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Keine halben Sachen

Wie ein schwimmender Klassiker und sein originaler Transporter aus prominentem Vorbesitz zu neuem Leben fanden. Von Erdmann Braschos Jungs gleich welcher Größe brauchen Spielzeug. Das ist ebenso bekannt, wie der Zusammenhang zwischen den Spielzeugerwerbs- nebst Betriebskosten und der Spielzeuggröße in Relation zum Alter schon beschrieben wurde. Jeder, der aus 1:87, dem Maßstab des Wiking-Modells, herausgewachsen ist und mit deutlich überschrittener Adoleszenz das Spiel in 1:1 fortsetzen möchte, kennt die blöden Limits der sogenannten Realität. Diese will der Spielende ja gerade hinter sich lassen. Weithin übersehen ist die Tatsache, dass das Spiel gleich welchen Maßstabs keine halben Sachen duldet. Nur das authentische, detailgetreue und zueinander passende 60er Jahre Ensemble, bestehend aus einem Magirus Deutz Rundhauber, und zwar dem mit luftgekühlter Sechszylinder Maschine, dazu passendem Kässbohrer Sattelauflieger und apartem Mahagoniboot huckepack lässt das große Kind in beinahe vergessener Glückseligkeit versinken. Also, der Laster sollte zum Boot passen. Alles andere, liebloses, schlecht gemachtes oder nicht stimmiges Spielzeug etwa, trübt die Stimmung. Der Berliner Verleger Konrad Börries ist da auf einem guten Weg. Er fährt mit diesem auf Originalgröße vergrößerten Matchbox Set gerade in den überwiegend sonnigen Südwesten. Im Sommer ist es am Bodensee etwa eine Welt angenehmer als mitten in Berlin zu schwitzen. Man kann mal in das herrlich klare und erfrischend kühle Wasser des Schwabenmeeres springen. Noch schöner ist es, mit den beiden durchzugsstarken Chris Craft Achtzylindern aus Frank Sinatras Zeiten über den Lago zu röhren. Das geht zwar auf Berliner Gewässern im Prinzip auch. Aber nur, wenn die Wasserschutzpolizei gerade Fußball statt mit dem Fernglas aufs Wasser guckt. Einzig auf penibel definierten Wasserskistrecken dürfen die elfenbeinfarbenen Knäufe der beiden Gashebel mal durchgedrückt werden. Außerdem macht Motorbootfahren in der Edelholzklasse – Sipo Mahagoni mit dünnen, in Fahrtrichtung verlegten, Intarsien-gleich eingelassenen honigfarbenen Kotostreifen – mit Gleichgesinnten mehr Spaß. Dazu gibt es eine Art geheimbündlerischer Zusammenkünfte der Tropenholz-Bootsfetischisten, beispielsweise die Riva Classics. Sie finden von Donnerstag bis Sonntag, den 1. Juli am Nordufer des Bodensees bei Ultramarin in Kressbronn-Gohren statt. Dieser Hafen mit trendigem Namen wird von allen, die entweder kein Boot oder – noch schlimmer – dort keinen Liegeplatz haben, geringschätzig „Baggerloch“ genannt. Beim größten Bodenseehafen handelt es sich um eine zum Bootsresort mit assoziiertem Hotel nebst Gastronomie veredelte Kiesgrube mit Seeanschluss. Börries sind solche Rubrizierungen ziemlich gleich. Hauptsache, das Ensemble schafft es bis zum See. Dort wird die zweimotorige Last Edition der Tritone, wie sie Peter Tamm 1966 als rechte Hand des Verlegers Axel Cäsar Springer bestellte, ins Hafenbecken gehoben und mit dem durchdringenden Grollen der beiden Maschinen akustisch das Revier markiert. Dem Anfänger und Ignoranten, der die lombardische Edelholzklasse womöglich nicht kennen sollte, sei an dieser Stelle diskret zugeflüstert, dass eine Riva die Sophia Loren unter den Motorbooten ist. Etwas in die Jahre gekommen vielleicht, aber nach wie vor unvergleichlich. Dieses Geschöpf hat mit anderen, modernen, pflegeleichten Vollplastikerzeugnissen und etwaigen Imitationsversuchen gemeinsam, das die auch schwimmen, laut sind, man sich damit ohne weiteres ein Knöllchen einfahren kann und regelmäßig die Tankstelle aufsuchen sollte. Erfreulich ist, dass sich Börries dem Spiel und seinem Ensemble mit gebotener Hingabe widmen kann. Seine Inanspruchnahme vom Berufsleben liegt seit dem Verkauf der Zweite Hand Annoncenblätter schon erfreulich achteraus. Entsprechend wurden Gebrauch und Pflege des Bootes zum Laster in den vergangenen Jahren kultiviert. Da macht es nichts, wenn die Fahrt dauert, weil dem alten Magirus 7DL auf langen Steigungen, wie es sie unterwegs zum Bodensee nun mal gibt, langsam aber sicher die Puste ausgeht. Die Zugmaschine des ehemaligen Lasters der Deutschen Bundespost zerrt die knapp drei Tonnen Mahagoni, silbern funkelnden Beschläge, die leuchtend blauen Chris Crafts, die türkisen Polster, das Kabriolet-Verdeck und die nachtschwarzen VDO Instrumente schließlich mit 40 Stundenkilometern über die Kuppe. Auf gerader Strecke beschleunigt der von Ende der fünfziger Jahre bis ‘67 in Ulm gebaute Sechszylinder in 7 ½ Minuten auf 80 Stundenkilometer. Macht nichts, flott fahren können heute ja viele. Dafür ist alles schön vintage und stimmig. Das Boot zum Laster, Axel Springers „Raimond“, galt lange als verschwunden, was in der Szene der Riva-Fetischisten, die über jedes Exemplar praktisch alles weiß oder mit detektivischer Besessenheit heraus findet, fast unmöglich ist. Es wurde 1998 auf dem alten Magirus bei einem Bootshändler in Rhumspringe im Harz entdeckt. Dort stand es als unverkäufliches „Holz-Schätzchen“ in einer ehemaligen Wasserstoffsuperoxid Fabrik aus dem zweiten Weltkrieg zwischen amerikanischer Importware aus ziemlich buntem Kunststoff und Weinrotmetallic-farbigen Zierstreifen. Man kennt dieses Dekor vom Autoscooter auf dem Jahrmarkt. Die Nautiquität war ein Gruß des mediterran gestimmten Jet Sets in die niedersächsische Provinz. Das Ansichtsexemplar trug die Initialen des „Motor Yacht Club Hitzacker“ auf dem Heck und hieß wie diese seltsame, längst ausgestorbene Vogelart „Dodo“. Das letzte Exemplar der legendären zweimotorigen Tritone Serie, wie sie Carlo Riva von 1950 bis 1966 in 258 Exemplaren zur Rauhwasser-tauglichen Fahrt mit V-förmigem Bug, kernigem Antrieb und in wegweisender, aus dem Flugzeugbau adaptierten Holzbauweise perfektioniert hatte, war gut getarnt. Günstige Umstände ließen das Boot als Botschafterin und Messe-Exponat des Zweite Hand Verlages nach Berlin gelangen. Dort ergriff die Riva langsam aber sicher, wie hübsche Holzboote mit Herkunft und Klasse das halt so machen, vom zunächst reservierten Kaufmann Börries Besitz. Der baldigen Umbenennung in „Hermes“,  einer ersten Instandsetzung und mancher Reise auf dem alten Magirus Deutz folgte vergangenes Jahr eine aufwändige Restaurierung durch den Hamburger Riva-Spezialisten Jürgen Renken. Dieser Bootsrestaurator mag die Marke und adäquates Handwerk so sehr und halbe Sachen so wenig, dass er sich selbst samstags und an Feiertagen über manches Liebhaberstück beugt, wie es einst in der legendären Werft in Sarnico am norditalienischen Iseosee für hoch- und vermögende Kundschaft entstand. Begleitet wurde die insgesamt 18-monatige Instandsetzung von der Fotografin Nicole Werner für den soeben erschienenen Band „T 258“. Das drei Kilo schwere 224 Seiten Werk ist das Buch zum Boot und Laster und für 198 Euro zwar nicht gerade geschenkt. Es ist aber bereits günstiger, als eine dreistündige Fahrt mit dem zweistrahligen Gleiter, der bei zahmen 25 Knoten Reisetempo eine Drittel Tankfüllung Superbenzin durchlässt. Übrigens lässt sich das 60er-Jahre Ensemble anlässlich der „Riva Classics“ bei Ultramarin umsonst besichtigen. Das exquisite Finish des raffiniert gewölbten, mit skulpturaler Eleganz zu einem Bootskörper zusammengefügten Mahagonis ist etwas für stille Genießer. Börries kann es nach der aufwändigen Wiederherstellung in den Originalzustand von Anno ’66 und der langen Reise kaum erwarten, die „Hermes“ endlich wieder zu fahren. Wenn sich der erste Achtzylinder mit anarchischer Rotzigkeit unter dem Konzertflügelfinish der Motorraumdeckel meldet, glaubt der arglose Zuschauer zunächst nicht richtig zu hören. Nach einer Schrecksekunde meldet sich der zweite Krachmacher mit den nächsten 4,6 Litern Hubraum. Der 53-Jährige mag diese „fuel to sound conversion“ und meint, dass bereits dieser archaische Hörgenuss es verbietet, die Motoren auf eine zweckmäßig thermostatgesteuerte, technisch bessere Zweikreiskühlung umzurüsten. Auch die ersten Takte müssen richtig, so wie früher klingen. Damals, als der Springersche Haushalt auf der Wannsee Insel Schwanenwerder zu vorgerückter Stunde nicht auf ordinäre Bedürfnisse wie etwas Deftiges aus der Fritteuse vorbereitet war, ließ Peter Tamm genau diese Motoren an. Dann brüllte der Vertraute und angehende Geschäftsführer des Verlegers mit der „Raimond“ zum Pommes holen zu einem Imbiß an der Heerstraßenbrücke. Später am Abend mal mit einer Riva über den Wannsee holzen war für die Luxusinsulaner halt der direkte Weg. Sonst wäre das Essen kalt geworden. Ganz legal und am Wochenende mit der Zweimotorigen vor einer Schneise weißer Gischt im Tiefflug über den Bodensee bis Konstanz oder rüber nach Bregenz reiten und gucken, ob die 41 Knoten (76 km/h) noch drin sind ist eine schöne Abwechslung zur langsamen Anreise im Magirus. Dazu das Wahnsinnsgebrüll der beiden jetzt ganz zur Sache gehenden Achtzylinder und die bewundernden Blicke der träge auf dem spiegelglatten Gewässer dümpelnden Segler im Rücken. Sämtliche lästigen, das Spiel in 1:1 störenden Gesichtspunkte bleiben natürlich an Land und so irreal fern wie der über dem Appenzeller Land thronende Fels des Säntis. Das Spiel gleich welchen Maßstabs duldet keine halben Sachen.

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Boatsharing

Teilen statt besitzen: Dinge gemeinsam zu nutzen ist sinnvoll, günstig und inzwischen auch ziemlich schick. Jetzt gibt es auch eine Boatsharing-Börse. Doch die wird von Statussymbol-Seglern noch argwöhnisch beäugt. Von Erdmann Braschos Bei Autos heißt es Carsharing, bei Wohnungen Zwischenmiete, bei Sofas Couchsurfing – all diese Spielarten des Teilens haben denselben Hintergrund: Der eine hat etwas, was er gerade nicht braucht. Und der andere braucht etwas, was er nicht selbst haben will. Ein Auto, um ein Sofa zu transportieren. Eine Wohnung für ein kurzes Praktikum in einer anderen Stadt. Eine günstige Gelegenheit zum Übernachten Diese Möglichkeit, durch Teilbörsen Geld und sonstigen Verwaltungs- oder Wartungsaufwand zu sparen und dennoch mobil zu sein, gibt es jetzt auch für Segelboote. Denn Segeln ist ein schönes und leider teures wie zeitintensives Hobby. Zu den Anschaffungskosten kommen Liegeplatz, Versicherung und Instandhaltung. Pflege, Ein- und Auswintern, Arbeitsdienste im Segelverein binden Zeit. Ein beträchtlicher Aufwand, vor allem im Verhältnis zu den auf dem Wasser genossenen Stunden. Als Alternative zum Kauf ab und zu eine Jolle zu mieten oder eine Yacht in einem windsicheren Revier zu chartern, ist oft aufgrund des schlechten Zustands der Mietboote ernüchternd, und Charter-Yachten in der Ferienzeit sind teuer und haben manchmal den Charme einer Billigherberge. Zugleich dümpeln unzählige gepflegte Boote in privater Hand den größten Teil der Saison ungenutzt an ihrem Liegeplatz. Segeln und segeln lassen Die Hamburger Studenten Peter Sorowka und Marius Schmeding haben eine Antwort auf dieses Dilemma. Sie bringen Angebot und Nachfrage mit einem neuen Konzept zusammen. „Bootschaft“ haben sie ihr Projekt genannt, dessen Claim „segeln und segeln lassen“ lautet. Sorowka ist 26, Elektroingenieur; er schreibt gerade seine Doktorarbeit zum Thema zivile Radarsignalverarbeitung an der TU-Harburg. Sein Kompagnon Marius Schmeding studiert Elektrotechnik. Vor zwei Jahren kam Schmeding durch eine Erbschaft in den Besitz einer Jolle, die er gern behalten wollte. Ihm fehlte aber absehbar die Zeit zu einer mehr als sporadischen Nutzung, und zweitens war ihm der Betrieb der Jolle zu teuer. Also machten die beiden aus der Not eine Tugend und aus der Erb- ihre Bootschaft: das Boatsharing-Portal. Im Herbst und Winter 2010 konzipierten sie die Hardware nebst Website. Im Frühjahr montierten sie ein kleines Kästchen zur GPS-gestützten Kursüberwachung in ihrem betagten Mahagoni-Zugvogel. Eine etwa DIN-A5-große Solarzelle am Heck versorgt jetzt eine Motorradbatterie mit dem erforderlichen Strom. Über die Homepage kann das Boot gebucht und der Kurs vom Ablegen bis zur Rückkehr an den Liegeplatz nachvollzogen und die Bezahlung der Segelstunden abgewickelt werden. Interessenten registrieren sich zunächst kostenlos. Wer ein Boot mieten möchte, bekommt beim ersten Mal eine Einweisung, hinterlegt eine Kaution, eine Kopie des Personalausweises und des Segelscheins. Soweit ähnelt der Einstieg bei Bootschaft der üblichen Miete beim Bootsverleih. Im vergangenen Jahr ging es mit 30 registrierten Seglern los. Der Zugvogel wurde auf Hamburgs Stadtsee, der Außenalster, zwanzig mal gemietet. Dieses Jahr war die Geronimo auf der Alster bereits mehr als hundert bezahlte Stunden unterwegs – und mit mehr als 2000 Euro Mieteinnahmen wurden die Betriebskosten der Jolle damit mehr als gedeckt. Das Boatsharing-Konzept der beiden Studenten scheint aufzugehen. Die Flotte wurde daraufhin prompt erweitert: Um ein Exemplar des noblen Dreimann-Kielboots Drachen. „Wir leben heute in einer Zeit, in der man Dinge nicht mehr unbedingt haben muss, um sie zu benutzen“ meint Sorowka in Bezug auf Fahrradvermietungskonzepte, Carsharing oder die Vermietung der eigenen Wände an wildfremde Besucher. Bei den meisten Konzepten muss man nur einmalig die Anmeldeprozedur hinter sich bringen und muss an Ort und Stelle mit einem Smartphone umgehen können – das ist alles. Segelvereine boykottieren das Konzept So pfiffig die wegweisende Idee und so clever die Technik gelöst ist – die eine oder andere Hürde müssen die Bootschafter noch nehmen. Erstens bricht das Konzept mit der herkömmlichen Vorstellung von Besitz nach dem bekannten Motto: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Ähnlich wie das Auto dient der Wassersport manchen Menschen nach wie vor zur sozialen Distinktion. Luxus möchte man herzeigen, nicht teilen. Folglich werden viele Bootseigner ihr Boot lieber wie gehabt am Liegeplatz dümpeln lassen, als es zu verleihen. Zweitens blockieren Segelvereine, die sich als traditionsverbundene, gegenüber Nichtmitgliedern abgeschottete Zirkel sehen, das Konzept geradezu. Deren Sorge: Da könnte ja jeder ohne Aufnahmeantrag, Bürgen, Aufnahmegebühr, Vereinsbeiträge, Probezeit, Arbeitsdienst und die vereinsüblichen Fraternisierungen durchs Clubgatter kommen und einfach segeln gehen. Diese Erfahrung macht Bootschaft gerade mit dem Fruchtzwerg einem Drachen, der im Hamburger Segel Club liegt. Drittens setzt es einen pfleglichen Umgang mit dem geliehenen Boot voraus und darauf, das Schäden gemeldet werden. „Unsere Kunden haben uns während der vergangenen Segelsaison fünf Sachen zum Zugvogel mitgeteilt. Es waren alles Petitessen wie ein verlorener Schäkel oder Splint, ein gebrochenes Paddel und Lackschäden“ berichtet Sorowka. „Das sind alles Kleinigkeiten, die zur laufenden Instandhaltung gehören und entweder mit einem Griff in die Schraubenkiste daheim, mit dem Kauf eines neuen Paddels, oder den Winter über im Rahmen der üblichen Arbeiten behoben werden.“ Aus den 30 registrierten Mitgliedern in 2011 sind dieses Jahr zweihundert geworden. Dreißig davon segeln regelmäßig. Bootschaft bietet mittlerweile neun Boote von Kiel über Hamburg und Roermond/Holland bis nach Friedrichshafen am Bodensee an. Die Segelstunde kostet von zehn Euro an aufwärts. Das ist spottbillig und lohnt sich für Wiederholungstäter wie Bootseigner. Der Aufwand hält sich für den Bootseigner mit etwa 300 Euro für den GPS Tracker, Batterie und Solarzelle in Grenzen. Zur Segelsaison 2013 stehen eine Jolle auf der Müritz, Jollenkreuzer in Berlin und Kajütboote auf der Ostsee zur Verfügung. Und natürlich suchen die beiden Studenten ständig nach weiteren Bootseignern, die ihre Jolle oder Yacht ab und an nicht nur selbst segeln, sondern auch segeln lassen wollen.

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Unter Drachenseglern

Der Drachen ist ganz und gar von gestern. Das macht ihn heute so begehrt. Es gibt schnellere und praktischere Boote, kaum jedoch ein schöneres. Und auch deren Segler sind bemerkenswert. In unserer abwechslungsreich bunten Warenwelt mit alljährlich vorgestellten Neuheiten und unterschiedlich interessanten Messepremieren ist das demnächst 80 Jahre alte Dreimannkielboot Drachen eine wohltuende Ausnahme. Es wird unbeirrt gesegelt, meist von einflussreichen, neuerdings als „mover“ und „shaker“ bezeichneten Menschen. In der Hansestadt Hamburg beispielsweise schickt es sich, einem der beiden maßgeblichen, an der Alster beheimateten Segelvereine anzugehören. Wichtiger als die bloße, meist an der Heckklappe mit einem kleinen Aufkleber mitgeteilte Clubmitgliedschaft ist es, das richtige Boot mit dem schlichten Klassenzeichen „D“ zu segeln. Obwohl ein regattaklares Boot etwa so viel wie ein Porsche oder Maserati kostet, gilt die Wahl als Ausdruck stilbewussten Understatements. Die flachbordig charmante kleine Yacht mit den aparten Überhängen und der Spritzkappe vor dem schachtähnlich engen Cockpit bleibt äußerlich wie sie ist. Zugleich wird sie, im Detail zum ausgeklügelten Regatta-Nahkampfapparat perfektioniert, Jahrzehnt für Jahrzehnt immer besser. Frode Andersens in den Siebzigerjahren für den unter-Deck-Betrieb erdachte Winschen werden gerade abgeschafft. Die heutigen Gurus bringen das Gefährt winchless, mit synchron beim Anluven und Beschleunigen des Bootes per Flaschenzug dichtgeholter Genua ein Quäntchen besser an den Wind. Das gediegene offene Kielboot gehört zu den Gegenständen des sams- und sonntäglichen Gebrauchs anspruchsvoller Seglerhaushalte, die unbeirrt gesegelt, kultiviert und mit vorausschauend klugen Schlägen durch das gefährliche tiden- und klippenreiche Gewässer des Auf und Ab der Moden gesteuert wird. Es gibt bekanntlich wenige Dinge, wo dies überhaupt versucht wird oder lohnend wäre. Das Objekt muss sich schon durch eine besondere, eine kostbar bleibende Qualität auszeichnen. Der Drachen ist auch im siebten Jahrzehnt ein hinreißend hübsches Boot. Der Regattaklassiker mit dem handbreit um das Cockpit ausgekragten Süllrand, der filigranen Takelage mit Back- und Jumpstagen, der Geometrie von Vor- und Großsegel nebst kugelförmigem Spinnaker, ist ein bezaubernder Anblick. Man kann sich bei Regatten, sollte es einmal nicht so gut laufen, tatsächlich daran trösten. Sogar an Land herumstehend, wo Schiffe meist eine abtörnende Angelegenheit sind, macht das knapp neun Meter lange, 1,95 m breite, 1,7 Tonnen schwere Schiff eine ausgezeichnete Figur. Wir könnten schwärmen für die Eleganz des Bootskörpers mit langem Kiel und dahinter hängendem Ruderblatt, die Finesse der zum traditionell geneigten Heckspiegel geführten Linie. Wir könnten versuchen, die zurückgenommene skandinavische Eleganz zu erklären und riskieren, von der nautisch weniger affizierten Leserschaft für bescheuert gehalten zu werden. Daher überlassen wir es dem Zeitgenossen mit Sinn für schöne Formen, den Drachtentest selbst zu machen. In der Segelsaison steht auf den Seitenstraßen wassernah gehobener Wohnlagen meist einer. Der Drachen ist ganz und gar von gestern. Er segelt naß, schwerfällig und neigt bei auffrischendem Schiebewind unter Spinnaker zum abtauchen. Manches Exemplar wurde gehoben,  einige blieben unten. Erst neuerdings ist der Drachen dank abgeschotteter Plicht unsinkbar. Beim Am Wind Kurs in bewegtem Wasser ist ein Vorschoter der Drachencrew mit dem Abpumpen des hereinschwappenden Naß beinahe so gut beschäftigt, wie seine Mitstreiter mit Steuern, Segeltrimm, der Taktik, Vorbereitung des nächsten Manövers und der Meute andauernd angreifenden Verfolger. Es gibt agilere, schnellere, vielseitigere, irgendwie praktischere  Boote, als den Drachen, wo sich drei erwachsene Menschen gut verstehen sollten, um ein Regattasegelwochenende mit einer vertretbaren Zahl Beulen und psychischen Blessuren in gehabter Freundschaft zu absolvieren. Es gibt vom Chiemo, H-Boot, Twin, über die Soling und hin bis zur Trias verschiedene, zweifellos moderne Kielboote. Man kann sich von einem aktuellen Exemplar vollgleitender Raumschotswunder namens Grand Surprise, Hip 30 oder Max Fun 25 von einem großen, am vorn ausgefahrenen Karbonrüssel befestigten Gennaker über den See zerren lassen. Aber ach, gibt deren marktschreierische Typenbezeichnung nicht bereits kund, dass sie sich kaum mit dem schlechthinnigen Dreimannkielboot messen können? Im Unterschied zu den Modeerscheinungen und Eintagsfliegen wird der Drachen in beeindruckend großen, konstant wachsenden Regattafeldern gesegelt. Über 1.400 Drachen gibt es weltweit, wobei die mit Abstand stärkste Flotte hierzulande mit über 400 Booten unterwegs ist. In Frankreich, Holland und der Schweiz sind jeweils rund hundert Schiffe registriert, in England und den Staaten an die zweihundert. Zur 75-jährigen Jubiläumsregatta der Klasse, sie wurde von der schweizerischen Hanseatic Lloyd AG gesponsort, starteten Oktober 2004 Segler aus 31 Ländern. Sage und schreibe 254 Drachen, Jung und Alt, Bürgerliche und Adelige, Liebhaber und Segelasse versammelten sich an der quer über den Golf von Saint Tropez führenden Startlinie. Die Handhabung des Drachen ist eine Wissenschaft für sich. Sie ist so unergründlich wie die erfolgreiche Ausübung des Golfsports. Man versteht und lernt es wahrscheinlich nie ganz. Ob man es vorübergehend „drauf hat“ erfährt man allenfalls in Relation zur unterschiedlich geschätzten und gemochten Konkurrenz, die dann wiederum tagesformabhängig freundlich im Club grüßt. Drachensegler sind ehrgeizige Menschen, eine kompetitive Spezies, die sich die kostbare Freizeit ungern mit nachrangigen Platzierungen verdirbt. Dieses Malheur lässt sich mit einer guten, harmonierenden Crew, regelmäßig erneuerter Segelgarderobe, gelegentlich einem neuen Boot, Trimmanleitungen und Drachenseminaren vermeiden. Letztere sind für nicht ganz so eingeweihte Kreise leider so ergiebig wie die Teilnahme an Management- oder Motivationskursen. „Don’t look, don’t move“ rät der zweimalige Olympiasieger und von England nach Dänemark umgezogene Engländer Poul Richard Høj-Jensen dem Steuermann eines Drachen. Was so viel heißt wie „Klappe halten, sich nicht ablenken lassen, Kurs halten“. Zu viele Ruderausschläge und Wenden bremsen das bei leichtem Wind untertakelte, bei Seegang von den Wogen übel aufgehaltene Boot. Man muss es in Fahrt halten und sollte eine Regatta mit so viel Gelassenheit und Übersicht beginnen, wie der Dalai Lama sein Leben bestreitet. In der sehens- und lesenswerten Hommage „75 Years of Dragon“ wird das komplexe Thema mit entspannter Mokanz aus der Perspektive eines eher durchschnittlich begabten Seglers wie folgt zusammengefasst: „Das Problem mit dem Segeln einer Einheitsklasse ist, dass der beste Segler im Allgemeinen gewinnt.“ Das war vom 21. bis 24. Juli anlässlich des Hanseatic Lloyd Dragon Grand Prix wieder zu erleben, als 61 Mannschaften aus zehn Nationen vor dem idyllischen Strande an der Kieler Außenförde bei drei Windstärken aus West segelten. Ganze acht Punkte trennten die ersten fünf Teams, ein Beweis für die Leistungsdichte der Klasse. Es gewannen Dänen vor Bayern, Preußen, Ukrainern und Engländern. Die perfekt frisierte Königin Silvia von Schweden, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der sympathische deutsche Spitzensegler Jochen Schümann, einige B bis D Promis und 200.000 Euro für die World Childhood Foundation kamen zusammen. Schön segeln, abends im Kaisersaal des Kieler Yacht Clubs tafeln und für einen guten Zweck die Brieftasche zücken, das ist eine win-win-win Situation, die zur Klasse der Mover und Shaker und ihrem derzeit engagierten Förderer, dem cleveren Schifffahrtskaufmann Harro Kniffka, passt.

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Dünnschiffe vor Lemkenhafen

Die Schlank und Rank Regatta wird Anfang Juli vor Fehmarn ausgetragen. Die Segler sind dicke Kumpels, die Schiffe schlanke Heringe. Von Erdmann Braschos Neben schwimmenden Untersätzen wie SUPs, Motor-, Ruder-, Tretbooten, Jollen, Jollenkreuzern, Zwei- oder Dreirümpfern sind nach meiner Ansicht unbedingt zwei wichtige Bootstypen zu unterscheiden: Dick- und Dünnschiffe. Dickschiffe sind bekanntlich eine ringsum kommode Sache und haben unschlagbare Vorteile wie Komfort, Stehhöhe, Toilettenräume und so weiter. Gibt‘s bei jeder Bootsmesse, in jedem Hafen, kennen wir alle. Womit wir bei den Dünnschiffen wären. Das prototypische Dünnschiff ist der klassische Schärenkreuzer. 1907 erfunden, wurde er seit 1908 etwa 1.200 Mal gebaut. Es gibt ihn vom 15-Quadratmeter-Einsteigermodell aufwärts als 22er, 30er, 40er, 55er und so weiter bis hin zum 22-m-Geschoss mit 150 Quadratmetern Segelfläche. Zwar hat ein Dünnschiff deutlich weniger Platz, doch wird dabei übersehen, dass wesentliche Dickschiffthemen wie Stehhöhe und Toilettenbesuch seit 115 Jahren überzeugend gelöst sind. Volle Stehhöhe gibt’s bereits beim 15er im Niedergang bei geöffnetem Schiebeluk und in der Plicht. Für dringende Geschäfte bietet das Dünnschiff unter Deck volle Bückhöhe. Da den meisten Menschen in fensterlos engen Räumen unterwegs eh schlecht wird, kürzt der universell genutzte Eimer die Verweildauer unten derart ab, dass der User bald bester Dinge an die frische Luft zurückkehrt. Ab 17 bis 19 m Rumpflänge gibt es beim 75er unter dem Kajütdach bereits genug umbauten Raum für Stehhöhe und irgendwo zwischen den Schottwänden sogar eine permanent eingebaute Toilette. Das ist schön, muss aber wie beschrieben nicht sein. Dass Dünnschiffe hübsch sind und bereits im Stehen fahren, sieht jeder. Was die Bilder dieses Beitrags nicht so recht verraten, ist der Segelspaß. Dünnschiffsegeln ist so rattenscharf wie mit einem motorisierten Go-Kart über den Asphalt zu schrubben. Die Nähe zur Piste macht die zuvor nur leicht schöngeredeten Bordlebensqualitäten derart wett, dass für Dünnschiffer nur Dünnschiffe infrage kommen. Das ist, zugegeben, eine Segler-Weltanschauung. Weltanschauungen kommen durch Prägung zustande. Meine begann Mitte der Siebzigerjahre, als mein Vater mit meinem Bruder und mir mit so einer Feile in der marginal höheren Tourenausführung mit 70 statt 50 cm Bordwand so hurtig von Travemünde via Skagen nach Norwegen segelte, dass da oben in den Fjorden Zeit zum Trollegucken blieb. Ein anderer Ritt führte über Großenbrode und Klintholm in einem Aufwasch durch den Abenteuerspielplatz Ostsee zu den Ålandsinseln, nach Turku und zurück. Von einer halben bis 3 Windstärken war es das seglerische Nirwana. Ab 3 1/2 von vorne wurde es ernst und nass. Täglich informierte Rügen Radio mit dem besten deutschsprachigen Wetterbericht über das, was auf uns zukommt. Zweckmäßiges Signalrot statt 1970er-Orange Anno 1974 holte der Fehmaraner Reetbauer Georg Milz sein erstes Dünnschiff nach Lemkenhafen. Die Siebziger-Trendfarbe Orange wurde durch zweckmäßiges Signalrot ersetzt. Damit wird ein Dünnschiff im üblichen Grau der bewegten Ostsee bei Schietwetter besser gesehen. Für nasse Fronteinsätze wie Vorsegelwechsel hatte Milz mit seinem jüngeren Bruder Hans einen willigen Vorschoter. Ich fand den Wäschewechsel vorn in der Ostsee interessanter als Latein und Mathe. Hans segelt heute einen glänzend im Lack stehenden 15er. Soviel zum Thema Prägung. Georg Milz hat seitdem einige Dünnschiffe, 15er, 22er, einen herrlichen 40er und moderne Varianten gesegelt. Beim hundertjährigen Schärenkreuzer-Jubiläum in Schweden schlug Milz vor, sich im nächsten Sommer mal bei Fehmarn zum Segeln und abends auf ein Bier in Lemkenhafen zu treffen. Daraus wurde 2009 die erste Schlank und Rank Regatta. Bodenständige Segelsause Es pfiff aus Ostnordost, dass die Schafe sich alle im Lee des Deichs auf die Wiesen hockten und die 30 Teilnehmer was erlebten. Die Segelfreunde – darunter ich mit meiner 55er-Tourenschäre – erschienen mit 16 qm Angstlappen und zweimal gerefftem Groß last minute vor dem Start. Es war eine schöne bodenständige Segelsause. Und so ist es all die Jahre auch geblieben. Berliner, Bayern, Lübecker, Hamburger, Kieler und Neustädter kommen mit und ohne Boot zum Dünnschiffern, Gucken und Träumen. Sie segeln zwischen Orth, Heiligenhafen und dem „Kleiderbügel“, wie die Fehmarnsundbrücke liebevoll genannt wird. Auch wenn da mancher frech wie Jimmy Spithill startet, geht es auf der Bahn überwiegend zivil zu. Vielleicht liegt es daran, dass zunehmend Frauen wie die versierte 15er Seglerin Ulla Prötel an der Pinne hocken oder als Vorschoterinnen mit einem Machtwort mäßigend auf ihre kleinen Jungs einwirken. Was da in der Vorstartphase an Bord genau läuft, weiß ich allerdings nicht. Abends wird passabel gegessen, genug getrunken, im idyllischen Hafen bis in die Morgenstunden hinein gefeiert, gequatscht und Dünnschiffe geguckt. Ein weiterer, bislang nicht erwähnter Vorteil der Dünnschiffe ist ihre schmale Plicht. Das macht das Event schön kommunikativ, weil abends keiner freiwillig an Bord bleibt. Alle hocken auf den himmelblauen Bänken an Land oder im Bierzelt des Seglervereins Lemkenhafen. „Der Club wird wie schon in den Jahren zuvor wieder für den Regattazinnober allgemein zugänglich sein“, kündigt die SVLF-Vorsitzende Katja Jensen-Kamph an. So eine Dünnschiff-Meise wird in der Gruppe Gleichgesinnter am besten gepflegt. Es wäre schön, wenn weitere Yngling, Soling, Drachen, 5,5er, H-Boot und Schärenkreuzersegler oder Freunde artverwandter Boote kämen – so wie die Ylva, Molich X, Smaragd oder Tourenschärenkreuzer wie S30 oder Lotus. Das sind alles Dünnschiffe, wenn auch nicht mit dem Längen-Breitenverhältnis der schwedischen Originale und aus Plastik statt Holz. Das wird nicht so eng gesehen. Es geht ums Segeln bei der Schlank und Rank Regatta. Eine Weile kam Jan Budden mit seiner fliegenden Untertasse, einem modernen formverleimten 20er-Jollenkreuzer namens „Glückskind“. 7 3/4 mal 2 1/2 m bei 730 kg sind jetzt nicht direkt schlank und rank, aber bei leichtem Wind schnell. Zwar ist der Budden mit seinem Killerspinnaker und einem Haufen Jungs oder Mädels auf der Kante bis drei Windstärken auf der Regattabahn echt nervig. Trotzdem unterhalten wir uns abends immer freundlich. Samstag, den 8. Juli 23 wird 12 Uhr ein schöner Lauf in den Nachmittag hinein gesegelt. Gestartet wird auf der Orther Reede im Schutz der Landzunge von Krumm Steert. Die Klassiker werden nach dem bewährten KLR System des Freundeskreises Klassischen Yachten gewertet, moderne Boote nach Yardstick. Das sorgt für eine gewisse Gerechtigkeit und gibt mehr Souvenirs/Gläser mit Gravur. Da der Klimawandel im bislang windsicheren Fehmarnsund schon furchtbare Bodenseeflaute mit üblem Herumstehen beschert hat, wäre es schön, wenn jeder Teilnehmer zur Schlank und Rank Regatta etwas Wind mitbrächte.

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Cabriolets für die Welle

Die historischen Modelle der Motorbootmarke Riva sind schön, teuer zu unterhalten und eine Anlage mit steigendem Wert. Erst verkaufte er seine erfolgreiche Druckerei, dann stieg er in die Projektierung von Solaranlagen ein und fand eine Beschäftigung, die ihn noch mehr begeistert: Riva-Boote. Günther Martens* aus Nürnberg ist 45 Jahre alt und sammelt sie. Vier Modelle aus der Manufaktur am oberitalienischen Iseosee besitzt er schon. Wann immer er Zeit findet, kümmert er sich um seine Sammlung. 1998 begann es mit einer „Super Aquarama“ aus dem Jahr 1971, 2007 dann eine „Super Ariston“ aus dem gleichen Jahr, anschließend eine „Super Tritone“ und zuletzt 2009 eine „Tritone“ aus den 60er Jahren, die derzeit vom Hamburger Spezialisten Jürgen Renken restauriert wird. Geduld und Liebe sind nötig, wenn ein Eigner eines der Schiffe mit dem typischen Mahagoni-Holz-Rumpf gebraucht kaufen und hüten will. Eine 130 Schiffe starke Flotte dieser Schätze auf dem Wasser trifft sich derzeit in Sarnico bei Bergamo zu den Riva Days unter dem Motto: „170 – 90 – 50“. Vor 170 Jahren legte Pietro Riva mit der Übersiedlung an den Iseosee den Grundstein für die einmalige Werftgeschichte. Vor 90 Jahren wurde Carlo geboren, jener Riva, der die vier Buchstaben zum Begriff für stilvolle Grandezza auf dem Wasser machte. Und vor 50 Jahren wurde der Prototyp des letzten Mahagoni Wasserstraßenkreuzers vom Typ Aquarama in den meist spiegelglatten Iseosee gehoben. Gefeiert wird auch die zufällig wieder entdeckte erste Tritone mit dem Namen „Perlita Too“. Das Boot wurde 1953 mit einem 350 PS starken 12 Zylinder-Motor an einen Hollywood Filmproduzenten in den USA geliefert, verschwand Mitte der siebziger Jahre und wurde nach 14 Jahren zufällig in einem Container in der Nähe von San Francisco entdeckt, restauriert und in das ursprüngliche Schmuckstück zurückverwandelt. Auch das ehemalige Boot von Verleger Axel Springer 1966, ein Exemplar aus der Tritone-Serie mit der Baunummer 258 hatte die Szene schon abgeschrieben, wurde wiederentdeckt und zu erneuter Blüte aufgemöbelt wird in Sarnico präsentiert. Und die fachkundigen Besucher werfen Blicke auf das Gesicht des 90-jährigen Carlo Riva. Er ist es, der die eleganten Kabriolets zum stilsicheren Must Have vermögender Menschen machte. Sein Lächeln beim Betrachten einer restaurierten Schönheit gilt bei den derzeitigen Riva Days als Absolution für Liebhaber, Restauratoren und Eigner. Die Holzboote sind Klassiker der Wirtschaftswunder-Ära, die durch Schauspieler und Lebenskünstler wie Anita Ekberg, Brigitte Bardot, Ira von Fürstenberg, Sophia Loren, Jean-Paul Belmondo, Roger Vadim oder Gunter Sachs berühmt wurden. Die Begeisterung für die Boote, wie sie im Wesentlichen von 1950 bis 70 am norditalienischen Iseosee entstanden, erschließt sich auf den ersten Blick. Es sind charmante Boote, die einst für das maritime dolce vita getischlert wurden. Etwa die Hälfte der insgesamt rund 4300 Kostbarkeiten, die in Sarnico am Iseosee entstanden, existiert noch. Luxus waren sie schon zur Zeit ihrer Entstehung. 1956 kostete eine einmotorige Ariston 19 500 Mark, eine zweistrahlige Tritone 36 000 Mark. Ein Bentley Continental ist damals für 26 500, ein Mercedes 300 SL für 29 000 Mark zu haben. Ihr Zauber erschließt sich auch Laien rasch. Das intarsien artig zusammengefügte maronenbraune Mahagoni mit den funkelnden Chrombeschlägen schmeichelt dem Auge. Die Finger spüren bei der Berührung des Rumpfs, die Finesse mit der die 17 Lackschichten aufgetragen und abschließend poliert wurden. Serie statt Handwerk Dabei beruht das Geheimnis von Rivas Mythos überraschenderweise auf der Modernisierung des Handwerksbetriebs, die Carlo Riva einführte.     Als der 27-jährige Ingenieur 1950 die elterliche Tischlerei mit fünf Mitarbeitern übernahm, wurden wenige Boote im Jahr gefertigt. Später waren es rund 300 Mitarbeiter die jährlich etwa 200 Rivas fertigten. Gegen den erheblichen Widerstand seines Vaters verdoppelt er erst die Preise und ersetzt zudem das Künstlertum des Handwerks durch Serienfertigung. Er lässt Komponenten vorproduzieren. Er verwendet von eigens in einer Tochterfirma entwickeltes wasserfestes Sperrholz für die Bootsböden. Er verklebt in einer Druckluftpresse, die er gemeinsam mit dem Reifenhersteller Pirelli, entwickelt die vorgeformten beiden karosserieartigen Bordwandseitenteile. So treibt Carlo den eigentlich schon obsoleten Holzbootsbau mit überschaubaren Arbeitszeiten und hervorragender Qualität auf die Spitze. Riva strickt bereits Ende der fünfziger Jahre ein weit gespanntes Servicenetz, das seine Kunden nicht allein lässt. Ein Riva-Eigner lässt sein Boot damals schon warten wie der Autofahrer seinen Wagen in die Werkstatt gibt. 1957 überredet Riva einen seiner Kunden, Fürst Rainer von Monaco, den Grimaldi-Palast für eine Riva-Vertragswerkstatt mit Bootslager zu unterkellern. Wie ein gescheiter Wein müssen die edlen Boote schattig und kühl aufbewahrt werden. Der Lack würde sonst welk, das Holz austrocknen und reißen. Riva bestellt 1952 in den USA sechs Chris-Craft Maschinen. Bald werden jährlich mehrere hundert Achtzylinder in seine zunehmend zweimotorigen Schiffe gehoben. Ende der fünfziger Jahre lassen sich Riva Boote in einem Showroom im New Yorker Rockefeller Center bewundern und kaufen wie ein Auto. Voraussetzung für die gepfefferten Preise ist die vom Inhaber unbeirrt verbesserte Qualität und eine termintreue Arbeit. Das frühzeitig vom selbstbewussten Werftinhaber angestoßene Celebrity-Marketing läuft prima. Showgirls, Playboys, Industrielle oder Potentaten mögen keine Probleme. Die wollen mit mächtig grollenden Motoren ablegen und im erfrischenden 25 bis 40 Knoten Tiefflug auf dem Lago, an der Riviera oder Cote d’Azur unbeschwert bis zur nächsten Bucht das Weite suchen. Sammler mit Tick Günther Martens sucht die Nähe zu seinen Schätzen. Denn zusätzlich zu der Begeisterung für die Boote, haben sich seine historischen Modelle als stabile Investition entpuppt. Der Wert seiner ersten Riva hat sich bislang verdoppelt. Dank des guten Zustands, lackschonender Aufbewahrung in einer schattigen wie sicheren Halle im fernen Spanien, sofortiger Versiegelung unvermeidlicher Macken und etwa 14-tägiger Nutzung jährlich war an diesem Flaggschiff beim Kauf wenig zu machen. Das 8,5 m lange, 2,60 Meter breite, und etwa 3 Tonnen schwere Cabriolet mit zwei 320 PS Motoren kostet ihn im Unterhalt „höchstens 10 Tausend Euro im Jahr einschließlich Sprit.“ Die derzeitige Wertsteigerung fängt die Betriebskosten auf, wenn es einmal verkauft werden sollte. „Auch wenn sich im kommenden Jahrzehnt nur eine 30 bis 50-prozentige Wertsteigerung ergeben sollte, bleibt der Spaß kostenneutral“, hofft Martens. Seit Ende der neunziger Jahre ist der Kreis der Liebhaber der „Sophia Loren“ unter den gleitenden Klassikern gewachsen. Mit erfreulichen Folgen für den Wert der bis zu 88 Stundenkilometer schnellen Spritsäufer, die zumindest für den Transport kaum mehr Mühe als ein Wohnwagen bedeuten. Die kleinen, bis zu 6,80 Meter langen und 1,4 Tonnen schweren Modelle wie die Florida, Junior, Olympic oder Ariston lassen sich problemlos auf dem Anhänger von einem PKW ziehen. Für die großen Modelle, die acht m lange und 2,7 Tonnen schwere Tritone und die etwas größere Aquarama ist entweder ein Spediteur oder ein umgebauter Lastwagen gefragt. Als der heutige Eigner der ehemaligen Axel Springer Yacht, der Berliner Verleger Konrad Börries, die im Jahr 1966 ausgelieferte Last Edition des Modells Tritone (dt. Meergott) übernahm, lagerte das Boot auf einem ehemaligen, zum Bootstransporter umgebauten Magirus-LKW der Post. Der 52-jährige Börries mag das Vergnügen mit seinem grollenden Spielzeuglaster mit kreuz und quer durch Europa zu kurven. Langlebiger Nimbus Rivas sind im Prinzip Liebhaberobjekte, bei denen dem anfangs noch besonnenen Neubesitzer schnell die Vernunft abhandenkommt. Doch dank der aktuellen Anziehungskraft luxuriöser Sachwerte, kann sich der fränkische Sammler Martens seine „Rivamania“ kaufmännisch rechtfertigen. Auch Verleger Börries schaut optimistisch auf die Wertentwicklung seiner „Hermes“, die derzeit bei 300 000 Euro liegt. Und Besitzer einer historischen Riva haben einen Vorteil: So wie damals werden keine Schiffe mehr gebaut. 1970 endet die schillernde Ära Carlo Riva mit dem plötzlichen Verkauf der Werft, die danach und bis heute Boote aus pflegeleichtem Kunststoff baut. Von der Qualität und dem clever erhaltenen Riva-Nimbus zehren die stolzen Eigner der eleganten Sportboote bis heute. So wie die Werft, die im Januar diesen Jahres nach ereignisreichen Jahren als Teil der Ferretti Gruppe an den größten chinesischen Baggerproduzenten, die staatlich geführte „Shandong Heavy Industry Group-Weichai Group“ verkauft wurde. *Name geändert     

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Dann eben mit der Kreissäge

Der Wechsel vom Berufsleben in den Ruhestand ist keine einfache Sache. Der Schritt mag nach jahrzehntelanger Arbeit lange ersehnt sein. Schwupp, ist man verabschiedet, nicht mehr gefragt. Plötzlich gibt es endlos Zeit. Und nun? Also, der Rentner kann morgens die Zeitung und die Wecken holen, der Frau ein paar Takte vorlesen. Er kann ihr mit längst bekannten Ansichten und Anekdoten auf den Geist gehen, noch mal Kaffee nachschenken. Er kann zum Einkaufen mitkommen und so tun, als ob es ihm bei dieser Art des Zeitvertreibs blendend ginge. Der Tatendrang von Deflef Huss Das wäre für den siebenundsechzigjährigen Schweriner Detlef Huss kaum die Kür des Pensionärslebens. Dazu ist er zu aktiv und auch mitteilsam. „Ich habe in der DDR damals eine Ausbildung zum Elektromotorenbauer gemacht und war als Fertigungstechnologe Mädchen für alles, habe eine Weile in der Drahtherstellung gearbeitet, konnte mit Kupfer und Aluminium umgehen und war in der Spritzgießerei tätig“, berichtet Huss. „Ich konnte mich handwerklich aber selbst nie verwirklichen.“ Die Wiedervereinigung schuf mit direkt erhältlichen, international üblichen Bootsbauprodukten und den überall errichteten Baumärkten einen Teil der Voraussetzungen. Jetzt musste Huss nur noch Zeit zum Ausschöpfen seines handwerklichen Potentials finden. Die kam 2006 mit seiner Pensionierung. Zwar holte Huss morgens auch mal die Zeitung und die Wecken, doch sein eigentliches Projekt war die „Dufte Wanne“. So hieß der sechs Meter lange Jollenkreuzer, den er im Dezember auf einem Anhänger zuhause vors Garagentor schob. Mit gezielten Axthieben und geschickt angesetzter Säge füllte Huss seinen Bootsbauer-Ruhestand. Sein Projekt: die Verwandlung der eigentlich ganz hübschen, aber frevelhaft zur segelnden Wasserdatsche umgebauten Schweriner Einheitsjolle von anno 1922. „Meine Sportsfreunde im Segelclub waren entsetzt. Alle fanden die formschön gerundete Kajüte gelungen. Viele Jollen sind ja damals bei uns im Osten zu solchen Familienkutschen umgebaut worden.“ Aber Huss wollte zurück zu den Ursprüngen, das Boot zu einem seltenen Exemplar jener heimattypischen Jolle zurückbauen, wie 1921 von Konstrukteur Reinhard Drewitz im Auftrag des Schweriner Segler-Vereins als Boot für kleine Leute entworfen. „Als ich mit der kleinen Stichsäge nicht vorankam, habe ich mit der Kreissäge und einem Videablatt weitergemacht. Das kann Nägel oder Schrauben ab.“ Der Unruheständler entfernte das Deck, erneuerte die Decksbalken nebst Winkeln (Knien) zur Bordwand und „schliff die gesamte Glasfaserbeschichtung bis auf das blanke Holz vom Rumpf herunter, was bei einem stufigen Rumpf in Klinkerbauweise keine leichte Sache ist. Da hatte ich zwischendurch mal die Schnauze voll.“ Immerhin musste Huss in den Pausen daheim nicht mit Wecken, Zeitung und Kaffee herumsitzen. Er hatte sich nämlich einige Jahre zuvor mit der „Sindbad“ schon mal den gleichen Bootstyp zugelegt. Auch die war unten herum „überplastiziert“, wie die Ostdeutschen die Glasfaserbeschichtung nennen, aber oben herum offen geblieben. Dieses Boot segelte Huss einfach weiter, und diese Freizeitbeschäftigung hält die Mundwinkel oben. Der Tausch der Nieten zur Verbindung von Planken und Spanten, die Sanierung des Stevens und die Erneuerung einiger Planken im Bereich der Wasserlinie, wo ein Holzboot am meisten durch Wellen und Fäulnis beansprucht ist, machte als traditionelles Bootsbauerhandwerk wieder Spaß. Was immer er selbst machen konnte, richtete Huss selbst. Bei kniffeligen Sachen fragte er Profis. Mast, Baum und die Gaffel beispielsweise tischlerte ein ehemaliger Kollege, der Treppenbauer Thomas Fahrenson aus Parchim, aus Kiefer. Als Muster diente die Takelage der „Sindbad“. Auch die Eiche für die Decksbalken und die Bodenbretter, das Mahagoni für den obersten Plankengang und das Deck wurden von Fahrenson so passend getischlert, „dass ich die Teile rasch montieren konnte“. Und weil bei der Instandsetzung einer segelnden Antiquität halbe Sachen auf Dauer betrüblich sind, wurde sogar mancher Beschlag der „Sindbad“ nachgegossen. Dafür gewann Huss den Wismarer Kirchenrestaurator und Gelbgießer Ralf Freese. „Das Schöne an so einem Projekt ist ja nicht nur die Werkelei. Man bekommt neben Zuspruch auch wunderbare Unterstützung aus ganz unerwarteten Ecken. Da wurde bei den Stunden auch mal ein Auge zugedrückt.“ Schildermacher Gunske aus Parchim half mit den Bronzestreifen als Unterlagen für die Beschläge. Die Bleche verhindern, dass das Deck verkratzt. Huss berichtet von einer Hilfsbereitschaft, ohne die einst in DDR-Zeiten nichts lief, ohne die der Segelsport als gelebte Freiheit vom verordneten Sozialismus nicht denkbar war. Beim heißersehnten Probeschlag im Herbst vorigen Jahres hielt Huss die oben vom Baum kommende Großschot in einer unbequemen und seit Jahrzehnten unüblichen Haltung in der Hand. Es gibt weder eine Umlenkrolle im Plichtboden noch eine Belegemöglichkeit. Vorschoter Peter Pfeifer, ein Bootsbauer, der beim Plankenwechsel half, hielt die Fockschot in der Hand. „Da hat sich Bootskonstrukteur Drewitz natürlich damals was bei gedacht. Wer die Schoten in der Hand hält, lässt sie rechtzeitig los und kentert nicht.“ Um die vier Windstärken wehen aus Ost. Ein paar Zirren schmücken den blauen Himmel. Die knuffige Jolle schiebt von der Schwanen-Halbinsel am Großen Stein vorbei nach Kaninchenwerder durch den Schweriner See. Das Plätschern des geklinkerten Rumpfs erinnert an den Folkeboot-Sound. Mit seinen fülligen Linien ist das sechs Meter lange, 1,90 Meter breite Boot eigentlich ein kleines Dickschiff. Die leer 600 Kilo schwere Jolle ist ein behäbig-solider Gefährte. Die fülligen Linien bieten nicht nur Zusteige- und Zulademöglichkeiten für ein Segelwochenende oder den Sommerurlaub auf dem See. Drewitz hatte der 20-Quadratmeter-Wanderjolle reichlich Formstabilität mitgegeben. Da war das Ausreiten auf der hohen Kante nicht so entscheidend. Wichtiger beim Wasserwandern waren Bequemlichkeit und Sicherheit. Überhaupt wird Komfort bei dieser Wanderjolle groß geschrieben. „Die kleinen Bänke achtern neben der Pinne, den Klappsitz weiter vorn und die beidseitig neben dem Schwertkasten einzusetzenden Duchten habe ich natürlich nachgebaut“, sagt Huss stolz. Auch der ursprüngliche Bootsname „Libelle“ kehrte zurück, ergänzt um den Vornamen von Enkelin Juna, die sich hoffentlich eines Tages für die Jolle vom Opa begeistert. Man kann wirklich für die „Libelle-Juna“ schwärmen, die köstlich krude Umständlichkeit des klobigen, verzinkten Großschotführungsbügels über der wünschelrutenförmigen Gabelpinne über die einzigen beiden Klampen zum Belegen der Backstagen bis hin zu den Holepunktösen für die Fock. Den ganzen in den siebziger Jahren entwickelten Klöterkram effizienten Jollensegelns gibt es auf „Libelle-Juna“ nicht. Der eigentliche Clou aber sind die Segel aus Mako. Dieses nicht eben profiltreue, schwere und zu Stockflecken neigende Tuch wurde in den sechziger Jahren durch zweckmäßigeres Polyester ersetzt. Ägyptische Baumwolle brachte der Baseler Fabrikant, Autosammler, Häuserrestaurator und Gründer der englischen Werft Fairlie Restorations, Albert Obrist, Ende der achtziger Jahre aus Anlass der Generalüberholung des Schoners „Altaïr“ ins Gespräch. Mühsam wurde dem Nostalgiker diese unhandliche Ware ausgeredet. Es wurde stattdessen ein eigens an den Farbton leicht gealterten Makos angepasstes Polyestertuch genommen. Der Look hieß zunächst „Altaïr-Cream“ und wird heute zur Freude der Klassikerszene von mehreren Tuchherstellern und Segelmachern angeboten. Für Baumwollsegel für „Altaïr“ fehlte damals das Tuch, geeignete Webstühle zur Herstellung von Mako standen allenfalls im Museum. Das war in den neuen Bundesländern anders. Nach Gesprächen mit mehreren Segelmachern wurde Huss schließlich bei Adolf Zenk in Grambin bei Ueckermünde fündig. Zenk hat als eingesessener Segelmacher die Tücher manchen Zeesboots angefertigt. So konsequent, bis hin zum mit Leder bekleideten Mast und dieser nostalgischen Segelgarnitur treibt es praktisch kein Bootsrestaurateur. An der persönlichen Hingabe des Schweriners und der Detailtreue von „Libelle-Juna“ kann sich mancher Protagonist der Klassikerszene ein paar Scheiben abschneiden. Denn viele Boote werden heute eher gefühllos brutal modernisiert als restauriert, mit erschütternd unpassenden Geräteträgern aus Edelstahl beispielsweise. Übrigens darf Huss die empfindlichen Makotücher nach einem feuchten Segeltag zuhause auf zwei Böcken im Wohnzimmer zum Trocknen ausbreiten. Ehefrau Christel sieht ein, dass Stockflecken unschön sind. Muss gut gehen, die Ehe. Das liegt auch daran, dass Huss seinen Rentnerblues nicht daheim am Küchentisch mit bekannten Döntjes, Wecken und Zeitungholen bearbeitet, sondern einem charmanten Boot, jeder Menge Werkzeug und „Sportsfreunden“, die den köstlichen Knall des gelernten Elektromotorenbauers mit Rat und Tat fördern.

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Congern mit Ulli Libor

Gutmütig und haltbar – die Conger-Jolle ist ein Kind der Wirtschaftswunderzeit, fröhlich bunt, entfernt verwandt sogar mit dem Schlachtschiff „Bismarck“. Gehen wir mal segeln, mit Ulli Libor, dem Urheber des Evergreens. Es ist an dieser Stelle meist vom Außerordentlichen, Gediegenen, dem konzeptionell Bemerkenswerten, der Neuheit die Rede. Das liegt daran, dass es reizvoller und einfacher ist, über die auffällige, geschichtsreiche und exklusive Yacht zu berichten. Die Novität erscheint interessanter als eine gewöhnliche Jolle, die seit vier Jahrzehnten von jedermann auf irgendeinem Baggersee oder einer Talsperre in fast viertausend Exemplaren gesegelt wird. Die es für kleines Geld im Segelverein, einem Winterlager oder bei Ebay zu schießen gibt und für das Budget eines günstigen Kleinstwagen neu zu kaufen. Es soll bei einer Bootstaufe eines Conger vorgekommen sein, dass der weihevolle Akt der Namensgebung mit der herablassenden Erkundigung nach den Hähnen für warmes und kaltes Wasser ins Lächerliche gezogen wurde. Tja, so geringschätzig, so gemein kann der zum besseren Boot promovierte Angeber sein. Man kennt dieses Benehmen von Kindern. Kaum aus dem Gröbsten raus, wird schon über die Kleinen gelästert. Dabei hat der Angeber wahrscheinlich seine ersten tastenden Versuche im Umgang mit Schot und Pinne an Bord dieser Jolle mit dem stilisierten roten „C“ im Großsegel gemacht. Farben der ausklingender Sechzigerjahre Die gut fünf Meter lange Jolle mit dem verschließbaren Unterschlupf gibt es in selten gesehenem Perlweiß. Eigentlich kennt man sie aber in bunten Farben. Beispielsweise in türkisgrün und rubinrot, in adriablau, korallrot, smaragdgrün und aquamarinblau, wie der Prospekt „Sieben Conger-Träume“ damals die Pigmentierung der Gelcoat Deckschicht anpries. Wie seinerzeit in Kantinen, Saunen oder Badezimmerausstattungen wurde auch beim Conger verwegen kombiniert. Grün und orange etwa galten lange als hip. Der aufmerksamkeitsstarke Kontrast von kräftigem rot zu leuchtendem blau wurde auch gern genommen. Sitzmulde wie im Whirlpool Sie ist mit körpergerecht geformter Sitzkuhle, dessen stufiges Arrangement mit rutschsicheren Flächen an das Blubberbecken einer Therme erinnert, ein Erzeugnis des Wirtschaftswunders. Sogar zwei Abflüsse gibt es, nur die allernötigsten Leinen, eine Badeleiter, sogar eine Halterung für den Außenbordmotor. Abgesehen vom vierkantigen Teakgriff der Pinne und dem Paddel für den Heimweg ist das Boot komplett holzfrei, also ringsum pflegeleicht und abwaschbar. Mit den beiden zu Griffen geformten Klüsen lässt sich der Conger Sonntagabend oder am Ende der Segelsaison mit energischem Schwung auf den Anhänger zerren. Charakteristisch ist die ovale Dichtmanschette an der Mastdurchführung in die Spitzkappe, sind die allernötigsten Klemmen, hinten noch mal zwei Festmachgelegenheiten und eine umlaufende Scheuerleiste als Rammschutz für die üblichen kleinen Rempeleien eines Seglerlebens. Was immer ein Boot theoretisch und bei geschicktem Einsatz sogar praktisch schneller, aber eben auch komplizierter macht, gibt’s beim Conger nicht. Die Jolle ist also sehr modern und für den „just do it“ Typen einfach richtig. Warum Helmut Schmidt Conger segelte Der Conger war, ist und bleibt je nach Perspektive erfrischend bis erschütternd einfach. Ein Boot für Leute, die mit ihrem eigentlichen Privat- und Arbeitsleben, vielleicht auch einem weiteren Hobby ausgelastet sind. Deshalb segelte der einstige Bundeskanzler Helmut Schmidt, ein Freund klarer Präferenzen, Conger. Um den Erfolg des Evergreen und seine Geschichte zu verstehen, eignet sich eine Verabredung mit Ullrich Libor am nördlichen Zipfel von Hamburgs Außenalster. Die Straßen hier heißen Bellevue oder Fernsicht. Eine zentral gute Gegend mit Blick über den ringsum begrünten See hinüber zur Innenstadt mit markanten Hochhäusern, Kirchtürmen und den aktuellen Baustellen. Hamburg ist hier auf eine entspannt noble Art schön, ein wenig, aber nicht zu englisch. Wer hier lebt, segelt entweder das klassische Dreimannkielboot Drachen im obligatorischen Verein nebenan, eine Klasse mit besonderem Nimbus. Oder er hat eine Yacht am Meer. Dennoch gibt es am Bootssteg Bobby Reich so viele Conger Jollen wie sonst kein zweites Mal. Hier haben Segelvereine ihre Jugendboote liegen, Betriebssportgruppen ihren Firmenconger und natürlich ist die Jolle hier auch für ein Stündchen oder zwei zu mieten. Der Conger wurde an der Elbe ausgedacht und bis Ende 1971 zunächst bei Blohm & Voß gebaut. Vorübergehend laminierte eine andere Werft, seit ‘78 die Firma Fiberglas Technik im Süden Hamburgs. Dem ehemaligen Silber- und Bronzemedaillensegler im Flying Dutchman (in 1968 Acapulco und ‘72 Kiel) und langjährigen Geschäftsführer des Deutschen Golf Verbands sind die 70 Jahre kaum anzusehen. Seit seiner Pensionierung ist Libor wieder oft auf dem Wasser, segelt seit drei Jahren erfolgreich Drachen. In dieser segeltechnisch ausgereizten und taktisch anspruchsvollen Klasse mit hochkarätiger internationaler Konkurrenz wurde er 2007 Vizeweltmeister. Es ist lange her, dass Libor mit dem Conger abgelegt hat. Entsprechend amüsiert geht er auf den Vorschlag ein, mal zusammen eine Runde mit maßgeblich seiner Kreation von anno 1964 zu segeln. Vor uns liegt ein fertig aufgetakeltes Exemplar mit adriablauer Plicht über weißem Rumpf. Eine für den Bootstyp dezente, hanseatische Farbkombination. Es ist ein kleiner Schritt vom niedrigen Steg in die ergonomisch geformte Conger Plicht, dennoch einer in eine andere Welt, in dieses Wirtschaftswundererzeugnis, den Optimismus der 60er Jahre. Flott ist das Boot abgestoßen, treibt bei der Alstertypisch unregelmäßigen Brise erstmal eine verblüffende Portion seitwärts. Oh Mann, wir haben wohl das Schwert vergessen. Ist das denn wirklich unten? „Keine Sorge, das wird schon, wir brauchen erst mal ein bisschen Fahrt“ beruhigt der alte Segelfuchs. Tatsächlich, nach einer Weile wird die Abdrift erträglich. So congern wir in gemächlichem Tempo über den Haussee der Hansestadt. Libor erzählt von damals. „Anfang der 60er Jahre arbeitete ich als Repräsentant von Elvström Segeln auf einer Messe“  erinnert Libor. „Nebenan stellte Blohm & Voß eine Kunststoffjolle, den „Hawk“ (Habicht) aus. Die Werft wollte mit der Lizenzfertigung des amerikanischen Bootes damals Erfahrungen mit Glasfaser verstärktem Kunststoff als neuem Bootsbaumaterial sammeln. Leider war der Hawk aber nicht gelungen. Das Boot hatte so wenig Anfangsstabilität, dass es sich nicht gefahrlos von der Seite betreten ließ.“ Auf diese und andere Nachteile machte Ulli Libor den seinerzeitigen Werftchef Joseph H. Van Rieth aufmerksam, der daraufhin vom viermaligen Jugendmeister in der Piratenjolle, Europameister im Snipe und deutschen Meister im FD eine bessere, familientaugliche Wanderjolle mit Regattaoption entwickeln und von Bootskonstrukteur Karl Feltz in Finkenwerder zeichnen ließ. Ein Boot, dessen füllige Linien den Bauch bei zunehmender Geschwindigkeit über das Wasser in die rasante Gleitfahrt hebt. Einen Allrounder mit trockenem Platz für den Fresskorb und reichlich Zulademöglichkeit für‘s Wochenende. Sie bietet eine Übernachtungsoption für zwei 1,80 m große Erwachsene unter der Spitzkappe und in der riesigen Sitzmulde Sitzplätze für sechs. Eine multioptionale Familienkutsche für Einsteiger und Fortgeschrittene mit Genuavorsegel statt Fock und Trapez für die sportlichere Gangart. Gestalterisch und vom pflegeleichten Bootsbaumaterial her war der Conger fortschrittlich. Üblich waren damals altbackene Knickspanter aus Holz. Einmal gekentert oder vollgeschlagen blieben die Boote ohne eingebaute Auftriebskörper auf Tauchstation. Sie waren nur mit Mühe wieder in Fahrt zu bringen. Je nach Alter und Vernachlässigung waren die Holzboote Dauerbaustellen. Sie waren von gestern, etwas für Traditionalisten. Der unsinkbare Conger hatte reichlich eingebauten Auftrieb. Mit clever eingefädelter Publicity wurde der Conger bekannt gemacht. Die Bildzeitung, Spiegel und Stern berichteten über die neue Jolle. Die damals 4.985 Mark teure Wanderjolle war problemlos hinter einen VW Käfer zu hängen. Der gelernte Maschinenbauer und Schiffahrtskaufmann Libor kümmerte sich ab 1965 fünf Jahre um den Vertrieb. Bald war der am steilen Elbhang nach Blankenese kapitulierende R4 durch einen komfortablen Ford Taunus Kombi ersetzt. Da passten die Segelsachen hinten rein und Platz für Libors Familie gab es auch. Im ersten Jahr brachte Libor 165 Conger an den Mann. „Später waren es so drei bis sechshundert Schiffe jährlich.“ Es wurde sogar eine Lizenz an Kawasaki nach Japan vergeben. Und warum ist das Boot so schwer geworden? „Na, es gab damals die Direktive: Macht es gleich richtig, es dürfen keine Reklamationen kommen“ erinnert Libor, gibt aber zu: „Natürlich könnte man das Boot heute 60 bis 80 Kilo leichter bauen und ihm, wie manch’ anderen Bootsklasse auch, etwas mehr Segelfläche mitgeben. Doch dann wäre der Conger nicht mehr so haltbar und gutmütig.“ So ist der Jolle beim schwachwindigen Probeschlag auf der Alster auch mit dem Segelfuchs Libor an Schot und Pinne anzumerken, dass er aus der Großschiffswerft stammt, wo unter anderem das Schlachtschiff „Bismarck“, die „Cap Arcona“ oder das Segelschulschiff „Gorch Fock“ vom Stapel liefen. Das Boot ist für die Ewigkeit gebaut. Ein paar Windstriche schubsen uns wieder zurück an den Bootssteg. Schmunzelnd schweift Ullrich Libors Blick hinüber zur Bellevue. „Als der Conger damals weg ging wie warme Semmeln,  hieß es garstig: Mensch Ulli, Du kleisterst uns hier den ganzen See mit Deinen bunten Dingern zu.“ Wenn ein Boot seit 45 Jahren einfach so, nämlich häufig u d gern, auch aktiv Regatta gesegelt wird, dann perlen die ätzenden Kommentare ab wie Spritzwasser auf frisch poliertem, fröhlich buntem Kunststoff.

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Seen und gesehen werden

Seit hundert Jahren liefert Boesch gediegenes Spielzeug für den ansehnlichen Bootsausflug. Und neuerdings trifft der Charme der Sechziger auf moderne Elektromotoren. Ein Motorboot fährt sich fast so unbeschwert wie ein Sportwagen. Einsteigen, Zündschlüssel rein, Leinen los und einkuppeln. Mit blubberndem Motor schieben sich die Planken aus dem Hafen. Sonor brummend befreit uns das Triebwerk im Rücken bald aus der Enge des Landlebens. Von allen denkbaren schwimmenden Untersätzen duldet die nicht ganz so bootsaffine Partnerin das Motorboot am ehesten. Es verlangt nur kleine Zugeständnisse an die Geheimwissenschaft der sogenannten Nautik. Sehr schön, wenn es aus maronenbraunem Mahagoni statt Allerweltsplastik ist. Ein hübsches Boot wandelt die zögernde Duldung der Partnerin in lächelnde Sympathie. Der lombardische Bootsbauer Carlo Riva fasste das Thema einmal mit drastischem Snobismus so zusammen: seine Kunden würden grundsätzlich nur auf einer Toilettenbrille aus Holz Platz nehmen. Plastik käme nicht in Frage. Der glänzende Bootslack über den maronenbauen Planken, die funkelnden Beschläge entzücken. Auch lässt das Mahagoniboot die prosaische Kosten-Nutzen Abwägung nonchalant achteraus. Es beglückt wie der seltene Sportwagen bereits mit seiner bloßen Existenz und lässt den Blick auf das Pekuniäre kleinlich erscheinen. Auf dieses Detail kommen wir noch zu sprechen. Wie oft das Boot genutzt wird, ob drei-, fünfmal oder öfter, entscheiden das Wetter und übliche Landlebens-Verpflichtungen wie Einladungen, Familienfeste oder der Garten. Im Grunde langt es, wenn es ein Boesch gibt, wenn man nach dem Tagwerk abends mal ans Wasser geht und es sich einfach anschaut. Fahren ist schön, aber gegenüber dem Haben nachrangig. Von Ausnahmen abgesehen zeichnen sich alpenländische Gewässer durch phänomenalen Windmangel aus. Friedlich spiegelt das Wasser die Kuh- oder Obstwiesen und Weinberge der Gegend. Selten bis nie schuppt eine Brise den See. Weit gereiste Engländer begriffen das beim Besuch der Schweiz sofort. Sie kümmerten sich deshalb um die Berge. Ortsansässige Handwerker wie Jacob Boesch machen seit hundert Jahren auf ihre Weise mit Kähnen zum Rudern und Motorbooten das Beste draus. In Kilchberg am Zürisee kultivierte Sohn Walter Boesch in den Vierzigerjahren dann die annähernd waagerechte Gleitfahrt der flotten Spritsäufer. Mitte der Fünfziger schob er das erste in Serie gebaute Boesch Motorboot ans Wasser. Wer ein sogenanntes Runabout, einen generös motorisierten, mühelos gleitenden Sportflitzer steuert, hat es aus der angestrengten Verdränger- zur lässigen Gleitfahrt des Lebens gebracht. Wesentliche wirtschaftliche Fragen des Lebens sind gelöst. Wer sonst würde heute das üblicherweise einer Eigentumswohnung oder dem Haus in ordentlicher Lage gewidmete Budget für ein apartes Boot versenken? Für einen 7 ½ m Mahagonigleiter vom Typ Boesch 750 Portofino De Luxe wird derzeit mit zwei 320 PS Benzinern und unverzichtbarem Zubehör 480.000 € einschließlich Mehrwertsteuer ausgegeben, für die stärkere E-Motor Variante 725.000. Mit einem knapp 10 m langen Boesch 970 St. Tropez wird mit zwei 8,2 l Benzinern und jeweils 370 PS für annähernd 800 Tausend € abgelegt. Auf hundert Jahre Bootsbau und eine stattliche Flotte gediegener Motorboote blickt die Schweizer Boesch Werft dieses Jahr zurück. Wirtschaftskrisen, den Zweiten Weltkrieg, die Ausbreitung beliebiger Plastikboote an unseren Ufern, vom starken Schweizer Franken erschwerte Exportmöglichkeiten und strenge Vorschriften für den Gewässer- und Umweltschutz hat der über mehrere Generationen geführte Familienbetrieb mit interessanten Finessen gemeistert. Die Vorzüge des Mittelmotorbootes Abgesehen von schneller Fahrt durch raues, von Wellen aufgewühltes Wasser gibt es für ein Motorboot keinen härteren Test als den Wasserski-Einsatz. Lastwechsel, große Leistung und enge Kurven verlangen dem Antriebsstrang allerhand ab. Das geht am besten, wenn er einfach gehalten ist, die Kraft vom Motor über eine starre Welle direkt mit der Schraube ins Wasser kommt. Eine durchzugsstarke Maschine hilft, hat aber den Nachteil schwer zu sein, weshalb sie als Mittelmotor und nicht wie heute üblich im Heck vor einem Z-Trieb untergebracht ist. In den großen doppelschraubigen Boesch Booten wirken zwei schwere Achtzylinder. In den Fünfzigerjahren, als in der Hinterlassenschaft des deutschen Reiches noch der Schutt zusammengekehrt wurde, waren Boesch Boote bereits zum Wasserskifahren auf dem Genfer See gefragt. Diese Spezialität festigte den Nimbus der Boote als zuverlässiges wie edles Süßwasserspielzeug. Die Propellerwelle bringt die Kraft 15 Grad aus der Horizontalen geneigt ins Wasser. Der Winkel hebt das Heck an und macht bremsende Trimmklappen entbehrlich. Die unter statt hinter dem Rumpf wirkende Schraube schließt Verletzungen und versehentliches Aufwickeln des Wasserski-Schleppseils weitgehend aus. Durchdacht und anders ist auch das sogenannte Beulenruder zum Steuern des Bootes. Es hat von oben gesehen den keilförmigen Querschnitt einer Axt. Der Blick von hinten verrät die geschwungene statt gerade Form. Sie gleicht den Drall des Schraubenwassers aus. Man kann das Lenkrad ohne lästigen Gegendruck loslassen. Das Boesch hält Kurs. Die amerikanische Marine hat es von Urs Boesch mitten in Europa, 406 Meter über dem Meeresspiegel übernommen. So einen Ritterschlag vergeben sonst eigentlich nur Chinesen. Schiffbauingenieur Klaus Boesch und sein Bruder Urs, er ist Maschinenbauingenieur, leiteten die Werft viele Jahre, bis Junior Markus den Betrieb vor einer Weile übernahm. Weitere Finessen werden durch den anstehenden Generationswechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor demnächst obsolet. Diese technikgeschichtlich grausame Entwicklung ist unvermeidlich. Weil beim klassischen Mahagoni-Gleiter der domestizierte Sound der herkömmlichen Verbrennungsmotoren so wichtig ist wie der Fahrt selbst, entwickelten die Schweizer für ihre Boote eine spezielle Schalldämmung. Sie trennt hinter der Maschine die schnell entweichenden Abgase vom langsam abfließenden Kühlwasser, führt sie separat durch das Boot zum Heck, wo sie in einer speziellen Mischkammer außenbords direkt über der Wasserlinie wieder zusammenkommen. Eine Kamm-ähnliche Vorrichtung an der Abrisskante des Hecks füllt das kleine Gehäuse mit einem dämmenden Wasser-Schaumgemisch. Mit der sogenannten Kaskadendämpfung bleibt Lärm des Achtzylindermotors im erträglichen Rahmen. Da bemüht der Nachbar vom Wassergrundstück keinen Anwalt. Ein generös motorisierter Gleiter mit Verbrennungsmaschine ist von Haus aus ein Krachmacher. Liebhaber solcher Boote raunen nach dem ersten Glas Wein gerne von der sogenannten Fuel to Sound-Transmission. Wir hielten das für nerdig-maskulinen Quatsch – bis wir mal das erste Anlassen der Triebwerke und weitere Krachmacherei bei höheren Drehzahlen draußen in der freien Wildbahn des Wassers erlebten. Eine richtige Kleine-Jungs-Geschichte. Nun steht und fällt die Zukunft der Mahagonigleiter mit der Motorisierung. Auf dem Ammer-, dem Chiem- und dem Starnbergersee, dem Wörther- oder Wolfgangsee haben einzig neue Boote mit Elektroantrieb eine Chance. Markus Boesch erinnert, dass sein Uropa Jakob bereits von der Vorgängerwerft Treichler ein 20 kW Boot namens „Elektra“ Baujahr 1895 kannte. Mit 4 Tonnen Batterien an Bord war es leider noch eine dröge Geschichte. „1996 haben wir nochmal angefangen, mit 20 Bleisäureakkus und Dieselgeneratoren. Seit 2005 ermöglichten Hochleistungsakkus Antriebe mit 50 kW, ab 2010 dann 100 kW. Mit den leistungsstarken Motoren haben wir etwa 100 Boote gebaut, ganz wenige auch in Doppelmotorisierung.“ Auch wenn deutlich leichtere Lithium-Ionen-Polymer-Batterien anstelle der Bleiakkus den Elektroantrieb für schnelle Gleiter erst sinnvoll machen, bleibt noch eine deutliche Lücke zur Reichweite der Verbrennungsmotoren. Der von 198 Ah Lithium Akkus angetriebene Piktronik 80 kW Synchronmotor bietet laut Werftangaben im 360 Volt Betrieb bei 40 km/h (knapp 22 Knoten) Geschwindigkeit im Boesch 710 eine Reichweite von 47 km (25 Seemeilen). Mit einem 125 kW Motor und 432 Volt Betriebsspannung ist bei gleicher Geschwindigkeit eine Reichweite von immerhin 76 km (41 sm) drin. Mit der herkömmlich Achtzylindrigen 5,7 l Maschine und 175 l Tank wird zum gedankenlos gefahrenen Wochenende abgelegt, einschließlich 38 Knoten Vollgas-Spurts. So wird die Fuel to Sound Transmission, die delikate Koexistenz eines heißen Achtzylinders im Resonanzkörper aus fugenlos zusammengefügtem Mahagoni, in absehbarer Zeit durch den zunehmend interessanten Elektromotor obsolet. Es ist reizvoll, nahezu lautlos mit einem ansehnlichen Boot aus der Enge des Landlebens auszubüchsen. Das wusste auch der den wichtigen Gesichtspunkten der Erdenbürgerschaft zugewandte Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. Er hatte ein kleines Boeschli, wie die Schweizer ihr Seespielzeug schon mal nennen. Als bodenständiger Mann natürlich eins zum Rudern. Das macht keinen Krach, keine Wellen und es riecht nicht.

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Variationen der schlanken Linie

Knud Hjelmberg Reimers‘ rhetorisches Geschick, Talent und Glück machten den gebürtigen Dänen zum führenden Yachtkonstrukteur Schwedens. Ein Porträt des prominentesten Vertreters der schlanken skandinavischen Linie. Anfang der fünfziger Jahre überführt Reimers den 25-Meter-Zweimaster „Agneta“ für den italienischen Industriellen Giovanni Agnelli von Stockholm zur Werft Camper & Nicholson nach Gosport. Die letzten Meilen im Solent gönnt sich der Konstrukteur einen besonderen Spaß. Unter gutgefülltem Tuch durch eine Flotte anderer Segeljachten preschend, verlässt Reimers das Steuerrad und geht mit seinen Söhnen zum Bug. Als sei der Autopilot eingeschaltet, jagen die schlanken, rotbraun schimmernden Mahagoniplanken schnurstracks durch das Wasser. So eine Show haben die applaudierenden einheimischen Segler noch nicht gesehen. „Als Jugendlicher segelte ich ab und zu mit Knud in den Stockholmer Schären“, erinnert sich der schwedische Starclippers-Reeder Mikael Krafft in Monaco. „Es spielte keine Rolle, wie lange wir bereits unterwegs waren, wie spät und wie kühl es wurde, ob jemand Hunger hatte oder durstig war. Knud genoss es in vollen Zügen, auf dem Wasser zu sein. Die Rückkehr an Land musste unter einem Vorwand erzwungen werden, und es wurde oft Mitternacht, was bei den langen Sommertagen im Norden natürlich kein Problem war, jedenfalls nicht für Knud.“ In den siebziger Jahren entdecken auf den Stockholmer Außenschären bei Sturm eingewehte Segler eine Jacht, die das gut belegte Becken des Schutzhafens allen Ernstes unter Segeln ansteuert. In der Mittelplicht hockt ein Ehepaar fortgeschrittenen Alters, stoppt mit versiert gegen den Wind gedrücktem Vorsegel und lässt die Tücher an Deck gleiten, während das Boot durch das Becken treibt. Es sind Effi und Knud Reimers mit ihrem S30-Tourenschärenkreuzer. Kopfschüttelnd nehmen die Beobachter des heiklen Manövers die Leinen entgegen und stellen den Schiffer zur Rede. „Wieso? Ihr habt doch gesehen, dass es geht. Ihr müsst bloß das richtige Schiff segeln und ein bisschen üben“, meint der kühne Senior. Ausgewogene Konstruktionen Mögen die gestreckten Linien seiner schnittigen Boote für sich sprechen. Ihre seglerischen Vorzüge führt der prominente Vertreter skandinavischen Jachtentwurfs rasend gern vor. Seine Konstruktionen sind so ausgewogen, dass sie allein Kurs halten, sie drehen auch bei voller Fahrt in einem engen Hafenbecken praktisch auf dem Teller. Reimers ist ein selbstbewusster, redegewandter Schalk, meist für einen Jux oder würzigen Kommentar zu haben. Bei einem Besuch der Werft Beck & Söhne auf der Insel Reichenau am Bodensee, wo Bootsbauer Friedrich Winterhalter mit einer Serie des Reimersschen „Bijou“- Typs die bis heute anhaltende Renaissance des 30-Quadratmeter-Schärenkreuzers einleitet, steht der alte Ästhet erschüttert vor einem Raumwunder aus der Großserienfertigung. Es bringt auf acht Metern so viel Stehhöhe und Kojen unter wie Reimers mit Ach und Krach auf 16. „Eher bricht mir der Stift ab, als dass ich so ein scheußliches Boot zeichne“, meint Reimers. Was würde er wohl bei den aktuellen Volumenmodellen sagen? Geld verdient er mit der Konstruktion von Tourensegelbooten, Motorjachten und Frachtschiffen. Mit dem Entwurf der schlanken, schnellen Schärenkreuzer, der Kür seines Lebens, belohnt er sich und die Jachtwelt. Sie haben wenig Freibord. Die Reimersschen Deckskanten sind unmerklich und spannungsreich geschwungen. Nie kommen sie mit einem wohlfeil übertriebenen Sprung manches heute üblichen Retrodesigns daher. Mit der Rundung ihres Löffelbugs und der gestreckt über dem Wasser schwebenden Heckpartie segeln sie ästhetisch aus einer anderen Welt in unsere Tage. Größte Variante des Themas „Schön schlank“ Von ihrer Länge abgesehen, der einzigen Extravaganz vieler seiner Boote, wirken seine Entwürfe mit hintergründigem Reiz. Dies erklärt, warum „Agneta“, seine größte Variante des Themas „Schön schlank“, in den Häfen der Côte d‘ Azur, Liguriens oder des toskanischen Archipels allenfalls Liebhabern auffällt. Es ist die zurückgenommen schlichte Eleganz, welche die Reimersschen Entwürfe zum Beispiel skandinavischer Formgebung macht. Merkmal seiner Fahrtenjachten wie etwa des 10-Meter-Kajütkreuzers „Bacchant IV“ oder des S30-Tourenschärenkreuzers ist das stufige Deckshaus mit dem giebelförmigen, einander zugewandten Fensterpaar. Der stufige Aufbau bietet im Eingangsbereich der Kajüte, wo zum Abstreifen des Ölzeugs, am Herd und Navigationsplatz Stehhöhe gefragt ist, die nötige Kopffreiheit. Der Spaßvogel nannte die hintere Stufe „Groghytte“, weil man nach einem haarsträubenden Anlegemanöver da in Ruhe einen Kurzen kippen kann. Neben dem Talent zum Entwurf ansehnlicher Boote gründet die Karriere des Dänen auf seiner Eloquenz. 1906 im dänischen Århus geboren, wächst Reimers in bescheidenen Verhältnissen auf. Die Mutter stirbt früh. Der Vater findet bei der örtlichen Zeitung als Setzer ein Auskommen. Als sich Reimers um eine Seemannsausbildung an Bord des fünfmastigen Schulschiffs „København“ bewirbt, wird er wegen Kurzsichtigkeit nicht genommen. Auf der nächsten Reise verschwindet der Rahsegler mit Mann und Maus im Südatlantik. Es hat wenige, manchmal entscheidende Vorzüge, Brillenträger zu sein. Doppelter Stundenlohn für Schmuddeljob 1926 beginnt er eine Lehre bei der Friedrich Krupp-Germaniawerft AG. Der starke Dollar gegenüber der Reichsmark macht die Kieler Werft damals zum gefragten Lieferanten großer Jachten. Dann lernt er in der Konstruktionsabteilung von Abeking & Rasmussen unter der Anleitung seines Landsmanns, des gebürtigen Dänen Henry Rasmussen, Boote zeichnen. Die späten zwanziger Jahre sind die große Ära des Holzjachtbaus in Lemwerder. Hier wird für einheimische wie amerikanische Rechnung gebaut. Damals lassen Prinz Heinrich, der Reeder Erich Laeisz oder der Industriellensohn Hugo Stinnes R-Jachten und Schärenkreuzer der 30-m2-Klasse am linken Weserufer zeichnen und tischlern. Für diese Klientel braucht Reimers ein ordentliches weißes Hemd. Weil sich die kostspielige, für das berufliche Fortkommen unerlässliche Anschaffung aus dem knappen Salär von 55 Reichsmark nicht bestreiten lässt, schrubbt der Däne nebenher die Waggons der Reichsbahn. Von unten, weil dieser Schmuddeljob den doppelten Stundenlohn bringt. Zügig absolviert er an Bremens Technischer Hochschule ein Studium zum Schiffbauingenieur. Im August 1930 beginnt Reimers als Zeichner beim angesehenen Regattasegler und Jachtkonstrukteur Gustav A. Estlander in Stockholm. Der plötzliche Tod Estlanders in Dezember des gleichen Jahres macht Reimers zum Nachfolger des gefragten Konstrukteurs. Mitte Januar 1931 übernimmt der Vierundzwanzigjährige das Büro. Die Kronen zum Erwerb der Estlanderschen Firma samt ansehnlichem Kundenstamm leihen ihm Mitglieder des Königlich Dänischen Jachtclubs. Nun muss sich der gewitzte Däne nicht mehr mit heimlich aus Bremens Gemüsegärten gerupften Rüben durchschlagen oder dem Schrubben von Eisenbahnwaggons. Jetzt entwirft er für Eric Lundberg, den erfolgreichsten Segler Schwedens, Regattaboote. Bei Lundbergs „Valiant“ stellt Reimers den Mast erstmals auf Deck, statt ihn durchzustecken, eine damals unübliche, dafür platzsparende, trockene Lösung. Den Stauchdruck der Takelage verteilt er großflächig über eine Mastbrücke mittschiffs. Der Ingenieur wird sie im Lauf der nächsten Jahrzehnte beibehalten. Für Lundbergs „Korybant“ experimentiert Reimers schon in den dreißiger Jahren mit einem drehbaren Profilmast. Linien in leicht geänderter Form 1937 zeichnet er für Lundberg die berühmte „Bacchant 11“. Der 19,40 Meter lange, keine drei Meter breite 75-m2-Schärenkreuzer machte Ende des 20. Jahrhunderts als seglerisch ernstzunehmende Veteranin bei Regatten auf dem Lake Michigan von sich reden und liegt heute tipptopp gepflegt im Milwaukee Jachtclub. Der längste 75er Schärenkreuzer seiner Klasse ist Vorläufer des modernen Tourenschärenkreuzers, wie Reimers ihn in den Klassen 22, 30, 40 und 55 Quadratmeter vier Jahrzehnte später entwirft. Zu Lundbergs nächstem Vorhaben, einem Atlantikrekord an Bord einer 25 Meter langen 150-Quadratmeter- Schäre, kommt es nicht mehr. Aber die Linien sind in leicht geänderter Form beim Seekreuzer „Agneta“ erhalten. 1948 zeichnet Reimers diese Yawl für den schwedischen Dampfturbinenerfinder Oskar Wiberg. Seit seiner Ausbildung an Henry Rasmussens Zeichenbrettern Ende der zwanziger Jahre bleibt Reimers beim Schärenkreuzer, variiert die schöne schlanke Linie im Lauf der folgenden Jahrzehnte. So avanciert er zum international bekanntesten Konstrukteur des ursprünglich schwedischen Bootstyps. 1938 werden in 24 verschiedenen Ländern 124 von Reimers entworfene Boote gebaut. Wie Rasmussen, dessen Kontakte in die Staaten die Existenz in schwierigen Zeiten sicherte, verlässt sich Reimers nie auf den heimischen Markt. Er sucht und findet sein Glück überall in der Welt, wo es Geschmack und Geld für den Bau und Betrieb ansehnlicher Boote gibt. In Amerika wird die Finesse der Reimersschen Planken mit der kühlen Eleganz der schwedischen Filmschauspielerin Greta Garbo verglichen. Ein Meisterstück des Bootsbauers Fredi Winterhalter am Bodensee Nach dem Krieg entwirft Reimers manches Boot für schweizerische Rechnung. 1959 hilft er seinem dänischen Landsmann Sven Hansen an Bord der Sparkman & Stephens-Konstruktion „Anitra“ bei der siegreich absolvierten Fastnet Regatta. 1960 zeichnet er mit der 8,30 Meter langen „Fin-Gal“ den ersten GfK-Seekreuzer Skandinaviens. 1967 leitet der Reimers-Riss „Bijou“, ein Meisterstück des Bootsbauers Fredi Winterhalter am Bodensee, die Renaissance des klassischen 30-Quadratmeter-Schärenkreuzers ein. Sie hält bis heute an, mit einer neuen Form zur preiswerten Serienfertigung und dem alljährlich am Bodensee ausgesegelten Reimers-Pokal. In den siebziger und achtziger Jahren bringt Reimers mit den familientauglichen Tourenschärenkreuzern vom Typ S30 (12,50 m, nominell 30 m2 am Wind), S40 (14,40 m, 40 m2) und Swede 55 (16 m, 55 m2) gestiegene Erwartungen an Bordleben und Komfort mit der Eleganz traditioneller Linien in Einklang. Heute, da viele Serienboote in hektischen Produktionszyklen und gelöst von der seglerischen Tradition fast ausschließlich unter Komfort- und Vertriebsgesichtspunkten von innen nach außen entwickelt werden, erinnert das Werk des 1987 gestorbenen Reimers an den Vorzug ästhetischer wie seglerischer Gesichtspunkte. Deshalb haben seine Boote überall in der Welt ihre Liebhaber, sei es als gesegelte Antiquitäten (auch der frühen GfK-Ära) oder als Neubauten bei Thomas Bergner in Schleswig-Holstein oder der Bodenseewerft Beck & Söhne. Der Nachlass des tüchtigen Dänen, die Korrespondenz, Akten und 5000 Zeichnungen, ist im Sjöhistoriska Museet in Stockholm zugänglich. Legendär: Der kleine und der große Tümmler Angelsächsische Segler kennen Knud Reimers meist als Konstrukteur des „Tümmler“, eines 8,30-Meter-Spitzgatters, den er 1934 als 20-Quadratmeter-Version, 1937 als 9,80 Meter lange Variante mit zehn Quadratmeter mehr Tuch als „Albatross“ zeichnete. Gefragt war ein seetüchtiges, leicht zu handhabendes Boot. So entstand der leichte schlanke Spitzgatter mit wenig Segelfläche. Reimers ließ sich vom Bootstyp der windreichen Kosterinseln am Skagerrak inspirieren. Bemerkenswert ist die kleine, dank gestreckter Profile wirksame Besegelung. „Ein Leichtdeplacement dieser Art zu handhaben ist die reine Freude“, fasste der englische Hochseesegler und Publizist Adlard Coles seine Erfahrungen mit seinem Tümmler „Zara“ zusammen. 1946 kaufte er mit „Cohoe“ einen leicht modifizierten Albatross und nutzte die große Tümmler-Variante intensiv für Wettfahrten. 1950 gewann Coles damit die Meisterschaft des Royal Ocean Racing Club bei ruppigen Bedingungen. Mit der Teilnahme am Newport-Bermuda-Rennen wollte er beweisen, dass kleine und leichte Seekreuzer blauwassertauglich sind. Mit der berühmten, über den Vorsteven gestülpten Nase entsprach Coles der vom ausrichtenden Cruising Club of America vorgeschriebenen Mindestlänge von 35 Fuß. Im selben Jahr gewann „Cohoe“ die erste nach dem Krieg von West nach Ost gesegelte Atlantik-Regatta. In „Schwerwettersegeln“ (Delius-Klasing-Verlag) hat Coles seine Erfahrungen mit beiden Tümmler-Typen beschrieben. Seine Feuertaufe bestand der kleine Tümmler bei einer 1969 vom südaustralischen Melbourne gestarteten Regatta. Orkanböen mit 74 Knoten Wind sorgten dafür, dass von 100 Startern nur 14 in Geelong ankamen, darunter drei Tümmler. Schätzungen zufolge wurden beide Typen zusammen mehr als 300 Mal gebaut. Im Leichtwindrevier der Schweiz ist der Tümmler mit 28 Quadratmeter als sogenannter „Hocco“ unterwegs.

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Auf die Spitze getrieben

Eigentlich ist der gebürtige Bochumer Otto Happel ein Segler wie jeder andere. Ganz gleich wie interessant, schön, schnell oder komfortabel die vorhandene Yacht gerade ist. Ein richtiger Segler träumt immer vom nächstbesseren und natürlich größeren Schiff. Bootseigner verfügen über reichlich Phantasie, wie ihre nächste Yacht aussehen könnte. Im Unterscheid zu den meisten Seglern kann Happel seine Träume verwirklichen. Anfang der Neunzigerjahre ließ er bei der Abeking & Rasmussen Werft im Bremen eine ansehnliche Holzyacht tischlern. Entworfen hatte sie der amerikanische Traditionalist Bruce King mit verwegenem Klipperbug, geneigten Masten, antiquiert kastenförmigem Deckshaus, ovaler Sitzmulde und Spielereien wie achteckig verglasten Skylights. Den Vogel schoss der geschwungen zum Deck hin abgerundete Heckspiegel aus klar lackiertem Mahagoni mit umlaufender Goldbordüre ab. Das war nicht bloß retro. Das war King, der das selbstbewusste Kapitel amerikanischer Yachtkonstruktion im Kielwasser Lewis Francis Herreshoffs Ende des 20. Jahrhunderts fortschrieb. Der elegante, als Ketsch getakelte Zweimaster sollte aus emotionalen Gründen komplett aus Holz getischlert sein. Und weil die bremischen Bootsbauer frei nach dem weithin bekannten Toyota Spruch am linken Ufer der Weser auch als unmöglich geltende Sachen machen, tischlerten sie dem cleveren Erben der Gesellschaft für Entstaubungsanlagen (GEA) nach einem einträglichen Börsengang seiner Aktiengesellschaft damals mit 43 Metern Länge die größte Mahagoniyacht der Welt. Schiffe sind Herzensangelegenheiten. Es geht um ein bestimmtes Bordlebensgefühl. Wie wir uns seinerzeit bei einem Besuch der Bootsbaustelle in Lemwerder überzeugen konnten, stellte es sich zwischen den Spänen stehend in der Werfthalle sogar neben einem ernüchternd grauen Boot der Marine ein. Das Holzschiff war damals, als sich nach dem Generationswechsel auf den Regattabahnen die Ablösung von Aluminium durch deutlich leichtere und zugfestere Faserverbundwerkstoffe auch im Luxusyachtbau abzeichnete, ein von manchem Insider belächelter Anachronismus. Die Masten und auch die Maschine wurden auf einer Art stählernem Fahrgestell montiert. Aufwändig ist auch das Rückgrat des Schiffes, ein 14 Meter langer, mit 68 Tonnen Blei gefüllter Kiel aus Marinebronze. Im mittig eingearbeiteten Schlitz sitzt ein 7 ½ Meter langes Klappschwert. Zum Segeln wird es von 3,20 auf 8,70 m abgesenkt. Nach einem erfreulichen Finale anlässlich des Maxi Yacht Rolex Cups im September möchte Happel seine „Hetairos“ nun für knapp 14 Millionen Euro verkaufen. Denn der Seglertraum einer neuen „Hetairos“ schwimmt, er segelt mittlerweile. Er beschäftigte den passionierten Blauwasser- und Vielsegler schon eine ganze Weile. Ein Segeltag an Bord einer ziemlich leichten und leeren Regattayacht aus Karbon, Epoxidharz und Schaum soll dem Wahlschweizer den Rest gegeben haben.  Zehn Jahre nach dem Stapellauf der „Hetairos“ ließ Happel bei führenden Yachtkonstrukteuren einen klassisch gewandeten Ocean Greyhound mit großer Grundgeschwindigkeit, also richtig langer Wasserlinie ausschreiben. Damit die Südsee nicht um das unwirtliche Kap Hoorn oder das Kap der guten Hoffnung herum angesteuert werden muss, sondern auf dem kürzest möglichen Weg durch den Panamakanal erreichbar bleibt, musste das Schiff bei Niedrigwasser soeben noch die 62,5 Meter hohe Bridge of the Americas bei Balboa passieren können. Die Ausschreibung gewann ein Entwurf des Amsterdamer Klassiker- und Großseglerspezialisten Gerard Dykstra. Als versierter Hochseeregatta- und Einhandsegler steht der stille Holländer bei allem Faible für traditionelle Formen für unbedingt zweckmäßige Entwürfe. Der Schonerspezialist zeichnete von Klassikern angeregte Neubauten wie „Borkumriff IV“, „Meteor“, „Windrose of Amsterdam“ oder die viel beachtete 90 Meter langen „Athena“. Man bezeichnet diese Schiffe als „Spirit of Tradition“ Yachten, weil sie traditionell anmuten, aber nach dem heutigen Stand der Technik gebaut und ausgestattet sind. Unterstützt von den kalifornischen Leichtbau und Regattayacht Spezialisten Reichel/Pugh, das Konstruktionsbüro brachte den modernen Rennyachten das Gleiten bei und zeichnete manche wegweisende große Segelyacht, wie beispielsweise den 45 m langen, ganze 105 t schweren Ultraleichtbau „Visione“ für den Walldorfer Software Kaufmann Hasso Plattner, machten sich die finnischen Kompositgurus der Baltic Werft ans Werk. Nach Jahren eines selbst „übliche“ Luxusyachtprojekte toppenden  Geheimhaltungsbrimboriums um das sogenannte „Panamax Projekt“ schob die Werft in Pietarsaari, einer Kleinstadt etwa auf halber Strecke zwischen Helsinki und dem Polarkreis, im Juli einen grünen Bootskörper aus der Halle. In den Gurten zweier Kräne hängend wurde der Rumpf mit dem jollenartig flachen Unterwasserschiff über eine zehn Meter lange Kiel- und sechs Meter lange Ruderflosse gehoben. Dann wurde das Boot mit zwei ziemlich langen Masten bestückt, von denen andernorts nach reiflicher Überlegung vielleicht einer auf einem großen Segelboot errichtet würde. Irreal wie eine Computeranimation schob sich der grüne Renner mit dem markanten Steven bereits mit Groß- und Besansegel durch das kaum vom Wind geschuppte Wasser der Schären von Piertarsaari dem bottnischen Meerbusen entgegen. Von ganz wenigen Ausnahmen wie dem Baltic Werftbau „Visione“ abgesehen sind die meisten großen Yachten seglerisch weniger interessant, weil sich der gefürchtete Kümo- oder Butterdampfereffekt einstellt. Es wird so viel Luxus verwirklicht und derart viel Material verbaut, das auch die Bootsbreite und Deckshöhe der Kontakt zum Wasser und jedes Segelgefühl verloren geht. Große Segelyachten dümpeln bei wenig Wind träge wie Luxusdatschen im Meer. Yachten vergleichbarer Länge wiegen etwa das Dreifache der 230 Tonnen dieses yachtbaulichen Meilensteins. Neben der Brückendurchfahrtshöhe bietet die zweimastige Takelage den Vorteil, die 1.700 Quadratmeter am Wind Besegelung auf mehrere, etwas handlichere Segel aufzuteilen. Man kann damit schneller auf variierende Windverhältnisse reagieren. Am Wind sollen bis zu 16 Knoten drin sein. Bei seitlichen bis Schiebewind, wo die „Hetairos“ bis zu 2.600 qm setzen kann, wird sie mit bis zu 27 Knoten mittelgroßen gleitenden Motoryachten Paroli bieten. Dykstra ist ein Freund der generösen Beseglung. „Einpacken kannst Du bei zunehmendem Wind immer“ meinte er einmal. Weit ausgestellte Achterlieksrundungen projizieren die Segelfläche oben, wo sie besonders wirksam ist. Das Boot wird mit doppelt ausgeführten losen Achterstagen gesegelt. Sie werden bedient wie ansonsten abgeschaffte Backstagen.  Die 50 Meter Wasserlinienlänge, auch der 83 Tonnen schwere Kiel, dessen Tiefgang teleskopisch beim Segeln von 9 ½ auf sechs Meter reduziert werden kann machen es möglich. Ein Beispiel seewassertauglichen Sondermaschinenbaues. Der 15 Tonnen Vorrat an Diesel und Frischwasser lässt sich gezielt auf die windwärtige Seite verlagern. Zusätzlich können 25 t Meerwasser unter die Luvseite der „Hetairos“ gepumpt werden. Wartungsintensive und notorisch störanfällige Wasserballastsysteme sind die vergangenen Jahre ein wenig aus der Mode gekommen. Doch waren das vergleichsweise übliche yachtbauliche Extras. Wie man das Karbon so um den Kielkasten legt, daß er im Fall einer Grundberührung mit angenommenen dreitausend Tonnen punktueller Belastung fertig wird, haben sich die Strukturberechnungsingenieure von SP/Gurit in Südengland gut überlegt. Fortschrittlicher Bootsbau mit minimiertem Epoxidharzanteil dank imprägnierter Karbon Prepregs, meist über Waben als Kernmaterial bei 85 Grad Celsius zu einem ultraleichten Boot „gebacken“, ist eine Spezialität der Baltic Werft. „Herkömmlicher“, einfacher zu reparierender und etwas schwererer Schaum kam nur dort zum Einsatz, wo Beschädigungen des Laminats erwartet werden. Die neunköpfige Stammcrew um den „Mari Cha III“ erprobten Skipper Vincent Fauquenoy, sie soll bei Regatten um eine Fußballmannschaftsgröße Besatzung erweitert werden, wird unterwegs und abends beim Einpacken der Segel gut zu tun haben und fluchen. Etwa sechshundert Quadratmeter dachpappenzähes Großsegel auf einem 15 Meter langen Baum zusammenlegen ist Arbeit. Die praktischen, aber klobig schweren Rollbäume der Vorgängeryacht wurden aus Gewichtsgründen ebenso wie die bei großen Yachten üblichen Ofenrohr-dicken Baumniederholer weggelassen. Der 63-jährige Happel ist vom Sipo- und Khayamahagoni Romantiker zum konsequenten Schnellsegler geworden. Neulich erhielt „Hetairos“ für Regatten den erschütternden Zeitvergütungsfaktor von 2,028. Er liegt deutlich über dem Rennwert derzeit führender Regattayachten. Dabei ist der Spirit of Tradition Segler keine nüchterne Rennmaschine. Die raffinierte Verkleidung der Waben des Hightech Leichtbaues mit Teakplanken oder Mahagonipaneelen und hauchdünnen Furnieren macht die Illusion einer traditionell getischlerten Yacht perfekt. Und wer sich das hinreißend überragende Heck ansieht, entdeckt neben einer vergleichsweise filigranen Goldbordüre rings um den Spiegel aus klar lackiertem Mahagoni einige kühn geneigte Heckbalken, wie sie Mitte des Ende des 19. Jahrhunderts bei den Booten des Royal Yacht Squadrons aus Eiche geschnitzt üblich waren und heute ganz selten, beispielsweise bei „Lulworth“ zu sehen sind. Übrigens wurde die neue Hetairos so schwer wie die alte. Sie ist nur ein wenig länger und mit mehr Ballast in neun statt drei Metern Tiefe und deutlich mehr Garderobe schneller. So weit, mit zeitgemäßer Bootsbautechnologie im antiquierten Gewand, wurde das Thema Spirit of Tradition bislang nicht getrieben.

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Horizontverschiebung

Hier geht es um eine Insel im Bayerischen Meer, glückendes amphibisches Leben und einen 90. Geburtstag. Und um die Segelyacht Dreamtime. Nach weithin verbreiteter Ansicht gilt ein Boot als entbehrliche Sache. Was nicht zwingend zum alltäglichen Leben erforderlich scheint, steht bei der hinsichtlich Spielzeug vernünftigen weiblichen Fraktion der Familie unter mindestens latentem Rechtfertigungsdruck. Jeder, der sich eine Liebhaberei wie ein Motorrad, einen Oldtimer oder Sportwagen gönnt, kennt diese unschöne Opposition. Bei einem schwimmenden Spielzeug kann sich das zum brüsk formulierten Veto auswachsen: Das Boot oder ich. Der Münchener Fotograf Ulli Seer wurde durch die elterliche Ferienwohnung auf der Fraueninsel im Chiemsee geprägt. Er ist etwa so lange auf dem Wasser unterwegs, wie er schwimmen kann. Als Fünfjähriger takelte er einen Ruderkahn mit einer Zeltplane als Segel auf, wagte sich in einer lokalen Bootsklasse wie dem sogenannten Chiemsee-Schratz weiter raus und bretterte in den siebziger Jahren als Student mit einer flotten Jolle über die Regattabahnen. Zur Vermeidung müßiger häuslicher Latenzen entschied Seer sich für eine dem Wassersport zugewandte Frau. Dazu musste er weit, bis ins ferne Australien, reisen. Das ist insofern bemerkenswert, weil das Polyglotte nicht direkt zur Heimatverbundenheit des Bayerischen, soweit wir es verstehen, passt. Auf die zweite und dritte Anomalie kommen wir später zu sprechen. Anfang der Achtziger war Seer klug genug, seine Begeisterung für das amphibische Leben im und am See zugunsten von Beruf, Frau und drei Kindern mit einem behäbigen Jollenkreuzer zu domestizieren. Zunächst. Das ist nicht selbstverständlich, weil die im Märklinidyll der Gegend gelegene Fraueninsel mehr als ein romantisches Fleckerl Erde ist, wie es die Fremdenverkehrswerbung zutreffend beschreibt. Auch außerhalb des mächtigen Klosters ist das Eiland in seiner herrlichen Jenseitigkeit ein Ort, wo es zur dauerhaften Horizontverschiebung kommen kann. Es ist einfach derart schön dort, dass man bleiben und die Nötigungen festländischer Pflichten vergessen möchte. In diesem Idyll wird Seer mit einer der schönsten schwimmenden Skulpturen des Bayernmeeres groß, dem Vierzig-Quadratmeter-Schärenkreuzer Argo V. Das flachbordige Geschoss ist etwa 15 Meter lang und richtig schmal. Eines der extremsten Exemplare der ursprünglich schwedischen Bootsklasse, mit seinen Proportionen 1924 vom besessenen Segler, Architekten und Bootskonstrukteur Gustav Estlander auf die Spitze getrieben. Die schwimmende Extravaganz liegt an einer Boje in Sichtweite der elterlichen Ferienwohnung. „Irgendwann einmal werde ich so ein Schiff segeln“, ahnt Seer damals. Ende der achtziger Jahre scheint es so weit zu sein. Der langjährige Besitzer Erwin Ludescher ist verstorben, und die Angehörigen haben das bedenklich leckende Gefährt vorsichtshalber bergen lassen. Argo steht „aufgebahrt“ in einer Halle, wie Seer zurückblickt. Trügerische Erinnerungen aus verblichener Jugend an den intakten Renner schieben sich tückisch vor die Realität des morschen Gebälks. Gefährlich ist auch der lockende Preis. Die Sicherungen sind bei Seer schon fast draußen, als er Bootsbauer Bepp Heistracher um Rat fragt. „Lass die Finger davon, das ist ein Fass ohne Boden.“ Tja, solche Handwerker gibt es, gradlinige Leute, die dem Liebhaber und Träumer in gebotener Klarheit einschenken und den Horizont wieder geraderücken. Die kostspielige und zeitraubende Sanierung passt nicht in Seers Gesamtlebenskunstwerk als Freiberufler, Familienvater und Segler. Doch der Traum von einem hinreißenden Segelboot für das Bayerische Meer bleibt. Vernünftiger als Seers Jugendliebe „Argo“ Nach einer Weile tapferen Wartens begegnet Seer im Sommer 1990 am Bodensee einem Dreißig-Quadratmeter-Schärenkreuzer. Er ist kürzer, etwas breiter, insgesamt vernünftiger als Seers Jugendliebe „Argo“. Ein vergleichsweise handliches Gefährt aus klar lackiertem Mahagoni, mit einem weißen Dach in der vergessenen Machart alter mit Leinen bespannter Kajüten. Dazu kleine Bullaugen und ein Fach zur Ablage der Leinen, der sogenannte Mastgarten. Ein Gefährt mit musealem Charme. Seer erliegt ihm augenblicklich. Es heißt „Elch“ und hat den entscheidenden Vorzug, dass er angesichts der Bürde absehbarer Instandsetzungsmaßnahmen und alljährlicher Pflege damit zwar in die Knie gehen, aber nicht absaufen wird. Ein traditionell aus waagerechten Planken über senkrechten Rahmen (Spanten) gebautes Boot ist im Prinzip ein Parallelogramm, dessen Bauteile im Lauf der Jahrzehnte etwas Spiel bekommen. Sie verschieben sich und lassen Wasser herein, bis man mehr mit dem Pumpen als dem Segeln beschäftigt ist. Es handelt sich um ein Exemplar der angesehenen Werft Abeking & Rasmussen, wo am linken Weserufer in Lemwerder bei Bremen weltweit gefragte Holzboote entstanden. Werftinhaber Henry Rasmussen berichtet in seinen Memoiren „Yachten, Segler und eine Werft“ über das Jahr 1929: „Ein interessanter Bau war auch der Schärenkreuzer ,Pasch‘ meines Freundes Erich F. Laeisz, Hamburg. Da Herr Laeisz ein großer Förderer der Schärenkreuzer war und gern experimentierte, so kamen wir überein, unseren beiderseitigen Freund Alfred Mylne einen 30er zeichnen zu lassen. Um Mylne in die ganze Schärenkreuzer-Materie einzuweihen, sandte ich ihm meine neuesten Risse. Die Konstruktion von Herrn Mylne hatte viel Ähnlichkeit mit meinen Booten, war in vielem aber doch wieder anders, mehr für englische Verhältnisse zugeschnitten mit geradem Mast und größerer Verdrängung.“ Der Schärenkreuzer ist damals Avantgarde Der Hamburger Reeder Laeisz ist damals in der glücklichen Lage, sich ungebremst von lästigen Sachzwängen wie Budget- und Zeitfragen der Parallelwelt intensiv ausgeübten Segelsports widmen zu können. Er lebt gediegen an der Hamburger Außenalster, seinerzeit ein nobles Suburbia, so gelassen, wie wir es uns heute auf der Fraueninsel denken. Die Horizontverschiebung geht damals so weit, dass Laeisz sich nahezu jährlich eine vielversprechende Rennyacht bauen lässt, sie auf der Alster, auf der Kieler Förde oder zur Abwechslung auch mal in den Staaten vor Long Island segelt. Der Schärenkreuzer ist damals Avantgarde. Eine Marotte der Familie Laeisz ist es, ihren Schiffen einen mit „P“ beginnenden Namen zu geben. Die besegelten Frachtschiffe der Reederei, wie beispielsweise die „Padua“ (heute „Kruzenshtern“), die „Passat“ (Museumsschiff in Travemünde) oder die „Peking“ (wird derzeit für den Hamburger Hafen hergerichtet) werden daher P-Liner genannt. Der Tatsache, dass sie schnelle Reisen absolvieren, verdanken sie den Namen Flying P-Liner. Diesen Namensgebungsbrauch setzt Laeisz privat mit „Pasch“ fort. Sein nächstes Boot heißt „Pan“. Die zweite und dritte Anomalie Seit drei Jahrzehnten ist Familie Seer nun mit der ehemaligen „Pasch“ auf der Reibfläche von Wind und Wasser unterwegs. Am liebsten bei Hochdruckwetterlage, wenn eine gleichmäßige Ostwindthermik nachmittags eine köstlich konstante Brise übers Bayerische Meer schickt. Dann preschen die maronenbraunen Planken durch das grüne Wasser dem Alpenpanorama mit Hochplatte und Kampenwand entgegen. Ein seglerisches Nirwana. Sollte an heißen Sommertagen jedoch die Luft stehen, hängt die australische Fahne schlapp am Heck. Dann dient die „Dreamtime“ als Badeplattform. Womit wir bei der zweiten und dritten Anomalie wären. Der blaue Southern Cross erinnert an die australische Herkunft von Ehefrau Jill. In seinen „Songlines“ hat Bruce Chatwin die Wanderschaft der Aborigines anstelle der Sesshaftigkeit als ideale Lebensform, als „Dreamtime“ beschrieben. Auch passt der Name zur schönen Auszeit auf dem See. Die Töchter Nicola, Daniela und Sohn Benny wuchsen mit dem Boot auf. Es sieht danach aus, als würde der Stammhalter die Segelleidenschaft des Vaters und des Großvaters fortsetzen. Wenn außer Seer keiner Zeit hat, geht er mit „Linoo“ an Bord. „Das ist ein Pointer-Mischling. Meine Tochter Nicola brachte ihn aus Griechenland mit. Er ist zwar schon zweimal über Bord gefallen. Aber ich hab ihn immer gepackt und ins Boot gehoben.“ So ein flachbordiger Renner ist halt schon auch praktisch. Die gute Zeit an Bord lässt die Instandhaltung der Antiquität fast vergessen. Gleich nach der Übernahme des Boots wurden 30 Meter Planken gewechselt und ein neues Deck verlegt. Es hat mittlerweile Patina. Und wenn 2,7 Tonnen Mahagoni über Eiche und Blei auf so gelassen australisch-bayerische Weise in die Familie reinwachsen, kann man auch mal den 90. Geburtstag des Gefährts bei einer konstanten thermischen Brise aus Ost feiern.

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Daysailer

Wer wenig Zeit hat und trotzdem immer mal wieder für ein paar Stunden aufs Wasser möchte, für den sind sie genau richtig: Daysailer versprechen großes Vergnügen mit wenig Aufwand. Sieht man sich in den Buchten, Segelvereinen und Häfen unserer Gewässer um, wo selbst an schönen Sonn- und Feiertagen eine riesige Flotte von Freizeitbooten unbenutzt unter der Plane an den Bojen oder Stegen schlummert, entsteht der Eindruck, Boote würden ähnlich wie Heimtrainer als Versprechen eines anderen, aktiven Lebens gekauft, das nicht eingelöst wird. In einem großen Yachthafen wurde einmal über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet, dass die dort vertäuten Boote im wesentlichen zwei Mal in der Segelsaison, nämlich im Frühjahr aus dem Winterlager an den Steg und im Herbst wieder zurück an Land bewegt werden. Liegt das an der Überalterung der Klientel, lassen wirtschaftliche Entwicklung und ökonomischer Druck jüngeren Bootseignern keine Freizeit mehr? Vielleicht erschöpft sich das Glück des Eigners nach dem Motto „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ auch in der Repräsentation. Oder liegt es am Boot selbst? Bereits das zehn Meter lange Kajütboot heutiger Machart bietet als schwimmendes Wochenendhaus vier Kojen, Salon, Pantry, Toilettenraum, Einbaumaschine und Stehhöhe in allen Kabinen. Das Einsteigermodell der Großserienhersteller wiegt Werftangaben zufolge etwas mehr als fünf Tonnen und ist mit etwa 50 Quadratmetern besegelt. Auf dem hochbordigen Gefährt findet der Segler keine Nähe zum Wasser. Er hat sich von dem entfernt, was er eigentlich sucht. Ein führender Bootskonstrukteur bemerkte einmal: „Ganz gleich, ob wir vom kleinen Kabinenkreuzer oder einem hochseetauglichen Renner reden – von wenigen Ausnahmen abgesehen sind alle Segelboote Daysailer. Auch mit der 25-Meter-Yacht wird Sonntag nach dem Frühstück abgelegt und am Nachmittag zurückgekehrt.“ Höchste Zeit also, sich auf einen uralten Bootstyp zu besinnen, den es schon seit der Kaiserzeit gibt. Damals wurde er Nachmittagsboot genannt. Heute, da das Lifestyle-Thema Segeln ohne Anglizismen nicht mehr auskommt, heißt es natürlich Daysailer. Bei diesem Gefährt handelte es sich um ein etwa neun Meter langes, offenes Kielboot ohne Unterschlupf, Spritzkappe oder Kajüte – ein Gefährt für schöne Segelstunden. Flott zur Sache kommen Man kam flott zur Sache. Der Aufwand – das Auf- und Abdecken des Bootes, das Auf- und Abtakeln – stand in einem gesunden Verhältnis zu den Stunden auf dem Wasser. Und wer dann noch das Glück hatte, in der Nähe des Liegeplatzes zu arbeiten und zu wohnen, legte an schönen Sommertagen sogar unter der Woche mal ab. Kein Wunder, dass sich seit einigen Jahren mancher Konstrukteur und Bootsbauer auf dieses Konzept besinnt. Von einem Trend zu sprechen wäre zu früh, weil die Stückzahlen der Daysailer im Vergleich zur Konfektion der Großserienwerften verschwindend klein sind. Es ist eher eine Art Gegenströmung zu den heute üblicherweise angebotenen schwimmenden Alleskönnern. Solche Boote werden meist von Individualisten gekauft, die sich für die Essenz des Segelns interessieren. Sie wissen, dass ihnen der Alltag, ganz gleich, wie schön oder verregnet der Sommer ist, wenige Gelegenheiten lässt. Entsprechend kostbar sind die Stunden auf dem Wasser. Ein Boot, das bereits bei sanfter Brise segelt und bei zunehmendem Wind überzeugt, muss leicht und mit gescheitem Ballastanteil unterwegs sein. Das geht nur, wenn Einbauten wie Kojen, Polstergarnitur im Salon, WC, Dusche, Kochgelegenheit, Tanks und Batterien weggelassen oder auf das Allernötigste reduziert werden. Neben dieser konzeptionellen Klarheit trägt eine anspruchsvolle, gewichtsparende Bauweise zur Agilität auf dem Wasser bei. Mitte der neunziger Jahre etwa ließ sich der italienische Industrielle Giovanni Agnelli nach einer Enttäuschung mit einer größeren Yacht einen 29 Meter langen Daysailer bauen. Die karbonschwarze Stealth ist dank klarer Konzeption und hochwertiger Bauweise mit 71 Prozent Ballastanteil unterwegs. Agnelli genügte es, sein Landleben für ein paar Stunden zu unterbrechen. Er genoss das seglerische Nirwana und wandte sich dann wieder anderen Dingen zu. Die Segelspaßmaschine aus Kohlefaser ist unter Deck quasi leer. Abgesehen von solch segeltechnischem Fetischismus gibt es einen praktischen Grund, warum ein Boot für hiesige Gewässer leicht sein sollte. Am Bodensee beispielsweise geht es alljährlich vom Spätsommer an in vielen Häfen um jeden Zentimeter Tiefgang. Auch das flache Ijsselmeer limitiert ähnlich wie manch mühsam ergatterter Liegepatz an den bayerischen Seen den Tiefgang. Das leichte Boot mit seinem jollenartig flachen Rumpf lässt zwischen dem Bootsboden und dem Grund Platz für eine seglerisch vorteilhafte Kielflosse. Ein fünf Tonnen schweres Boot dagegen zieht bereits einen derart dicken Bauch durchs Wasser, dass wenig Platz für einen gescheiten Kiel bleibt. Zwar gibt es pfiffige Hubkiellösungen, doch: Wer wenig Zeit zum Segeln hat, befasst sich ungern mit zusätzlicher Technik zum Anheben und Absenken des Kiels. Für gelegentlich Nachmittags- und Feierabendsegler gilt das auf dem Wasser Keep-it-simple-Prinzip ganz besonders. Wer sich am Arbeitsplatz und daheim mal ausklinkt, möchte segeln und nicht basteln. Leichte Boote, bei denen das Verhältnis von Gewicht und Besegelung stimmt, kommen bereits bei jenem Hauch von Wind, den das Schwäbische Meer oder die bayrischen Seen an vielen Tagen in unbeirrter Sparsamkeit bescheren, in Fahrt. Der elf Meter lange Daysailer vom Typ Sagitta der Schweizer Heinrich Werft beispielsweise wiegt mit zweieinhalb Tonnen weniger als die Hälfte des erwähnten 30-Fuß-Großserienboots und ist mit sechzig Quadratmetern unterwegs. Dann sollte der Daysailer, gleich welcher Größe, möglichst flachbordig sein, damit er mehr Sportgerät als schwimmender Caravan ist. Daysailer werden heute in verschiedenen Spielarten gebaut – von cool bis charmant, von italienischer alta moda für den Hauslago bis hin zum Retrosegler für Küste oder Côte d‘ Azur. Wer es modern mag, wird sich eine Esse oder die B-Yachts des mailändischen Konstrukteurs Luca Brenta ansehen. Die B30 eignet sich für Binnengewässer wie den Attersee, der 60-Füßer wurde bislang zwei Mal im Auftrag deutscher Eigner für die Kieler Förde und die Costa Smeralda gebaut. Wem maronenbraunes Mahagoni lieber als die Trendfarbe silbermetallic ist, wird sich die formverleimten und einhandtauglichen Binnenrenner der Markus-Glas-Werft am Starnberger See ansehen. Oder er schaut bei Carpe Diem Yacht Design in Tutzing rein, wo Klaus Röder den persönlichen Kompromiss aus Segelspaß, Eckdaten des Liegeplatzes und Erfüllung menschlicher Bedürfnisse unterwegs wie Koje, Kochgelegenheit und Bordklo maßschneidert. Kostspielige Versuchungen in Retromanier sind die Daysailer Eagle 44, Friendship 40 oder die ansehnliche Hinckley 42DS. Wem das vorerst alles viel zu teuer ist, schießt für wenige Tausend Euro ein gebrauchtes Plastikboot, beispielsweise ein Zweimannkielboot vom Typ Dyas. Da geht man mittwochs einfach mal an Bord seines Nachmittagsbootes, oder am Sonntag nach dem späten Frühstück. Man hebt die blaue Persenning runter, schubst sich für ein paar intensive Stunden vom Steg hinaus aufs Wasser, wo man wie Agnelli garantiert auf andere Gedanken kommt.

Günther Henze

Es ist manchem Segler von der Waterkant oder süddeutscher Gewässer weniger bekannt, dass man in Nordrhein-Westfalen wunderbar segeln kann. Es gibt dort landschaftlich herrliche, wenn auch vom Wind unterschiedlich begünstigte Stauseen wie den Baldeney- oder Biggesee, die Sorpe- oder beispielsweise Rurtalsperre. Der Möhnesee im Sauerland beispielsweise hat 1.200 Liegeplätze, verteilt auf 14 Clubs. Wo es so viele Boote gibt, braucht es auch eine Serviceadresse wie die Henze Werft für all die Variantas, Sprintas und Sprinta Sports, Delantas oder Optimas, weshalb Henze fast drei Jahrzehnte Dehler Vertragswerkstatt, war. Auch den Freunden des beliebten Zweimann Kielboots Dyas ist der Betrieb von Günther Henze ein Begriff. „Von 1972 bis ‘87 habe ich etwa vierhundert Dyas verkauft, in den besten Jahren um die hundert jährlich“ erinnert der 64-jährige stolz im Büro bei einer Tasse Kaffee mit Trockenmilch. Ab und zu kommt die Sekretärin mit einer Frage zur Verbuchung von Rechnungen rein, ansonsten ist es nebenan Mitte März im Empfang und Seglerladen für den üblichen Kleinkram ruhig. An den Wänden hängen Bilder von Einzelbauten für das Mittelmeer, Barkassen und Schnellfähren, die offensichtlich nicht an der Möhnetalsperre zum Einsatz kommen. Die baut Henze nämlich auch, doch dazu später mehr. Eigentlich ist Henze Bremer und ein Bootsbauer der alten Schule. „Ich habe bei Burmester gelernt, als Lehrling aber hauptsächlich die Fertigung von formverleimten Minensuchbooten erlebt. Eine Yacht wie die 11 KR Yawl „Heike“ für Heinz Glahr war auch dabei, erinnert der sportliche Senior, der sogar noch auf dem legendären Burmester Zwölfer „Ashanti III“ segelte, bis das Schiff vor seinen Augen explodierte, ausbrannte und bis zur Deckskante sank. „Wir wollten gerade mit unseren Segelsachen an Bord gehen, als es passierte“ erinnert Henze, der nach seiner Ausbildung drei Jahre als Bootsmann auf dem Burmester Schoner „Ashanti IV“ arbeitete. „Da habe ich Theodor Heuss und Heinrich Lübke kennengelernt.“ Im Frühjahr 1969 ergab sich Gelegenheit zur Übernahme der Bootswerft Schmelz gleich beim Yachtclub Möhnesee, wo „damals so dreißig Hansajollen und einige Piraten lagen“ erinnert Henze seinen Umzug ins Binnenland. Immerhin konnte er zunächst bei seinem Fach, dem klassischen Bootsbau und dem ihm vertrauten Material Holz bleiben. Während der guten Wirtschaftswunderjahre gab Henze dann richtig Gas. So wurden die Räumlichkeiten bald zu klein, weshalb Henze den Betrieb nach Westrich, ein Dorf in der Nähe verlegte. 1981 zog Henze in ein neues Gebäude nach Körbecke wieder näher am See um. Damals ging die von der Fritzmeier Werft in Bruckmühl bei Rosenheim im seinerzeit wegweisenden Depotschaum Verfahren gefertigte Dyas noch weg wie warme Semmeln und Henze beschäftigte in Spitzenzeiten 15 Mitarbeiter. Anlässlich der „Ultima Ratio“, eines zweirümpfigen 20 x 6 Meter großen Motorboots, eröffnete Günther Henze im ehemaligen Gebäude der Rickmers Werft in Bremerhafen, der heutigen Boot Bremerhafen, eine Zweigstelle für den Bau großer Objekte, wo auch die Schnellfähren „Nordblitz“ (25 m) und die 16 Meter lange „Rheinjet“ entstanden. Bemerkenswert bei der „Ultima Ratio“ ist die fortschrittliche Bauweise aus Epoydharz imprägnierten Karbongelegen (Prepreg) über einem besonders leichten Kern aus Waben (Honeycomb). Leider führte die „Rheinjet“ zur Schließung der Dependance in Henzes Heimat. „Wir hatten die vorgeschriebenen Schall Grenzwerte geringfügig überschritten und ich habe den Eindruck, der Kunde nutzte dies, um das Boot nicht abnehmen zu müssen, weil er gerade nicht liquide war“ erklärt Henze das Aus für die Niederlassung an der Küste. Der Betrieb existiert übrigens heute noch und was er kann, bewies Frank Kamlade mit dem Bau eines ziemlich großen Expeditionsschiffes für private Rechnung. Das 50 m Boot war in den 90er Jahren vorübergehend eines der größten Faserverbundteile. Seegehende Boote bauen Günther Henze und sein 40-jähriger Sohn Sven übrigens nach wie vor. Im Auftrag des Bauunternehmens Bilfinger & Berger komplettieren die Henzes an der Bremerhafener Adresse neun und 12 m große 40 Knoten Barkassen für Wasserbaustellen in Afrika. Wir wassern die Boote dann in Bremerhafen ein und nutzen die Überführung Weser aufwärts zur Verladung nach Übersee gleich als Probe- und Abnahmefahrt. Bald ist das erste Dutzend dieser Henzeschen Schnellboote komplett. Mitte bis Ende der 90er Jahre fertigte Henze zwanzig 6 m Kajütboote vom Typ Unna 20, 45 Exemplare der einen Meter längeren Unna 24 und schließlich sieben Unna 31 füi db-Yachtbau. Damals begann Henze auch mit dem Relaunch der Dyas mit GfK-Rumpf anstelle der herkömmlichen Sandwichbauweise, deren Schaum bei vielen Booten Wasser gezogen hatte. Seit Mitte der 80er Jahre machte der Betrieb auch mit Einzelbauten von sich reden. Zwanzig Boote vom 7,30 m Vierteltonner „Hardware“ bis zum zwanzig Meter Retroschlitten von Andre Hoeks Konstruktionsbüro entstanden bislang am Möhnesee, meist in Holz-Epoxydbauweise.In den 80er Jahren erschien ein besonderer Kunde bei Henze auf dem Düsseldorfer Messestand. „Er sah nicht direkt wie der typische Segler aus, eher wie ein Rocker, mit Lederkluft und so. Wir redeten eine Weile, aber das macht man während einer Messe ja ständig. Ehrlich gesagt nahm ich den Mann nicht ganz ernst.“ Das änderte sich schlagartig, als Hein Gericke meinte: So, jetzt schreiben sie mal auf, was das Folkeboot kostet. Der weithin bekannte Händler für Motorradbekleidung und Zubehör kleckerte nicht, er bestellte, was ein Folkeboot gut und begehrenswert macht. Gericke segelte es eine Weile, dann war er reif für einen knapp 13 Meter langen Liberarenner, einen Entwurf, von dem es im wesentlichen ein Foto gab. Die Henzes bauten Gerike das Boot, dem bald die 14 m lange „Speedware“, eine Heinemann Konstruktion folgte. Das Boot kam im Mittelmeer so gut an, dass es bald verschwand und wie wieder gesehen wurde. Gericke brauchte ein neues Boot und ließ die Henzes die knapp 16 Meter lange „Speedair“ bauen, einen Einzelbau im Stil der 90er Jahre mit Panorama verglastem Aufbau und außen um den Aufbau geführten Dachspanten anstelle der üblichen innen im Deckshaus untergebrachten Versteifungen. Dieses Boot wurde Gericke zwar nicht in Ibiza entwendet, doch war der passionierte Segler bald reif für ein neues, etwas größeres Boot, die „Cheliacarocca“. Den Namen verdankt die Andre Hoek Konstruktion den Initialen von Gericke vier Töchtern. Der elegante Flushdecker mit dem niedrigen Deckshaus, ansehnlichem Löffelbug und klassischem Yachtheck verdrängt ganze 18 Tonnen. Da der L-Kiel erst nachträglich mit dem Rumpf verbolzt wurde und das Karbonruder ebenfalls erst am Schluß in die Ruderlager geschoben wurde, war der Bau des 4,20 m breiten Bootes formverleimt in ziemlich tiefen Binnenland im Industriegebiet zwischen Möhnesee und Soest möglich. Das Schiff entstand im wesentlichen unter der Projektleitung von junior Sven Henze, der auch in punkto Ausbildung seinem Vater folgend das Handwerk bei einer angesehenen Bremischen Adresse lernte, bei Abeking & Rasmmussen. Die vielbeachtete „Hetairos“ bekam Henze junior nicht mit, er genoss aber die breite Ausbildung mit vielen Materialien. Seit Anfang des Jahres steht Gerickes 2002 übernommene „Cheliacaroca“ wieder in der Halle der Henze Werft, Kiel und Ruder liegen vor der Tür. „Gericke wollte, dass ich nach Ibiza fahre und das Schiff für ihn transportfertig mache.“ Es gibt keinen größeren Vertrauensbeweis eines Eigners in die Werft seiner Wahl. Bekanntlich enden viele Beziehungen zwischen Kunden und Werft mit der Übernahme des Bootes, sei es, weil der Eigner nicht mit der gelieferten Qualität zufrieden ist, oder die Werft nicht bezahlt bekam, was sie zum wirtschaftlichen Ausübung ihres Handwerks braucht. Nach acht Jahren in der südlichen Sonne wird das Boot generalüberholt. Ob Gericke das Boot behält oder neu baut, ist noch nicht heraus. Derzeit wird das Boot für 890.000 Euro bei Hoek Brokerage angeboten. Bemerkenswert ist die handwerklich perfekte Illusion eines traditionell geplankten Rumpfes. Die äußerste Lage des formverleimten Bootes wurde mit der Anmutung herkömmlich angeordneter Plankengänge und –stöße aufgebracht. Sogar einen farblich klar abgesetzten Heckbalken und Vorsteven im Eichenlook gibt es. Alles ist sauber, fugenlos zusammengefügt. Ein herzerwärmendes Finish, das Schwärmen lässt.   Das überzeugend seglerisch, nämlich funktional und einfach mit wenigen Winschen, technisch Zweckmäßigste und ohne bei bei großen Yachten üblichen Gadgets ausgestattete Schiff folgt Gerickes Philosophie, dass entbehrliches und folglich weggelassenes Equipment nichts wiegt, nichts kostet und auch keine Folgekosten hinsichtlich Reparaturen und entgangener Segelzeit nach sich zieht. Obwohl Sven Henze kein Freund markiger Worte ist, zeigt er das Henze Flaggschiff mit gewissem Stolz. Von der handwerklichen Qualität des Henzeschen Holzbootsbaues kann man sich übrigens im Vorschiff anhand der beiden nachträglich auf ausdrücklichen Wunsch des Germanischen Lloyd eingebauten Rahmenspanten überzeugen. Die ungewöhnlich innen über die Stringer geführten Versteifungen sind formschön gearbeitet und eine Zierde der Kajüte.  Stolz zeigt Henze auch das nebenan in der Halle stehende, erstmals selbst in Mahagoni mit Teakdeck ausgebaute Folkeboot. Die GfK Schale wurde mit Kiel und Ruder von der dänischen Folkebootcentrale bezogen. Dank des Henzeschen Ausbaues und liebevoller wie durchdachter Detaillierung kommt es wertig daher. Die elegant geschwungene Sitzbank für den Steuermann lässt sich unter das Achterdeck schieben. Die Schubladen (eine sogar mit Anzünder für die Zigarette nach dem Segeln) schmiegen sich seitlich zwischen Achterdeck und Bank. An den Sitz und Ausreitkomfort der Vorschoter auf der hohen Kante wurde mit ergonomisch ausgeführter Sülloberkante gedacht, und zwar in einer um mehrere Achsen gewundenen, entsprechend aufwändig zu tischlernden Teakleiste und abgewinkelter Fußleiste. Ein Tribut an das leibliche Wohl sind diskret in die Plicht integrierte Dosenhalter. Und weil Sven Henze keine passenden Decksorganizer für die Umlenkung der Trimmleinen vom Mast über das Kajütdach zur Plicht in den Katalogen der Bootsausrüster fand, baute er die Dinger selbst mit Karbonrahmen. Und das bei einer Klasse, wo Holzmasten vorgeschrieben sind. „So anspruchsvolle Faserverbundteile finde ich interessant“ meint der Junior, der den Betrieb nächstes Jahr übernehmen wird. Ob der Einstieg ins Folkeboot gelingt, bleibt angesichts der maladen wirtschaftlichen Großwetterlage abzuwarten. „Derzeit werden keine neuen Folkeboote und Dyas gebaut.“ So machen die beiden Henzes derzeit lange Gesichter. Es gibt keine Neubauten. Und beim beliebten Zweimannkielboot gibt es noch ein ganz anderes Problem. „Die Dinger gehen ja nicht kaputt“ meint Henze. Dabei ist die neue, im Jahr 2000 gemeinsam mit einem Polnischen Lieferanten für den Gfk Bau weiterentwickelte Henze-Dyas ein reizvolles Schiff. „Wir haben die Aluleiste an der Rumpf-Decksverbindung weggelassen und eine andere übergangslose und formschöne Lösung gefunden. So kommt das Schiff leichter daher“ meint Günther Henze. Lange herumgefuchst wurde an der geschwungenen Travellerkonsole mit beidseitig 2 x 7-fach ausgeführten Trimmklaviatur. Dort kann sogar während des Segelns die Mastkurve anhand der Unterwantspannung variiert werden. Auch über das Dyas Dauerthema, die Größe und Formgebung der Spinnakertrompete, haben sich die Henze gebeugt. Sie bauen die Trompete mit besonders großen, nach innen grefenden Radien, damit das Nylon beim Setzen rasch durch das Deck schlüpft. 64 Dyas wurden seit Ende der 90er gebaut, anfangs gut zehn Boote jährlich. Derzeit ist der Markt tot. „So eine Krise habe ich noch nicht erlebt“ berichtet der alte Hase des Bootsbaugeschäfts, das derzeit mit auf sieben Mann reduzierter Mannschaft und dem üblichen Service- und Winterjobs aufrecht erhalten wird. Ein Teil der Halle ist an eine Autowerkstatt vermietet. Doch sind die Henzes für die Zukunft gut aufgestellt. Eine große Fertigungstiefe vom Metall-, über den Modellbau, Vielseitigkeit im Umgang mit Holz und Faserverbundmaterialien bis hin zur langjährigen Erfahrung in der Zusammenarbeit mit anderen Werftpartnern macht Henze wie gehabt zur interessanten Adresse. Man muss für einen Einzelbau nach eigenen, speziellen Vorstellung nicht ins Ausland gehen, mit all den kaufmännischen wie juristischen Unwägbarkeiten. Man kann sein Boot auch quasi vor der Tür, eine Autostunde von Dortmund, selbst neu erfinden. „Als wir die Cheliacarocca“ gebaut haben, war Gericke ziemlich oft hier.“ Abgesehen vom Segeln gibt es bekanntlich nichts schöneres, als ab und zu mal bei seiner Bootsbaustelle nach dem Rechten zu sehen.

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Ein Leben für Boheme II

Wir sind uns nicht sicher, ob Schiffe lebendige Lebewesen sind, gar eine Seele haben, wie oft behauptet wird. Manchmal glauben wir es, meist halten wir das für Schmonzes, für Seemannsgarn, das zu vorgerückter Stunde nach einigen Gläsern Bier oder Wein gesponnen wird. Bei Licht besehen dürfte es eine Behauptung sein, deren Erörterung unter psychologischen Gesichtspunkten interessanter ist. Andererseits gibt es Yachten, speziell solche mit klassischen Linien, die eine sogartige Anziehung auf bestimmte Menschen ausüben. Sie leben für sie. Ihre Existenz erscheint ohne den Klassiker so wenig denkbar, wie es umgekehrt das Schiff ohne sie kaum geben würde. Ihr Schicksal ist mit jenen Planken verbunden, die ihnen die Welt bedeuten, ganz gleich wie unzumutbar arbeitsreich, wie hart und riskant ihre Existenz für die Yacht war und noch ist. Das Verhältnis der energischen Französin Etelka Fekete zum aparten dänischen Fahrtenschoner „Doriana“ ist eine solche symbiotische Beziehung, wenn auch eine, die ihren Zenit leider überschritten hat. Denn „Doriana“ liegt die meiste Zeit im Hafen, wird kaum gesegelt. Die Protagonistin dieses Artikels ist nach jahrzehntelangem Seglerleben für die Yacht bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Vieux Port von Cannes 2007. Hinter Casino und Kongreßzentrum, ziemlich am Ende der Jetéé Albert Edouard, liegt zwischen Motoryachten mit Achterschiffen, die der spanischen Treppe Roms nachempfunden scheinen, der 175 Tonnen Fahrtenschoner „Doriana“. Das wuchtige Gebälk von Großbaum und Gaffel ruht auf der Baumstütze. Der rasant geneigte Flaggenstock ragt über das filigrane, annähernd dreieckige Heck. Die Trossen knistern zwischen Pollern und Klüsen. Etelka Fekete, eine alterlos blonde Französin, hebt den Schwingschleifer vom Gräting und bittet über die federnde Gangway an Bord. Viel hat Frau Fekete schon in ihrem Leben gemacht. Als Jugendliche wurde sie französische Fechtmeisterin. Später schlug sie sich als Stuntfrau im fernen Kalifornien durch, doch eigentlich lebte und lebt sie noch für den hübschen Fahrtenschoner, der 1930 in der Kristian Andersen Skibsvaerft in Frederiksund im dänischen Seeland entstand und dessen Heckgräting sie gerade schleift. Die Lebensgeschichte von Frau Fekete mit dem Schoner beginnt 1972 in Kopenhagen. Damals sucht der dänische Reeder Ivar Lauritzen aus Altersgründen einen neuen Eigner für seine „Jill“. Sie war 1930 nach Plänen von Lindholm und Ernst Wedell-Wedellsborg aus Teak über Eichenspanten entstanden. Der neue Eigner heißt George Riffe, ein gelernter Seemann und Opernliebhaber aus den Staaten. Als Eigner einer 20 Meter Ketsch, seiner ersten „Boheme“, mit Liegeplatz Villefranche hat Riffe, der in sich Deutschland vergeblich um eine Karriere als Opernsänger bemühte, Etelka Fekete kennen gelernt. Das Paar plant eine Weltumsegelung und erfüllte sich mit der Übernahme von Lauritzens Schoner den Traum, an Bord eines etwas größeren Schiffes mit Chartertörns Geld zu verdienen. „Es war unglaublich kalt, als ich wenige Wochen nach der Geburt meines Sohnes Christopher nach Kiel hinterher reiste“ berichtet Frau Fekete. „Schnee lag an Deck.“ Noch heute schlottert sie bei der Erinnerung an die Übernahme des Schiffes und die ersten Wochen an Bord, damals, Februar 1973 im Fischereihafen der Förde. Sohn Christopher Riffe, ein sympathisch introvertierter Mittdreißiger, er skippert seit einigen Jahren „Doriana“ ex. „Boheme II“, ex. „Jill“, steht lächelnd neben seiner energischen Mutter. „Im Frühjahr überführten wir nach Ostende, wo wir ein neues Deck verlegten und Crew für die Weiterreise durch den Ärmelkanal und die Biskaya fanden. Den Sommer 74 verbrachten wir auf Ibiza. Wir segelten mit meiner Familie, die aus Nizza kam, und natürlich mit Freunden. Da ging es uns wieder gut.“ Das eigentliche Paradies entdeckt die Familie im Jahr darauf im Naturhafen von English Harbour auf Antigua. „Außer uns gab es wenige Charteryachten, eine herrliche Zeit, in der wir alle Hände mit Törns und der Pflege des Schiffes zu tun hatten. Wir waren die einzigen Weißen, die nicht auf Abstand zur einheimischen, schwarzen Bevölkerung gingen. Chris war damals unglaublich blond, er lernte und sprach ausschließlich pidgin Englisch. Er wurde auf den kleinen Antillen Tutu genannt. Wenn ich in Grenada oder auf St. Martin einkaufen ging, wurde ich Miss Tutu gerufen. Christu lebte ziemlich frei und unbefangen. Wir waren sozusagen weiße Nigger, eine von den Schwarzen akzeptierte Minderheit und Ausnahme. Die übrigen Weißen auf Antigua hielten Abstand, sie spielten Cricket und feierten ihre Parties unter sich.“ Christopher erinnert, wie er mit seinem Lieblingstier, einem Huhn auf der Schulter, über die karibischen Märkte zog. „Wir segelten mit italienischen Gästen, mit Dänen und natürlich vielen Amerikanern. Sie kamen als unsere Gäste und viele gingen als Freunde.“ Besorgt beobachtet Etelkas Vater, ein Dozent für Chemie und Physik aus dem fernen Cannes das Flower-Power Leben in der Karibik. Er erreicht nach einigen mahnenden Briefen Anfang 1981 die Rückkehr der Familie mit ihrem schwimmenden Zuhause an die Cote d’ Azur. Er meint, es sei höchste Zeit für Christophers regulären Schulbesuch und organisiert einen Liegeplatz für den Schoner. Es ist jener Platz, an dem „Doriana“ heute liegt. Vorbei ist die Zeit, als der sechsjährige Christopher in der kurzen karibischen Dämmerung im Vollgas Außenborder gefahrenen Beiboot seine fischenden Eltern sucht, weil er ihr Ausbleiben instinktsicher als Unglück interpretiert. Jetzt muss sich der Naturbursche mit den Intrigen und Machtspielchen einer halbprivaten Schule im gehobenen bürgerlichen Milieu von Cannes bewähren. Das Geschäft mit einträglichen Charterfahrten wird auch nicht leichter und „Boheme II“ älter. Etelka und ihr Mann Charles arbeiten hart für den laufenden Betrieb des Schiffes. Aus dem kleinen Chris mit dem Kleintierzoo im steuerbordseitigen Kinderzimmer, aus „Tutu“ mit Huhn auf der Schulter auf karibischen Märkten wird ein junger Mann, der in der Schule nicht mehr als Paradiesvogel ausgegrenzt sein mag, sondern mit richtiger Schulkleidung dazu gehören möchte. Charles Riffe denkt eher an „Boheme II“ und Rücklagen für schwere Zeiten, die Mutter an die Zukunft des Kindes. Etelka löst den Konflikt mit einem harten Schnitt, einem Flug nach Los Angeles. Warum diese Stadt? „Weil es dort Sonne und Meer gibt“ erklärt Etelka. Sie hat kaum Geld für ihren Sohn und sich, was keine gute Voraussetzung für ein Leben in Kalifornien ist. Die einstige französische Fechtmeisterin besucht den örtlichen Fechtclub und hat bald einen Job als Stuntfrau im Spielbergfilm „Hook“, später spielt Etelka Fekete den zweiten Stunt in „By the sword“. Es ist die Tellerwäscherkarriere der durchsetzungsfähigen Französin, deren freiheitsliebende ungarische Eltern nach dem Krieg Budapest verließen, um ihren Kindern und sich das sozialistische Experiment zu ersparen. „Wir lebten nicht schlecht in Redondo Beach am Pazifik. Christopher machte die Schule fertig und ich hatte meine Engagements“. In den Sommerferien kehrt der Junge zum Vater an Bord zurück. Damals ist „Boheme II“ die Sommermonate ausgebucht. „Ich schuftete wie ein Hund und half meinem Vater als Deckshand, Steward und was immer zu tun war“ erinnert Christopher. Charles Riffe erklärt seinem Sohn, das „Boheme II“ eines Tages ihm gehören werde. So entscheidet sich der Filius Anfang der Neunziger Jahre gegen den Besuch der UCLA, wo ein Studium entweder der Ozeanographie oder Philosophie und Psychologie angedacht ist. Christopher Riffe wählt den Lebensweg seines Vaters, des romantisch veranlagten Berufsseglers und Charterskippers. „Ich machte damals drei Jobs, skipperte das Schiff, arbeitete als First Mate und Deckhand“ erinnert Christopher. Es war ziemlich hart.“ 1993 gewinnt Patrice de Colmont die Schoner „Puritan“ und „Boheme II“ zur Teilnahme am Klassiker Highlight und formidablen Saisonausklang „Nioulargue“. Damals kommt der schwedische Reeder Mikael Krafft erstmals an Bord. Mit 21 Jahren segelt Christopher sein Elternhaus dann erstmals allein, sein Vater zieht sich nach Florida zurück. Christopher schafft den Betrieb und die Pflege des 32 Meter über Deck langen, sieben Meter breiten Schoners nicht und bittet seine Mutter um Hilfe, die zögernd und ungern ihre Hollywood-Existenz aufgibt. Frau Fekete kehrt wieder zu „Boheme II“, der schönen Frön der Pflege eines betagten Holzschiffes in südlicher Sonne, zurück. Die beiden arbeiten wie die Tiger, doch ist eine umfassende Sanierung der Yacht im sechsten Jahrzehnt unausweichlich. Mitte der neunziger Jahre bietet Mikael Krafft erstmals den Kauf des Schiffes an. Er verspricht dem seinerzeitigen Eigner Charles  Riffe „Boheme II“ für den weiteren Charterbetrieb mit Etelka Fekete und Christopher Riffe als bewährter Crew flott zu machen. Im Oktober 2000 bricht „Boheme II“ beim Aufslippen auf einer nahegelegenen Werft infolge unsachgemäßer Lagerung auf der Helling. „Es war furchtbar, einzig das Rigg sorgte dafür, dass das Schiff zusammenblieb. Der lange Kiel war gerade mal bis zur Hälfte unterbaut, obwohl Taucher ihr Okay gegeben hatten,“ erinnert Christopher. Zwei, drei Monate steht „Boheme II“ mit angebrochenem Rückgrat auf dem Slip.“ Aus dem Plan einer schrittweiten Sanierung der Yacht ist ein Totalschaden geworden. Januar 2001 steht „Boheme II“ auf einer Werft in Villefranche. Christopher entwirft ein neues, yachtartigeres Heck anstelle des abgerundeten Achterschiffs im Stil nordischer Fischkutter. Gemeinsam mit dem neuen Eigner Mikael Kraft entwickelt Chris ein neues, für den Charterbetrieb praktischeres Deckslayout mit mittschiffs offener Plicht anstelle des geschlossenen Deckshauses und kleinem Doghouse im Stil angelsächsischer Yachten achtern. Die umlaufende Schanz wird 20 Zentimeter gekürzt, was das Schiff eine Idee flachbordiger und eleganter wirken läßt. Etelka Feketa, ihr Sohn und eine internationale Bootsbaugang arbeitet sechs, meist sieben Tage die Woche, oft 12 Stunden am Tag. Sie halten zweieinhalb Jahre durch. Der Streß macht sich bei Etelka Fekete mit einer Hauterkrankung bemerkbar. „Wir fuhren morgens eine Stunde zur Arbeit, zogen durch, fuhren abends eine Stunde zurück. Es war ein Alptraum, doch das Boot wurde fertig.“ In der Nacht zum Muttertag 2003 brennt das nahezu fertige, segelklare Schiff infolge einer Verkettung unglücklicher Umstände in der La Darse Werft in Villefranche, jenem Hafen, wo die junge französische Fechterin Anfang der 70er Jahre die Bekanntschaft des musisch interessierten Seglers und Berufsseemanns Charles Riffe machte, aus. In den Morgenstunden schwelt der ausgebrannte Rumpf von „Jill“, ex. „Boheme II“. Kraft erwägt, das Schiff aufzugeben. „Wenn Du das machst, gehe ich mit unter“ erklärt Etelka Fekete. Kraft verlädt das ausgebrannte Schiff nach Peenemünde, wo der umgebaute Schoner bei der Navcom Werft nochmals, allerdings mit weiteren Zugeständnissen wie überfurnierten Stahlmasten und einem zwar gemütlichen, allerdings eher Kreuzfahrtschiff üblichem Interieur entsteht. Den Winter 2004/05 liegt das Schiff in Stockholm. Etelka Fekete und ihr Sohn ziehen wieder durch, arbeiten den Winter über bei sprichwörtlich Kieler Temperaturen, kratzen mit klammen Fingern am Heißluftgerät und der Ziehklinge die Farbreste von den Planken unter Deck. Jetzt steht „Doriana“ zum Verkauf. Der viel beschäftigte Star Clippers Reeder Mikael Kraft nutzt das Schiff selten. Chartertörns ergeben sich kaum. Selbst ein schöner Hafen wie Cannes ist auf Dauer das Schlimmste, was einem See gehenden Schiff und seiner Besatzung passieren kann. Eine Segelyacht muss segeln, sonst wird selbst aus einem stolzen Schoner ein unglückliches Schiff. Frau Fekete und ihr Sohn sind müde. Ein großer Schoner braucht auch im Hafen liegend mehr als eine zweiköpfige Crew. Der Lack wird unter südlicher Sonne rasch welk und die Bronze blind. Die Bezahlung der „Doriana“ Crew, so hört man in der Szene, ist eher dürftig als inspirierend. Dennoch halten die beiden „ihrem“ Schiff noch die Stange. Frau Fekete baut gerade in einer Tischlerei an der Küste einen neuen Spinnakerbaum. Wenn sie nicht an Bord arbeitet, geht sie zeitig und kommt am späten Nachmittag. Der Spirit des nach wie vor hübschen Schoners ist weg. Eigner und Chefs kennen wirksame Wege – ob bewusst oder unbewusst – ihn zu liquidieren. „Sobald Doriana verkauft ist, gehen wir. Es ist Zeit für etwas Neues.“ Was wird das sein? „Ich weiß es nicht. Ich bin immer meinen Weg gegangen und Christopher ist jung, ihm steht die Welt offen. Wenn Du wirklich gehst, kommt etwas Neues, Positives.“ Tut es weh zu gehen? „Nein“ behauptet die Freiheit liebende Frau energisch. „Denn Doriana ist nicht mehr Boheme II. Boheme bleibt als schöne Erinnerung in meinem Herzen.“ Die Magie des charmanten dänischen Fahrtenschoners ist für Frau Fekete nach drei Jahrzehnten und dem Umbau erloschen, die symbiotische Beziehung zu Ende. Frau Fekete schultert ihre Tasche für den Weg zur Tischlerei. „Ich möchte pünktlich sein, denn heute Abend spielt AC Mailand, das möchte ich sehen.“ Nach der Passage der federnden Gangway dreht sich die zierliche Französin noch mal um. “Wissen Sie, was das schlimmste im Leben ist? Das schlimmste ist, einen Boß zu haben, das ist schlimmer, als nicht zu wissen, wie Du nächsten Monat Deine Rechnungen bezahlst. Denn das haben wir immer hingekriegt, stimmt’s Chris?“ PS: Dies ist die halbe Geschichte. Ich habe versprochen, die ganze mit Rücksicht auf die Beteiligten vorerst nicht zu erzählen.

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Der Häuptling

Wie viele Schiffer, speziell aus dem Norden, ist er am ehesten in seinem Terrain, der Welt des Segelns, zugänglich. Wilfried Horns ist gebürtiger Flensburger, gelernter Tischler und passionierter Segler. Das sind drei ungünstige Voraussetzungen für ein flüssiges Gespräch mit dem Nestor und Impresario der deutschsprachigen Klassikerszene. Doch wenn es um traditionsreiche Segelboote geht, um laufende Projekte und neue Ideen des Freundeskreises Klassische Yachten oder seine schmucke 7 KR Yacht „Piraya“, teilt Horns sich mit. An Bord wie an Land, Sommers wie Winters in einen universell getragenen Pullover gewandet, den markanten Schädel von einer Korona weiß-grauer Haare umgeben, das meist in sämtliche Himmelsrichtungen zeigt, hört er gründlich zu. Seine stets in Betrieb befindliche Pfeife gibt kleine Rauchzeichen. Die Abstände zwischen den Rauchzeichen des Freundeskreis-Häuptlings kündigen an, dass es heftig in ihm denkt und Horns gleich etwas sagen wird. Wenn Horns sich dann äussert, kommt er mit wenigen, überlegten Worten aus. Wer Horns eine Weile kennt und eine Stunde mit ihm geredet hat, erfährt, dass der Eigner des knapp elf Meter langen Fahrtenbootes nach langer Beschäftigung mit dem betagten Benziner unter dem Bodenbrett den Motor kurz und schmerzlos aus dem Schiff hob, ihn zum Sperrmüll brachte und seitdem richtig und wie früher unterwegs ist. „Ich war es einfach leid, da stundenlang über dem Motorschacht zu hängen und nicht zu kapieren, warum er mal anspringt und dann wieder nicht.“ Horns erzählt es so, als hätte er einen lang ertragenen, lästigen Besuch vor die Tür gesetzt. Mittlerweile ist Horns die fünfte Saison ohne Maschine unterwegs. Im Mai vor zwei Jahren segelte er anlässlich der Max Oertz Regatta von Kiel nach Neustadt, hing zwölf Stunden in einer Flaute vor der Fehmarnsundbrücke und kam im letzten Büchsenlicht an. Horns und seine neue Lebensgefährtin Hella Peperkorn, eine extrovertierte Leiterin einer Kinderschauspielschule, machten das Beste draus, warteten einfach ab, bis sich ihr Freund, der Wind, wieder zurückmeldete. Da auch gute Freunde manchmal unzuverlässig sind, plant Horn die Segelwochenenden mit Blick auf den Montag genau. „Ich guck’ mir die Wetterprognose im Internet an und mache solche Schläge, dass wir Sonntag zurückkommen.“ Eine weitere Herausforderung ist es, einen Langkieler in unseren engen Häfen unter Segeln an den Liegeplatz zu bringen. „Es ist interessant, wie langsam Sie segeln können, wenn Sie richtig hoch an den Wind gehen. Das musste ich auch erst mal üben“ berichtet Horns mit sympathischer Bescheidenheit. Zum Classic Yacht Event im Sommer 2005 hat das Seglerpaar Horns/Peperkorn die „Piraya“ natürlich ohne den lärmenden und stinkenden Gesellen unter dem Bodenbrett von Kiel nach Stockholm und zurück manövriert. „Es ist herrlich, wie früher zu segeln“ schwärmt Horns. „Du bist aufmerksamer, beschäftigst Dich gründlicher mit dem Wetter und weißt den Wind mehr zu schätzen.“ Er erzählt von der Schwedentour durch steinige und enge Fahrwasser so beiläufig, als hätte er nachmittags mal bei passendem Wind eine Runde zum Stollergrund und zurück in die Förde gedreht. Bei aller Sprödigkeit ist der 57-jährige eine angenehm uneitle Ausnahme in der Segel- speziell der Klassikerszene, wo es manchen PR-Strategen, Berater und Makler gibt, es um Eitelkeiten, Euros, den Logenplatz für das eigene Schiff und natürlich Geld geht. Oliver Berking, er initiierte 1995 die Robbe & Berking Classics, und ist neuerdings erster Vorsitzender des Freundeskreises Klassische Yachten e.V., kennt Horns seit zwölf Jahren: „Was ich besonders an ihm mag, ist die Tatsache, dass ihm jede Art der Selbstdarstellung zuwider ist. Damit ist er vielleicht nicht im herkömmlichen Sinne ein Frontmann, aber gerade das qualifiziert ihn eben doch genau dieses für den Freundeskreis zu sein. Es geht ihm nämlich ausschließlich um die Sache.“ Natürlich betritt Horns in seiner Eigenschaft als Freundeskreis-Häuptling das Podium der Klassikerszene auch. Etwa, wenn er die eine oder andere sommerliche Klassikerveranstaltung eröffnet oder mit wenigen klaren Sätzen durch den alljährlich „bunten Abend“ des Wintertreffens führt. Da legt Horns dann die Pfeife beiseite, steht im Pulli vor dem brechend vollen Hörsaal eines Hamburger Museums und moderiert mit der Gelassenheit und Übersicht eines Leuchtturmwärters eine Veranstaltung, die – passend zum Freundeskreis und typisch Horns – unter beiläufig bescheidenem Titel antritt und oft hochkarätige Vorträge oder Einladungen zum Segeln bietet. Die Klassikerszene ist facettenreich. Hier tummeln sich die Fans grob getischlerter Arbeitsboote im Finkenwerder Fischerhemd, Jollensegler, Studenten und andere, deren seglerische Mittel begrenzt sind. Vom unzugänglich feinen Pinkel bis zum maritimen Lebenskünstler, vom Blazer- bis Pulliträger, von bräsig bis nett, vom Hoch- bis Tiefstapler ist alles dabei. Charaktere und Temperamente mögen verschieden sein, dabei haben die Freundeskreisler alle den gleichen Knall. Und deren Häuptling hat mit „dem Kulturgut klassische Yacht,“ wie Horns es in aller Gelassenheit und Klarheit nennt, das Thema seines Lebens gefunden. Das sie nicht bloß zusammengefunden haben, sondern, was schwieriger ist, zusammenbleiben, liegt maßgeblich an ihrem gelassen integren Strippenzieher. Der langjährige Holzbootsegler, Nautiquitäten- und Büchersammler Volker Christmann aus Wiesbaden, er berät den Freundeskreis und Horns in Literaturfragen, schätzt Horns als „Visionär mit Bedacht und starkem Durchsetzungsvermögen. Wenn er was will, dann macht er es.“ Für ausländische Beobachter ist der Freundeskreis längst ein Phänomen. Wie ausgerechnet Deutsche, die im Ausland als überorganisiert, zu Formalien und zum Vereinsklüngel neigend gesehen werden, eine derart entspannte, zugleich dezentral effiziente Interessenvertretung auf die Beine und ins Laufen bekommen, ist manchem Kenner der Szene ein Rätsel. Dabei ist der Freundeskreis am Beispiel seines Häuptlings recht einfach zu verstehen: Horns interessiert sich bloß fürs Segeln alter Schiffe, die Kultur und Dokumentation klassischen Yachtsports – wie gesagt eher im universell getragenen Pulli als im blauen Blazer. Im Pulli kann man auch mal eben das Boot auspumpen. Februar 1994 versammeln sich Horns und vierzig andere, für alte Schiffe begeisterte und gründen mit einer 50 Mark Spende eine „Initiative von Schwärmern, die sich aus Lebensfreude, Leidenschaft, Weltanschauung um den Erhalt klassischer Yachten bemühen,” jenen „Verein“, den es formal, um den Vorschriften zu genügen, natürlich gibt, der aber als solcher erfreulich wenig stattfindet. Natürlich ist der stille Tischler und „Piraya“ Eigner Horns auf die möglichst authentische Klassikerinstandsetzung abonniert. Doch verbohrt, wie der eine oder andere „Holzwurm“ der Szene, ist er deswegen nicht. Er wirbt einfach für seine Vorstellungen, er motiviert und lässt dennoch das andere gelten. Als Segler, Handwerker und gelassen toleranter Mensch kennt er die Grenzen des Machbaren. Mit diesem Spirit wurden aus den 50 Gründungsmitgliedern mittlerweile rund 1.200 Freundeskreisler. Horns Drive, die Bewegung mit immer neuen Vorhaben lebendig zu halten, hat eher zu als abgenommen. Berking beispielsweise ist „immer wieder verblüfft, was für Ideen Horns hat.“ Welche Schätze es hierzulande zu heben gab und gibt, welche Vielfalt zu dokumentieren, ist seit einigen Jahren einem größeren Publikum auf der Homepage des Freundeskreises klassischen Yachten zugänglich, speziell dem digitalisierten Yachtsportarchiv zu sehen, wo im Wesentlichen die Ausgaben der „Yacht“ von 1904 als führendem Medium eingescannt sind. Es ist via Internet per Mausklick in Sekundenschnelle zugänglich. Eine weltweit einzigartige Suchmaschine für Holzbootliebhaber und Klassikerfans mit täglich 500 Zugriffen. Das ist maßgeblich Horns Initiative und Überredungskünsten, seiner beharrlichen Suche nach Partnern zu verdanken. Seit Jahren redet er mit finanzstarken Eignern, manchem Protagonisten des Wirtschaftslebens, Museumsdirektoren, Verlagsleitern oder Berthold Beitz von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Beharrlicht zieht Horns an allen möglichen Strippen für die Bewahrung, Dokumentation und Wertschätzung klassischen Yachtsports. Schon manchen, der eigentlich gar keine Zeit hat, hat der Motivationskünstler dafür gewonnen, sich mit seinen Möglichkeiten und Kontakten einzusetzen. Wie ihm das gelingt? Ganz einfach, er lebt dieses Programm seit über einem Jahrzehnt und verfolgt manches Vorhaben mit der Cleverness und Konsequenz eines Regattaseglers auf der entscheidenden Kreuz. Die neue Freundeskreis-Aktion „Rettet die Klassiker“ etwa spürt sanierungsbedürftige Holzboote auf, dokumentiert ihren Standort in einer Karte, findet Interessenten für die Problemfälle und trägt so dazu bei, das sie wieder gesegelt werden.  Der neue, von der Versicherung Wehring & Wolfes unterstützte Restaurierungsfond bietet dem Bootseigner eine Begutachtung, Anleitung und Betreuung der Instandsetzung. Vorbilder sind ähnliche Stiftungen in den USA, England, Holland, Dänemark oder Schweden. Horns und die Aktiven des Freundeskreises nutzen die internationalen Kontakte nicht bloß zum Segeln, Würstchen grillen, Bier trinken und für Döntjes. Derzeit beschäftigt sich Horns mit dem Ausbau und der Überarbeitung des Yachtsportarchivs, jener international Bahn brechenden digitalen Klassikerdatei, die der Freundeskreis die vergangenen Jahre über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen schuf. „Ich meine, das Angebot könnte noch attraktiver daherkommen und die Navigation in der Website einfacher werden.“ Im Herbst wird er sich nochmals um die Europäisierung des weltweit einmaligen Angebots bemühen. Finnland, Schweden, Norwegen und Holland haben bereits zugesagt. Die zum zweiten Mal in unseren Gewässern gesegelte Classic Week hat Horns für 2010 natürlich längst in der Pipeline. Das alles bahnt Horns nebenher an, zusätzlich zum Privatleben und dem Betrieb zweier Schiffe. Seine neue Lebensgefährtin machte neulich eine historische 5 mR Yacht flott. Im Unterschied zu manchem Küstenbewohner ist ihm das Metier nicht in die Wiege gelegt. Horns wächst in einer Flensburger Lehrerfamilie auf, wo es eher um Latein und Griechisch als um die in dieser Stadt so nahe liegende, außerdem eindeutig interessantere Freizeitbeschäftigung Segeln geht. Irgendwann ergab sich dann für den Jugendlichen mal eine Mitsegelgelegenheit im Flensburger Segel Club. „Da wurdest Du als junger Vorschoter wie ein Hiwi behandelt, musstest dauernd irgendwelche Honoratioren und Heinis da grüßen, Flaggen dippen. Nö, das war’s nicht“ erinnert Horns den abtörnenden Probeschlag in die Welt des Herrensegelns. Horns geht rudern, tobt sich im Einer, Zweier oder Achter auf der Flensburger Förde aus, wo es mehr um Sport als Status und mit Gleichaltrigen ins Geschirr geht. Zum Segeln gelangt Horns erst Ende der 70er Jahre in Kiel. Da fährt er mit einer kolossalen 22 m Gaffelketsch allerhand Eiche spazieren und ertischlert sich seinen Anteil an der „Rhea“ ex. „Juliane von Holdt“, die 1900 im dänischen Nyborg als Arbeitsboot vom Stapel lief. In der Zwischenzeit hat er den schönen Beruf des Tischlerhandwerks ergriffen, anstatt wie in Kiel studiert Biologie und Geografie zu unterrichten. Damit ist er dem damals absehbaren Thema seines Lebens beruflich Welten näher, als zwischen Pult und Tafel. Einige Sommer genießt Horns das amphibische Leben zwischen Kiel und der dänischen Südsee. Als „Rhea“ für einträgliche Charterfahrten zum Mittelmeer verlegt wird, steigt Horns aus. „Ich möchte nicht tausend Kilometer weit zum segeln fliegen, wenn ich zu Fuß an die Förde gehen kann.“ 1984 kauft er „Piraya“, eine 7 KR Slup mit seegängig weichen Linien und gestrecktem Aufbau über einem spannungsreichen Decksprung. Mit 10,20 x 2,60 m und 47 Quadratmetern am Wind zählt sie nicht zu den spektakulär großen Schiffen der Förde. Dafür ist es ein berühmter Bootstyp. „Piraya“ ist ein slupgetakelter Nachbau der legendären „Störtebeker III“, mit der Ludwig Schlimbach in den 30er Jahren einhand in 59 Tagen von Lissabon nach New York segelte. Seit der Atlantiküberquerung ist der Bootstyp für manchen gestandenen Segler ein Traumschiff, nicht zuletzt, weil es aus einem guten Stall kommt, gezeichnet von Henry Rasmussen und gebaut bei A&R. „Piraya“ entstand 1949 für den Vorsitzenden des Weser-Yachtclubs. Henry Wilkens segelte manche Nordseewoche, das Skagenrennen, Gotland Rund Regatten mit dem Schiff und damals lernten der heutige A&R Werftchef Hermann Schaedla nebst Betriebsleiter Horst Lehnert auf „Piraya“ das Handwerk mit Schot und Pinne. Der zweite Eigner vergnügte sich bei Rote Sand Regatten, auf der Nordsee oder Helgoland-Edinburg Rennen mit dem Schiff. Als dritter „Piraya“ Eigner macht Horns kein großes Tamtam um sein Schiff. Er mag, pflegt und segelt es einfach. Deshalb hat er gleich nach der Übernahme die Reling samt Heckkorb und Sitzbank entfernt. Eine Reling ist eigentlich ganz praktisch, doch scheuern die Vorsegel am Draht und den Stützen. Außerdem ist „Piraya“ ohne Seezaun einfach übersichtlicher und so, wie in Lemwerder an den benachbarten Club geliefert. Mit Sprucemast, Leinen bezogen und weiß gemaltem Kajütdach, den ovalen und runden Bullaugen, verzinkten Beschlägen und der in Feder und Ähre auslaufenden A&R Göhl auf der weißen Bordwand sieht das Schiff im fünften Jahrzehnt aus, als sei es neulich erst aus der Halle geschoben worden. Wer wenig schnackt, kriegt was gebacken. Horns ist während der hektischen Märzwochen, wenn es zur Bootspflege genug Licht und mit etwas Glück erstmals die wünschenswerte Trockenheit im Winterlager gibt, kaum ansprechbar. Der Freundeskreis-Häuptling ist auf dem Rückweg von einem anderen Termin zum Interview ins Hamburger Univiertel gekommen. Horns ist beinahe ein wenig gesprächig geworden. Dann steckt er sich noch mal eine Pfeife an, schweigt, und gibt abnehmend Rauchzeichen. Nun hat der Häuptling genug von sich preisgegeben, mehr als sich für einen gebürtigen Flensburger, gelernten Tischler und echten Segler gehört.

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Der Kap Hornier

Altes Gebälk voller faszinierender Geschichte. Aus 120 Tonnen deutscher Eiche wurde einst der Lotsenschoner „No. 5 Elbe“. Als „Wanderbid“ war er in der Welt unterwegs und segelt neuerdings wieder ab Hamburg. „Es gibt viele Arten zugrunde zu gehen. Die weitestverbreitete ist die sogenannte Normalität“ bemerkte der Journalist Jörg Magenau einmal. Nun, ein fades Dasein zwischen Ein- und Auskommen, eine zwischen Arbeit und Freizeit dahinschlummernde Durchschnittsexistenz hatte der amerikanische Meeresvagabund Warwick M. Tompkins nicht. Als er in den 20er Jahren in Paris einer hübschen jungen Texanerin begegnet, ist er nach einem abenteuerlichen Kurs durchs Leben eher zufällig mit seiner Schreibmaschine in der Metropole gestrandet. Als Berufsseemann, Segler und Journalist hatte er auf unterschiedlich seetüchtigen Frachtschiffen und Rennyachten auf dem Pazifik und Atlantik alles außer Langeweile gehabt. Anlässlich der Begegnung mit der Frau seines Lebens könnte Tompkins seine amphibische Existenz nun an Land verlegen. Als er mit Gwen Bohning rasch den so genannten Ehehafen ansteuert, könnte der Weltenbummler die wilden Jahre an den Nagel hängen oder das Leben eine Idee geregelter und seriöser nehmen. Doch ist Tompkins für die übliche Landlebenslaufbahn, wie sie die Menschheit überwiegend praktiziert, nicht so geeignet. Er ist aus der Weite des Meeres nach Paris gekommen, von draußen, wo der Ozean mit langer Amplitude auf seine Weise atmet, dem Besucher seine eigenen Gesetzmäßigkeiten aufzwingt, Demut lehrt und die „Vexationen des Landlebens“, wie Stefan Zweig die alltägliche Bürde der Zivilisation einmal genannt hat, vergessen lässt. Tompkins muss wieder zurück, an die frische Luft, seine Normalität leben. Nur soll es nicht mehr an Bord anderer Eigner Schiffe sein. Er ist reif für die eigene Arche. Damit möchte er selten gesegelte Kurse jenseits des absehbaren Abenteuers nehmen. Er will Gewässer ansteuern, die mit Angstlust und Ausdauer, mit Geschick und einer Portion Glück zu meistern sind. Denn Tompkins ist kein Vollkasko versicherter Warmduscher. Er träumt von der klassisch schweren Route von Ost nach West, gegen Meeresströmung, Wind und Wetter um Kap Hoorn. Dieses Vorhaben hat sich im Lauf der vergangenen Jahre unverrückbar bei ihm eingenistet. Dazu braucht er die passende Gefährtin. Um Kap Hoorn segelt damals niemand, der es nicht muss. Das Verschwinden in der kalten Wasserwüste des Südpolarmeeres, das Zerschellen von Hab und Gut in der Brandung patagonischer Klippen ist so wahrscheinlich wie das Gelingen der Reise. Außerdem braucht Tompkins ein bewährtes, für die monatelange Autarkie auf dem Meer geeignetes Schiff. Der erfahrene Segler weiß, dass es ein Lotsenversetzer sein muss. Denn so ein Gefährt ist dazu gebaut, sommers wie winters bei Wind und Wetter an der Küste auszuharren, ankommenden Schiffen revierkundige Lotsen an Bord zu geben und die Kollegen von den auslaufenden Schiffen an Bord zu nehmen. Es gibt da nur ein Problem. Das Leben an Land kostet und außer bescheidenen Einkünften als „Newspaperman“ verfügt Tompkins über 1.500 Dollar. Dafür gibt es im Deutschen Reich eine Menge Schiff. Das Geld reicht soeben, um die „Wandervogel“, einen seit Jahren im Hamburger Hafen stillgelegten, vom Regen, Ruß und Schnee verdreckten Lotsenschoner 1928, im Jahr der Heirat, zu kaufen. Damit gründet das Ehepaar eine gemeinsame Meeresvagabundenexistenz. Das 43 Jahre alte Schiff ist seit einer Weile aus dem Dienst vor der Elbmündung ausgemustert. Es ist wechselnden Eignern, darunter den Wandervögeln, in der wirtschaftlich schwierigen Großwetterlage der Weimarer Republik nicht gelungen, die gut 120 Tonnen deutsche Eiche wie gedacht für neue, eigene Ziele flott zu machen. Rasch ist „Wander Bird“ mit geliehenem Geld hergerichtet, wird im Lauf der 30er Jahre mit einem Dutzend Atlantiküberquerungen, einem Segeltörn durch die Ostsee und einer Mittelmeerkreuzfahrt mit zahlenden Gästen für den kühnen Trip ausprobiert. Tompkins ist clever genug, seine Frau mit vergleichsweise angenehmen Reisen an die Eignernordwand des Segelns, heranzuführen. Der einstige Lotsenversetzer eignet sich als Familienarche mit seinem Dutzend Kojen, die in schrankähnlichen Schwalbennestern rings um den Salon als Etagenbetten angeordnet sind, bestens für die mehrköpfige Besatzung und zahlende Gäste. Tompkins lässt den vierschrötigen Arbeitssegler, wie er ist. Einzig eine Dusche und ein Steuerrad anstelle der archaischen Pinne werden eingebaut. Soviel Komfort muss sein. Einen Hilfsmotor zum Vorankommen bei Flaute, zur Ansteuerung von Strömungen durchspülter Gewässer, enger Buchten und unübersichtlicher Häfen hat die „Wander Bird“ nicht. Dafür gibt es Augenmaß, Geduld, Erfahrung, den siebten Sinn des Kapitäns und nicht zuletzt den Anker. Bald stellt sich mit Ann und Warwick M. Tompkins junior Nachwuchs ein. Die Kinder werden auf See groß, lernen an Deck nicht nur laufen und den Umgang mit Tauwerk. Sie turnen auch beeindruckend sicher in der Takelage, lernen also Tompkins Normalität. Ein Schiff kann ein sicherer Abenteuerspielplatz sein. Seinen Stammhalter nennt Tompkins mit augenzwinkerndem Stolz „Commodore“. Im Frühsommer 1936 sind die „Wander Bird“ und die Familie Tompkins so weit: Die sechsjährige Ann hat den Atlantik Acht mal an Bord der Familienarche überquert, ihr vierjähriger Bruder Sechs mal. Der einstige Lotsenversetzer „No 5 Elbe“ ist ausprobiert und eigentlich sind alle im Thema. Allein, die Ehefrau „mochte die Idee der Kap Horn Umsegelung nicht. Nach vielen Tausend Meilen an Bord sehnte sie sich nach Gewässern mit wenig Wellengang und sanfter Brise. Aber die Aussicht, sich bis ans Ende unserer Tage mein Seemannsgarn von Kap Hoorn anhören zu müssen, nicht zuletzt die Möglichkeit, unterwegs auf das häusliche Silber und Porzellan aufzupassen, bewog sie wohl dazu, mitzukommen“ fasst Tompkins ihre Motive salopp in seinem Buch „Fifty South to Fifty South“, der 1938 veröffentlichten „Story of a voyage west around Cape Horn in the schooner Wander Bird“ zusammen. Außerdem hat das fürchterliche Kap den Vorteil, dass es nach der Schinderei in jeder Hinsicht besser wird, weil es jenseits des südamerikanischen Steißes bekanntlich eine echte Südsee gibt und man ziemlich unbehelligt bei versöhnlichen Bedingungen bis Kalifornien segeln kann. Am 26. Juni 36 geht es in Gloucester an der amerikanischen Ostküste mit einigen zahlenden Gästen los. Ab Tanger zeigt der stämmig senkrechte Bug endgültig südwärts. Nach einem kurzen Stop in Rio de Janeiro werden die gefürchteten, wetterwendischen hohen Breitengrade des Südens angesteuert. Der 50. Grad südlicher Breite befindet sich etwa eine Segeltagesreise vor den Falkland Inseln. Dort beginnt das Projekt „50 South“ diesseits Südamerikas bis jenseits des Kontinents. Aus den tausend Meilen der theoretischen, kürzesten Route werden über zwei Tausend, ein Kurs im Zickzack durch Stürme und Winddrehungen. Die „Wander Bird“ kreuzt weit über das in Sichtweite umsegelte Kap hinaus in den Süden und droht schließlich am nordwestlichen Ausgang der Magellan Straße mit einer kaltblütig landnah gesegelten Route zu scheitern. Kaltblütig navigiert Tompkins die Familienarche durch das Katz und Maus Spiel ständig wechselnden Wetters. Im Unterschied zu den Rahseglern der soeben ausgeklungenen Ära der kommerziellen Segelschifffahrt geht die „Wander Bird“ passabel an den Wind und das bärenstarke Gebälk macht seinem Ruf als deutsche Wertarbeit alle Ehre. In Kenntnis der Verhältnisse in der deutschen Bucht hatte die Hamburgische Deputation für Handel und Schifffahrt bei der Bestellung des Lotsenschoners „No. 5 Elbe“ die Stülcken Werft in Hamburg-Steinwerder ausdrücklich um eine solide Bauausführung gebeten. Die bewährt sich jetzt noch mal. Kühn ringt Tompkins, er bezeichnet sich in der Reisebeschreibung sympathisch zurückhaltend als „The old man“, mit einem beinhart gesegelten steuerbord Bug der exponierten Küste kaltschnäuzig Meile für Meile Nordwest ab. Gesegelt wird anhand gekoppelter (also geschätzter) Kurse. Mit Geschick und Glück lassen sich die Positionen per Sextantnavigation überprüfen. Hier gibt es wenig Spielraum für nautische Fehler oder Materialermüdung. Was auf die „Wander Bird“ zukommt, erfahren Schiffer und Besatzung nicht anhand einer heute üblichen Wetterkarte samt elektronisch übermittelter Routenberatung. Aufschluss bieten der Blick unter die Wolken und die Kurve des Luftdruckschreibers (Barograph). Der Bericht über die beinharte Reise, er ist in einem Reprint der englischsprachigen Erstausgabe von 1938 nachzulesen, liest sich wie ein Krimi. Abgesehen von einem gebrochenen Klüverbaum passiert nichts. Dennoch endet die Reise für Tompkins mit einer großen Enttäuschung, der Enttäuschung nach vielen Monaten in San Francisco „with sadness“ an Land gehen zu müssen. Später legt die Familienarche noch mal zu einer großen Reise ab, einer Odyssee durch den Pazifik. Dann trennen sich die Lebenswege von Gwen und Warwick Tompkins. Das Glück der beiden hatte mit der kühnen Umseglung Südamerikas seinen Zenit überschritten. Die Familienarche wird zum schwimmenden Hafeninventar. Ein Zustand, der für altes Gebälk beinahe so gefährlich ist, wie der Dienst in der Deutschen Bucht oder die Umsegelung Kap Hoorns. Ende des 20. Jahrhunderts wird Joachim Kaiser, der Hamburger Schiffshistoriker und clevere Strippenzieher für den Erhalt alten Gebälks auf die “Wander Bird“ aufmerksam, 2002 gelingt der Kauf durch die Stiftung Hamburg Maritim. Das vom Beschäftigungsträger “Jugend in Arbeit“ in einer Harburger Ausbildungsstätte und Werft verdienstvoll sanierte Gebälk wird zur segelnden Antiquität und Schmuckstück des neuen Traditionsschiffhafens der Hamburger Speicherstadt. Seit der behutsamen Wiederherstellung unter musealen Gesichtspunkten mit kleinen Zugeständnissen hinsichtlich Handhabung und Sicherheit, ist die Hamburgensie in den Händen eines engagierten Betreibervereins auf der Elbe, Ost- und Nordsee unterwegs. Ab und zu sieht eine betagte, eigens aus den Staaten angereiste Dame mal in Hamburg nach dem rechten: Es ist Ann Tompkins, jenes kleine Mädchen, die auf dem Atlantik und während der kühnen Kap Hoorn Umseglung auf der „Wander Bird“ die Normalität ihrer Eltern lebte.

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Die Manufaktum Meise

Ist das vertiefte Interesse an ausgefallenen Uhren, speziellen Sportwagen und gediegenen Holzbooten ein Zeichen genereller Reife, also des Älterwerdens? Wenn es immer Hand gearbeitet, sündteuer und von gestern sein muss, hat sich dann schon die Manufaktum Meise im Oberstübchen eingenistet? Wir sind mit „Margarethe von Zülz“ unterwegs, einem Geschöpf der zwanziger Jahre, nach Plänen des Kieler Bootsbaumeisters und Möbelgestalters Georg Wawerla neu aufgetakelt. Form verleimt und Detail verliebt von Andreas Gronau gebaut. Das Finish einiger Lackschichten erinnert an Musikinstrumente, auf denen keiner ungestraft ein Glas abstellt. M-Jolle „Margarethe von Zülz“ „Margarethe von Zülz“, so nennt die Barbour, Connemara und Loden-Frey Fraktion ihre Jagdhunde oder Turnierpferde. Doch diese Jolle ist charmant von gestern und unergründlich auberginenfarben bis schwarz lackiert. Auf dem See bei zischender Fahrt, wir sind da durchaus bestechlich, erscheint der prätentiöse Bootsname passend. Die aparte, dunkel gewandete Madame kann man durchaus wie einen Irish Setter oder ein kapriziöses Hannoveraner Warmblut nennen. Ein verregneter Spätsommernachmittag auf einem entlegen stillen Gewässer im Norden der holsteinischen Schweiz. Wir hängen mit dem Hintern drei Handbreit über dem Wasser, die Pinne in der linken, die Großschot in der rechten Hand, und sind ein bisschen hin. Erstens, weil wir die Inanspruchnahme der Bauchmuskeln zum so genannten Ausreiten, dem Geradehalten der Jolle mit dem Körpergewicht nicht mehr so gewohnt sind. Und dann ist da noch dieses wunderbare Deck aus Mahagoni mit Ahorn-Wenige Intarsien. Schon doll, dieses ferne Zitat der einst an der Mittschiffslinie orientierten Decksplanken auf großen Yachten. Oder sind es gar Rallystreifen? Wir werden nachher, wenn wir diese Madame trotz dem heutigen Böenallerlei aus einigen Richtungen ungekentert an Land manövriert haben, Andreas Gronau mal fragen, wie man so was eigentlich derart sauber zusammenfügt, dass es aussieht wie gespritzt oder geplottet, obwohl es ja ausgeschnitten, geschliffen und passend gehobelt sein muss. Wir werden keine begreifliche Antwort bekommen, außer dass es eine schwere, zeitintensive, schöne Übung mit dem Japanhobel war und dass man das eine oder andere Furnier halt öfter macht, bis alles fugenlos, Stoß an Stoß, sitzt. Der sympathisch bescheidene Bootsbauer ist kein Freund der Allüre. Dass dieses Boot ihm und seinen Kollegen Thomas Petersen und Georg Wawerla Spaß gemacht hat, sieht man dem Ergebnis an. Diese Margarethe hier ist der Prototyp einer neuen M-Jollen Serie und Gronaus Weg in die Selbstständigkeit. Das zweite Exemplar liegt bereits kopfüber mit fast fertiger Schale in der Halle und der Holzstapel für den dritten M-Jollen Neubau liegt bereit. Die aus Südwest heran schiebenden Wolken tröpfeln unschlüssig und wissen nicht, ob sie noch mal alles geben sollen, wie ihre Vorgängerinnen vor einer halben Stunde, als sie das Idyll in einer Sintflut verschwinden ließen. Aber Segler haben ja, anders als Angler, Großwildjäger, Motorbootfahrer und ähnliche Angeber immer Glück. Schon eilt wieder eine von drei Windstärken gedunkelte Schraffur über die Wasserfläche heran. Reinlufen, raushängen, abfallen und Gas geben. Das ist der Reiz unbeschwerten Segelns. Herrlich. Mit einem schnittigen Verdränger kreuzen, ist immer ein besonderer Genuss. Die M-Jolle stammt noch aus der Zeit, als es noch keine gleitfähigen Schwertboote gab. Weit draußen hängend beobachten wir den schnittigen Bug, wie er teils über den See schießt, teils durch die Wellen schneidet. Ein schönes Bild, diese apart auberginenfarbene Form über dem grauen Wasser. Eine Segelstunde überwiegend im Schwarzweiß des regnerischen Spätsommernachmittags, dazu das Kastanienbraun vom Khaya Mahagoni des Decks mit den Rallystreifen des hellen Ahorn und der in tiefes Afrikaschwarz gebeizten Wenge unter dem braunen Sprucemast. Überhaupt, dieser eigenartig gekrümmte Mast. Früher wurden Jollen mit der so genannten Steilgaffel, einer neben Mast und Baum dritten Segelstange zur oberen Führung des damals trapezförmigen Großsegels, aufgetakelt. Diese Vogelschwingen artige Form bietet bei halbem oder Schiebewind den Vorteil der einige Meter über dem Wasser günstig projizierten Fläche, ist aber bei Kursen hoch am Wind weniger effektiv und beim Auf- und Abtakeln umständlich. Deshalb gab Wawerla dem M-Jollen Neubau diesen eigenartig peitschenförmigen Mast, wie er einst bei den Schärenkreuzern der zwanziger Jahre üblich war und damals, wie bei Manfred Curry nachzulesen, aerodynamisch der letzte Schrei. Auch die durchgehenden Latten knüpfen an alte Erkenntnisse an. Sie ermöglichen eine Vogelschwingenartige Rundung der Segelhinterkante und stabilisieren das Tuch. Natürlich gibt der reizvolle Anachronismus der neuen alten M-Jolle eine besondere Note. Von weitem sieht er aus wie ein historisches Steilgaffelrigg. Moderne Beschläge wie Kugel gelagerte Harken Rutscher zur reibungsarmen Führung der durchgehenden Segellatten am Mast oder die formschön bündig ins Vordeck eingelassene  Bartels-Kardanik für den Fockroller machen den wieselflinken Renner zur segeltechnisch beglückenden Modelleisenbahn. Kostspielig schöne Lösungen, die von Liebe zum Detail künden. Den Plichtausschnitt vorn hätten wir schmaler gehalten, den Wellen und Spritzwasser abweisenden Süllrand vorn und seitlich höher. Ein nach vorn geneigtes Ruderblatt böte mehr Balance und machte die Madame etwas drehfreudiger. Im Flachwasserrevier ist ein Klappschwert praktischer, weil es Grundberührungen verzeiht. Das Schöne am „Projekt M“, wie die drei von der Neudorfer Werft ihre Mission zur Wiederbelebung der einst beliebten, heute klassischen 15 Quadratmeter Rennjolle nennen, ist, dass der Auftraggeber seine aus der eigenen Segelpraxis geronnenen Vorstellungen mit dem Jollen Neubau verwirklichen kann. Das dürfte manche halbstündige Autofahrt von Kiel, Neudorf bei der Kleinstadt Lütjenburg, wert sein. Noch schöner, als zwischendurch mal beim werdenden Boot zu gucken, ist eigentlich bloß, es zu segeln. Lautlos zieht die flotte Margarethe vor dem Grün des üppig bewaldeten Ufers ihre Bahn. Zögernd haben Petersen und Wawerla uns vorhin die Pinne überlassen. Die Madame ist ziemlich neu und die Behauptung, wir würden schon eine Weile segeln, langte den beiden kaum. Erst das Versprechen, das Missgeschick einer Kenterung mit einer Kiste trinkbaren Biers zu vergüten, ließ Wawerla nach vorn rücken. Außer dem Schwert, der Pinne, dem niedrigen Süllrand ist das so genannte Kielschwein, ein den Rumpf mittig in Längsrichtung aussteifende Leiste, aus dunkler Wenge. Unter dem Plichtausschnitt ist die makellos glatte und entsprechend pflegeleichte weiße Innenschale mit kleinen Lattenrosten aus Teak belegt. Von geschickt versteckten Splinten gesichert, gehen sie nicht mal bei einer Kenterung verloren, was wir aber ehren- und der kostspieligen Kiste trinkbaren Biers halber nicht ausprobiert haben. Wawerla hat die M-Jolle, die Klasse war in den zwanziger und dreißiger Jahren gut anderthalb Meter länger, bei 1,50 Metern Breite auf sechs Meter gekürzt. Diese Maße erleichtern die Bootslagerung im Car Port zuhause oder im Segelverein. An der angenehm auf die seglerische Notwendigkeit reduzierten Detaillierung und Ausstattung des Bootes wird der ordnende Blick des international ausgebildeten Designers spürbar. Wawerla begann in Shigeru Uchidas „Studio 80“ in Tokio und setzt die Arbeit heute mit seinem Studio 38 in Kiel fort. So ist die aparte Madame ohne die Jollentypisch übertriebene Bastelei, ohne unzählige, selten gebrauchte Trimmhilfen unterwegs. Eine charmante Versuchung, sich auf das Wesentliche und Einfache, vielleicht die Quintessenz des Segelns zu besinnen, mit auberginenfarbenem Rumpf und Rallystreifen aus Ahorn und Wenge. Ein klein wenig Chi-chi für das Auge darf’s schon sein. Ein apartes Spätnachmittagsboot für die kostbaren Stunden, wo wir auf dem Heimweg von der Arbeit oder am Wochenende mal die Persenning von den Intarsien heben und mit flink gesetzten 15 Quadratmetern Ablegen vom Alltag. Also, nach dieser Bootspartie mit der flotten Margarethe ist die Manufaktum Meise im Oberstübchen gelandet. Leider ist so ein Spleen kaum kurabel. Wer die Möglichkeit zum kultivieren dieser Meise hat, sollte bald damit beginnen. Es wäre schade um den entgangenen Genuss.

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Thomas Bscher: Open Season reloaded

Jeder ehrgeizige Segler kennt das. Es läuft ganz gut, dennoch bleibt der Eindruck, da ginge noch was, wäre ein Quantum mehr Dampf drin. Also fragte Eigner Thomas Bscher den von Admirals und America’s Cup Regattabahnen und mit den Finessen anspruchsvoller Vermessungen von IOR bis IRC versierten Konstrukteur Rolf Vrolijk. Vrolijk war ohnehin im Thema. Sein Bremerhavener Büro Judel/Vrolijk & Co. hatte das erste Exemplar der WallyCento Klasse entworfen. Das Boot hieß zunächst „Hamilton“, seit der Übernahme durch Bscher „Open Season“. Bei der WallyCento handelt sich um eine Box Rule verschiedener Grenzmaße, bei der unter anderem die maximale Länge von 100 Fuß (30,48 m) nicht überschritten werden darf. Vrolijk ging eine Saison mit Bscher segeln. Er sah sich seine 2012 eingewasserte Konstruktion in der Praxis, auch dessen tatsächliche Schwimmlage gründlich an und die Bedingungen, bei denen der exklusive Zirkel der Wally-Eigner seine Regatten aussegelt. „Vor Palma oder Porto Cervo wird meist bei 6 bis 20 Knoten Wind gesegelt. Die Up und Down-Kurse absolvieren die Boote mit 8 bis 16 Knoten.“ Diese Art der Bestandsaufnahme macht Vrolijk immer, ganz gleich um welche Aufgabenstellung, welchen Bootstyp und welches Rennen es sich handelt. „Anhand dieser Matrix von 7 bis 9 Regatten, die die Wallys segeln“ machte Vrolijk mehrere Studien, um innerhalb der IRC Vermessung den besten Mix aus Zeitfaktor und Geschwindigkeitszuwachs auszutüftlen. Nach Erörterung der Möglichkeiten mit Bscher begann er mit der Optimierung. Dabei war klar, dass das WallyCento Reglement verlassen wird. Open Season wurde zum 107-Füßer. Das Boot erhielt mit dem um 80 Zentimeter von 6,20 auf 7 m abgesenkten Ballast mehr Stabilität. „Das war mit einem gründlichen Blick in das CAD Programm und einer längeren Kielfinne einfach“ so Vrolijk. Die zweite Maßnahme war die Verlängerung des Bootes. „Bei der WallyCento handelt es sich um Boote mit der maximalen Wasserlinienlänge. Das heißt der Konstrukteur zeichnet im Prinzip einen längeren Rumpf und schneidet ihn dann achtern regelkonform ab. Das hat den Nachteil einer relativ großen wasserbenetzten Fläche am Heck. Dieser macht sich bei leichtem Wind bemerkbar“ erläutert Vrolijk. „Im Grunde haben wir dieses fehlende Stück mit einer Art Spoiler drangehängt. Der Spoiler ist 2,10 m lang, verlängert die effektive Wasserlinie und gibt dem Boot bei Wind eine größere Grundgeschwindigkeit. Das 300 Kilo schwere Faserverbundteil wurde bei Green Marine, der Werft, die „Hamilton“ 2012 gebaut hatte, gefertigt und an das in Palma aufgebockte Boot laminiert. Zwecks Aufnahme der erheblichen Zugbelastung aus den nach hinten versetzten Backstagen mit entsprechender Biegebeanspruchung des gesamten Rumpfes waren die Längsträger (Stringer) und Übergänge am Rumpf überlegt abzuschneiden und für den neuen Laminataufbau vorzubereiten. Das dem Boot am achteren Ende zugefügte Gewicht wurde durch gezielte Entnahmen und vereinfachte Hydraulik gezielt ausgeglichen. So blieb der Längstrimm erhalten. Die dritte Maßnahme war die Beschäftigung mit der Segelgarderobe, insbesondere der Segelgeometrie. Hier galt es den IRC Rennwert zu schonen, das heißt die neue „Open Season“ besser zu motorisieren, ohne das es gegenüber dem ursprünglichen Boot zu gravierenden Zeitstrafen kam. Dank näherer Beschäftigung mit dem Mastfall und der Mastbiegung erhielt „Open Season“ mit besser überlappenden Vorsegeln 10-20 qm mehr Tuch. Das machte Vrolijk in bewährter Zusammenarbeit mit Henrik Söderlund von North Sails Dänemark. Weil es mit der optimierten Hardware allein nicht getan ist und das Boot vom Start weg ausgezeichnet gesegelt werden muß ist Jochen Schümann als Taktiker, Souffleur und Segel-Steuerberater bei den Regatten an Bord. Das die ausgedachten Maßnahmen über die Stärken einer Neukonstruktion oder Modifikation auch auf dem Wasser genutzt werden, ist seit jeher Teil der Erfolgsgeschichte von Judel/Vrolijk & Co auf den Regattabahnen. „Wenn es da nicht von vorherein läuft und das Boot nicht vom Start gut wegkommt, wird es schwer“ berichtet Vrolijk, der ebenfalls regelmäßig dabei ist. Denn die Maßnahmen führten zu einer um 20 Punkte nachteiligen Vermessung. Das heißt auf dem Wasser das innerhalb einer Stunde 70 Sekunden schneller gesegelt werden, um das Rating auszugleichen. Das verlangt vom Start weg freie Fahrt ohne störende Abwinde oder Scharmützel mit eigentlich langsameren Booten. Vrolijk sieht sich nach wie vor an, ob und wie das Konzept für Bschers „Open Season“ aufgeht. „Das ist ein fortlaufender, kein abgeschlossener Prozess.“ Die vergangenen Segelsommer jedenfalls schlug sich die getunte „Open Season“ als schnellste Wally ausgezeichnet. Manchmal muß man das Reglement einer bestimmten Klasse (hier der WallyCento) einfach verlassen, um auf der Regattabahn vor Palma de Mallorca, Porto Cervo oder Saint Tropez vorne zu segeln. Der frühere Bankier, Bugatti-Manager und Rennfahrer Thomas Bscher ist ehrgeizig. Der will nicht bloß spielen. Die Maßnahmen haben sich für den Präsidenten der International Maxi Association gelohnt.

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Besuch bei Maria und Henrik

Es ist für Mitteleuropäer nicht immer nachvollziehbar, was der Schwede eigentlich den ganzen Tag so macht. Beim Deutschen ist die Sache ja klar: Er arbeitet, klagt und fährt im Sommer, wenn es da unten nur heiß, fettig und frech teuer ist, zur Badeanstalt des Mittelmeeres. Aber der Schwede? Man erfährt da wenig, was an seinem wortkargen Wesen liegt. Glaubt man der Reklame eines bekannten schwedischen Möbelhauses, gehen irgendwann im neuen Jahr ziemlich synchron die Fenster auf und die Weihnachtsbäume fliegen raus. Dann hört und sieht man wieder lange nichts. Wer mal unter einem Vorwand privater oder geschäftlicher Natur einen Schweden sprechen möchte, bekommt die Störung des häuslichen oder beruflichen Friedens bei der Entgegennahme des Telefonats mit einer Art indigniertem Schweigen zu spüren, als hätte man aus nichtigem Grund an einem Sonntagmorgen halb acht angerufen. „Jo – ho“ heißt es dann, wobei zwischen dem „Jo“ und dem „ho“ eine Pause liegt, in der bis vor kurzem zwei unterschiedlich profitable Firmen in eine große, wirklich unprofitable zusammengelegt wurden. Also, eine Flatrate lohnt bereits beim ersten Telefonat nach Schweden. Natürlich hegt der Schwede gegenüber dem Mitteleuropäer jene unüberwindbare Scheu und Skepsis, wie sie der Deutsche einem levantinischen Teppichhändler entgegen bringt, welcher bekanntlich solange textet und Tee einschenkt, bis die Brücke angezahlt ist. Man braucht bloß in Antalya Urlaub machen, um zu spüren, wie sich das anfühlt. Nur ist der Schwede dermaßen introvertiert, dass er auch mit Landsleuten bloß kommuniziert, wenn es unbedingt sein muss. Die Anlässe sind in dem großen waldreichen Land mit verhältnismäßig einsiedlerisch anzutreffenden Einwohnern selten. Wir erinnern bei dieser Gelegenheit den von etwas gesprächigeren Dänen und gemeinen Norwegern erzählten Witz über zwei schwedische Angler auf einer einsamen Schäre. Nach dem Austausch jeweils eines sparsam hervorgebrachten „hey“ hocken sie stundenlang neben ihrer Angel, bis sich der eine zaghaft erkundigt „hast Du schon was gefangen?“ Da empört sich sein Landmann: „Wir sind doch nicht zum quatschen hier.“ Tja, so unterhaltsam können Dänen oder Norweger zu vorgerückter Stunde nach dem Genuss trinkbaren Bieres nach unserem Reinheitsgebot sein und so ungefähr ist der Schwede. Leider sind wir dem Mysterium, was der Schwede so den lieben langen Tag eigentlich macht, keine Idee näher gekommen. Also sind wir neulich mal nach Stockholm geflogen und von Arlanda über kleine gewundene Straßen und Sträßchen, über Schotterpisten und Waldwege in den Stockholmer Schärengarten zu Maria und Henrik in der Nähe von Åkersberga gekurvt. In Skandinavien duzt man sich pauschal und präventiv, auch wenn man bloß ein bisschen herum gemailt und sich noch nie gesehen hat. Anrufen wollten wir aus bereits dargelegten Gründen nicht. Maria Torsell und ihr Mann Henrik Widstrand haben zwei Kinder, ein paar Tiere und bewohnen ein Haus am Wasser. Wahrscheinlich das prototypisch schwedische Familienglück. Natürlich unternahmen wir die Recherche verdeckt, unter dem glaubhaften Vorwand, wir würden uns bloß für die Boote von Maria und Henrik interessieren. Es sind sehr schöne, herrliche Boote, alte Holzboote mitten aus dem Stockholmer Schärengarten, solche zum schwach werden. Der Wahrheit und Dokumentation halber, mit Fotos lässt sich zwar auch lügen, aber schwerer, wurde die Recherche von einem Fotografen begleitet. Zwecks Akklimatisation war Ulf schon einige Tage mit seinem aufgemotzten Mini Cooper in Schweden unterwegs, was leider kaum auf seinen Tourenwagenmeisterschaftsfahrstil abgefärbt hatte. Kein Anflug dieser senilen Apathie der gemächlich nordischen Straßenverkehrsteilnahme war zu spüren, die sich soeben noch vom Parken unterscheidet. Ulf fuhr schnell, blieb dabei aber mit sämtlichen Rädern auf der Piste, all das immerhin mit eingeschaltetem Licht. Plötzlich meinte das Navigationsgerät, wir wären da. Ratlos standen wir in der Lichtung eines Kiefernwaldes und atmeten tief durch. Zum Wasser hin ein Holzhaus. Die im Garten gehisste Fahne in Landesfarben signalisierte Bewohntsein. Hätte eine Schar blondschöpfiger Kinder mit dem faul in der Wiese lümmelnden Hund gespielt, es wäre wie in der Reklame für diese Mitnehm- und Daheim selber Zusammenbaumöbel gewesen, die wie „Billy“ oder „Björn“ auch alle zwangsgedutzt werden. Der Mini Cooper kühlte knisternd ab, Vögel zwitscherten, doch niemand erlöste uns von der Ungewissheit, ob wir hier richtig, bei Maria und Henrik waren. Anrufen? Um Himmels willen! Wir guckten noch mal aufs Display des Satelliten gestützten Pfadfinders. Tatsächlich, am Kardinalvägen 14 steckte diese Rallyfahne am Ziel. Die Tür zum Holzhaus war offen. Wir klopften. Keine Antwort. Wir klopften noch mal und fragten „Maria?“ „Hey“ rief es irgendwo drinnen. Wir warteten. Keine Maria, kein Henrik. Nur der Hund war herangetrottet und schnüffelte interessiert an unseren Waden, was immer das heißen sollte. Entgegen allem mitteleuropäischen Benimm gingen wir einfach rein, querten zögernd die Diele und standen im Wohnzimmer. „Hey“ rief eine junge blonde Frau aus der Küche nebenan. Geschirr klapperte. „Maria?“ „Yess, I am Maria, coffee?“ Na, geht doch. Natürlich machten wir nicht den Anfängerfehler, jetzt einfach wie der Teppichhändler in Antalya loszuquatschen. Es war die Stunde des zweiten Frühstücks und als Projektleiterin für Handysoftware hatte Maria zwar frei, aber etwas Homeoffice für unaufschiebbare Dinge. Der Laptop summte, das Handy klingelte, mit „hey“ und „jo – ho“ wurde das nötigste besprochen. Schweigend saßen wir am Tisch, mampften etwas von dieser watteartig unzerkäulichen Konsistenz, die der Schwede als „bröd“ bezeichnet. Ulf hantierte mit seinen Kameras und kriegte Ungeduldspickel. Wir blieben cool, guckten in den Garten und runter aufs Wasser, wo Marias und Henriks herrliche Holzboote schwammen. Wir beneideten den abwesenden Gatten ein wenig. Eine so sympathische Frau, das Grundstück und – ach – die Boote erst. Wir zwangen uns so gut wie nichts zu sagen und versanken ein wenig in dieser generell skandinavischen Apathie, was in diesem Paradies ganz gut klappte. Es gab noch mal Kaffee und bei zögernd tastenden Fragen warteten wir ab, was der Schwede eigentlich so den ganzen Tag macht. Nach einer Weile rief Henrik von der Arbeit an und erkundigte sich, ob die „tyska“ da wären, mit Sicherheit auch, ob die Deutschen okay und zum aushalten seien und ob Maria nicht zu viel reden müsse. Nach einer Weile erfuhren wir, wie Maria 1990 als Studentin zehn Tausend Schwedenkronen in „Lilla Spjut“, einen kleinen 15 Quadratmeter Schärenkreuzer von Anno 1920 steckte, statt das Geld bei einem Sommerurlaub mit einer Freundin an der Badeanstalt des Mittelmeeres zu verbraten und die aufdringlichen Südländer abzuwehren, die bei blonden Schwedinnen so beharrlich zu landen versuchen, wie nordische Mücken bei Menschen und Tieren nach einem Regenschauer im August. „Lilla Spjut“ war günstig. Auch bot sie einen abwechslungsreichen Segelsommer. Doch so reell, wie das Gefährt war, so viel gab es auch daran zu tun. Die Ratschläge zur Renovierung kamen von Marias heutigem Mann Henrik, der als gelernter Tischler und tief in der Materie steckender Bootsbastler mit skandinavischer Zurückhaltung und Seriosität, dennoch nicht ungern bei Marias Bootsbaustelle erschien, teils aus Interesse am aparten Schiffchen, zunehmend wohl auch an der Besitzerin des Bootes selbst. Dann wechselten Maria und Henrik zusammen Planken. Während eines elftägigen Segelurlaubs auf dem Mälarsee fügte sich weiteres, wurde aus dem still genossenen Glück der Wunsch nach Familie. „Das Boot ist zehn Meter lang und mit 1,45 recht schmal. Man muss sich mögen, um damit einen Segelurlaub zu machen. Es war herrlich, wir sind zu sämtlichen Schlösser am Mälarsee gesegelt.“ Maria lächelt ihr einnehmendes Schwedinnenlächeln und guckt eine Weile aus dem Fenster. Dann steht Henrik im Wohnzimmer. Es ist Nachmittag und die Zeit vergangen wie im Flug. Ein knappes „hey“. Skeptisch flinke Blicke scannen die sichtbaren Ergebnisse der ganz und gar unschwedischen Gesprächigkeit, die Kaffeebecher, Teller, Krümel, aufgeschlagenen Bücher, Fotoalben und Notizen, als ahne der Gatte die verdeckte Recherche. Jetzt bloß nichts sagen, fragen oder erklären wollen. Ulf hantiert immer noch oder schon wieder mit Bodies und Objektiven. Zwecks Entspannung die Lage gehen wir durch die nasse Wiese den Hang zum Wasser hinab. Die weiße „Lilla Spjut“ schwebt mit ihrem filigranen Peitschenmast wie eine Gondel über dem spiegelnden Resaröström. Wir erinnern Marias Erklärung der zehn Meter Regel, wonach es völlig langt, wenn ein altes Holzboot aus etwa diesem Abstand makellos aussieht. Alles andere wäre pedantisch und ruinös hinsichtlich der vielfältigen Anforderungen, die das Berufs- und Landleben sonst noch so stellt, wahrscheinlich „tysk“ oder – noch schlimmer, schweizerisch – was Maria höflichkeitshalber so nicht gesagt, aber vermutlich gemeint hat. Henriks Schärenkreuzer entstand für die olympischen Segelregatten von 1912 und ist als frühes Exemplar mit zwölf mal 2,50 Metern vergleichsweise breit und flach. Wie ein Stumpf ragt der kurze kräftige Mast der Gaffel getakelten Antiquität über das braun glänzende Gefährt. Er kaufte es vor 23 Jahren gemeinsam mit einem Freund, hegt und pflegt, segelt und behält „Miranda“ einfach. Nach einem Probeschlag mit „Lilla Spjut“ ist noch etwas Zeit bis zum Abendessen. Er hätte „da noch ein Boot, vielleicht ganz interessant,“ meint Henrik, der jetzt beinahe gesprächig geworden ist. „Ein paar Minuten zu Fuß, nicht weit.“ Okay, gehen wir mal gucken. Es ist ja lang hell im sommerlichen Schweden, trotz der Mücken, die bei uns jetzt in den Abendstunden wirklich zu landen versuchen, wie Italiener bei prototypisch blonden Schwedinnen. Nach einer Weile queren wir einen sommerlich leeren Bootslagerplatz und gehen auf eine schmale lange Bretterbude zu. Die Behausung ist mit gebrauchter Lastwagenplane und verspakter Dachpappe abgedeckt. Eine improvisierte Kegelbahn oder ein Schießstand gar für seltsame Vögel, die es in Schweden ja auch geben soll? Sprach Henrik nicht von einem Boot? „Yesss“ meint Maria. Henrik schließt den Schuppen auf und knipst das Licht an. Mit zögerndem Flackern, nacheinander blinkend beleuchten die Neonröhren ein Gefährt, das wie die sichtbare Hälfte eines aufgetauchten U-Boots in den Schuppen ragt. Wir vergessen die Mücken und ringen um Fassung. „Was ist das denn?“ „Marga“ meint Henrik und präzisiert „Marga IV.“ Das knapp 20 Meter lange, ganze 2,70 m breite Geschoß ist einer der längsten 95 Quadratmeter Schärenkreuzer. Eine federleichte, damals wie heute kostspielig große Rennklasse, in der seinerzeit wenige Boote entstanden und von der es heute noch eine Hand voll gibt. Es entstand 1921 nach einem Entwurf von Tore Holm für Konsul Fredrik Forsberg, einen vermögenden Segelconnaisseur, dessen Haus mitten in Göteborg neulich für einen sensationellen Preis den Besitzer wechselte. Dort, wo U-Boote üblicherweise ihr Sehrohr ausfahren, muss man sich den Bleikiel dazu denken. Damals entwickelten sich die Schärenkreuzer rasant. Die Boote wurden von Saison zu Saison länger, leichter und schneller. Die Bauvorschriften waren wiederholt zu präzisieren und der vermögende Konsul zog mit. Mit „Marga III“ Baujahr 1918 hatte Forsberg nach etwas älteren Baubestimmungen damals ein zweites Boot in Saltsjöbaden, dem Seglervorort von Göteborg. „Ein praktischer Mann“ meint Henrik. „So hatte er an der West- und Ostküste jeweils ein Regattaboot liegen.“ Nach etwa einem Dutzend verschiedener Besitzer im 20. Jahrhundert und zunächst schleichendem, dann unübersehbarem Verfall kaufte Widstrand es 1997 mit dem Ziel, das Torpedo 2001 segelfertig restauriert zu haben. Dieser Plan ist längst aufgegeben und Fragen nach dem erneuten Stapellauf beantwortet Henrik ausweichend mit: „Wenn ich fertig bin.“ Es gibt ja noch den Beruf als Möbeltischler, Maria, die Kinder, die unten vor dem Bootshaus vertäuten Antiquitäten, das Holzhaus, den Hund. Einfach mal faul sein oder ein Buch lesen wäre auch ganz schön. Manche Planke hat Henrik das vergangene Jahrzehnt schon gewechselt. Jeder, der mal eine Tapete unter einer Zimmerdecke angebracht hat, erinnert, wie blöd über Kopf Arbeit ist. Weil Planken wechseln an einem Holzboot etwas mühsamer ist, hat Henrik „Marga“ gedreht und mit dem Deck auf Böcken abgelegt. Am gekrümmten Übergang vom Rumpf zum Kiel, dort, wo beim U-Boot der Turm beginnt, sind noch ein paar offene Rechtecke. „Es ist nicht einfach da. Manchmal musst Du eine ganze Planke noch mal machen, bis sie überall stramm im Schiff sitzt.“ Eine professionelle Bootsbauergang würde die Lücken in einer oder zwei Wochen schließen. Henrik hat sich angesichts der Zeit und Geld Schere für die Zeit, seine Arbeitszeit entschieden. Er denkt in Vierteljahresschritten. So geht er jahraus, jahrein zwei mal abends nach der eigentlichen Arbeit und dem Abendessen mit der Familie und einen Tag am Wochenende zu „Marga IV“. Im Sommer über den kollernden Schotter, im Winter durch den schnurpsenden Schnee und sonst durch den Regen. Das den Bootskörper quer aussteifende Gerippe der Spanten, die Bleche der Bodenwrangen für die Kielaufhängung sind repariert oder durch neues Material ersetzt.Ja, aber hat er denn nach der handwerklichen Arbeit tagsüber dann am Abend nicht mal den Hals voll? Über eine derart blöde Fragte staunt Henrik: „Die Regale, die ich tagsüber in irgendwelche Häuser tischlere, das mache ich für andere, die Arbeit an Marga mache ich für mich.“ Außerdem sei es ein schöner Ausgleich zum Alltag. Er könne dabei am besten nachdenken. Ulf, jetzt bitte mal ein Foto, sonst glaubt das keiner. Henrik kriecht zwischen dem Hallenboden und dem Deck zu einer Luke. Nach etwas levantinischer Animation von Ulf, der jetzt endlich mit seinen Bodies, Bajonettverschlüssen und Objektiven zum Zuge kommt, huscht ein Grinsen durch das ernste Gesicht des 42-jährigen. Und noch eins mit Weitwinkel oder Fischauge mit Maria und dem Kirchenschiff der Spanten ringsum. Da ist Henrik wieder ernst. Dann laufen wir über das mit Pappe ausgelegte Kajütdach nach achtern, winden uns durch die Einstiegsluke in den Deckausschnitt, der mal das Cockpit mit den Sitzgelegenheiten aufnehmen wird und folgen dem endlos langen, zu einem handtaschengroßen Heckspiegel verjüngten Achterschiff, wo eine Halterung für die Landesflagge auf den Rumpf geschraubt ist. Da bringt Widstrand dann an nationalen Feiertagen die Schwedenfahne an. Es sieht so aus, dass Widstrand sie noch oft setzen wird. Eigentlich ganz nette Leute, solche Schweden. Und wenn es unbedingt sein muss, erzählen sie sogar was.

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Jäger und Sammler

Das Thema, wie groß und aufwändig ein Boot sein muss, wie viel Raum es im Wesentlichen vom Arbeits- und Familienleben ausgefüllten Dasein einnehmen darf, ist eine der leidlich diskutierten Dauerbrenner fast jedes Seglerhaushalts. Von der Materie schwer in Beschlag genommene große Jungs sind da naturgemäß etwas anderer Auffassung als ihre Lebensgefährtinnen. Abgesehen von Pferden, die von Töchtern und Frauen niemals als Spielzeuge, nämlich Tiere und somit völlig anders als Boote eingestuft werden, ist der weibliche Teil eines Seglerhaushalts bei Spielzeugen wie Autos, Jollen, Yachten, Flugzeugen oder Hubschraubern furchtbar vernünftig. Hier werden mit klarem Kopf nüchterne Kosten-Nutzungen Rechnungen aufgestellt. Nach landläufiger Auffassung langt ein Boot vollkommen, am besten ist es aus pflegeleichtem Kunststoff. Weil da der Wartungsaufwand und Kosten überschaubar bleiben. Ab und zu eine Pütz Wasser mit schmutzlösenden Essenzen, der beherzte Einsatz des Schrubbers, etwas Politur und das alljährlich aufgefrischte Antifouling. So bleibt die Kirche im Dorf. Doch sogar dieser Aufwand wird von Nichtseglern, speziell weniger segelaffinen Ehefrauen als viel zu hoch eingeschätzt. Diese Diskussion hat der 49-jährige Kai Wohlenberg nicht. Zwar hatte der joviale, meistens für einen würzigen Spruch zu habende Parkettverleger aus Flensburg schon die eine oder andere Lebensabschnittsgefährtin und er erinnert die gemeinsame Zeit beispielweise mit einer Sabine vor einigen Jahren als schön. Doch ist Wohlenbergs Lebensschwerpunkt nun mal eindeutig das Segeln, der Bootsbau und seine Bootssammlung. Letztere besteht aus derzeit ungefähr neun Booten. Es ist durchaus möglich, dass demnächst noch ein schönes Exemplar dazu kommt. Außerdem ist die Lage auf seinem Grundstück unübersichtlich. Es befindet sich neben dem ehemaligen, längst stillgelegten Flensburger Güterbahnhof. Hier stehen in diversen Schuppen oder unter temporären, von Partyzelten zu überdachten Stellplätzen modifizierten Gestellen so viele Boote, dass der Besucher mehrmals zählen muss. Hinzu kommen die kopfüber abgelegten Baustellen oder unter die Dachbalken gehangenen Exemlare. Wer so fokussiert auf die vielleicht schönste Sachen der Welt, ansehnliche, klassische, schnittig schlanke Segelboote, lebt, solch ein Sammler und Jäger ist und bleibt wohl Junggeselle. Übrigens gehören einige Boote seiner Schwester Andrea und seinem Schwager Holger. Von den drei hinreißenden Exemplaren der internationalen 5,5er Klasse ist eigentlich nur eines Wohlenbergs alleiniges Eigentum. Die beiden anderen teilt er sich mit seinem Schwager. Das ist so eine Art innerfamiliäres Boatsharing. Der Besitz und auch die artgerechte Verwendung der Boote, das Segeln, ist Wohlenberg weniger wichtig. Entscheidend sind die kurzen Wege zur Flotte, dass die Kostbarkeiten gut aufgehoben sind, vom Herbst bis Frühjahr geschützt vor den gnadenlos nassen, windreichen und kalten norddeutschen Wintermonaten und im Sommer schön kühl und schattig stehen, also nicht austrocknen. Die Lagerung von Holzbooten ist ein Thema für sich, sonst drohen der Substanz Trockenfäule, Schimmel, Gammel und das Gebälk ist bald so rott wie der englische Kanalkutter von Anno 1906, der neben der Zufahrt zur Wohlenbergschen Bootskollektion in einer offenen Scheune steht. Ähnlich wie dem Auto im Carport bekommt alten Planken ein vor Regen, Schnee und Sonne geschützter, zugleich gut gelüfteter Stellplatz am besten. Die Planken des mittelgroßen, schweren Langkielers halten soeben noch die Farbe. Das sich achtern, vor dem Ruderblatt mal die Einbaumaschine befand, ist auch an der dunklen Färbung des Gebälks zu erkennen. „Ein schönes Schiff, nicht wahr? Das hat Holgers Vaters lange gesegelt. So was kann man ja nicht verkommen lassen“ meint Wohlenberg. Als wir uns umdrehen und sich der Blick der filigranen Form eines sturmsicher mit Baumarktplanen eingepackten Schärenkreuzers zuwendet, fallen wir beinahe in ein anscheinend gerade erst abgestelltes Finn Dinghi. Es ist ausnahmsweise aus Gfk, obwohl Wohlenberg nach eigenem Bekenntnis angesichts Gelcoat beschichteter Glasfaser eher früh als spät „Pickel“ kriegt. „Das hat Holger für den Sommer so zwischendurch gekauft. Wenn es ihn an Feierabend mal so juckt, über die Förde zu glitschen.“ Der 22er Schärenkreuzer mit den nackten und ergrauten Planken ist in ziemlich morschem Zustand, weshalb das Achterschiff mit einer Maurerspindel, das ist eine auf dem Bau übliche Stahlstange mit herausdrehbarer Gewindestange zum Sichern von Betonbalken abgestützt ist. Wie ein flüchtig auf die Planken gehaltener Exzenterschleifer verriet, ist die Substanz besser als vermutet. Der Bootssammler müsste bloß mal Zeit finden, sich über die Aufbewahrung des Gebälks hinaus um das Boot zu kümmern. Derzeit wird die Aufmerksamkeit des Reeders von „Beatrice“, einer im Herbst im ostschwedischen Nyköping geholten 10,20 m langen Nadel beansprucht. „Ich habe das Boot mit der Segelnummer S 30 in schwimmfähigen Zustand für kleines Geld bekommen.“ Der 15 Quadratmeter Schärenkreuzer ist ein Exemplar der kleinsten Schärenkreuzer Klasse. Im Unterschied zu den in Schweden nach wie vor engagiert Regatta gesegelten 22ern und der in süddeutschen wie schwedischen Gewässern stabilen Flotte der Dreißiger, die dank des alle zwei Jahre abwechselnd am Bodensee und in den Schären ausgesegelten Europapokals um gelegentliche Neubauten erweitert wird, werden die 15er langsam aber sicher rar. Das erklärt, weshalb sich Wohlenberg vor einigen Monaten ziemlich kurzfristig entschied, auch „Ramona“ von 1948 vor dem fürchterlichen Kettensägenschicksal zu retten. Der elegante Rumpf hängt jetzt sicherheitshalber ohne Bleikiel und für die ungewöhnliche Aufbewahrung in luftiger Höhe unter dem Hallendach der Robbe & Berking Classics Werft gezielt verstärkt, sozusagen als Deko am Flensburger Industriehafen. „Ich habe Oliver erklärt, das man so was nicht umkommen lassen kann. Es gibt keine Zeichnung mehr von dem Schiff. Wenn es weg ist, ist es für immer weg. Man kann es nicht mal nachbauen“ empört sich Wohlenberg. “Ich musste Ramona einfach holen.“ Wer weiß, vielleicht findet sich eines Tages ein Liebhaber, für den das Schiff abgeseilt und restauriert werden kann. Ein klassischer 15er Schärenkreuzer ist nur eine Idee länger als ein Drachen. Er kann als handliche Schönheit ohne weiteres allein oder zu zweit gesegelt werden. Von Anfang an war Wohlenberg auf ansehnlich schöne Boote abonniert. Bereits als 17-jähriger legte er im Flensburger Yachtclub in Fahrensodde mit einem Drachen ab. Dann träumte er mit seinem Schwager vom „das gleichen Boot nochmal, nur etwas größer und mit einer Kajüte als Unterschlupf bei kleinen oder ausgiebigeren Fluchten aus dem Wochenende“. Die beiden sahen sich „nach einer bezahlbaren BB10 oder etwas ähnlichem“ um. „Tja, und dann liefen uns die Fünfeinhalber über den Weg. Damals sagte ich zu Holger, weiß Du was, so Scheiß-Plastikboote, das ist doch nichts für uns.“ Natürlich ist das eine etwas krasse Aussage, weil es außer den üblichen und weniger entzückenden auch sehr schöne bis hinreißende Plastikboote gibt. Aber erstens ist dieses Statement in seiner saloppen, die viele Segler beleidigenden Unbedingtheit typisch Wohlenberg. Zweitens muss man auf der von Apfel- und Kirschbäumen bestandenen Wiese des Grundstücks bloß in die hintere linke Hälfte des größten Bootsschuppens gehen. Dort entdeckt der Besucher in der Dämmerung rechts die „Chaje II“, eine Ray Hunt Konstruktion, 1963 in der finnischen Vator Werft aus Mahagoni gebaut und daneben die „Web“. Zwei offene Dreimannkielboote mit schachtähnlichen Decksausschnitten, beide aus Natur lackiertem Mahagoni, die Avantgarde der 5,5er Regattabahnen der 60er Jahre. Angesichts dieser beiden hinreißend schönen Schiffe kann man durchaus zu der Einsicht gelangen, dass übliche Plastikboote nicht so doll sind. „Du darfst nur abgesägte kaufen“ erklärt Wohlenberg und meint die von der damals noch üblichen klassisch überhängenden Spiegelneigung zu rasant vorwärts geneigten Winkeln modifizierten Exemplare, die theoretisch am achteren Schiffsende etwas Gewicht sparen. „Die Boote mit dem original Heck, die liefen damals schon nicht.“ Aufschlussreich ist trotz der Dunkelheit auch ein Blick unter den Bauch der beiden 5,5er. Hunt hat auf ein V-förmiges Unterwasserschiff und bessere Eigenschaften bei der Kreuz gesetzt. Die raumen Kurse mussten irgendwie gegen die 5,5er mit flachen Spantformen wie die Ohlson Konstruktion „Web“ von 1959 und entsprechend schneller absolvierten Spinnakerkursen überstanden werden. Seit Jahren stehen die beiden Schiffe schon hier an Ort und Stelle, obwohl die Großschot und Traveller der Vorsegelwendeeinrichtungen startklar bereit liegen. „Im Schuppen kannst Du die Zeit für die Boote anhalten, hier altern sie kaum“, schwärmt der Bootssammler. Doch weil die 5,5er-Anteile bloß halbe Sachen sind, hat Wohlenberg noch einen, der ihm komplett gehört, die vor einige Jahren aus Dänemark geholte „Rock’n Roll“ mit der Segelnummer N-20. Eine Bjarne Aas Konstruktion, 1960 in Norwegen gebaut. Das Boot macht Wohlenberg gerade mit einem angeschliffenen Freibord und gezielt verdünntem Klarlack für die Saison fertig. Der verdünnte Lack fließt zwar rasch die Bordwand hinab und muss daher sorgfältiger gestrichen werden, dringt aber besser in die Poren ein. Eine in der Sonnenbeschienen Hälfte der Bordwandinnenseite ausgebreitete Decke soll das Austrocknen des Bootes im Sonnenlicht hinauszögern. Auf dem Weg zurück in den großen Wohlenbergschen Schuppen fällt ein vierbeiniges Stativ aus kräftig verschweißten Stahlrohren auf. An diesem Galgen, den Wohlenberg mal von einer dänischen Werft geschenkt bekam, lassen sich bis zu acht Tonnen schwere Boote vom Straßentrailer auf einen Lagerbock umsetzen. Der kommunikativ amüsante Typ bekommt auch mal Sachen wie diese Hebehilfe geschenkt. In der Halle liegt über Kopf und noch in den Mallen ein in Dänemark begonnener Neubau der formverleimten Schale eines 22er Schärenkreuzers, den Wohlenberg vor einigen Jahre einmal günstig geschossen hat. Sobald die gebrochenen Spanten der danebenstehenden „Beatrice“ im achteren Überhang ersetzt sind das mit offenen Decksbalken im Wohlenbergschen Schuppen herumstehenden Gefährt sein neues Deck bekommen hat, könnte er den 22er Neubau vollenden. „Ich muß bloß noch mit der Klassenvereinigung die Wandstärken abklären.“ Nebenan und mit dem Kiel einer Art Grube in der Verlängerung vor dem Bootsverladegalgen steht ein ebenfalls ansehnliches Holzboot, ein 10,50 mal 2,14 m großer Nordisk Krysser, 1948 in Schweden nach einer Konstruktion von Arvid Laurin gezeichnet. Zwar ist das Boot von Wohlenbergs Schwager weitgehend intakt, doch ein paar hundert Stunden dürften es vom nächsten Segelschlag trennen. Und daneben, im Gang zwischen dem Fahrtenboot von der westschwedischen Küste und Wohlenbergs aktuellster Bootsbaustelle steht „Snipa Liten“, ein charmantes 6,20 m langes, zwei Meter breites, hübsches geklinkertes Motorboot, 1963 in Strömstad gebaut. „Das gehört meiner Schwester Andrea. Damit tuckern wir zwischendurch mal abends mit einigen Flaschen Wein und ein paar Freunden auf die Flensburger Förde hinaus. So wird da zum Saisonbeginn gerade wirklich letzte Hand angelegt. Beinahe unnötig zu erwähnen, dass Wohlenberg auch zwei Motorboote hat. Das erste ist ein Autoboot anscheinend aus den Zwanziger Jahren. Der Stahlrumpf hat zwar einige Beulen, ist aber weitgehend intakt. „Das habe ich in den 90er Jahren“ mal aus der Berliner Gegend geholt. Und in einem separaten Schuppen, wo Wohlenberg übrigens eine ansehnliche Kollektion von klassischen Haustüren und Fenstern – „sowas kann man doch nicht umkommen lassen“ – stehen hat, hängt noch ein kleiner, quasi fahrbereiter Mahagoni Spritsäufer unter der Decke. Nach einigen Jahren intensiver und harter Arbeit am 12er „Sphinx“, den Wohlenberg als Projektleiter im Auftrag einer Flensburger Eignergemeinschaft generalüberholt hat und dem Aufbau der Werft „Robbe & Berling Classics“ hat Wohlenberg eine Auszeit genommen. Demnächst möchte der gelernte Tischlergeselle seine Meisterprüfung ablegen. Als Meisterstück ist ein klassischer Werkzeugschrank vorgesehen. Denn der Sammler und Jäger hortet nicht nur Boote, er mag auch gutes Werkzeug. Noch verwahrt er es in einem normalen Schrank aus Großmutters Zeiten. „Die guten amerikanischen Hobel von Lie-Nielson oder Veritas ganz oben, darunter eine Kollektion Stechbeitel aus japanischen, besonders chromhaltigem Blaustahl, in der untersten Etage die billigen Chinesen.“ Auf den einschlägigen Seiten des Internets springen den tief in der skandinavischen Klassikerszene verwurzelten Holzwurm ständig neue Schnäppchen interessanter Motorboote oder günstig bis umsonst abzuholender Holzboote an. So ist es gut möglich, daß Wohlenberg Segelfreund Berking anruft und fragt „Oliver, kann ich mal drei Tage deinen VW Bus haben?“ Platz für den Fund findet sich in Wohlenbergs Bootsschuppen, zur Not unter der Decke von Berkings Werft. Als Handwerker ist Wohlenberg nicht gerade vermögend, doch hat er den Standortvorteil über ein ebenerdiges, von den Großeltern geerbtes Grundstück für seine Kollektion zu verfügen. Hinzu kommt, dass er Sammler sparsam lebt. Wohlenberg fährt Fahrrad statt Auto. Übliche Besorgungen wie die Beschaffung von einer Kiste Bier, schwerem Werkzeug und Gerätschaften, die ein solo lebender Jäger und Sammler so braucht, macht der notorisch fröhliche Lockenkopf mit einem leuchtend blauen Lastenfahrrad. Da hat Wohlenberg die Ware unterwegs immer im Blick und hört nicht erst, wenn mal was von der Ladefläche fällt. Das Leben kann schön und einfach sein, wenn man es sich als solches einzurichten weiß.

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Eine Frage der Beziehung

Bei klassischen Jollen und Yachten geht es aus naheliegenden Gründen meist um handwerkliche Fragen. Die Wiederherstellung und Instandhaltung der Boote sind Mission ihrer Eigner und des Freundeskreises. Doch gibt es ein Bündel weiterer, interessanter Gründe für ein klassisches Boot. Beobachtungen und Gedanken dazu von Erdmann Braschos Liebhaber klassischer Yachten schwören auf traditionelles Bootsbaumaterial, auf ansehnliches, haltbares und wohlriechendes Holz mit seinen wunderbaren akustischen und thermischen Eigenschaften. So wird Holz in der Szene wie ansonsten Stahl oder Aluminium als Demarkationslinie zwischen dem Klassiker und allem gesehen, was es sonst alles aus Glasfaser verstärktem Kunststoff gibt. Wer sich nun eine Weile mit Booten beschäftigt, interessiert sich jedoch abnehmend für handwerkliche Gesichtspunkte und Materialfragen, so wichtig sie für den Eigner sind, der den Erhalt des Bootes mit jahrelanger Hingabe und beeindruckenden Ergebnissen stemmt. Ich sollte in diesem Zusammenhang erwähnen, dass ich als Segler eines Kunststoff Touren-Schärenkreuzers den Betrieb von Klassikern mit Respekt beobachte. Die Begegnung mit dem mustergültig instandgesetzten 80er Seefahrtkreuzer „Regina“ beispielsweise ist für mich immer wieder ein Gänsehautmoment. Mangels eigener Erfahrung beim Betrieb eines Holzbootes habe ich vom Besuch zahlreicher Bootsbaustellen und -instandsetzungen allenfalls Einblicke. Was es heißt solche Ergebnisse zu erzielen kann vermutlich nur beurteilen, wer den Weg selbst gegangen ist. Dennoch überlege ich, ob es Ihnen auch so geht: Aus der Mövenperspektive ähneln sich die Baustellenberichte und Restaurierungsgeschichten, so respektabel sie jeweils sind. So lohnt es einmal der Frage nachzugehen, was den Klassiker über das beeindruckende Instandsetzungsergebnis hinaus, bei „Regina“ etwa der fabelhaften Lackierung mit dem Finish einer venezianischen Gondel, ausmacht. Denn ein Boot ist zum Ablegen, als Pendant zum Arbeits- und sonstigen Landleben, zum Genuss in der Reibfläche von Wind und Wasser da. Auch wenn die Frage dem Klassikerfan ketzerisch erscheint: Kommt man mit einem modernen, pflegeleichten Kunststoffboot oder einem Schiff mit Kunststoffrumpf und ansehnlichen Holzaufbauten also besser zum Ziel? Es gibt bekanntlich Eigner, die ihren Klassiker durch ein modernes Boot ersetzt haben. Unter anderem, weil ihnen die Instandsetzung- und Pflegeagenda auf Dauer zu mühsam wurde. Weil die laufende Jobliste und auch die Unwägbarkeiten des Holzbootbetriebes nicht mehr zu ihrem Arbeits-, Land- oder Familienleben passten. Nun hält die Mehrheit der Klassikereigner bekanntlich Kurs. Auch finden sich immer mehr Liebhaber. Wodurch also unterscheidet sich nun ein gediegenes Schiff jenseits des offensichtlichen Charmes, seiner Schönheit, Herkunft und Geschichte letztlich vom modernen Boot? Ich glaube, es ist eine weitere Ebene, nämlich die Beziehung, die der Klassikersegler zu seinem Boot entwickelt. Diese Beziehung zum Schiff hängt natürlich eng mit handwerklichen Fragen und der Liebesmüh zur Instandsetzung und Erhalt des Schiffes zusammen. Wenn der Weg aufs Wasser bereits handwerklich anspruchsvoll und mühsam war, hat der Eigner automatisch ein inniges Verhältnis zu seinem Boot. Wer den Berg zu Fuß erklimmt, hat ein völlig anderes Naturerlebnis als jemand, der die Seilbahn nahm. Ergibt sich die Beziehung zum Boot beim Klassiker also doch über die Zuwendung, den handwerklichen Aufwand? Zu einem Teil gewiss. Doch kann es nicht alles sein. Seglerische Finesse als Ergebnis einer langen Entwicklung Die entscheidende Qualität ergibt sich aus der intensiven Beziehung, die ein richtiges Boot mit klassischen Linien dem Segler auf der Reibfläche zwischen Wind und Wasser bietet. Dieser puristische Genuss ist bei der klassischen Jolle, speziell der Rennjolle, der Meterklasse oder beim Schärenkreuzer außerordentlich beglückend. Klassische Jollen und Yachten sind Ergebnis einer jahrzehnte-, oft jahrhundertlangen Entwicklung, auf die der moderne Serienbootsbau mit all seinen anderen Präferenzen verzichtet. Ihm geht es um den niedrigschwelligen Einstieg, bequeme Handhabung, den durch die Serienfertigung und weitere Zugeständnisse möglichen Preis, den geringen Pflegeaufwand, Platz durch aufgeblasene Proportionen, die Vielseitigkeit (Chillen, Bordleben, vielleicht auch Segeln), Moden und Zeitgeist. All das ist Voraussetzung für die Verkäuflichkeit, Stückzahl. Moderne Boote werden aus gutem Grund vom zahlungskräftigen Einsteiger gekauft. Er empfindet den Mangel an seglerischem Genuss, von Klasse, ästhetischer Finesse oder Herkunft nicht als nachteilig. Wie auch? Niemand vermisst etwas, was er nicht kennt. Klassiker als Auszeitmaschine Der zweite, in der klassischen Jolle und Yacht steckende Beziehungsgesichtspunkt ergibt sich aus der besonderen Qualität der Boote, dem Look & Feel. Deshalb werden sie so lange wie irgend persönlich, beruflich oder gesundheitlich möglich, behalten. Klassiker sind mehr noch als übliche Boote Auszeitmaschinen. Dieser Film läuft ab, sobald der Eigner sein Boot nach der Arbeitswoche am Liegeplatz wiedersieht, oder er zwischendurch unter der Woche mal am Steg nach dem Rechten sieht. Ein Beispiel für die Beziehung, die sich zwischen einem Schiff und seiner Umgebung, den Medien Wind und Wasser in Gestalt der erwähnten Reibfläche einstellt, bietet der Hamburger Architekt Volkwin Marg mit seinem 400 t Dreimast-Bramsegelschoners „Activ“. Das Schiff entstand 1951 als Salzfrachter für die Grönlandfischerei in der Svendborger J. Ring Andersen Werft. Bei einem Besuch an Bord wollte ich einmal von Marg wissen, wozu er so viel dänische Eiche, drei Masten, Bäume, Gaffeln, Stengen, Rahen und gut zehn Meter Klüverbaum zum Segeln braucht. Zumal es heute funktionale, aufgeräumte und pflegeleichte Yachten gibt, die mit weniger Hardware, geringerem seemännischen Aufwand Welten besser segeln. „Da haben Sie völlig recht“ antwortete Marg und erklärte sein Faible in folgenden druckreif klaren Sätzen. „Es gibt zweifellos interessante moderne Boote. Aber nun stellen sie sich doch bitte einmal einen Augenblick vor, sie würden in den Alpen Ferien machen. Wo würden sie die Gegend begreifen und spüren, sich wohler fühlen? In einem topmodernen Wohnmobil mit temperiertem Wasser, Internetzugang, Flachbildschirm und so weiter? Oder in einer traditionellen Berghütte, wo sie zwischendurch noch das Moos zwischen die Balken stopfen müssen“ erkundigte sich Marg listig blinzelnd. Es war eher eine rhetorische Frage. „Schauen sie, der Schoner ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, das Meer mit kleiner Mannschaft zu befahren. Die vorn angeordneten Rahsegel ziehen das Schiff im Passatwind ausgezeichnet über den Atlantik. Hier passt bis hin zum farblichen Kanon alles. Ich mag den Einklang von Funktion, Form und Anmutung“ schwärmte der Architekt. Dann erzählte er von den Seereisen, die die „Activ“ im Kielwasser hatte. Denn sein Schiff war viel, beinahe wie der fliegende Holländer unterwegs, hatte den Atlantik ein Dutzend Mal gequert. Soweit es ihm beruflich möglich war, und es wurde zunehmend möglich, war Marg als Mitglied der mehrköpfigen Mannschaft in vielen Destinationen bis nach Grönland an Bord. Besser versteht Margs Bordlebensweise mit so viel Gebälk, wer etwas über die Herkunft des gebürtigen Danzigers und die heimlichen Auszeiten des Jugendlichen im Hafen weiß. Margs Studium im tieferen Binnenland war lediglich ein Umweg nach Hamburg. „Ich glaube ich hab’ ne Macke“ kommentierte der vermutlich diskreteste Großsegler Hamburgs seine „maritime Verliebtheit“ abschließend bei diesem Gespräch. Er sagte es ohne den in diesem Zusammenhang üblichen koketten Unterton. Die Fotos der „Activ“-Törns, etwa beim Segeln vor Grönland oder in den Ankerbuchten, illustrieren Margs Beispiel vom Wohnmobil und der Almhütte in den Bergen. Törns in die hohen Breitengrade sind heute beinahe üblich. Meist werden sie mit modernen Booten unternommen. Anstelle eines Fremdkörpers ist bei „Activ“ ein die Segeltradition fortschreibendes Schiff zu sehen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass oft Architekten mit feinen Tentakeln zu ästhetischen Fragen und räumlicher Wirkung auf traditionelle, authentische Nautik abonniert sind. Ein weiterer Beziehungsgesichtspunkt ergibt sich daraus, dass die klassisch langkielige Yacht im Unterschied zur modernen Konstruktion mit U-spantig flachem Rumpf überhaupt für den langen Aufenthalt auf dem Meer geeignet ist. Berechenbare Bewegungen in rauhem Wasser, weiches Einsetzen, erträglicher Lärm unter Deck unterscheiden das See- vom Hafenschiff, den Klassiker vom modernen Leichtbau. Eine Voraussetzung, um sich bei anspruchsvollen Verhältnissen in der Reibfäche von Wind und Wasser auf‘s Segeln einzulassen, während die Freiwache Erholung findet, liest oder vielleicht was Schönes brutzelt. Seit Jahrzehnten schiebt sich das Novitäten-Karussell der Bootsbranche zwischen den Segler und den Wind, jenes Element, das er in seiner kostbaren Freizeit doch eigentlich sucht. Ein Beispiel dafür ist die bei großen Yachten, zum Einhandhand(regatta)segeln und für fortgeschrittene Semester zweifellos praktische Segelrollanlage. Wie jedoch bei auffrischendem Wind zu sehen, ist sie eine Vorrichtung für katastrophalen Segelstand, verschleißträchtig und Ursache endloser Reparaturen. Schlimmer noch ist die absurde Idee, auch noch das Großsegel in bereits handhab- und mit einem Bindereff problemlos beherrschbarer Fläche in den Mast zu rollen. Diese Steilmarkisentechnik verwässert den Segelspaß mit bauchigen, ausgewehten und misshandelten Tüchern soweit, dass am Wind fast nichts mehr geht und gedieselt wird. Solche Einrichtungen verunmöglichen das Naturerlebnis ähnlich wie der Fremdkörper Wohnmobil in den Bergen. Welcher Genuss ist es, an Bord eines klassischen, zum Am-Wind-Segeln gemachten Schiffes mit der passenden Segelgröße und geeignetem Tuchgewicht bei unwirtlichen Bedingungen überall hin zu segeln, wohin man möchte? Segeln um des segelns willen, auch wenn es mal die stundenlange Berg- und Ochsentour ist. Mit Stagreitern, gut ziehenden und Jahre bis Jahrzehnte brauchbaren Tüchern. Und welche Sensation ist es, nach langer Agonie des Wartens bei Fastnichts bis zu einer sich dezent andeutenden Brise demütig auf den meist freundlichen Gesellen, den Wind zu warten? Welches Fest, ihn dann zu genießen. Dazu braucht es außer der Hardware in Gestalt des geeigneten Bootes mit brauchbarer Garderobe vor allem die eigene Verfassung, die Bereitschaft, sich auf das, worum es geht, überhaupt (wieder) einzulassen. Geduld, Zeit und auch es gewisse Leidensfähigkeit. Bei einem modernen Boot, das unter zwei Windstärken nur herumsteht, ist das nicht möglich. Jedes moderne Serientourenboot, im heutigen Marketing-Schicksprech mindestens als Cruiser-Racer bezeichnet, hat heute mindestens 200 Liter Diesel an Bord, bei 14 m sind es eher 400 l. Ein Segelboot mit kleinem Tank ist heute unverkäuflich, weil man heute weder Geduld noch Zeit hat. Du sollst Zeit haben! 11. Gebot von Peter Handke In Heft 2 des Jahrgangs 2019 erschien im Klassiker ein wunderbarer Artikel von Clemens Richter. Er beschreibt die unnötig hektische, kompetitive, notorisch rastlose Lebensweise unserer Zeit und riet zum „langsamer Segeln“. Obwohl unsere Sportart, das Yachting, bekanntlich ein aus dem holländischen Geschwadersegeln zur Jagd-, Regatta- und Schnellseglersportart entwickeltes Vergnügen ist, lohnt es sich, einmal innezuhalten und seinen Segelstil zu überdenken. Mit einem bewährten Schiff, das tatsächlich und nicht vorgeblich für die Auszeit draußen auf See gemacht ist, muss das Meer nicht schurstraks und schnellstmöglich von Hafen zu Hafen wie eine Fähre gequert werden. Absurd ist die allabendliche Hafenrally, wo mit immer höherer Drehzahl der Maschine wie ansonsten an Land zur Rush Hour zum besten oder womöglich letzten Liegeplatz gerast wird. Die schönsten Stunden auf dem Wasser sind nachmittags, wenn die Sonne sinkt und das Licht weich wird. Mit dem schönen, klassischen Schiff ist man irgendwo draußen auf Reede wunderbar aufgehoben. Und was gibt es schöneres, als später mit dem Beiboot an Land zu rudern? Vielleicht abends oder morgens zu einem Spaziergang. Beim Blick zurück versteht man ein schönes Schiff ohnehin erst mit gewissem Abstand und im weichen Licht der späten oder frühen Stunde wird es noch schöner. Wie gut haben es die Skandinavier mit geschützten Gewässern, Bojen- und Ankerplätzen an ihren Wassergrundstücken? Die Art und Weise, wie das Boot mit dem Löffelbug beginnt, den dezenten Schwung des Deckssprungs, die Finesse, mit der sein Konstrukteur die Heckpartie aus dem Wasser gehoben hat, wie sich die Kajüte und die Fenster in die Seitenansicht fügen, all das versteht man erst aus der passenden Perspektive. Gibt es eine bessere Gelegenheit, die Beziehung zum Schiff reifen zu lassen, als beim Spaziergang irgendwo an einem fernen Strand? Bereits im Lauf der Segelstunden oder -tage dorthin finde ich Abstand vom Landleben, Ausgeglichenheit, Ruhe. Vor einer Weile stolperte ich bei der Wiederentdeckung des aus offensichtlichen Gründen bewusst oder unbewusst missverstandenen, weil nicht gelesenen Erzählers Peter Handke an seine Mahnung, sich Zeit für das zu nehmen, was wichtig ist. Da nun die Zeit wie alles im Leben endlich ist, ist man gut beraten, sich zu entscheiden. Entscheiden heißt alles Entbehrliche, Nachrangige, alles, was von der Sache wegführt und ablenkt, wegzulassen. So kommt der wunderbare Artikel von Clemens Richter, das elfte Gebot Peter Handkes und Segeln für mich zu einer Botschaft zusammen. Ich werde es wohl noch ein wenig üben. Es ohne Agenda im glatten Wasser in Lee der herrlich gestreckten Insel Langeland mit ihren welligen Feldern, Wiesen und Wäldern laufen lassen ist wunderbar. Nach einem mehrtägigen Ostseetörn in nurfrischer Seeluft bei der Ansteuerung von Åaland den aromatischen Kiefernduft atmen und an Bord des vertrauten Bootes die sensationelle Entdeckung machen, wie Wald riecht, bleibt unvergessen. Auch wenn es schon so lange achteraus liegt wie das Erlebnis, bei stetiger Brise in den schwedischen Schären beinahe Schulter an Schulter mit den Gänsen durch das Idyll eines endlos ausgeleuchteten Sommerabends zu schweben. Mit einem skandinavischen Boot, wie es für eines der schönsten Gewässer der Welt entstand und sich fast nur zum genüsslichen Segeln eignet. So sind es wohl unter dem Strich vier verschiedene Beziehungen, die ein klassisches, ein traditionelles oder einfach nur ein schönes Boot ermöglicht. Da ist zunächst jene, die sich bereits durch die handwerkliche Zuwendung einstellt. Die zweite ergibt sich aus der besonderen Eignung zum Segeln und zum angenehmen Aufenthalt auf dem Meer. Die dritte Beziehung erlebt der Betrachter zwischen seinem Schiff und der Umgebung, der Natur. Die vierte ist in meinen Augen die interessanteste, sie ist die Beziehung, die ein Boot zwischen den Medien Wind, Wasser und dem Segler als teilhabender Beobachter herstellt. Sie lässt sich endlos variieren.

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Die Activ und ihr dienstältester Matrose

Segeln ist Luxus, Entspannung, Abhängen? Von wegen! Der Betrieb einer Yacht ist eine große Aufgabe, besonders, wenn es sich um einen vierschrötigen Dreimastbramsegelschoner handelt. Die Sage vom fliegenden Holländer erzählt die Geschichte eines Kapitäns, der als Strafe für seine draufgängerische, mit üblen Flüchen ausgeübte Schiffsführung dazu verdammt ist, endlos auf den Weltmeeren unterwegs zu sein. Das Schicksal des Hamburger Architekten Volkwin Marg ist ähnlich. Als verträglicher Mensch hat er aber keine höheren Mächte provoziert. Marg muss also nicht segeln. Er ist dem traditionellen Segelhandwerk aber derart zugewandt, dass er so oft es geht, das Gebälk seines schwarzen Dreimasters irgendwo in der Weltgeschichte entert, wo die „Activ“ gerade unterwegs ist. Beruflich ist Marg wie sein Kompagnon Meinhard von Gerkan beinahe so viel wie der einstige Außenminister Genscher unterwegs. Mit seiner Gelassenheit und Übersicht zieht der frequent flyer auch in Brasilien oder Südafrika die Strippen für das 650 Mitarbeiter beschäftigende Architektenbüro. GMP entwirft vom Stuhl über Einfamilienhäuser, Bahnhöfe, Flughäfen, Theater, Museen, Messe- und Kongresszentren, Konzerthallen, Fußballstadien bis hin zum Masterplan von Stadtvierteln oder ganzen Städten seit viereinhalb Jahrzehnten allerhand. Margs Thema ist die Gestaltung humaner Lebensräume als geschichtlich begreifbare, idealerweise in einem gewachsenen, verständlichen Zusammenhang stehender Architektur, besonders deren „soziale Güte“. Wie in seinen zahlreichen Veröffentlichungen nachzulesen, etwa dem Sammelband „Architektur ist natürlich nicht unpolitisch“, bleibt er bemerkenswert unmodisch. Im Frühsommer ergibt sich Gelegenheit, den keineswegs rastlos wirkenden Gernevielsegler einmal auf der Flensburger Förde nach Sonderburg zu begleiten, bevor der Dreimaster im Anschluss an die Rumregatta zur Vorbereitung eines Törns in den Nordostgrönländischen König Oscar und Kaiser Franz Josef Fjord nach Dänemark und dann auf den Nordatlantik hinaus verschwindet. Angesichts des weitgereisten schwarzen Dreimasters mit Rostspuren an der Kette des Wasserstags vor dem Bug, der grün angelaufenen Schiffsglocke und den dicken verzinkten Lüfterhutzen an Deck, hält der Besucher das im Frühsommer an der Flensburger Schiffbrücke vertäute Gefährt eher für eine schwimmende Herberge junger Leute, die mit pädagogischer Betreuung hoffentlich noch auf den richtigen Kurs des Lebens gebracht werden. Die „Activ“ ist zwar seeklar, dabei keinesfalls im übertrieben praxisfernen Sinn gepflegt. Wer andauernd Messing oder Bronze putzt, erhält Hafeninventar statt durch die Ostsee, das Mittelmeer, oder kreuz und quer den Atlantik bis nach Kuba zu pflügen. Mit einigen Schüben am Gashebel vor- und rückwärts zum routiniert herumgewirbelten Steuerrad bugsiert Skipper Jonas Bergsøe den bulligen Frachtsegler von der Schiffbrücke. Der Däne, dessen Organisationstalent und Kontakte Marg neben seinem seemännischen Können schätzt, ist ein Schiffer der Abteilung freundlich, geradeaus und versiert. Nach Passieren der grauen Halle der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft, wo sich die Wasserfläche des Hafens zur Förde weitet, macht sich der Mittsiebziger gemeinsam mit der dreiköpfigen Besatzung zwanzig bis dreißigjähriger Dänen und eines Engländers auf den Weg nach oben. Der Karabinerhaken des orangenen Hüftgurts soll bei der Arbeit in luftiger Höhe sichern. Der Weg die Wanten hinauf ist steil. Er führt von der Aussichtsplattform neben dem Eselshaupt weiter die dünne Stenge des Masttopps aufwärts, wo es auf dem labberigen Fußpferd in schwindelnder Höhe zum äußeren Ende der Bramrahe geht. Der Besucher erwischt sich dabei, die Kletterpartie als Demonstration des heute gern überbetonten Teamworks zu sehen. Er wird von der Besatzung erfahren, das der Eigner oft im Rigg seines Schiffes unterwegs ist und von Marg selbst, das er diesmal nachgucken wollte, wie gut die Rahen noch im Lack stehen. Während das vom Segelsetzen wie Spaghetti durcheinander an Deck herumliegende Tauwerk für das nächste Manöver zusammengelegt und an den Nagelbänken rings um die Masten aufgehangen wird, stellt sich die Frage, wozu man so viel dänische Eiche, drei Masten, Stengen, Rahen, Gaffeln, Bäume und gut zehn Meter Klüverbaum zum Segeln braucht. Es gibt heute funktionale, aufgeräumte wie pflegeleichte Yachten, die mit Welten weniger Hardware mehr aus dem dürftigen Westwind machen, als das behäbig durch die Förde driftende Gebälk. „Da haben Sie völlig recht“ antwortet der dienstälteste Matrose der „Activ“ beim Zusammenlegen eines Falls mit Schweiß auf der Stirn. „Es gibt interessante moderne Boote. Aber nun stellen sie sich doch bitte einmal einen Augenblick vor, sie würden in den Alpen Ferien machen. Wo würden sie die Gegend begreifen und spüren, sich wohler fühlen? In einem topmodernen Wohnmobil mit temperiertem Wasser, Internetzugang, Flachbildschirm und so weiter? Oder in einer traditionellen Berghütte, wo sie zwischendurch noch das Moos zwischen die Balken stopfen müssen?“ erkundigt sich Marg listig blinzelnd. „Schauen sie, so ein Schoner ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, das Meer mit kleiner Mannschaft zu befahren. Hier passt bis hin zum farblichen Kanon alles. Ich mag die handwerkliche Stimmigkeit an Bord, diesen Einklang von Funktion, Form und Anmutung“ schwärmt der Architekt. „In der Architektur haben wir das Problem, dass die Einheit von Funktion, Form und Bedeutung mit der Industrialisierung verloren ging. Sie wurde durch einen spielerischen, beliebigen Zusammenhang ersetzt, der von den wenigsten Menschen begriffen wird.“ Vor der sogenannten Schwiegermutter, einer gelegentlich sträflich unterschätzten Untiefe vor der Holnisser Landzunge am ersten Schwanenhals der gewundenen Flensburger Förde, werden die Segel auf die andere Bootsseite geklappt. Es ist erstaunlich, wie wenige, allerdings versierte Segler zur Handhabung der „Activ“ nötig sind. Wir segeln jetzt mit halbem Wind und das Murmeln der Förde steigert sich rings um den fülligen schwarzen Bug zu einem munteren Plätschern. Neben der architekturgeschichtlichen, auch andere kulturelle Sphären streifenden Antwort gibt es einen zweiten, einen biographischen Grund für so viel Holz. „Ich wurde in Danzig in der Frauengasse groß. Von dort waren es nur wenige Schritte zum Wasser“ erinnert Marg, der damals mal zwei Wochen die Schule schwänzte, um sich ungestört vom lästigen Unterricht ganz seinem Metier widmen zu können. Nach dem Krieg wünschte sich der in Mecklenburg aufwachsende Konfirmand in der Mangelwirtschaftsrepublik Messingschrauben für sein erstes selbst gebautes Paddelboot. Es erhielt bald einen Mast und Seitenschwerter nach dem Vorbild der Keitelkähne des Kurischen Haffs. Das Deck von Margs nächstem Boot für die Elde entstand aus der für entbehrlich befundenen Rückwand eines väterlichen Bücherregals. Nach dem Studium der Architektur in Westberlin und Braunschweig wurde Marg in Delft auf die holländischen Plattbodenschiffe aufmerksam. Der Nähe zum Wasser halber zog es Marg dann nach Hamburg. Dort blieb er nach Gründung des Architekturbüros 1965 mit Meinrad von Gerkan zunächst mit der holländischen Tjalk „Fortuna“, einem 30 Tonnen schweren Plattbodenschiff Baujahr 1914, später der noch älteren Galeasse „Marie“ bei den Arbeitsschiffen. 1976 gründete Marg mit fünf Gleichgesinnten den Verein Museumshafen Oevelgönne. Zuvor hatte er das städtebauliche Gutachten „Bauen am Wasser“ eine Bestandsaufnahme der „amphibischen Stadtstruktur“ Hamburgs abgeschlossen. Es ist ein lesenswertes Plädoyer zur Besinnung auf die Vorzüge der Hansestadt und ihrer Öffnung zur Elbe hin. „Tja, dann begegnete ich der Activ“, berichtet Marg in der Kajüte, die eher dem Heidelberger Faß als der guten Stube einer Yacht ähnelt. Entlang der gebogenen Bordwand ein paar Bänke und vorn an der Stirnwand des Schotts das friesische Freiheitsmotto „leever dod as slaw“ (lieber tot, als Sklave). Der Individualist hat es von Jakob Both, dem unbeugsamen Voreigner seines ersten Plattbodenschiffs mit auf die „Activ“ genommen. „Dank ihrer Rumpfform bleibt sie nicht im Eis stecken wie ein Fischerdübel“ begeistert sich der Architekt. Er freut sich, während der anstehenden Grönlandreise dänischer Wissenschaftler und Künstler einige Tage als Gast an Bord dabei zu sein. Die Pantry und Sitzgelegenheiten des Heidelberger Fasses haben den Charme einer frequentierten Jugendherberge. Doch genau diese Konzentration auf das Wesentliche machten so viel Schiff für den vollbeschäftigten Architekten die vergangenen drei Jahrzehnte betreibbar. Der Bootsname, der auch als Motto des beeindruckend fitten Seniors verstanden werden könnte, wurde übrigens bei Übernahme des Gebälks Ende der siebziger Jahre beibehalten. Damals, als die letzten Frachtsegler abgewrackt wurden, verwandelte Marg den einstigen Salzfrachter für die Grönlandfahrt vom Dampfer in diesen Dreimaster. „Die vorn angeordneten Rahsegel ziehen das Schiff im Passatwind ausgezeichnet über den Atlantik“ schwärmt Marg. Neulich wurde ein Großteil der Beplankung, achthundert Meter dänische Eiche und die Knie der Verbindung vom Rumpf zum Deck ersetzt. „Ich glaube ich hab’ ne Macke“ kommentiert der vermutlich diskreteste Großsegler Hamburgs seine „maritime Verliebtheit“ ohne den in diesem Zusammenhang oft gehörten koketten Unterton. Dabei hat Marg seit seiner Kindheit in Danzig, der Jugend auf der Elde und dem Plattbodenschiff auf der Elbe mit der „Activ“ mit unbeirrter Seemannschaft bloß Kurs gehalten. Außerdem ist das amphibische Arbeiten und Leben am und auf dem Wasser eine schöne Sache.

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Der Großsegler

Für manche Leute ist es das höchste Glück, eine edle Yacht zu besitzen. Dem Software-Milliardär Jim Clark ist das nicht genug. Kaum ist ein Boot fertig, baut er schon wieder an einem neuen Luxusschiff. Seine jüngste Schöpfung heißt Athena und ist ein traumhafter Mix aus Hightech-Yacht und Retro-Dampfer. Der kalifornische Softwarekaufmann Dr. Jim Clark lehnt zufrieden am Rad des Außensteuerstands. Wie ein richtiger, historischer Dampfer hat Athena eine so genannte Portugieserbrücke mit vorn um das Steuerhaus geführtem Balkon. Das kräftige Braun der Teak-vertäfelten Kommandobrücke steht glänzend im Lack. Im Unterschied zu seiner weiß und dunkelrot gekleideten 18-köpfigen Besatzung trägt Mister Netscape ein hellblaues Polohemd zur weißen Hose. Die Mannschaft hat das Hemd in den Shorts stecken. Clark trägt es über dem Bund. Mit zwei Fingern führt Clark seinen elfhundert Tonnen verdrängenden Dreimaster unter einer Wolke weißer Segel weit draußen durch den Golf von Saint Tropez. Das Steuerrad ist etwa so groß wie bei der Pamir, sein Schiff hat annähernd das Format eines Flying P-Liners. Doch transportiert es weder Baumwolle, Salpeter noch Weizen. Athena segelt Clarks eigene maritime Welt spazieren. Sie misst 77 Meter über Deck, ist 12 Meter breit und verteilt sich auf drei Etagen zum Brunchen, Lunchen, Dinieren, Zigarre rauchen und faulenzen. Das spätsommerliche Mittelmeer zeigt sich im diesig weichen Licht der Côte d’ Azur von seiner angenehmen Seite. Es gibt Wind und ist nicht zu heiß. „Sind Sie schon mal mit allen Tüchern gesegelt“ erkundigt sich ein Begleiter. „Noch nicht“ meint Clark und ordert via Walkie Talkie die „Topsails“. Entscheider fackeln nicht lange. Die provozierende Frage an einen passionierten Segler wie Clark kennt nur eine Antwort: raus mit den Lappen. Denn ganz oben, über den Gaffelsegeln ist noch Luft. 12 – 14 Knoten, eine Reisegeschwindigkeit, von der Segler üblicher Boote allenfalls träumen, sind ja ganz schön. Doch wenn noch ein paar Meilen mehr gehen, werden 500 Quadratmeter Segel zusätzlich aus den drei Masten gerollt. Nach einer Weile stiebt Athena mit 2.623 Quadratmetern und gut 16 Knoten durch das Mittelmeer. „Boy, sie läuft wie der Teufel“ freut sich Clark mit leuchtenden Augen. Es ist der Moment, wo ansonsten klar denkende CEOs und nüchterne Strategen zu kleinen Jungs werden und es ungeachtet der Segelempfehlungen ihres Konstrukteurs rauschen lassen. Es sind jene wertvollen Minuten oder Stunden, für die sich Großsegler Clark jahrelang mit einigen Dollars, Telefonkonferenzen, Meetings und Flügen zur Baustelle verausgabte. Eine kühne, eine unzeitgemäße Männer- und Seglerphantasie. Ein charmanter Anachronismus, aufgetakelt nach dem technischen Stand unserer Tage. Jetzt ist Athena keine Vision, kein Projekt oder Großbaustelle mehr. Jetzt lehnt Clark am pamirgroßen Rad auf der zehn Grad geneigten Kommandobrücke. Das Hemd über der Hose, zwei Finger am Rad. Mister Netscape lächelt. Der Traum begann 1997 in einem Flur der Royal Huisman Werft. Der Bootsbaubetrieb im Südosten des Isselmeers ist auf gediegene Yacht Sonderanfertigungen spezialisiert. Der Huisman Claim „if you can dream it, we can build it“ lässt Budgetfragen außer vor. In Vollenhove geht es um das Handwerk, die Beherrschung aller schiffbaulichen Gewerke, komplexe Objekte, vor allem um Termintreue. Denn Eigner wie Clark warten ungern. Sie wollen ihr Schiff, segelklar und wie erträumt, keine Probleme. Deshalb ließ Clark damals die 47 Meter Superyacht Hyperion aus einer neuen Legierung des Koblenzer Aluminiumspezialisten Corus bei Huisman schweißen, spachteln und lackieren. Ein modernes Boot des argentinisch-italienischen Yaschtarchitekten und seinerzeitigen Agnelli Hauskonstrukteurs German Frers. Für einige Monate war Hyperion die größte Einmast Segelyacht der Welt. Bis Landsmann John Williams, ein hemdsärmeliger Immobilienkaufmann aus Atlanta, Clarks Segelboot mit seiner weinroten 49 Meter Yacht Georgia und Whirlpool auf dem Oberdeck toppte. Damals entdeckte Clark im Flur der Huisman Werft ein Modell des Zweimast Schoners Borkumriff des deutschen Eigners Bill von Finck – und den Reiz traditioneller Linien. Als Bauherr im Lauf monate- bis jahrelanger Konzeption das Segelboot ab und zu neu für sich erfinden, ist ein exquisites Vergnügen, wie es sich eine Hand voll Eigner in der 40 Meter Plus Kategorie immer wieder gönnen. Von Finck brachte es auf 7 gediegene Schiffe. Bereits wenige Monate nach dem Hyperion Stapellauf war Athena auf dem Weg. Clarks Wunsch nach einer veritablen Hochseesuite mit Badezimmern, begehbarem Kleiderschrank und Lesezimmer mit klimatisierter Zigarrenvitrine nebst adäquaten Unterkünften für Familie, Freunde oder Geschäftspartner, alles in allem 220 Quadratmeter privater Lebensraum unter Deck, ließ Athena vom zunächst geplanten 60 Meter Zweimaster über ein 80 m Schiff zum dreimastigen 90 m Format wachsen. Der Transport von der Werft durch die Kanäle via Amsterdam an den Rand der Weltmeere limitierte Athenas Breite, die Brückendurchfahrtshöhe des Panama Kanals ihre Masten auf 60 Meter. Sie wäre sonst wohl noch ein, zwei Ideen größer geworden. Clark ist Amerikaner Stilistisch ist sie vom so genannt „goldenen Zeitalter“ des Yachting inspiriert, als amerikanische Bankiers, Gummibarone, Eisenbahn- und Stahlmagnaten, russische Zaren und britischer Adel sich weniger mit den Kosten als Komfort- und Stilfragen ihrer stattlichen Dampf- und Segelyachten befassten. Damals meinte John Pierpont Morgan gleichermaßen herablassend wie zutreffend, dass jemand, der nach den Kosten einer Yacht frage, sich eh keine leisten könne. Das goldene Zeitalter der Staaten passte diesseits des Atlantik zur Belle Epoque. Damals war es très chic, mit einer kolossalen Dampfyacht vor der Riviera zu kreuzen, mit der schwimmenden Residenz vor Monacos Corniche auf Reede zu liegen und mal im örtlichen Kasino zu gucken, was geht. Diese Variante des maritimen fin de siècle setzte als gepolstertes Finale der Frachtsegelei Ästhetik und Tradition des ausklingenden Zeitalters mit sanft schaukelnden und schnaufenden Sentimentalitäten fort: mit Klippersteven und Schornstein zwischen den Ziermasten stattlicher Dampfer. In den Räumlichkeiten der schwimmenden Dritt- oder Viertwohnsitze lebte es sich samt Personal in etwa so kommod, bloß abwechslungsreicher wie zuhause. Die Flotte der stattlichen, stets schwarzen „Corsair“ der New Yorker Bankiersfamilie Morgan, die 66 Meter lange „Haida“, 1929 in Kiel bei der Krupp-Germaniawerft gebaut und heute als „Rosenkavalier“ bekannt oder die 91 Meter grosse „Nahlin“ der englischen Jutemillionärin Annie Henrietta Yule von 1930 ragten aus der seinerzeitigen Flotte heraus. Zur besegelten Maybach-Kategorie gehörte die 58 Meter lange „Vira“, heute als „Creole“ und einstige Gucci-Yacht im Mittelmeer unterwegs. Seit Ende der 80er Jahre wird wieder groß aufgetakelt. Der toskanische Maschinenbaufabrikant und Werftgründer Fabio Perini ist Pionier der automatisierten Superyacht, die mit kleiner Besatzung bewegt werden kann. Er liefert seine voluminösen Motorsegler mit schnittigen Aufbauten quasi in Serie. Die yachtbaulichen Meilensteine „Cyclos“ und „Juliet“ der Huisman Werft setzten hinsichtlich Komplexität und Perfektion Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre Maßstäbe. Neulich ließ der einstige Avis Geschäftsführer Joseph Vittoria mit seiner 75 Meter Luxuscharteryacht „Mirabella V“ den derzeit größten Einmaster vom Stapel. Er geht mit annährend 90 Metern Mast an den Wind. Neue, Rechner gestützte Konstruktionswerkzeuge und Materialien schlagen ein neues Kapitel im Yachtbau auf. Sie ermöglichen jenen Wettkampf um die größte, schnellste oder höchste Yacht, aus dem sich Großsegler Clark mit Athena elegant ausgeklinkt hat. Sein Boot besticht weniger durch schiere Größe, obgleich es derart groß ist, das es allenfalls aus der Ferne, vor Anker liegend, zu überblicken ist, sondern durch Charme und Stil. Zwischen den oben halbrunden Fenstern der cremeweißen Aufbauten mit der Anmutung von Pferdekutschen, Kohlendampfern oder den Yachten der Viktorianischen Ära und dem Teakgeländer der Reling fühlt man sich wie auf einem Oceanliner. Die Rettungsinselmagazine und die Bügel der anachronistischen Barkassenkräne tragen zu diesem Eindruck bei. Yachtgestalter Pieter Beeldsnijder richtete Athena klassizistisch, beinahe schnörkellos und mit zwei Holzarten, brasilianischem Swietenia Mahagoni und schwarzbraunen Intarsien aus westafrikanischem Wengé im Vergleich zu anderen Superyachten zurückhaltend ein. Das Interieur erinnert mit senkrechten Rillen in Säulen, Pfosten und Möbelrundungen an die Kannelüren antiker Tempel. Up to date ist das SeaScape Programm, ein Steckenpferd des Softwarekaufmanns. Es fasst die bis Hyperion inkompatiblen Funktionen vor einem natürlich auf Athena abgestimmten, cremefarbigen Bildschirmfond so geschickt zusammen, dass problemlos zwischen Motordaten, Tankinhalten, Batteriezuständen, Lukenstellungen, Video überwachten Decks, Lastabfrage des selbst stauenden Tauwerkmanagements und der Unterhaltungselektronik gezappt werden kann. Dabei prallen datentechnisch Welten aufeinander. Es ist ja auch allerhand zu verwalten: Die vier Tausend PS der Hilfsmotoren, 100.000 Liter Sprit, 30 Tonnen Frischwasser, zwei Seewasserentsalzungsgeräte, 73 Luken und Türen, mehr als 40, meist vollautomatisch tätige Segelwinden, eine Datenflut von 8.500 Sensoren. „Da möchte man gelegentlich das Programm wechseln“ meint Clark. Schön ist es, mal in frischer Seeluft im Schutz der Reling am Meer spazieren zu gehen. Die Runde führt um die glänzende Hardware zum Ankern und Vertäuen der Yacht im Bug herum, unter der nostalgisch vertäfelten Portugieserbrücke zum sanft angehobenen Heck. Nach ein paar Athena Bootslängen nimmt ihr weiß schäumendes Kielwasser wieder das Blau des spätsommerlichen Mittelmeeres an. Handelsblatt Beilage Sailaffairs

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Die Woche der feinen Unterschiede

Wie die „Les Voiles de Saint-Tropez“ zustande kam und was den Ort alljährlich im Herbst zur 40. Kalenderwoche so sehenswert macht. Von Erdmann Braschos Jedes Jahr Ende September versammelt sich eine feine, vom örtlichen Bonsai-Yacht Club de Pampelonne ausgesuchte Flotte klassischer Segler und moderner Rennyachten in der weiten, tief in die Côte d’ Azur reichenden Bucht zwischen Sainte-Maxime und Saint-Tropez. Wenn die Kapitäne die Glocke auf dem Kirchturm über der kleinen ockerfarbenen Kuppel der Église Paroissiale mitten im Ort erkennen können, drehen sie die Nase ihrer Yachten in den Wind. Flatternd gleiten die Segel an Deck und werden verpackt. Langsam dieselt die Prozession der Nautiquitäten die lange Kaimauer entlang in den alten Hafen des einstigen Korsarennests. Concours des guten Geschmacks Die inoffizielle Weltausstellung klassischer Segelyachten, der concours des guten Geschmacks, hat begonnen. Alles, was alt und edel, authentisch und stilvoll oder schön und schnell segelt, ist zur 40. Kalenderwoche da. Die schönsten Exemplare aus zwei Jahrhunderten Segelsport, bis zu 200 überwiegend klassische Rennyachten drängeln sich im Hafenbecken zu ihrem gediegen gefeierten Saisonabschluß. Dieses Jahr das 17. mal. Monsieur Pierre André de Suffren, Marquis von Saint Tropez, blickt zufrieden vom marmornen Sockel neben dem Hotel „Sube“ und der Bar „Le Gorille“ aufs Hafenbecken. Der wohlgenährte kupferne Landeshauptmann hat sein Horn (oder ist es ein Fernrohr?) abgesetzt. Die Barbarei des Sommers ist in die Flucht geschlagen. Seine Freunde, die Liebhaber des Meeres und ihre Schiffe sind angekommen. Der alte Marquis ist zufrieden. Jetzt dient der Vieux Port von Saint Tropez ausnahmsweise nicht als Kontakthof der Neureichen und Goldkettchen-behangener Ahdabeis, fungiert die Arena zwischen den pastellfarbenen Fassaden des seit circa hundert Jahren totgesagten Lebenskünstlerdorfs nicht mehr als Szenetreff ludig übermotorisierter Powerboote, die mit grollenden Motoren unter der Liegewiese für gelenkige Mädchen losröhren und – Wumm Brumm – den Putz von den Häusern ringsum bröckeln lassen. Wie lange hat der alte Bailli diesen Sommer wieder Badelatschen, helle Socken, Pommes Frites, Sonnenöl und Camcorder ertragen und benebelt vom Hautgout plebejischer Kurzweil auf diesem Augenblick gewartet? Jetzt wo die Côte abkühlt und die Tage kürzer werden, ist seine Heimat beinah so schön, wie einst, als die Pointillisten hier festmachten und zum Pinsel griffen.Saint Tropez, immer noch die schönste Kurtisane des Ta-ges- und Gucktourismus am Mittelmeer, räkelt sich im herrlich weichen Herbstlicht der Provence und ist bereit für die letzten Gäste der Saison: Lautlos gleiten die endlos langen Leiber der großen alten Damen des Yachtsports, wie die J-Klasse Renner „Astra“ oder „Candida“ in die spiegelglatte Wasser-fläche des Hafens, kommen zum Stehen und versuchen unter endlos langer Takelage mit schnaubenden Hilfsmotoren zu drehen. Schwimmende Skulpturen und Botschafterinnen eines vergangenen Zeitalters. Anno ‘28 bei Camper und Nicholson im südenglischen Gosport, dem Hauslieferanten des segelnden Königreichs, gebaut, gehören sie jetzt in diese Arena wie Earl Greys Tee ins Commonwealth. Sofern sie nicht restauriert werden oder den Eigner wechseln. Ihr Natio-nalitätenzeichen „K“ steht schlicht für Kingdom. Das „J“ im Segel markiert die Bootsklasse der Könige. Bürgerliche Em-porkömmlinge namens Vanderbilt, Sopwith, der Teebaron Sir Thomas Lipton oder der einstige Woolworth Boß W. E. Ste-phenson schmissen einst ein Vermögen ins Wasser, um mit dem Betrieb solch 160 Tonnen schwerer Segelsaurier gleich-zuziehen. Mit diesen 40 Meter langen Segelmaschinen feier-te die herrschende Klasse damals ihr fin-de-siècle. An der Côte findet die Party bis heute statt. Der alte Marquis findet das in Ordnung. Ob von den elegant vor’s Kai ragenden Hecks der weßen Zweimaster „Altaïr“, „Puritan“ und „Orion“, dieses Jahr wieder die armdicken Trossen zum Vertäuen aufs Quai Suffren geworfen werden? Sie wurden einst nach dem Vorbild der neufundländischen Grand Banks Fischerboote bloß fürs Pläsier gebaut. Wird „avvocato“ Giovanni Agnellis einstiges Liebhaberstück, der schnörkellos schlichte schwedische Mahagonirenner mit dem geheimnisvollen Mädchennamen „Agneta“ unter rostroten Segeln wieder mit Baron Edmond de Rothschilds alter „Gitana“ oder Erroll Flynns früherem Wasserspielzeug „Karenita“ durch den Golf pflügen? Wird die Siegerin der Segelwoche ‘93, der liebevoll instandgesetzte Gaffelkutter „Tuiga“ wieder mit einer Horde monegassischer Lustschiffer unter einer Wolke beige patinierter Segel um die Bojen brettern, wie Schumi daheim die engen Kurven des Königreichs nimmt? Ob der französische Segelstar Eric Tabarly sein in Kürze hundert Jahre altes Erbstück, den charmanten schwarzen Segelkutter „Pen Duick“ nochmals an der langen Ruderpinne hockend vor der eigentlich schnelleren Konkurrenz als erster um das Seezeichen über der Nioulargue Untiefe steuern wird? Dieser Untiefe draußen im Golf verdankt die piekfeine Segelwoche ihren Namen. Und wird der Hamburger Peter König mit seinem Miniklassiker, seiner keine sechs Meter messenden „Hansajolle“ heuer das fünfte Mal vor die Mole pütschern? Der alte segelnde Tausendsassa Henry Rasmussen dachte sich das Boot mit dem Malteserkreuz im Segel Anno ‘48 aus, damit die Handwerker seiner legendären Holzbootswerft A&R in Bremen-Lemwerder nicht vergessen, wie man gute Holzschiffe tischlert. Niemand, außer Patrice de Colmont, hier „bon homme de Pampelonne“ genannt, weiß es. Er hat das VIP-Geschwätz gefressen. Namen sind Schall und Rauch. Eigner kommen und gehen. Sie erben, prosperieren und – sterben. Die Schiffe bleiben, werden bewahrt und weiter gereicht wie ein geliebtes, seltenes Musikinstrument. Ihre Namen auch. Kein vernunftbegabter Mensch tauft sein Schiff um. Es brächte Unglück. Und sind die geheimnisvoll schlichten, gelegentlich ein wenig preziösen Namen nicht verschlüsselte Botschaften aus einer verlorenen Zeit, denen es nachzuspüren gilt? Suchen die meisten Menschen mit dem Erhalt einer zeitlos schönen Antiquität nicht die Illusion, die Uhr an-zuhalten, sie gar zurück zu drehen – Würde und Ruhm, eine legendäre Yacht eine Weile zu besitzen? Liebhaber, wie der Schweizer Geschäftsmann Albert Obrist stecken ein Vermögen in die unglaubliche Verwandlung muffig rotten Gebälks in einen mit restauratorischer Akribie wiederhergestellten Klassiker, um sich das fertige Schiff im Schatten der Markise eines gegenüber, in geeignetem Abstand liegenden Bistro bei einem café créme einfach nur anzuschauen. Sie lieben das Detail, die oben halbrund über die Reling ragenden Fensterscheiben im viktorianischen Stil. Ihr Glück ist der Blick auf das ziemlich große Ganze, ihr Schiff. Augenmenschen wie Obrist genießen die Spannung der dezent zwischen Bug und Heck geschwungenen Deckskante, können sich nicht satt sehen an den Proportionen der geneigten, warm im Sonnenlicht schimmernden Deckshäuser. Ihre Blicke fahren die kühn geneigte Takelage, die Geometrie der Bäume, Gaffeln, Masten und Stengen hinauf und hinunter. Die Magie der golden in die Bordwand eingeschriebenen Ziergöhl und des stilisierten Drachenkopfs – das Markenzeichen der schottischen Yachtbaudynastie Fife of Fairlie – wirkt bis heute. Welches wurmstichige Wrack werden sie als nächstes aus dem Modder des Vergessens ziehen? Klassische Yachten sind eine Droge. Sie läßt grundsolide Männer über ihre Verhältnisse leben und gibt zerrütteten Ehen den Rest. Die Passion ihrer Eigner treibt manch großes Unternehmen in gefährliches Fahrwasser. Die letzte große Liebe des Mo-dezaren Maurizio Gucci war der 65 Meter messende schwarze Dreimastschoner „Creole“. Oder war es der kleine knuffige Kutter „Avel“, den Gucci eigens zur Nioulargue herrichten ließ? Die erste Oktoberwoche ist ein großes Fest für alle Liebhaber schöner Schiffe, egal ob als Eigner oder zum Staunen, als Besitzer oder Zuschauer gekommen. Die Segelwoche zeigt die Sonnenseiten des Kapitals: am schönsten gegen Nachmittag, wenn das Licht über die Höhen bei Grimaud gewandert ist und die pastellfarbene Arena der alten Häuser ausleuchtet wie für einen ausgelassenen Film, bei dem alle aufgeregt durchs Bild laufen. Herrlich, jetzt im Senequier oder Cafe de Paris seinen Pastis zu schlürfen. Oder draußen auf den großen warmen Steinklötzen der Mole hockend einfach nur den Zieldurchgang zu verfolgen. Den Logenplatz auf manche, weit in die Baie de Cannebiers durch azurene Meer pflügende Yacht bietet das Gemäuer der Zitadelle über der Stadt. Wenn das einstige Korsarennest im letzten Sonnenlicht zu glühen beginnt, die Schiffe nach und nach zurück kehren von ihrer herbstlichen Fête de la mer, ist Saint Tropez nicht mehr von dieser Welt. Der Ernst des Lebens, Arbeit, Hausse und Baisse der Börse, die Sorgen des Festlands sind irgendwo hinter der ersten zackigen Kette der französischen Seealpen verschwunden. So beschließen hunderte von Seglern den Abschluß ihrer Segelwoche mit einer hemmungslosen Wasserschlacht, die manches Abiturfest blaß aussehen läßt. Pralle, wassergefüllt durch die Luft wabbelnde Luftballons eiern in kühnen ballistischen Kurven über den Vieux Port, fliegen von Yacht zu Yacht – und zerplatzen über den fröhlich zurückwinkenden Heimkehrern. Kein Auge, Bootsdeck und T-Shirt bleibt zum Abschluß des letzten Segeltags trocken. La Nioulargue ist vor allem eine Überrraschung. Selbst wenn sie nicht stattfindet, passiert sie. Die Segler lassen sich ihr Fest nicht nehmen. Als der riesige nachtblaue Zweimaster „Mariette“ im Eifer des Gefechts versehentlich die kleine offene Rennyacht „Taos Brett“ Anfang Oktober ‘95 versenkte, wurde der Kasus ausgerechnet während der Segelwoche ‘96 verhandelt. Die Regatta fiel aus. Dennoch kamen 160 Yachten und segelten inoffiziell. Der dicke kupferne Marquis mit dem Standbein hinten unter dem Mantel und dem Spielbein vorn, lächelte mild über’s Quai Suffren. Die Segelwoche ist nicht so gewollt wie ein Konvent der Ferraristi. Sie ist so selbstverständlich, wie ein vollendet bourgeioses französisches Abendessen, wo niemand an die Rechnung denkt. Es hat viele Gänge und ist Teil einer offen-sichtlich glückenden Lebensart. Vielleicht kommen deshalb die Deutschen so gern hierher, soweit sie überhaupt von der „Niou-was?“ gehört haben. Vor Jahren kreuzte die frisch restaurierte „Ashanti“ der bremischen Burmester Werft hier auf. Jetzt will ein norddeutscher Reeder und mit einigen Wassern gewaschener Regattasegler mit steuerlich vorteilhaftem Zweckwohnsitz Zypern an Bord seiner dunkelblauen „Happy Four“ hier debütieren. Veranstaltungen dieses Zuschnitts nobilitieren den Ort und ihre Besucher und machen aus ihm wieder einen Fixpunkt der gehobenen Geselligkeit a la Bayreuth, Salzburg oder Wien. Wer ko, der ko. Wer nicht ko, kommt trotzdem. Zum zugucken, wie andere Können. So gesehen ist Saint Tropez Anfang Oktober der schönste Ort zum neidlosen Dabeisein. Während die Eigner sich mit ihrer Familie, im Kreis von Freunden und Geschäftspartnern an einen der längst vorab reservierten Tische in den ausgebuchten Restaurants des Orts wohl sein lassen, mit geeignetem Werkzeug dem aufgetischten Meergetier zuleibe rücken um den Inhalt entspannt parlierend  – santé – mit einem Schluck Dom Perignon runterspülen, füllen sich die Kaimauern rings dem sanft glucksenden Vieux Port Abends mit Schaulustigen und Yachtcrews, dem Troß der Freunde und Verwandten. Abseits, am Quai G. Peri und an den Stegen, wo sonst die Ausflugsboote losfahren, sind die modernen Rennyachten zu Dutzenden vertäut. Unter normalen Umständen würde jede dieser perfektionierten Sportgeräte einen Menschenauflauf auslösen. In der ersten Oktoberwoche gehen die sogenannten Zwölfer der einstigen America’s Cup Klasse schlichtweg unter. Auch die 25 Meter messenden Big Boats der bulligen Maxi-Klasse, bis vor Kurzem noch der letzte Schrei auf den Regattabahnen, nehmen sich neben den großen Traditionsyachten aus wie ein Heimtrainer neben einem stattlichen Duesenberg-Coupé. Die Ehrenplätze gehören „Pride“ und „Ikra“. Das vergleichsweise kurze schwarze Dickschiff des Amerikaners Richard Jayson vom Typ „Swan 44“ und der schlanke lange schneeweiße Renner des Franzosen Jean Lorrain liegen dort, wo man sich in Saint Tropez trifft, trennt oder verabredet: Vor dem „Senequier“, wo die rue Victor Laugier am Hafen endet. Die beiden Yachten verschwinden zwischen den wuchtigen Nachbarn. Fast könnten sie als Beiboote die Bordwand von klassischen Wuchtbrummen wie „Shenandoah“ hochgehieft werden. Mit diesen ungleichen Teilnehmern begann die Segelwoche bei einem Grillfest am Strand vom Pampelonne. Bald dirigierte Herbert von Karajan seine silberrote „Helisara IV“ mit einem Dutzend Decksarbeitern durch den Golf. Die Zeiten sindvorbei, wo einfach aus Spaß an der Freud gesegelt wird. Die beliebte Segelwoche professio-nalisiert sich. Zunehmend bekommen die besten Rennsegler der Welt zur Nioulargue das Steuer in die Hand. Mancher Profi bringt seine Segellegionäre zum perfekt orchestrierten vorheißen, rankurbeln und Feintrimm der Segel gleich mit. Das Fortbewegen einer klassischen Yacht ist Hand-, Knochenarbeit. Zu Königin Viktorias und Eduard VII. Zeiten gab es keine Segelwinden. Neben Bizeps braucht es Grips und Erfahrung, wann an welchem Tau zu ziehen ist. Eine moderne Winsch an Bord einer historischen Yacht wäre ein Fauxpas. In puncto Handhabung sind Klassiker Galeerenschiffe für Freiwillige. Sie stehen Schlange. Dann leert sich der Hafen. Bars, Boutiquen und Restaurants schließen für den Winter. Die Rolläden krachen auf die Simse und die letzte Yacht tobt bei frischem Wind in die Weite des Mittelmeers davon. Jetzt, wo niemand ihn beachtet, hält es der alte kupferne Haudegen nicht mehr aus. Der Patron der Nioulargue lupft sein Fernrohr (oder ist es ein Horn?), sieht sich das herrliche Schauspiel draußen vor der Mole an und nickt zufrieden.

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Hans-Joachim Kulenkampffs Dreimaster

Was machen Männer in den besten Jahren, wenn plötzlich der Geldregen einsetzt? Sie spielen das Leben eindeutig über par, werden mit einem flachen Sportwagen und verblüffend junger Freundin seltsam. Als der Schauspieler und Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff für die Tabakreklame „Feuer, Pfeife, Stanwell“ in den Siebzigerjahren ein Vermögen bekam, steckte der passionierte Segler die 650 Tausend Mark in sein Traumschiff. 1988 erklärte er in einer Talkshow einmal: „Es gibt ein paar Dinge, wo ich nicht zu beleidigen bin, das ist beim Segeln und beim Autofahren.“ Der umgängliche Kulenkampff, der als Theaterschauspieler für seine Tourneen ausgiebig reisen musste, fuhr gern Auto. Noch lieber ging er an Bord seiner „Marius IV“ segeln. Kulenkampffs Ultima Thule: Anholt Der gebürtige Bremer verwirklichte mit der Sonderanfertigung einen Traum, wie ihn jeder Tourensegler bestens kennt: den von der komfortabel großen, unkaputtbaren und zugleich handlichen Hochseeyacht. Der 53-jährige ließ sich einen rund 17 Meter langen, vier Meter breiten Segler zeichnen. Das war Anfang der siebziger Jahre viel Schiff. Kulenkampff hätte mit seinem 18 Tonnen Schlitten ohne weiteres nach Grönland oder zu den Fidschi Inseln ablegen können. Kulenkampffs persönliches Ultima Thule lag im Kattegat auf halber Strecke zwischen Dänemark und Schweden, etwa vier zügig absolvierte Segeltage von der Kiel-Holtenauer Schleuse des Nord-Ostsee Kanals entfernt. Die Rede ist von der Insel Anholt. Anholt ist eine überwiegend flache Insel, die sich ähnlich wie ein echtes Südsee Atoll spät über den Wogen zeigt und zwecks Vermeidung von Schiffbruch nur in einem bestimmten Winkels anzusteuern ist. Größer als die Hürde der Anreise über die offene See zur schmalen, bei Westwind exponierten Hafeneinfahrt war die Weiterreise in den steinigen Irrgarten der westschwedischen Schären rings um Göteborg, vor allem die Rückreise gegen den frischen Westwind mit deftigem Seegang. Genau dafür, für viel von vorn, war die stäbige „Marius IV“ gedacht. Wie es zum 17 m Dreimaster kam Die Handhabung löste Kulenkampff auf spezielle Weise. Damals waren Rollanlagen zum Aufwickeln der Segel um rotierende Aluminiumrohre am Vorstag oder die im Mast in leidlich bekannter Markisenwickeltechnik für das bequeme Segelmanagement noch nicht üblich. Effiziente, mit einer Hand zu bedienende Winschen, ganz zu schweigen von deren motorisierter Variante, gab es ebenfalls nicht. Die Segelyacht der Siebziger sah aus wie eine zeitgenössische Stereoanlage. Sie hatte endlos viele Tuningmöglichkeiten, die natürlich nur von Experten beherrscht und der artverwandten Spezies der Wichtigtuer besprochen wurden. Die mussten mit derben Sprüchen, reichlich Bier und ähnlichen give aways bei Laune gehalten werden. Nun war Kulenkampff aber kein Herrensegler, der solche Burschen zum Wechseln riesiger Vorsegel und Reffen des Großtuchs mitnahm. Er wollte seine Ruhe und die Arche vom Segel-Verein Niedersachsen Burg an der Lesum mit seinem langjährigen Segelfreund Schapp Meyer im Wesentlichen zu zweit bewegen. Ab und zu kamen auch mal die leider nicht ganz so segelbegeisterte Frau und Tochter oder Kollegen vom Funk und Fernsehen mit. Blaupause Atlantikrenner „Vendredi 13“ So bekam das Boot anstelle eines Masts mit zwei großen Segeln, nicht zwei mit entsprechend kleineren Tüchern, sondern allen Ernstes drei Masten. Die Blaupause dazu war die 39 Meter lange „Vendredi 13“ anlässlich der Einhand Atlantik-Regatta von England nach Amerika von 1972. Genau so und nicht anders wollte Kuli das haben und Horst Glacer zeichnete ihm die Takelage. Bei auffrischendem Wind wurde eines der handlichen Stagsegel herunter an Deck gezogen. Das kriegten Kuli und sein Matrose Meyer auch in der schietigsten Böe problemlos hin. Der ungewöhnliche Look brachte dem Boot bald den Spitznamen „Verkehrtherumsegler“ ein. Die eigenartige Geometrie vermittelte auf den ersten Blick aus der Ferne in der Tat den Eindruck, als stimme da etwas nicht und das Boot würde rückwärts segeln. Wenn vor der Wesermündung, auf der Nord- und Ostsee dieser Bonsai Dreimaster wie eine Fata Morgana erschien, wussten die Kenner an der Küste immer, dass das Urgestein der deutschen Fernsehunterhaltung „gerade nicht zu beleidigen war“. Natürlich provozierte so viel Gebälk über 15 ½ Meter Deckslänge im Hafen ständig unterschiedlich nette Fachfragen. Segler fachsimpeln, frotzeln und sticheln gern. So antwortete Kuli auf die Frage, warum das Schiff denn drei Masten habe: „Weil ich vier nicht unterbringen konnte.“ Im August 1974 erschien Kulenkampff mit seiner „Marius IV“ das erste Mal auf seiner Lieblingsinsel Anholt. Angesichts des vollen Hafens ankerte er im Außenbecken hinter den Wellenbrechern und wartete ab. „Daraufhin verschwand der meist nachlässig gekleidete Hafenmeister in seinem Büro, erschien nach einer Weile picobello in seiner Uniform zurück und bot dem Dreimaster einen Ehrenplatz am Fähranleger an. Dort, wo eigentlich keine Yacht anlegen durfte“ erinnert Birger Winkelvoß, der damals als Jugendlicher zufällig mit einem anderen Boot zugegen war und sich als Freund des heutigen, dritten Eigners rührend um das Schiff kümmert. Schifferklause Lehrke in Bremerhaven Zum Ritual der sommerlichen Törns zur Kattegatinsel Anholt und mancher kleinen Flucht in die Weite der Nordsee zwischendurch gehörte die Ansteuerung der Schifferklause Lehrke in Bremerhaven. Dort, an der Geeste 19 ging der Dreimaster oft längsseits. Andere Gäste, die den Fehler gemacht hatten, draußen vor dem Lokal am Tisch mit dem besten Blick auf den Hafen zu tafeln, wurden dann von der Wirtin mit dem Hinweis weg komplimentiert, sie säßen „leider gerade an Herrn Kulenkampff Platz“ und der wäre „halt jetzt da“. Nach dem Bacchanal eines gekonnt zubereiteten Fischgerichts mit zwei oder drei gescheiten Bieren waren Kuli und Matrose Schapp bereit für den Törn. Am nächsten Tag schob sich der Klipperstefen dem Jadebusen entgegen, die handlichen Stagsegel flatterten im üblichen Westwind und der Diesel wurde abgestellt. Das Seglerleben konnte beginnen. Unterwegs auf See schöpfte der bodenständige Charmeur, der clever zwischen dem Tiefgängigen und dem Seichten, zwischen Spracharbeit auf der Theaterbühne oder literarischen Sendungen und populären Auftritten vor einem Millionenpublikum, den Quiz Shows „Wer gegen wen“ oder „Einer wird gewinnen“ zu kreuzen wusste, Ausgeglichenheit und Kraft. Vor einigen Jahren übernahm der Bremer Geschäftsmann Jens-Torsten Bausch das Boot und ließ es aufwändig generalüberholen. Als noble Bremensie liegt sie nun als „Langlütjen“ am Stegende der Bremerhavener Lloyd Marina. Zur Beantwortung der Frage wie sich so ein Bonsai-Dreimaster und Verkehrtherumsegler eigentlich anfasst und fährt haben Bausch und sein Matrose Winkelvoß an einem gleichermaßen sonnigen wie windreichen Tag zum Segeln eingeladen. Da wir Dreimaster bisher nur als Besucher der „Rickmer Rickmers“ oder der „Passat“ kannten, wurde das Angebot gern angenommen. Wer möchte nicht daheim oder im Club erzählen, er hätte neulich einen Dreimaster gesegelt, obwohl so was seiner Größe und Umständlichkeit halber bekanntlich als Museumsschiff in Hamburg und Travemünde vertäut ist? Die böigen vier Windstärken mit gelegentlich einem Extrapüster aus West schieben den Schlitten mit beachtlichen 8, manchmal neun Knoten durch die Weser. Das hätte der Besucher dem Schiff angesichts des erheblichen Nettoabtropfgewichts nicht zugetraut. Das Steuerrad mit den gedrechselten Tropenholzspeichen hat mit etwa einem Meter Durchmesser nicht ganz das Format der Pamir, ist dennoch recht groß. Hier also stand der EWG (Einer wird gewinnen) – Quizmaster mit seiner obligatorischen blauen Schiffermütze während Matrose Schapp das eine oder andere an Deck regelte. Eigner Bausch lässt sich die Segelstunden von seinem permanent läutenden I-Phone verhageln. „Nein, ich bin nicht in Mallorca, auch nicht im Büro. Ist es etwas Wichtiges?“ Geschäftlich Strippen ziehen und segeln, das sind und bleiben wohl zwei Welten. Unter Deck ist die „Langlütjen“ ganz die „Marius IV“ geblieben. Das schwarz grün marmorierte Pantry Kacheldekor der frühen siebziger, die dicken Rippen der Zentralheizung, die Vertäfelung in heller Eiche. Sogar die Altherrensprüche auf den Bronzeschildern aus der Abteilung „The Captain …“ sind noch da.  Also, wir sind nicht sicher, ob es wirklich so drei Masten sein müssen, wir das ganze Geklöter an Schienen für die Selbstwendefocks, Winschen und Klemmen, so viele Strippen und Schoten unbedingt bräuchten. Heute gibt‘s die acht Knoten raumschots direkter, leichter, einfacher. Der Stand der Segeltechnik ist vier Jahrzehnte weiter. „Wissen Sie, irgendwie ist Kuli bei uns immer dabei“ meint Winkelvoß. „Der guckt jetzt bestimmt aus irgendeiner Wolke runter und freut sich, dass sein Schiff wieder segelt.“ Darauf ein kühles Bier und vielleicht auch ein kleines Fischgericht in der Schifferklause Lehrke. Morgen dann den langen Schlag hinaus in die Weite des Meeres. Die kurze Ära drei- und viermastiger Yachten 1972 startete Jean-Yves Terlain mit dem Dreimastschoner „Vendredi 13“ beim Observer Singlehanded Transatlantic Race (Ostar) vom südenglischen Plymouth nach Newport in den USA. Der Kurs von Ost nach West gegen den Golfstrom über den stürmischen Nordatlantik ist ein Härtetest für Mensch und Material. Er führt oft direkt in die entgegenkommenden Tiefdruckgebiete mit chaotischem Seegang. Das 39 Meter lange, 35 t schwere Boot entstand nach Plänen des amerikanischen Konstrukteurs Dick Carter in einer bretonischen Werft als seinerzeit größte Kunststoffyacht. Sie war der Handhabung halber mit drei Vorsegeln an jedem Mast angetrieben. Bei drei permanent an Stagreitern hängenden Vorsegeln kann wenig kaputt gehen und dem chronisch überforderten Einhandsegler bleiben kraftraubende wie gefährliche Segelwechsel und Reffmanöver erspart.            

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Leben nach Intershop: Der Zwölferfuchs

Die Oldtimer-Szene lebt, besonders die alten Zwölfer bekommen frischen Wind. Nicht zuletzt dank Wilfried Beeck. Von Erdmann Braschos 125 Quadratmeter Großsegel zerren an der hölzernen Takelage der 12 mR Yacht „Trivia“. Cannes ist von einer tief hängenden Wolkendecke dicht gepackter weiß-grauer Watte überzogen. Eigentlich kein Wetter für Couponschneider, echte und gefühlte Millionäre, gar keins zum segeln. Deshalb sind trotz der Regates Royales, der Weltmeisterschaft der Zwölfer und der Panerai Classic Yacht Challenge so gut wie alle Teilnehmer noch im Hafen. Der Hamburger Software Kaufmann Wilfried Beeck hockt schweigend mit Käppi, Sonnenbrille und beigefarbigem Blouson am Rad seines 70 Jahre alten Segelsportplatzes. Es besteht aus einem 21 Meter langen, rund dreieinhalb Meter breiten Teakdeck mit ziemlich viel Segeln oben und allerhand Blei unten drunter. Kommt gleich die Sintflut, eine brutale Böe, fegt der gefürchtete Mistral über die Seealpen, oder ist dies bloß ein Wetterumschwung für einen konstanten Wind aus einer neuen Richtung? Wird der dritte Lauf heute überhaupt stattfinden und welches Vorsegel nehmen? Hasenfüßigkeit würde die gestern ersegelte Anwartschaft auf den mittleren Platz des Siegertreppchens kosten, eine zu große Genua das Tuch ruinieren, einen Segelwechsel, quälende Minuten und vorbeiziehende Konkurrenten kosten. Es wäre so verdrießlich, als wenn hier irgendeine Segelspaßbremse aus dem Wasser gefischt werden müsste, die zu dämlich war, an Bord zu bleiben. Eine Reling gibt es hier nicht. Den Schaulustigen im Hafen am Ende der Croisette mag Regattasegeln mit Rennyachten aus den 30er Jahren als apartes Pläsier erscheinen. Mancher wird es als maritimen Lifestyle mit kompliziertem Kodex und spezieller Sprache unterschätzen, der être, peut-être mit gebügelten weißen Hosen ausgeübt wird. Beeck und seine etwa Fußballmannschaftgroße Combo ist zum Vergnügen hier. Für die überwiegend norddeutsche Crew besteht es darin, den Fight zwischen den Bojen mit „Vanity V“, „Wings“ und weiteren Booten, die Beeck weniger beschäftigen, für sich zu entscheiden. Zwischen dem Festspielhaus und dem quirligen Suquet Viertel im maritimen Ambiente des Vieux Port auf einem Vintage Schlitten hocken und Abends cool ein Bier kippen ist nett, langt aber nicht. Deshalb ist der Zwölferfuchs schon draußen, erwartet seine Pappenheimer auf der Bahn. Bei den Vorregatten am Montag, einer Art Warm up, musste die „Trivia“ Crew quälend lange auf dem motorlosen Schiff im Hafen auf einen Schlepp zur Regattabahn warten und erreichte mit Ach und Krach die Startlinie. So was passiert Beeck nur einmal. Großes Palaver innerhalb der Mannschaft über das Wetter und welches Segel wohl passt. Mit typischem Pokerface steht Beeck schweigend am Rad. Schwer zu sagen, welche Meinungen ihn interessieren und ob die Anekdoten von anderen Hard- und Softwarekonstellationen, von anderen Regatten ihm bloß auf die Nerven gehen. Beeck hört zu, sortiert. Regattasegeln ist wie das Führen eines Geschäfts, eine strukturierte arbeitsteilige Geschichte. Der Bullshit kommt in die Tonne, die interessanten Sachen werden gemacht. Beeck ist ein Fighter, um den ein unsichtbarer Kreis gezogen ist. Zu seiner mephistophelischen Erscheinung tragen sein kahler Kopf, seine spitzen Ohren und Nase bei. Wenn Beeck mal die Sonnenbrille absetzt, bestätigt sein bohrender bis stechender Blick diesen Eindruck. Mit einer Speiche links, einer rechts hält er „Triva“ am Wind. Wenn der Gegenbauch im Großsegel verschwindet und sich die Schwinge aus weißem Segeltuch über unseren Köpfen mit einem vernehmlichen Plopp füllt, legt es die schmale Rennyacht ruckartig auf die Seite. Wir ahnen, was hier erst mit gesetztem Vorsegel auf dem dachschrägen Deck im Nahkampf mit anderen Zwölfern abgeht. In der einstigen America’s Cup Klasse steckt etwas Animalisches. Bei frischem Wind ist der Übergang zwischen dem seglerischen Ernst- und Notfall fließend. Wie in der freien Wildbahn des Wirtschaftslebens braucht es Übersicht und im passenden Moment eine gewisse Entscheidungsfreude. „Wenn Du mit der ganzen Flotte auf die Linie zu fährst, alles höher, höher brüllt und die 26 Tonnen beschleunigen, Mann, das spürst Du in jeder Zelle“ wird Beeck die Faszination später bei einem Bier erklären. Beeck hat die Segelsaison 2007 im Wesentlichen mit seinem Vintage Segelschlachtroß im Mittelmeer verbracht. Nach einer Weile ist er die Kaffeesatzleserei und Döntjes müde. Er fingert das Handy vom Gürtel, ruft bei seinem Segelmacher in Deutschland an und lässt das ausgerechnet fehlende Segel aus dem Vieux Port kommen. Frage, Antwort, Aktion. Sein Weg vom gelegentlich während des Mathe- und Informatikstudiums auf der Kieler Förde gesegelten Strandkatamarans an das Rad der Königsklasse des Yachtsports ist kurz und steil. Nach einem prägenden Incentive, das Intershop Kompagnon Beeck sich und Geschäftsfreunden Ende der Neunzigerjahre auf dem Firth of Clyde mit einem klassischen Kutter gönnt, eignet er sich zügig alles zum Thema Meterklassen an. Dann shoppt er Rennyachten, wie sich normale Leute diese modischen, leider völlig unpraktischen Seglermokassins mit permanent offenen Schnürsenkeln zulegen. Er ist kein Freund halber Sachen. Beecks materialreiche Website ist die einzig erschöpfende zum Thema, eine der interessantesten Seglerhomepages überhaupt. Seine Achter „Windsbraut“, ein Schwesterschiff der Kruppschen Olympiayacht „Germania IV“ für Helsinki 1940 und die moderne „Spazzo“ sind sein Weg zur Charles Nicholson Konstruktion „Trivia“, die der Liverpooler Reeder Vernon MacAndrew 1937 bei Camper & Nicholson, dem damals führenden Spezialisten für Rennyachten, vom Stapel ließ. Im Milleniumjahr 2000, als Beeck „Trivia“ von einem Mailänder in Monaco kauft, ist Intershop auf dem Papier 11 Milliarden Euro wert. Das ist eine Zahl mit einigen Nullen links vom Komma. Anlässlich des 150. America‘s Cup Jubilee, einem einmaligen seglerischen Showdown, zu dem von Agnelli bis Plattner jeder, der an Land und auf dem Wasser was zu melden hat, sein Spielzeug mitbringt, kreuzt Beeck mit der weißen „Trivia“ im Seglermekka Cowes auf. Sein Segelfreund Alexander „Sascha“ Falk ist mit der nachtschwarzen „Flica II“ und einer farblich passenden Barkasse dabei. Richtige Rennyachten haben keinen Motor. Wie Beeck ist Falk seit dem Verkauf des ihm langweilig erscheinenden väterlichen Faltkartenverlags für 25 Millionen und nach Weitergabe seiner jungen Internetfirma Ision Ende 2000 für 812 Millionen Euro in der so genannten New Economy auf etwas abstrakte Weise zu Geld gekommen. Da ist die Wertschätzung für Erzeugnisse der guten alten Zeit, einen Reüssierschlitten der Dreißigerjahre aus Blei, Bronze, Mahagoni, Teak und Rindsleder bekleidete Takelage verständlich. Falk, der über Nacht zu den 250 reichsten Deutschen gehört, segelt être, peut-être mit weißen Hosen und schwarzen Polohemden. Beeck und seine Combo damals im rot-weißen Outfit. Eine Weile setzen die Beiden ihren ansehnlichen Fight als schwarz-weißes Matchrace auf der Ostsee fort. Das bringt auch modisch etwas Glamour in das „moinmoin“ Land bräsiger Bedenken-, Schiffermützen- und Schwimmwestenträger. In guten Zeiten, als Beeck beschließt segeln zu gehen, ist Intershop mehr wert als die Lufthansa. Leider rutschen die Nullen des Intershop Börsenwerts damals auf die weniger interessante Seite rechts vom Komma. Im Februar 02 wird Finanzvorstand Beeck abgemustert. Das exklusive Vertriebsrecht für die Software Intershop 4, einer E-Commerce-Lösung für den Mittelstand, versüßt ihm das Outplacement. „Wilfried, es gibt noch ein Leben nach Intershop“ ruft ihm ein Kollege nach, als hätte man sich um den gebürtigen Flensburger je Sorgen machen müssen. Beecks Leben nach Intershop heißt „Trivia“ segeln und gelegentlich bei „Epages“, einem 80 Mann Betrieb mit Niederlassungen in Jena, London, San Francisco, Barcelona, Mailand, Stockholm und Paris gucken. „Dank Mobiltelefon, Notebook, Internet und Skype ist man ja ohnehin immer am Geschehen dran.“ Der selbstbewusste Jungunternehmer und Beeck Freund „Sascha“ muss die weißen Hosen noch ein bisschen im Schrank lassen: nach einem aufwändigen Verfahren mit 157 Verhandlungstagen verurteilte das Hamburger Landgericht Falk am 9. Mai 08 wegen gemeinschaftlich versuchten Betrugs und Bilanzfälschung zu vier Jahren Haft. Geschickt zieht Beeck die Strippen für eine wachsende Ostsee Zwölfer Flotte. Dazu ließ er sich neulich zum Vize der „International Twelve Metre Association“ ITMA wählen. Beeck sieht in den nächsten Jahren 17 klassische Zwölfer an der Ostsee. „Nach der WM in Flensburg wird vor Laboe gesegelt, es folgen weitere Events in Oslo, Sandhamn, Marstrand und vielleicht auch St. Petersburg.“ Neun klassische Zwölfer laufen diese Saison in norddeutschen und dänischen Gewässern, vier weitere liegen in Oslo. „Blue Marlin, eine Nicholson Konstrution für Thomas Sopwith Baujahr 1937 wird gerade in Finnland restauriert. Drei Neubauten nach historischen Plänen sind im Gespräch“ berichtet Beeck. Zur Flensburger WM debütieren die restaurierte „Anitra“ vom Bodensee und die Instand gesetzte „Sphinx“, die einstige Spende des Zigarettenfabrikanten Reemtsma für den Norddeutschen Regatta-Verein, nicht zu vergessen die ehrgeizig gesegelte „Vanity V“ aus Kopenhagen. Der interessanteste Gegner wird „Nyala“, eine von Haus aus schnellere Konstruktion des Meterklassenspezialisten Olin Stephens von 1938. Die gehört dem Mailänder Modekaufmann Patrizio Bertelli und der lässt sie von der America’s Cup erprobten australischen Segelfachkraft James „Spitfire“ Spithill steuern. Das Pokerface wird wieder früh ablegen und seine Pappenheimer draußen auf der Regattabahn erwarten. Er wird das Interessante aus den verschiedenen Einschätzungen an Bord filtern und mit der passenden Genua an den Wind gehen. Wer vor den anderen da ist, kann was reißen. Kennen wir doch vom Hasen oder Igel. Und, wie im sonstigen Leben auch, gibt es immer noch einen Fuchs. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 15. Juni 2008

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Wie Albert Obrist die Segelyacht Altaïr erhielt

„Er wolle gern einen Satz Baumwollsegel haben, erkärte ein bedacht seine Worte wählender Schweizer mittleren Alters zu Besuch bei Ratsey & Lapthorn am Medina River in Cowes. Seit 1790 werden hier die Segel für das Königreich genäht. Als Viscount Horatio Nelson die spanisch-französische Flotte Napoléon Bonapartes vor Kap Trafalgar in der alles entscheidenden Seeschlacht anno 1805 in die Flucht schlug, hatte er Flachs der Marke Lapthorn unter den Rahen hängen. Segler entdecken die verlorene Zeit Seitdem schneidern Generationen von Segelmachern im Auftrag einer namhaften Kundschaft: für den segelnden König Georg V., den Weltumsegler Sir Francis Chichester, den griechischen Reeder Stavros Niarchos, für Avvocato Agnelli, Maurizio Gucci oder Baron de Rothschild. Nur war keiner dieser Kunden auf die Idee gekommen, den Handwerkern des Traditionsbetriebes zu erklären, wie die Arbeit auszuführen sei. Niemand geht zu John Lobbs in die Londoner Bond Street und erläutert beim Vermessen des Fußes, wie, aus welchem Leder, mit welchem Garn die Schuhe zu machen seien. Wenn es, bitteschön, gehe: aus ägyptischem, am besten sudanesischem Cotton. Sechshundert Quadratmeter in schmalen Bahnen. Mit der Hand genährt. Wie früher eben, wünschte der Baseler Geschäftsmann Albert Obrist. Im Unterschied zum in den dreißiger Jahren üblichen Mako, einer lehnigen Baumwollqualität von ägypischen Feldern, ist das Naturprodukt aus dem Sudan härter in der Faser. Nun ist manche Idee, die für viele Briten unnötigerweise vom europäischen Festland zum Mainland der Angeln und Sachsen vordringt, dem Commonwealth suspekt. Auf der Isle of Wight, wo die Uhr nochmals etwas anders geht, erscheint sie skurril – wie die phantastische Idee des Schweizers, wider alle Vernunft den obsoleten Stand der Technik aus den dreißiger Jahren hervorzukramen. Auszug FAZ Magazin 923

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Der Tiefstapler

Die Schweizer Wilke-Werft punktet international mit hoher Fertigungsqualität und technischer Finesse. Ein Besuch im Berner Oberland von Erdmann Braschos Im Bootsbau geht es zu wie in der Politik. Alles schielt mit unterschiedlichem Erfolg zur Mitte. Dank großer Stückzahlen bietet der umsatzstarke Massenmarkt dem Kunden viel Schiff zum interessanten Preis. Clever ködern die Großserienwerften mit variantenreichem Kajütausbau, einem betont modernen Ambiente und neuerdings markantem Falz in Aufbauten und Heckpartie. In die Rümpfe eingelassene Panoramafenster oder pfiffig eingebaute Kaffeeautomaten überzeugen selbst die bei der Anschaffung kostspieligen Segelspielzeugs generell zurückhaltende Ehefrau. Es ist eine mörderische Konkurrenz um Marktanteile, die da alljährlich auf den Bootsmessen mit immer neuen Gadgets ausgefochten wird. Vor einigen Jahren noch gehörten Badeplattformen und Flügelkiele zum Novitätenfeuerwerk. Denn mit etwas America’s Cup Appeal verkaufen sich auch gemütliche Familienkutschen und Segelurlaubsboote Welten besser. Mit diesem speziellen Kiel, er hat ähnlich wie der Flügel eines Flugzeugs kleine Winglets am Ende, beschäftigt sich Christof Wilke mitten im Berner Oberland am Thuner See auch. Allerdings aus anderen Gründen. Zudem schiebt sein elf Mannbetrieb jährlich gerade mal zwei bis vier, statt mehrere hundert neue Boote aus der Halle. Leissigen ist eine Ortschaft mit vielen Chalets, zwei Gasthäusern, einem Supermarkt und einem Cafe am Südufer des Thuner See. Rund sechshundert Meter über dem Meer fährt man auf der Schnellstraße flott in die alpine Enge der Zentralschweiz. Die Eiger Nordwand, Jungfrau und Mönch befinden sich um die Ecke. Ab und zu rauscht die Bahn auf der Strecke Spiez – Interlaken den See entlang. Wer einen mit mancher Finesse ausgefuchsten Neubau in der kompetitiven Dreimannkielboot-Konstruktionsklasse der 5.5er für sein Seglerglück braucht, ein Starboot, eine Finn-Jolle oder einfach nur einen auf das persönliche Gewicht, eigene Kondition und Segelstil maßgeschneiderten Jollenmast aus Karbon, der schaut früher oder später mal in Leissigen bei „Ch. Wilke Swiss Marine Composites“ rein. Im Neonlicht der Halle, die auch eine Bauschreinerei beherbergen könnte, steht ein glänzend lackierter Fünfeinhalber-Neubau neben einem Starboot, über das drei schweizerdeutsch redende Eidgenossen gebeugt sind. Nach einer Weile löst sich ein dunkelhaariger, sportlich schlanker Endvierziger im Sweatshirt aus der Gruppe. Karbon galt in der Schweiz als militärisch relevant Christof Wilke ist einer aus der Abteilung ernst und still, dabei von jener schweizerischen Freundlichkeit, die sich als schwer zu knackende Firewall erweist. Und so braucht es die gefühlte Ewigkeit von etwa einer Stunde, bis sich das zähe Frage- und Antwortspiel zu einer Art Gespräch verflüssigt. Wilke erinnert an den prototypischen Radio- und Fernsehtechniker, der lieber über einer kniffelige Schaltung grübelt, als die kostbare Zeit mit Geplänkel und banalen Auskünften über sein Metier zu vertrödeln. Erst im technischen Detail wird Wilke mitteilsam. Sachlich informiert er aus einer exotisch anmutenden Welt abgefahrener Kleinstserien-Präzision. Denn in dieser Wilke-Welt wird mittlerweile mit aufwendigen Kohlefaser- und Aluminiumformen die strömungstechnisch und seitens der Bauvorschriften geforderte Maßhaltigkeit bis hin zum Bereich der thermischen Verformung ausgereizt. Als der studierte Schiffbauingenieur und gelernte Bootsbauer Ende der achtziger Jahre für einen Segelfreund und sich zwei 9,5 Meter lange Boote aus Karbonfaser und arg adhäsivem Elefantenkleber, dem sogenanntem Epoxid, über einem Schaumkern zu einem gleichermaßen leichten wie ansehnlich sauber verarbeiteten Binnenrenner bauen will, hat Wilke Mühe, das damals in der Schweiz als militärisch relevant eingestufte Karbon für seine eindeutig zivilen Zwecke überhaupt zu bekommen. 1993 steigt Wilke mit zwei Neubauten in die ambitionierte Gentleman-Regattaklasse der 5.5er ein. Dieser 1948 als Variante der traditionsreichen Internationalen Meterklassen eingeführte Typ war 1952 bis 1968 olympische Bootsklasse und ist mit einer weltweit beharrlich wachsenden Flotte ein Treibhaus segeltechnischer Entwicklung. Der Entwurf stammt vom Newcomer Sebastien Schmidt aus Genf, und Wilke erinnert sich: „Es war seine zweite Konstruktion überhaupt“. Auf Anhieb wird eines der beiden Boote Europameister. Zügig übernimmt das Duo vom Thuner und Genfer See das Zepter von den amerikanischen Matadoren Buddy Melges und Doug Petersion, einem auf dem Parkett internationaler Regattabahnen ausgewiesenen Yachtkonstrukteur. „Ich hatte mich damals in den Umgang mit Epoxidharz und in die Verarbeitung belastungsorientiert verlegter Fasern eingearbeitet sowie über die Massenkonzentration nachgedacht“, berichtet Wilke. Und fügt hinzu: „Ich glaube, ein bisschen Glück war auch dabei“. Wieder so ein typischer Wilke-Satz. Denn er erklärt seine Arbeitsweise mit sachlicher Bescheidenheit und stapelt gleich wieder tief. Normalerweise werden Boote in einer Rumpf- und einer Decksschale laminiert. Dann werden die beiden Teile horizontal zusammengefügt. Entsteht das Boot aus zwei senkrecht geteilten Hälften, die später entlang der Mittellinie zusammengefügt werden, trägt die Doppelung des Materials entlang der Naht zu einem insgesamt verwindungsärmeren Boot bei. Natürlich ist das Laminieren senkrecht geteilter Formen in den schwer zugänglichen Kanten und Ecken schwierig, dort den Vakuumdruck zum Verpressen des Materials und Absaugen überflüssigen Harzes aufzubauen auch. Doch „interessiert mich in erster Linie die Qualität, der Weg dorthin weniger“, meint Wilke. Seit dem Debüt ist der Werftchef ungefähr bei der siebten Version angekommen, im Jahr 2000 richtete der Qualitätsfetischist eine Art Weltmeisterschafts-Abo für seine Erzeugnisse ein. Beim aktuellen Modell sind die Linien auf einen bestimmten, sich beim Segeln üblicherweise ergebenden Neigungswinkel hin abgestimmt. Neuerdings wird selbst die Sitzposition der Crew bereits bei der Volumenverteilung des Rumpfes berücksichtigt. Ein weiterer, eigentlich naheliegender Beitrag, um den Entwurf von vornherein an die Realität des Bootes im Wasser anzuschmiegen. Man muss nur gründlich über solche Finessen nachdenken. Der eigentliche Clou aber ist die Trimmklappe hinter dem Kiel mit den kleinen Winglets unten dran. Die Flügel verhindern den bremsenden Druckausgleich und die arg bremsende Wirbelschleppe hinter der Flosse. In Mittelstellung der Trimmklappe ergibt sich ein hinten sichtbar eingezogenes Profil, bei drei bis fünf Grad angewinkelt eine asymmetrische Form. Die zieht das Boot beim Segeln hart am Wind nach Luv – so wie ein Flügel ein Flugzeug in der Luft hält. Zwar braucht man am Ruder eines solchen Bootes keinen Pilotenschein, auf jeden Fall aber viel Gefühl und Übung. Denn so ein Trimmklappen-5,5er wird nicht mit dem üblichen Mix aus spitzem Windanschnitt und Bootsgeschwindigkeit gesteuert, sondern mit einem stumpferen Winkel auf Geschwindigkeit hin durch die Wellen gescheucht. Den Rest erledigt die mit einem handtellergroßen Drehknopf im Cockpit bis auf ein halbes Grad genau eingestellte Trimmklappe. Das ist interessanter, als eines dieser saugünstigen Volumenmodelle mit einem Knick in der Kajütwand und schicker Espressomaschine.

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Der Wald, die Reben und das Meer

An einem schmalen Streifen der Steilküste Liguriens kleben fünf Dörfer, die Cinque Terre, im Fels. Derart schön, dass alle mal kommen, gucken, Sardellen futtern und am liebsten dableiben würden. Die Sonne glitzert auf dem trägen Gewoge des ligurischen Meeres. Kaum von einer thermischen Brise geschuppt, hält es noch seinen Mittagsschlaf. Links der Gleise eine Ortschaft, rechts etwas Strand. Durchgeschüttelt von einigen Stunden Bahnfahrt verlassen wir den Waggon. Monterosso al Mare. Am Meer, wo sonst könnten wir mit dem Mensch sein beginnen? Verreisen ist Wahnsinn. Nur daheimbleiben wäre schlimmer. Ab und zu muß der Mensch mal richtig weit weg. Städte, das hügelige Zwiebelturmland und Flüsse queren, in nachtschwarzen Tunneln und dämmrigen Galerien durch Alpen und Apenninen rasen und im nördlichsten Ort der legendär hübschen Cinque Terre, der fünf entlegenen Dörfer Liguriens aussteigen. Ein Gebirgsbach, der durch den Sand rinnt. Fischerkähne, die Sonne. Akazien, Mimosen, Pinien, eine Palme – prima. Betagtes Gemäuer, eine katholische Kirche. Monterosso al Mare. Gibt es einen geeigneteren Ort, den Mumpitz eines Alltags, den wir uns durchaus anders vorstellen können, hinter uns zu lassen? Eine Albergo findet sich. Wir haben eine wichtige Verabredung. Eine Verabredung mit uns. Wir reden nicht bloß davon, „wie schön es wäre, hier mal zwei Tage zu bleiben.“ Wir bleiben. Zwei Tage. Warten einfach ab, bis der Kopf, der notorische Nachzügler allzu schneller Auto-, Bahn- oder Flugreisen, eingetroffen ist. Die 12 Kilometer lange Via Lungomare verbindet die berühmten fünf Dörfer der Steilküste Liguriens: Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore. Der italienische Alpenverein bezeichnet die Route, einen der schönsten Wanderwege der Welt, schlicht als Nummer zwei. Zu früher Morgenstunde, wo der normal menschliche Phlegmatiker noch schlummert, folgen wir den Stufen aus grobem Gemäuer durch hüft- bis schulterhohe Weinstöcke. Der Weg ist ziemlich eindeutig, mit reichlich Farbe in rot und weiß markiert. Das ist nett vom italienischen Al­penverein, denn wer kann so früh am morgen schon drei Sachen gleichzeitig tun, gehen, Karte gucken und denken? Die Hähne legen sich lärmend ins Zeug, die erste Bahn der Strecke Genua – La Spezia rauscht übers Viadukt und ver­schwindet im Tunnelschlund. „Eine felsige, strenge Landschaft, die in ihrer Wildheit an Kalabrien erinnert, Zuflucht für Fischer und Bauern, die sich an ein Fleckchen Strand klammern – bloßgelegter und fei­erlicher Rahmen für eine der ursprünglichsten Gegenden in ganz Italien … wenige Dörfer oder Weiler, die sich zwi­schen Fels und Meer zwängen,“ faßt der italienische Dich­ter Eugenio Montale den Reiz der Gegend in den zwanziger Jahren zusammen. Besonders gut hat er sich mit den Ein­geborenen nicht verstanden, doch sind schreibende Men­schen dazu da? Dem Leben zugucken und sich fraternisie­ren sind zwei verschiedene Beschäftigungen, welche nicht immer von einer Person beherrscht werden. Außerdem sind die Ligurier stolze, dem Fremden eher skeptisch denn aufgeschlossen gegenübertretende Leute. Ein bisschen provinziell. Das mögen wir weniger, doch verständlich ist es durchaus. Denn die Provinz ist derart schön, daß alle mal kommen, gucken, Sardellen futtern und am liebsten da­bleiben würden. Überhaupt, die Sardellen. Heute gibt es ja überall alles. Sushi in Soho, Pesto in Pellworm oder Scholle in Schlan­genbad. Die Sardellen ißt man übrigens wie die Schollen am besten dort, wo sie herkommen. Einst waren die Sardellen kleine Fische für kleine Leute. Weil die Fischer von Monterosso oft schlauer waren als ihre Beute, brachten sie meistens gut gefüllte Netze von der Punta Mesco mit. Denn vom Weinbau allein und dem bißchen Landwirtschaft wurden sie nicht satt. Im Mai und Juni ißt man die kleinen Fische mit dem festen Fleisch frisch mit Ölivenöl und dem Saft der ebenfalls legendären Zitronen von Monterosso – verfeinert mit Oregano, Knoblauch und Petersilie, später mariniert oder gebraten. Wie überall auf der Welt haben abgekochte Marketingstrategen in der cucina aus der Not­lösung für arme Schlucker einen derartigen Kult gemacht, daß man für die klitzekleinen Fische mit dem festen Fleisch und ein, zwei Fläschchen hiesigen Bianco manchen Euro opfert. Wer geneigt ist, sich darüber aufzuregen, speist an­ders oder bleibt zuhause. Wir verzichten auf’s Dessert und begeben uns zivil zeitig in die Albergo, denn die spektakulär schöne Via Lungomare wird am besten ausgeschlafen und mit sicherem Tritt begonnen. Ziemlich lange schon siedeln Menschen zunächst weit oben auf den unwegsamen Hängen des bei den Inseln Palmaria, endgültig den Eilanden Tino und Tinetto im Meer verschwindenden Bergrückens, später gehen sie hinab ans Wasser. Bis annähernd achthundert Meter erhebt sich das Gebirge. Die unzugängliche Steilküste bot Schutz vor feindlicher Übernahme, dem barbarischen Zugriff auf Weib und Kind, dem Raub von Hab und Gut. In prekärer Hang­lage lebte man isoliert, zunächst vom Weinbau, später kam der Fischfang hinzu. Ein hartes, einfaches Leben. Zwei Kulturen, zwei Welten an einem kurzen, wenige Kilometer messenden Küstenabschnitt. Heute schützt die Lage der Dörfer in engen Tälern und abschüssigen Hängen vor ganz anderer Barbarei: vor Betonierung, Zersiedlung und der automobilisierten Zerstörung des Idylls – allerorten zu be­sichtigenden Folgen des Fremdenverkehrs. Schwer zu sagen, wer mit der Fron des Weinbaus ent­lang der abschüssigen, nach Südwesten geneigten Hänge begann. Wahrscheinlich erkannten Bauern vor sieben Jahrhunderten den Wert der sonnenverwöhnten, zugleich sicheren Südwesthanglage und verwandelten mit der qua­dratmeterweisen Rodung von Macchia und Wäldern die Hänge in diese einzigartige Kulturlandschaft. Der Boden auf den engen Rebterrassen mußte auf Knien gepflügt werden. Die trocken, ohne Mörtel errichteten Mäuerchen verzögern den Abfluß des Wassers nach heftigen Nieder­schlägen und verhindern Erdrutsche. Würden die unteren Terrassen besonders abschüssiger Lagen vernachlässigt, kann der gesamte darüberliegende Hang abrutschen. Deshalb darf das Natur-Kunstwerk der Cinque Terre nicht aufgegeben, müssen die sogenannten cian, die Rebter­rassen weiter bewirtschaftet werden. Doch welcher junge Italiener hat Lust, sich zwischen die Weinstöcke gebückt in brütender Hitze die Fingernägel schwarz zu schuften? Das ist uncool. Er träumt vielmehr davon, irgendeine komplett stussige Sendung in Mailand zu moderieren, ewig jugend­liche Trends zu „scouten“ oder als Content Manager dürf­tige Inhalte mit virtuellen Bilderwelten und cooler Animation selbstredend online aufzupeppen. Davon läßt sich die täg­lich akkumulierte Gebühr für’s Cellulare löhnen und es gibt dazu noch einen Smart vor die Haustür. Doch der paßt in den Cinque Terre nicht mal hochkant vor die Tür. So wird das Handwerk der Pflege und Wiederherstellung der „muro a secco“ genannten Trockenmauern nach und nach vergessen, bröselt die über Jahrhunderte von Men­schenhand geschaffene Landschaftsarchitektur der Rebter­rassen dahin. Die regionalen Fördergelder zur Sicherung der cian reichen nicht. Der Konsument und durstige Wan­derer könnte es richten, indem er für lokale Weine zahlt, was Winzer für den Cinque Terre Bianco und den typischen Sciacchetrà samt einhergehendem Landschaftsschutz brauchen. Leute: Blöd und billig geht immer, Kultur kostet. War doch schon immer so! Wird auch im 21. Jahrhundert nicht anders. Der Sciacchetrà wird als Passitowein nach dem DOC-Gesetz von 1973 zu 60 Prozent aus Bosco, an­sonsten aus Vermentino oder Albarola Reben gekeltert, wobei die Trauben von dem Pressen zum Trocken in küh­len und gut gelüfteten Gewölben ausgebreitet rosiniert wurden. Obgleich für den Sciacchetrà strenge Vorschriften gelten, mache man sich angesichts unterschiedlicher Anbaube­dingungen auf Überraschungen gefaßt. Die Winzer von Monterosso, Riomaggiore, Tramonti di Bassa, Tramonti di Campiglia und Vernazza pflücken ihre Trauben in weit aus­einanderliegenden, oft gerade mal zimmergroßen Anbau­flächen, teils ganz unten am ligurischen Meer, teils oben am Hang in schwindelnder Höhe. Die ambitionierte Coope­rativa Agricultura Cinque Terre bemüht sich um die Fortset­zung von Handwerk und Kultur des tradierten Weinanbaus. Der Saft der raffiniert rosinierten Reben ist so eigenartig wie der reizvolle Küstenstrich. Als „Wein von aromatischer und komplexer Süße ist er ein Tropfen für Kardinäle und reifere Damen“ beschrieb Paolo Monelli anno 1935 in sei­ner „gastronomischen Reise durch Italien“ mokant die Vor­züge des Erzeugnisses. Zeit für eine Pause im ligurischen Vorzeigedorf Vernazza. Der abschüssige Pfad schlängelt sich oberhalb des Tun­nels der ligurischen Metro durch die Rebterrassen. Unter uns die Stimmen fröhlich am Strand spielender und im Hafenbecken planschender Kinder. Im Schatten der Bäume einige Bänke, dahinter die Piazza zwischen der Kirche am Wasser, pastellfarbenen Häusern, dem Castello Belforte und dem wehrhaft runden Turm auf dem Fels. Ein Idyll, bei­nahe nicht mehr von dieser Welt. Der Blick auf Vernazza gehört neben dem Postkartenmotiv Portofinos zu den meistfotografierten Urlaubsbildern des Mittelmeeres. Kaum zu glauben, aber wahr, daß die Germanen sich während der Besetzung der Appeninhalbinsel auf ihre Weise auch um die Cinque Terre, zum Beispiel mit der Einebnung des Turms über Vernazza für eine Flak-Stellung, kümmerten. Eine Focaccia, ein Weißbrot mit Kräutern – meine Favo­riten: Oregano oder Thymian – und aromatischem Olivenöl, dazu ein Wasser. Im Schatten dösend beobachten wir den sprichwörtlich internationalen Trubel. Daß die Orte voller Urlauber sind, ist nicht so schlimm. Leute, die noch zu Fuß gehen, sind meistens in Ordnung. Das Geheimnis der heiteren und guten Athmosphäre in den Cinque Terre ist, daß sie sich für den rast- und besinnungslosen automobi­len Durchreisetourismus, wie er praktisch jedem Ur­laubsziel unserer Tage übel mitspielt, nicht eignen. Es gibt wenige noble Skiorte, wo der Autoverkehr von klugen, wirk­lich an die Zukunft denkenden Menschen konsequent aus­gesperrt und so der Charme bewahrt wurde. Die unweg­same Steilküste und die engen verwinkelten Gassen der Cinque Terre Dörfer regelte das auf natürliche Weise. Das aberwitzige Projekt einer kühn in luftiger Höhe dem Hang mit Brücken und Tunnels abgerungenen Schnellstraße kam auf halber Strecke zum Erliegen. Der Stolz der Wein­bergbesitzer und das sagenhafte Phlegma der landestypi­schen Bürokratie erledigte es. So zuckeln allenfalls früh­morgens und spät am Abend kleine dreirädrige Lieferwa­gen zur Versorgung der Einheimischen, Pensionen, Re­staurants und Geschäfte durch Vernazza. Ansonsten gehört das Nest dem Fußvolk. Überall neugierig junge bis kaum gealterte Leute mit Rucksack und mancher, der sich aus guten Gründen für einige Tage in einem der zahllosen Fremdenzimmer einquartiert. Man läßt die Sonne aufgehen, ein kleines Colazione, greift endlich zum länger bereitge­legten Buch, geht zwischendurch über den flachen Sand­strand des Hafenbeckens baden, dreht eine kleine Runde um die Mole, hat Zeit für sich. Die Protagonisten der Komödie des Lebens sind in die­sem Ort rasch ausgemacht. Sie treten in der unausweichli­chen Enge der von der Bahnstation zum Bonsaihafen samt Piazza führenden Via Roma während unserer ein-, zwei­stündigen Faulenzerei wiederholt zwischen Trattoria und Tabaccherìa auf. Man wird hier unmerklich vernazzt. „Wollen wir nicht zwei Tage bleiben?“ „Nö, sind wir doch erst ge­stern in Monterosso. Außerdem sind wir doch zum Wan­dern gekommen.“ „Hm. Stimmt eigentlich. Okay, noch ein Cappuci.“ Einst wurden hier die Fässer mit dem berühmten Ver­naccia Rebensaft auf die Schiffe gerollt. Seit jeher verding­ten sich die Vernazzaner als Köche, Kellner und Matrosen. Außerdem verstanden sie sich auf einträgliche Schnäpp­chen in Gestalt kühner Kaperfahrten. Zudem waren sie eher den Pisanern als der Großkopfeten aus La Superba zugetan. Mit einer Delegation Knüttel- und Säbelkünstler zeigten die Genueser im 12. Jahrhundert den lästigen Bur­schen, wer zu Füßen der Cinque Terre künftig den Most holt. Als richtige Ligurier haben die Vernazzaner den insu­lanerhaften Stolz darüber natürlich nicht verloren. Heute nutzt er ihnen als Bollwerk vor dem Ansturm des Fremden­verkehrs. Sie ertragen ihn gelassen. Außerdem kommen viele Landsleute. Die Polts stellen ihren Passat nach wie vor in Sichtweite des Strands von Rimini ab. Ein Geheimtip sind die Cinque Terre längst nicht mehr. Der Reiz der verschachtelten Ortschaften zu Füßen der teils felsig schrof­fen, meist herrlich grünen Steilküste hat sich herumge­sprochen. Deshalb verlassen wir für heute die Via Lungomare. Der wassernahe Pfad ist bei Cinque Terre Pil­gern aus der halben Welt einfach arg beliebt. Wer Ruhe sucht muß ausweichen, bergauf gehen und schön tief durchatmen. Es wird steil. Wir passieren den Bahnhof und folgen dem Pflaster durch’s tief eingeschnittene Tal. Letzte Häuser, da und dort plätschert der Bach. Klitzekleine Ge­müsegärten, über uns das saftige Grün der Weinberge, der weiße Wattebausch einer Schönwetterwolke im azurblauen Himmel. Kaum ein Lüftchen geht, es ist warm wie im Ge­wächshaus. Später kurven wir um gelb blühende Wolfs­milchbüsche, genießen die Kühle im Schatten wuchtiger Steineichen und Kastanien. Die Zikaden haben wieder Ge­neralprobe und die Schmetterlinge machen Modenschau. Die aktuellen Farben der siebziger sind angesagt: Rot und orange. Die Häuser von Riomaggiore quillen wie die Vernazzas aus dem engen Tal heraus. Wie Bienenwaben kleben die Behausungen Manarolas am Fels. Atemraubend steile An­stiege über grob geschichtete Treppen, Maultierpfade auf den Höhen. Ein Blick, der uns die Spucke nimmt: auf tief­grüne Weinberge vor stumpfgrünen oder dunkel- bis hell­blauen Wogen, dazwischen das pastellfarbene Gewürfel der Dörfer. Gelegentlich das Gleis eines Tenino, der Zahn­radbahn zur Bewirtschaftung der Weinterrassen. Der Wald, die Reben und das Meer. Wie ein Krähennest thront Corniglia auf einem Felsvor­sprung. Unmerklich geht das matte Blau des Meeres in der Ferne in den hellen mittelmeerischen Dunst über. Es scheint, als stünden die rot bis ockerfarbenen Häuser vor dem Nichts. Am späten Nachmittag erreichen wir die ruhi­gere Ortschaft unter den Cinque Terre. Ob es an den 365 Stufen liegt, die vom Bahnhof der ligurischen Metro hier rauf führen, dass das Nest weniger überlaufen ist? Der Ausguck in hundert Metern Höhe bietet einen herrlichen Blick zurück zur Punta Mesco. In einer Pension findet sich sogar noch eine Bleibe. Das „Risotto alla Cecio“ im Steintopf mit Meeresfrüchten und Kräutern haben wir uns verdient. Außerdem engagieren wir uns heute abend mal gründlich für den hiesigen Weinbau. Die Mondlaterne hängt still über dem nachtblauen ligurischen Meer und irrlichtert silbrig über’s Wasser. Was wollen wir mehr – außer noch einen Tropfen vielleicht, den für Kardinäle und reifere Da­men.

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Michael Schmidt baut sein Traumboot

Nach dreijähriger Auszeit macht Hanse Yachts Gründer Michael Schmidt mit einem ungewöhnlichen 80 Füßer von sich reden. Der Prototyp der Brenta 80 mit italienischen Genen wird gerade in einem neuen Betrieb in Greifswald fertig. Eigentlich wollte Michael Schmidt seit dem Verkauf der Hanse Werft mal aufhören mit arbeiten. Hat er auch. Er segelte im Mittelmeer und Schwarzen Meer, querte den Atlantik und kreuzte in der Karibik. Jetzt ist das Powerhouse der deutschen Yachtbranche wieder da. Erholt treibt Schmidt sein neues Konzept mit bekanntem Drehmoment voran. Schmidt kennt praktisch alle Facetten seines Fachs: Von Jollen über die damals wegweisenden kanadischen Cuthbertson & Cassian (C&C) Serienboote, den Bau innovativer Admirals Cupper in den achtziger Jahren bis hin zur Gründung der Hanse Werft 1990 in Greifswald. 1982 wurde in Wedel der Ofen zum Backen von Cuppern wie „Düsselboot“, „Diva“, „Outsider“, „Pinta“ und „Rubin“ warm gemacht. 1985 wurde die Hochseesegel-WM exklusiv mit Schmidts Werftbauten gewonnen. „Ich habe dann nach Hanse die Marken Fjord, Moody, Dehler und die Varianta frisch vom Stapel gelassen. Jetzt baue ich einfach mal ein schönes Boot ohne Zugeständnisse an den Mainstream für mich, einfach und funktional“ erklärt Schmidt. „Deshalb hat es italienische Gene und ist Made in Germany. Mailand ist das Zentrum der Mode, des Stils. Ich wollte schon immer mit dem mailändischen Designer Brenta arbeiten.“ Gemeinsam mit seinem Kollegen Lorenzo Argento modernisierte Luca Brenta in den Neunziger Jahren den Cruiser Racer. Sie erfanden mit der 25 und 32 m „Wallygator“ die vielbeachteten Wallys. Auch ihre Daysailer vom Typ B-Yachts wurden Trendsetter. Mit „Ghost“ und „Chrisco“ brachten die Mailänder ihre Ästhetik auf den Punkt. Der gebürtige Engländer Chipperfield richtet die Flagshipstores von Valentino ein, ist als Architekt des America‘s Cup Gebäudes von Valencia, des Folkwang Museum in Essen oder der Museumsinsel in Berlin bekannt. Auszug aus Pressemittelung für Michael Schmidt Yachtbau (heute Y-Yachts) 2015

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Elegante 68 Fuß Slup

Der schwedische Konstrukteur Håkan Södergren entwickelte im Auftrag eines Berliner Seglers einen hinreißend eleganten 21 m Renner. Moderne Großserienboote bringen im heute üblichen zehn Meter Format sechs Kojen, Pantry und einen WC Raum unter. Diesen Komfort wird die doppelt so lange Swede 68 auf 20,60 m und einer Breite von 3,81 auch bieten. Swede 68 wurde für Segler entwickelt, denen Eleganz, Nähe zum Wasser und exquisiter Segelgenuss viel bedeuten. Wo ein sensibles Steuergefühl am Rad, hervorragende Segeleigenschaften und schiere Geschwindigkeit erwartet werden. Konstrukteur Håkan Södergren ließ den Rumpf mit einem ansehnlichen Löffelbug beginnen, der in ein modern U-spantig flaches Unterwasserschiff übergeht. Die Anhängsel des L-förmigen Kiels und das säbelförmige Ruderblatt bieten mit vorteilhaft tiefer Ballastanordnung und strömungsgünstigen Profilen allerhand aufrichtendes Moment und Auftrieb. 206 Quadratmeter am Wind Besegelung verteilt auf eine leicht überlappende 78 qm Fock und ein 128 qm Großsegel dürften die elegante Slup ausgezeichnet segeln lassen. Der 55 PS Volvo Vierzylinder wird mit günstigem Schwerpunkt und ringsum bestens zugänglich hinter dem Niedergang eingebaut. Unter Deck ist eine großzügige L-förmige Pantry backbord beim Niedergang, eine klassische Naviecke gegenüber, ein Salon mit U-förmigen Sofa und ein separater Eignerbereich im Vorschiff vorgesehen. Er besteht aus einem 1,80 m langen Sanitärraum und einer Kajüte. Dieses Refugium befindet sich acht Meter vor der Gästekajüte achtern. Steuerbord davor ist am bewährten Ort für die Lotsenkoje eine weitere Gäste- oder Crewkabine mit Etagenbetten vorgesehen. Swede 68 soll als Sandwichbau aus einem 25 bis 30 mm dicken Schaumkern entstehen. Die Schaumdichte wird lastabhängig zwischen 75 und 200 Kilo pro Kubikmeter variieren. Auszug aus Pressemitteilung für Classic Swede Yachts

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God bless America

An einem kühlen Maimorgen ist das Boot wieder in seinem Element. Der Blick schweift durch das elfenbein- und türkisfarben gepolsterte Cockpit. Er verweilt an der silbernen Kulisse der Hebel für Standgas, Reisetempo und volle Fahrt. Die beiden Speichen des vom Chrysler 300 der fünfziger Jahre inspirierten Steuerrads schimmern in der sich langsam durchsetzenden Morgensonne. Wie die Licht- und Blinkerhebel beim Wagen ragen dem Fahrer die elfenbeinfarbenen Knäufe der Getriebehebel für die beiden Motoren unter dem Lenkrad entgegen. Die Zeiger der großen schwarzen VDO Tourenzähler ruhen. Der Blick wandert an Deck, folgt den hellen Kotostreifen die Windschutzscheibe hindurch über das raffiniert wie eine Kühlerhaube gewölbte und zum Bug abgesenkte Vorschiff. Er schweift weiter nach vorn, auf die voraus offen daliegende Wasserfläche. Ein beglückender Moment nach über einem Jahr unzähliger Sondierungen, Abwägungen, Entscheidungen, Verabredungen, Aufträge, Gespräche, Termine, von Vor- und Rückschlägen, dem ganzen Stop and Go eines solchen Projekts und auch mancher, der gediegenen Arbeit angemessenen Rechnung. Sollte es die vergangenen Monate angesichts des Aufwands, mancher Hiobsbotschaft und Hürde je Zweifel an der Wiederherstellung der „Hermes“ gegeben haben: Sie verdampfen wie der Dunst einer kühlen Frühlingsnacht im Sonnenlicht über dem Scharmützelsee. Die beiden Zündschlüssel stecken in ihren Schlössern neben dem Steuer. Die Hand dreht erst den linken, dann den rechten. Brummend nehmen die Ventilatoren im Motorraum ihre Arbeit auf. Beinahe vergessen ist der Griff an die Knäufe der Gashebel vor der silbernen Kulisse an der backbord Seite der Plicht. Mit zwei energischen Schüben vorwärts bekommen die Motoren ihre Extra Ration Sprit. Der Daumen auf der linken Taste lässt die Stille des Morgens in einer zähen, metallisch bis heiser klingenden Bemühung des Anlassers verebben. Auszug aus Buch Riva Tritone 258. Foto des Armaturenbretts von Nicole Werner.