der Pleite des Baukonzerns Philipp Holzmann und ist auf einer Eine-Million-Euro-Forderung sitzengeblieben. Um auf andere Gedanken zu kommen, kauft sich der aus dem Allgäu stammende Wahl-Berliner eine handelsübliche Dartscheibe. Nach ein paar Würfen sieht er sie sich genauer an und wundert sich über die schlechte Qualität des Drucks und die Abgrenzung der Spielfelder mit grobem Draht. Das kann man besser machen, denkt sich der damals 48-Jährige. In ihm keimt die Idee für ein neues unternehmerisches Abenteuer. Rechberger ist ein geselliger Mensch, der „gern um die Häuser zieht“, sich beim Gespräch eine Zigarette nach der anderen ansteckt und stets für einen flotten Spruch zu haben ist. „In den Achtzigerjahren gab es in Kempten drei Leute mit Autotelefon. Den Chefarzt des örtlichen Krankenhauses, den Bürgermeister und Rechberger“, berichtet er aus seinem früheren Leben in Saus und Braus. Als er vor vier Jahren die Pfeile auf die Dartscheibe wirft, ist das längt Vergangenheit. Doch er resigniert nicht, sondern erkundet einen für ihn neuen Markt. Weltweit werden jährlich etwa 110 Millionen Dartscheiben verkauft. Das Geschäft ist fest in angelsächsischer Hand. Traditionsreiche britische Marken versorgen die Spieler seit je mit Scheiben und Pfeilen. Die Dartboards bestehen aus Sisalfasern, die mit einem speziellen Verfahren so gebündelt und zu Scheiben gepresst sind, dass die Pfeile darin stecken bleiben. Das funktioniert bei regelmäßigem Spiel etwa ein Dreivierteljahr, dann muss eine neue Scheibe her. Rechberger gelingt es nach einigen Mühen, besten mittelafrikanischen Sisal zu bekommen. Das Material gilt als besonders gut bedruckbar. „Es ist eine Frage des Breitengrads, der Sonne und Witterung. Brasilianischer Sisal beispielsweise eignet sich aufgrund der dunkleren Färbung der Faser und der Holzeinschlüsse weniger“, so seine Erkenntnisse aus dem Dartscheiben-Selbststudium. Das nächste Problem löst der Unternehmer mit einem auf die Verarbeitung von Naturfasern zu Dämmstoffen, Matten und Vliesen spezialisierten Kollegen. Nach einigen Experimenten verwandeln die beiden das Rohmaterial in borstenartig gebündelte und gepresste Ware. Sie konstruieren auch ein Werkzeug, das etwa 45 Sisalbündel mit bis zu zehn Tonnen Druck zu einer drei Zentimeter starken Scheibe mit 46 Zentimetern Durchmesser komprimiert. Und experimentieren mit Klebern und Trocknungstechniken, dem Schliff und weiteren Methoden zur Vorbereitung der Sisaloberfläche. Nach einem halben Jahr fährt Rechberger mit den Rohlingen zu einem befreundeten Drucker in seine alte Heimat ins Allgäu. Erste Versuche, das Material digital zu bedrucken, sind ernüchternd. Die Farben sind entweder zu hell oder zu dunkel, der Druck ist oft milchig. Aber das Duo gibt nicht auf. So oft es in der Druckerei tagsüber und nach Feierabend möglich ist, probieren sie es mit immer neuen Dartscheiben. Ihnen schweben gestochen scharfe, brillante Motive vor, damit die Scheiben sich zum Beispiel als Werbeträger gut vermarkten lassen. Nach sechs Wochen Experimentieren gelingt abends um halb elf der Durchbruch. Jetzt weiß Rechberger, wie man Sisal digital bedruckt. Und dass sich im Prinzip jedes Motiv auf das anspruchsvolle Naturprodukt bringen lässt. „Das“, sagt er stolz, „kann sonst keiner.“ Der Tüftler tauft seine neue Firma Pemizza GmbH und gewinnt einen Investor für den Aufbau des einige Hunderttausend Euro teuren Maschinenparks. Der besteht unter anderem aus der Druckmaschine und einer rechnergesteuerten CNC-Fräse. Damit können in wenigen Minuten acht Dartscheiben gleichzeitig und mit unterschiedlichen Motiven bedruckt werden. Die Spielfeldabgrenzungen aus hauchdünnem 0,5-mm-Blech integriert Rechberger in seine Scheiben. „Damit ist barrierefreies Darten möglich, und es bleibt mehr Platz für die Pfeile.“ Den Nachschub hat er sich schon mal gesichert Mit den Mitarbeitern des 15-köpfigen Betriebs hat er sich neue Spiele ausgedacht, die Schutzrechte geklärt und auch den Sisal-Nachschub gesichert. Nun fühlt sich der Newcomer gut gerüstet im Wettbewerb mit den Platzhirschen der Branche, die er nach eher unerfreulichen Erfahrungen als „internationale Sisal- und Dartscheibenmafia“ bezeichnet. Derzeit präsentiert er sein Produkt vor allem bei Brauereien und Fußballvereinen. „Jeder, dem ich die Scheibe zeige, staunt, grinst, hängt sie auf und fängt an zu spielen“, sagt Rechberger, der meint: „Ich hab’ den Mercedes unter den Dartscheiben.“ Der hat allerdings auch seinen Preis: Ein Board made in Germany mit drei Plastikpfeilen kostet mindestens 59 Euro. Rechberger steckt sich noch eine an und nimmt einen tiefen Zug. Die Zeiten, in denen er um die Häuser zog, sind vorbei. Er steht jetzt früh auf, geht früh schlafen und denkt nur noch an das eine: seine Scheiben. Heft 11/2012 Thema zweite Chance

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Der Tiefstapler

Im Bootsbau geht es zu wie in der Politik. Alles schielt mit unterschiedlichem Erfolg zur Mitte. Dank großer Stückzahlen bietet der umsatzstarke Massenmarkt dem Kunden viel Schiff zum interessanten Preis. Clever ködern die Großserienwerften mit variantenreichem Kajütausbau, einem betont modernen Ambiente und neuerdings markantem Falz in Aufbauten und Heckpartie. In die Rümpfe eingelassene Panoramafenster oder pfiffig eingebaute Kaffeeautomaten überzeugen selbst die bei der Anschaffung kostspieligen Segelspielzeugs generell zurückhaltende Ehefrau. Es ist eine mörderische Konkurrenz um Marktanteile, die da alljährlich auf den Bootsmessen mit immer neuen Gadgets ausgefochten wird. Vor einigen Jahren noch gehörten Badeplattformen und Flügelkiele zum Novitätenfeuerwerk. Denn mit etwas America’s Cup Appeal verkaufen sich auch gemütliche Familienkutschen und Segelurlaubsboote Welten besser. Mit diesem speziellen Kiel, er hat ähnlich wie der Flügel eines Flugzeugs kleine Winglets am Ende, beschäftigt sich Christof Wilke mitten im Berner Oberland am Thuner See auch. Allerdings aus anderen Gründen. Zudem schiebt sein elf Mannbetrieb jährlich gerade mal zwei bis vier, statt mehrere hundert neue Boote aus der Halle. Leissigen ist eine Ortschaft mit vielen Chalets, zwei Gasthäusern, einem Supermarkt und einem Cafe am Südufer der Thuner See. Rund sechshundert Meter über dem Meer fährt man auf der Schnellstraße flott in die alpine Enge der Zentralschweiz. Die Eiger Nordwand, Jungfrau und Mönch befinden sich um die Ecke. Ab und zu rauscht die Bahn auf der Strecke Spiez – Interlaken den See entlang. Wer einen mit mancher Finesse ausgefuchsten Neubau in der kompetitiven Dreimannkielboot-Konstruktionsklasse der 5.5er für sein Seglerglück braucht, ein Starboot, eine Finn-Jolle oder einfach nur einen auf das persönliche Gewicht, eigene Kondition und Segelstil maßgeschneiderten Jollenmast aus Karbon, der schaut früher oder später mal in Leissigen bei „Ch. Wilke Swiss Marine Composites“ rein. Im Neonlicht der Halle, die auch eine Bauschreinerei beherbergen könnte, steht ein glänzend lackierter „Fünfeinhalber“ Neubau neben einem Starboot, über das drei schweizerdeutsch redende Eidgenossen gebeugt sind. Nach einer Weile löst sich ein dunkelhaariger, sportlich schlanker Endvierziger im Sweatshirt aus der Gruppe. Wilke ist einer aus der Abteilung ernst und still, dabei von jener schweizerischen Freundlichkeit, die sich als schwer zu knackende Firewall erweist. Es braucht die gefühlte Ewigkeit etwa einer Stunde, bis sich das zähe Frage- und Antwortspiel zu einer Art Gespräch verflüssigt. Wilke erinnert an den prototypischen Radio- und Fernsehtechniker, der lieber über eine kniffelige Schaltung grübelt, als die kostbare Zeit mit Geplänkel und banalen Auskünften über sein Metier zu vertrödeln. Erst im technischen Detail wird Wilke mitteilsam. Sachlich informiert er aus einer exotisch anmutenden Welt abgefahrener Kleinstserien-Präzision. In dieser Wilke-Welt wird mittlerweile mit aufwändigen Kohlefaser- und Aluminiumformen die strömungstechnisch und seitens der Bauvorschriften geforderte Maßhaltigkeit bis zum Bereich der thermischen Verformung ausgereizt. Als der studierte Schiffbauingenieur und gelernte Bootsbauer Ende der 80er Jahre für einen Segelfreund und sich zwei 9 ½ Meter lange Boote aus Karbonfaser und arg adhäsivem Elefantenkleber (Epoxid) über einem Schaumkern zu einem gleichermaßen leichten wie ansehnlich sauber verarbeiteten Binnenrenner bauen möchte, hat Wilke Mühe, das damals in der Schweiz als militärisch relevant eingestufte Karbon überhaupt für seine eindeutig zivilen Zwecke zu bekommen. Auszug aus Süddeutsche Zeitung, Mobiles Leben, 6. Juni 2011

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Darf es etwas kleiner sein?

In Zeiten, wo Geld und Freizeit eher ab- als zunehmen, ist auch beim Segelspielzeug das Downsizing keine verkehrte Sache. Die Amerikanerin Elizabeth Ernst Meyer, bekannt durch ihren 40 Meter Schlitten „Endeavour“, macht es vor. Sie ist seit einigen Jahren mit der nicht mal halb so langen „Seminole“ glücklich. Die Cowes Week ist ein Härtetest für Mensch und Material. Tagsüber wird im Solent und rings um die Isle of Wight ernsthaft gesegelt. Das mit tückischen Sandbänken gespickte und von stündlich wechselnden Strömungen in sämtliche Richtungen durchspülte Gewässer ist nichts für Anfänger. Danach wird gesoffen. Teils zur Bewältigung der Bojenscharmützel, der semilegalen Interpretation von Vorfahrtsregeln, der kleinen Nötigungen beim Start, der gelungen vergeigten Manöver. Teils, weil Segler und Engländer, segelnde Engländer ganz besonders, geübte Saufnasen sind, die ungern in Trainingsrückstand geraten. Dieser zweite Teil ist übrigens auch nichts für Anfänger. Übel ist es, nach solchem Tages- und Nachtprogramm morgens mit einem entsetzlichen Schädel in der Red Funnel Fähre von Southampton nach Cowes zu sitzen und das Gequassel einer hyperaktiven wie mitteilungsfreudigen Amerikanerin zu ertragen. Sie hat anscheinend keinen Schluck getrunken, den Tag mit einer Scheibe Ananas begonnen und statt Kaffee eine Runde Tennis gespielt. „What kind of boat are you sailing“ und so weiter. Nach einer Weile tut ihr einer der Passagiere den Gefallen, in die Konversation einzusteigen. Wie sie denn nun segle, möchte ein genervter Seebär wissen. „Not quite ready, I am restoring Endeavour“. Diese J-Klasse, die seit Jahren in der stillgelegen Wasserflugzeugwerft von Calshot Spit herumstehe. „Tommy Sopwiths boat.“ Die Rede ist von diesem Eisenross, an deren Wiederherstellung sich schon mancher Phantast versucht hat. So schaffte es das Wrack im Lauf der vergangenen Jahrzehnte aus dem Schlammbett des Hamble durch den Modder des Medina River auf den Bootsschrottplatz von Calshot. Pause. Nur das sonore Brummen der Fähre ist zu hören. Mehrere benebelte Köpfe drehen sich um, recken sich über die Lehnen, wollen das Gesicht zu dieser Stimme, dieser größenwahnsinnigen Behauptung sehen. Damals, Mitte der 80er Jahre, sind so genannte Maxi Rennyachten, eine Bootskategorie um die 25 Meter, das Ultimo. Es ist die Kampfklasse des Salzburger Dirigenten Herbert von Karajan oder des New Yorker Reeders George Coumantaros, die mit „Helisara“ oder „Boomerang“ das große Rad drehen. Außerdem sind große Yachten Männersache. Der Rest ist eine meist falsch kolportierte, Mythen umrankte Geschichte. Elizabeth Ernst Meyer, die den teilweise sanierten Stahlrumpf 1984 günstig gekauft hatte, scheitert ebenfalls an der Herkulesaufgabe. Nach einem Nervenzusammenbruch begreift Meyer, dass sie es als Bauleiterin nicht in Eigenregie schafft. Die 33-jährige schreibt die Verwandlung des rostroten Problems in eine Luxuscharteryacht bei angesehenen nordeuropäischen Werften aus. 1989 schiebt die holländische Royal Huisman Werft nach zweijähriger Arbeit ein mittel- bis dunkelblaues Grandhotel vor die Halle und takelt es mit einem 50 Meter Mast auf. Hinter dem Interieur aus Kirsche und Oregon Pine sind ein begehbarer Kühlraum, Klimaanlage, Motor, Stromerzeuger, Tanks und Seewasserentsalzungsanlagen im torpedoförmigen Rumpf versteckt. Ein Kamin und das Artefakt des „Ranger“ Spiegels (der letzten amerikanischen J-Class) schmücken den Salon. Etwa so großartig wie das Schiff ist die Tatsache, dass es überhaupt in Holland fertig wurde. Denn zwischen Werftchef Wolter Huisman und der selbstbewussten Segelamazone hatte es geknirscht. Elisabeth Meyer ertrug die vom erfahrenen Metallbootsbauer dekretierten Grundsätze und den Gestank des kettenrauchenden Patriarchen während endloser Besprechungen, in denen der Segelsaurier von Anno 1934 neu erfunden wurde, schwer. Für den Patriarchen Huisman war das forsche Auftreten der Kundin, die fast seine Tochter hätte sein können, eine andere Herausforderung. Zwei starke Charaktere rieben aneinander. Es gab Momente, wo für Meyer einfach Feierabend war, sie das halbfertige Schiff aus der Halle nehmen und gehen wollte. So einen Schlitten vom Schrottplatz, aus dem Sepia der Geschichte zu holen, vergrößert das jeweilige Ego in schwer beherrschbare Größenordnungen. Doch Meyer und Huisman rissen sich zusammen. Zehn Jahre hatte die Powerfrau mit dem amerikanischen Faible für saalfüllende Statements und das seglerische Großformat eine Menge Spaß. Sie legte zu gediegenen Privatkreuzfahrten im Mittelmeer und der Karibik ab, pflügte durch den Atlantik, veranstaltete vor Newport ein Matchrace mit der mittlerweile ebenfalls von ihr bereederten „Shamrock V“, Sir Thomas Liptons letzter Amerika Pokal Herausfordereryacht von 1930. Sie steuerte nördliche Gewässer mit kalbenden Gletschern an. Die waffenscheinpflichtigen Proportionen des niedrig im Wasser liegenden Segelgeschosses mit dem endlos langen Mast, die segeltechnische Finesse, die abgefahrene maritime Welt aus Teakplanken, hochglanzpolierten Beschlägen und das Finish der mittelblauen Deckskante ließen keinen Segler kalt. Frau Meyer hatte aber auch einen gepfefferten Segeletat am Hals. Das Budget zum Betrieb des Schiffes bei durchschnittlich 30 Tausend Seemeilen lag damals bei einer Million Dollar im Jahr. Entgegen dem Klatsch ist sie weder Erbin der „Washington Post“, noch verfügt sie über sprudelnde Geldquellen der Jeansmarke „Levis Strauss.“ Es war ihr aber von 1977 bis ’83 gelungen, die 125 Tausend Dollar Erbschaft ihrer Eltern mit Immobiliengeschäften auf Martha‘s Vineyard, dem Sylt der Amerikaner, in 10 Millionen zu verwandeln, den Bootsbauetat für „Endeavour“, was keine schlechte Performance für eine Anglistin und übrigens auch brillante Journalistin ist. „Ich schlief schlecht“ erinnert Meyer die neunziger Jahre. Im Herbst ’99 verkauft Meyer ihre endeavourblaue „Darling Jade“ mit 150 Tausend Meilen unter dem Kiel für 15 Millionen Dollar an Dennis Kozlowski, den damaligen Geschäftsführer der Tyco International Ltd. Der Mischkonzern gilt damals als rasch wachsendes blue chip Unternehmen und Kozlowski shoppt auch privat im großen Stil. „Endeavour“ war eine Weile auf dem Markt, bis Meyer ihre selbstbewusste Preisvorstellung erzielte. Anstelle des Originals des Ranger Heckspiegels bekam Koslowski allerdings eine Kopie in den Salon gehangen. Von der Bürde des Bootsbetriebs befreit, konzentriert sich Meyer nun voll auf ihr Baby, die Bootsbauerschule „International Yacht Restoration School“ mitten in Newport. In den Staaten, wo es keine wie in Deutschland übliche Bootsbauerausbildung gibt und die Branche händeringend kompetenten Nachwuchs sucht, ist das eine verdienstvolle Sache. Während eines Besuchs vor einigen Jahren führte Meyer mit mütterlich warmer Stimme durch den zur Instandsetzung bereitstehenden Bootspark, wie die Leiterin eines Tierheims. Die IYRS wird ständig auf morsches Gebälk aufmerksam gemacht, unter anderem auf „Seminole“, einen gaffelgetakelten, herrlich anachronistischen Zweimaster von 1916. Meyer kauft das Boot anhand von Bildern und der Empfehlung eines Freundes für einen Dollar. 2003 bis 05 wird es von einer Werft in Maine mit kleinen Zugeständnissen an heutige Komfortbedürfnisse (Pantry mit 2004 zieht sich Meyer aus gesundheitlichen Gründen von der IYRS zurück. „Ich bin ausgebrannt“ begründet sie damals ihren Schritt. Die Bootsbauerschule kooperiert seit ‘07 mit dem Museum of Yachting und hat ihr Ausbildungsprogramm um moderne, zeitgemäßen Bedürfnissen der Branche angepasste Inhalte erweitert. Zeit für etwas Neues, für „Seminole“ und Zweisamkeit auf dem Wasser. Im Mai 05 zerren Meyer und ihr Mann, der Bootsbauer Michael McCaffrey erstmals die Gaffeln am Groß- und Besanmast ihrer liebevoll wiederhergestellten Segelantiquität hoch. „Ich mochte Seminole augenblicklich. Sie war mit dem vorn abgerundeten Deckshaus eigentlich schon 1916 retro. So wurden Fahrtenboote im 19. Jahrhundert gebaut. Aber ich hatte die Sorge, dass sie segelt wie ein Heustadel“ berichtet Meyer. „Natürlich geht Seminole nicht an der Wind wie „Endeavour“, doch welches Boot kann das schon? Mit ihrer universellen 167 qm Besegelung macht sie bereits bei leichtem Wind Fahrt und dank ihres formstabil breiten Rumpfes trägt sie alles bis Sechs Windstärken.“ Es ging nordwärts in das kernige Gewässer der Kanadischen Bay of Fundy, zu den Bahamas, die Westküste Floridas entlang, zu den Everglades, zur Baja California und in das Fjordland von Alaska. Elizabeth Meyer schwärmt für „Seminole“, wie schon für „Matinicus“ und „Endeavour“. „Wissen sie, was das Beste ist? Wir können zu zweit statt zu acht damit ablegen. Sie verdängt ganze 15 statt 166 Tonnen und mit 1,45 statt 4,50 Metern Tiefgang gibt es nachmittags, wenn wir uns über einen Liegeplatz für die Nacht Gedanken machen, herrlich viele Möglichkeiten.“ Tja, das Leben kann schön einfach sein, wenn man sich nicht zuviel Schiff ans Bein bindet. Zu dieser Erkenntnis gelangt, wenn man eine Weile das süchtig machende Vergnügen mit „Endeavour“ hatte und die Bürde, die Rechnungen zu bezahlen. Es ist orientierend, mal jemand kennen zulernen, der das in der ganzen Bandbreite durchgemacht und letztlich sogar die Kurve gekriegt hat: Von der Dollardruckmaschine auf Martha’s Vineyard bis zum Verkauf.

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Eine ernsthafte Sommerträumerei

Der Habsburger Prinz Ludwig Salvator entflieht den Zwängen der Donaumonarchie aufs Mittelmeer. Rastlos reist er, forscht und schreibt und malt – bis er auf Mallorca endlich sein Paradies findet. „Wenn man von Kuxhafen, wo die mächtig erweiterte Elbe schon meerähnlich erscheint, eine Strecke gegen Norden hinausfährt, so dauert es nicht lange, dass man am fernen Horizont allmählich eine dunkle, noch in märchenhaftem Dunst gehüllte Klippe aus den Wogen aufsteigen sieht.“ 1865 verbringt der 18-jährige Ludwig Salvator Maria Josef Johann Baptist Dominik Rainer Ferdinand Karl Zenobius Anton einen Sommermonat auf Helgoland. Der zweitgeborene Toskanerprinz des Hauses Habsburg-Lothringen reist unter dem Pseudonym Graf von Neudorf. Er beschäftigt sich, „jeden Winkel des kleinen Felseneilandes eifrig durchkriechend“, mit Unterkünften und Lebensweise der Einheimischen, schaut sich die Gestelle zum Trocknen des Fangs und die Herstellung von Fischtran an. Salvator begleitet die Helgoländer auf Haifisch-, Hummer- oder Krebsfang und „genießt jene träumerische Stille und jenes melodische Gefühl innerer Ruhe, das man nur am Meere empfindet“. Der sensible junge Mann mit den weichen Gesichtszügen hat sein Thema gefunden, das Glück einfachen insularen Lebens. „Man mag wollen oder nicht, man begegnet sich so immer wieder, dass man wie auf einem Schiff schon nach wenigen Tagen jeden einzelnen kennt. Aber gerade dieser Umstand macht mir Inseln und insbesondere kleine so überaus lieb, denn man fühlt sich dort gleich wie zu Hause.“ 1868 veröffentlicht er unter dem Titel „Süden und Norden“ eine vergleichende Betrachtung ausgerechnet Valencias mit Helgoland. Es braucht einen gelassen-arbiträren Blick auf die Welt, um eine arabisch geprägte Metropole im Westen Spaniens, wo Mandarinen reifen, dem Nordsee-Eiland gegenüberzustellen, wo bei ruhiger Wetterlage mit klammen Fingern Dorsch und Scholle ins Boot gehoben werden. Touristik ist Mitte des 19. Jahrhunderts ein Privileg. Reisen geben dem höfischen Leben als exklusive Abwechslung eine weltmännische Note. Man verreist und plaudert zu Hause darüber. So sind die Ausflüge des jungen Habsburgers als Kuraufenthalt des Asthmatikers, Sommerfrische und nobler Zeitvertreib gedacht. Doch nimmt Salvator seine Reisen weniger als Pläsier: Er nimmt sie ernst. Daheim in Prag lernt er „Geist und Formen der Administration des großen Kronlandes“ kennen. Doch reizen ihn der Spaziergang durch die in frischer Seeluft wogenden Gräser Helgolands und die Vertiefung eigener Gedanken eher als „die krausen Pfade bureaukratischer Geschäftsordnungen“. Das Ergebnis des Deutschen Krieges zwischen Preußen und Österreich erledigt 1866 die Frage der verwaltenden Tätigkeit im geschrumpften Kronland eh. Seit der entscheidenden Schlacht von Königgrätz gibt es für die vielen Habsburger kaum noch Arbeit. So widmet er sich dem amphibischen Leben am und auf dem Meer: „Wer kennt nicht den Zauber des Meeres, wer hat nicht die Macht seiner Anziehung gespürt, ewig verschieden in Bewegung, in Färbung und Stimmung! Und wer aus dem Becher dieser Wonne getrunken hat, der kann sich davon nicht trennen, und diese Liebe nimmt, wie jeder edlere Trieb, mit jedem Jahre zu, statt mit den Jahren zu schwinden.“ Bereits 1859 wurde die kinderreiche Familie des Großherzogs Leopold II. und Maria Antonia aus dem Palazzo Pitti in Florenz vertrieben. Das Großherzogtum Toskana wird italienisch. Kein Spiel mehr in den Boboli-Gärten, kein Blick auf die glitzernden Wogen des ligurischen Meeres, „die blaue Ferne der Kinderjahre“ scheint zu Ende. Es geht nach Böhmen, wo sich Salvators Vater den lieben langen Tag mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigt. Die gottesfürchtige Mutter näht für einen guten Zweck, die Kirche. Die standesgemäße Verbindung mit Erzherzogin Mathilde könnte das junge Leben Salvators in ehelich domestizierte Bahnen lenken. Jedoch raucht das „moderne, etwas freier als damals üblich denkende Fräulein“ heimlich. Eine aus gebotenem Anlass im Kleid versteckte Zigarette lässt es in Flammen aufgehen. Die Erzherzogin  erliegt den Brandverletzungen. Formal bleibt Salvator Junggeselle, tatsächlich lebt er damals schon selbstbestimmt und frei wie ein Europäer des späten 20. Jahrhunderts. Der Mann mit dem großen, weichen Herz hat manche ehrlich gelebte Beziehung. Salvator entscheidet sich gegen die geistige Enge des höfischen Lebens und für die weite Welt, wo sie am schönsten ist, das Meer. Statt sein Leben an eine Militärlaufbahn mit Galadiners zwischen Gobelins und Kronleuchtern in blasierter k.u.k. Gesellschaft zu verschwenden, setzt er sich ab. Lieber rudert er andächtig um die griechische Insel Zakynthos und genießt das friedliche Naturschauspiel. „Man muss sie mit einem Boot umfahren, die Wildtauben aus ihren schattigen Winkeln und Höhlen wegfliegen sehen“, schwärmt der Stimmungsmensch später in seiner Inselmonografie „Zante“. Reisen, gucken, das Erlebte in eigenen Skizzen und Worten festhalten wird seine Passion. So entstehen mehr als 80, meist anonym in kleiner Auflage erschienene bibliophile Kostbarkeiten über strategisch und wirtschaftlich meist unbedeutende Inseln von Alboran bis Zypern. Überwiegend im Selbstverlag als Geschenke für Freunde, Gönner und wissenschaftliche Institute erschienen, werden sie heute von Kennern hoch gehandelt. Auszug Heft 48, Februar/März 2005