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Der Zöllner von Malta

Misstrauisch blättert der Beamte in Schiffspapieren und Pässen, fragt nach woher und wohin. Auf Malta, der kleinen Inselrepublik zwischen Libyen und Sizilien, ist er bei drei Männern mittleren Alters als Besatzung eines Segelbootes skeptisch. Er blättert, durchforstet die Pässe, grübelt. Nach einigen Tagen auf See bei abschließend deftigen Bedingungen warten wir auf die Stempel, wollen duschen, Schlaf nachholen und mal wieder was Gescheiteres als selbst gemurkstes essen. Wir würden gern Valletta angucken, vom melancholischen Charme der Inselrepublik kosten, die melodiöse Sprache hören, den Malteserinnen beim Shoppen, Kaffee trinken und SMS verschicken zugucken. Na, was Seebären mittleren Alters halt beim Landgang so machen. Dann meint der Zöllner, die Reihenfolge erinnere ich nicht mehr genau, „no woman, no alcohol, no drugs“ und schüttelt den Kopf. „Warum machen Sie es?“ Na, ein Beamter mit Humor. Einer, der im Pass blätternd das übliche „Hamburg, Reeperbahn, haha“ auslässt und mich nicht in ein Gespräch über Fußball verwickeln möchte. „Wissen Sie, es ist ziemlich schön da draußen.“ Ah, und was? „Es kann so ruhig sein auf dem Meer. Man macht Frieden mit sich. Ich verzeihe den Blöden, lächele über die Fiesen und wissen Sie, was das Beste ist?“ Der Zöllner guckt skeptisch. Er weiß es nicht. “Wenn Sie nachts Wache und für Stunden einen phantastischen Sternenhimmel über sich haben.“ Er runzelt die Stirn. Dafür brauche man doch kein „expensive boat.“ Wenn er den Himmel sehen wolle, gehe er vor die Tür und gucke nach oben. „Da haben Sie Recht. Leider ist in Deutschland ringsum immer irgendwo das Licht an.“ Dann möchte ich vom Zöllner wissen, wann er zuletzt hier auf Malta abends einfach mal vor die Tür gegangen ist über sich geguckt hat. Er weiß es nicht. Nach einigen Tagen ist es Zeit zur Weiterreise, Zeit für die grenzenlose Bläue und Weite des Meeres. Wir sind ausgeschlafen. Die Duschen waren erfrischend, das Sandsteingemäuer Vallettas ist schön, das Leben aber nicht so städtisch wie es schien, manche Einheimische auf halber Strecke zwischen dem fremden Sizilien und dem noch fremderen Beduinenkontinent war apart anzuschauen. Allerdings war das „food“ erschütternd englisch. Höchste Zeit für Sizilien, wo es frisches Obst und Gemüse aus eigenem Anbau geben soll. Wir lösen die Leinen. Der Rußrotzer spuckt das Kühlwasser in Schüben aus dem Auspuff. Der Draht zum Segel setzen klatscht an den Mast. „Na, Sternengucker, geht’s weiter?“ Der Zöllner komplettiert das Formular im Umfang einer Steuererklärung und stempelt „bomm, bomm“ sämtliche Exemplare ab. Dann wünscht er dem „crazy germaniz“ Kopf schüttelnd eine „safe voyage“. Natürlich hätte ich ihm erzählen können, wie es ist, vor der Hafenmole den Motor abzustellen, mit surrenden Winschen die Segel himmelwärts zu zerren. Ich hätte erklärt, wie sich das Gefährt mit zunehmendem Winddruck in den Tüchern leicht auf die Seite legt und Fahrt aufnimmt, wie das anfängliche Plätschern am Rumpf zum Rauschen und Zischen wird. Wie ich durchatme, wenn der Propeller schnurrend für Stunden oder Tage im Leerlauf mitdreht. Wie Unruhe und Ängste des Landlebens zurück bleiben. Warum das Kinderspiel am Rad zwischen Luv und Lee, Höhe am Wind und Geschwindigkeit so unterhaltsam ist. Wie genüsslich ein Segelboot den Einklang zwischen Wind und Wasser herstellt. Ich hätte ihm erklären können, dass wir keine harten oder verbotenen Sachen dabei haben, weil das Meer als Droge schon langt. Er hat ja bloß allgemein und nicht weiter nachgefragt. Vielleicht wusste er schon, dass er mit meinen Antworten nichts anfangen kann. Dass er sie nicht braucht. Das hat, wie anderes im Leben auch, seine Gründe. Man kann wichtige Dinge eh nur guten Freunden erklären. Aber ab und zu, wenn ich nachts mal wieder zölibatär, ohne Rausch- und Genussmittel unter einem Himmel ohne gemischte Bewölkung unterwegs bin, erinnere ich den freundlichen Zöllner von Malta.

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Der Wahnsinnswind

Tiefblauer Himmel, kristallklare Luft, gnadenloser Sturm. Mistral herrscht in der Provence. Die Tiere verdrücken sich, Menschen werden kirre und so mancher Fensterladen fliegt davon. Nach drei, sechs oder neun Tagen ist der Spuk aber vorbei. Zum Abschluß einer Seereise ankern wir draußen vor dem Vieux Port. Sanft vom stetigen Westwind bewegt murmelt der Golf von Saint-Tropez um den Bug des Bootes. Die Sonne verabschiedet sich mit einem farbenfrohen Spektakel hinter der gezackten Kette der Seealpen. Leuchtend lugt die ockerfarbene Kuppel der Église Paroissiale über die bunten Schindeln des Lebenskünstlerdorfs. Nachts wölbt sich der Himmel phänomenal über den letzten Wolken ausgefranster Zirren. Höchste Zeit, einen geschützten Platz im sicheren Hafen zu finden. Entsprechend hart werden die Verhandlungen mit dem Capitaine du Port geführt. Wie vor einer Katastrophe ist sich jeder selbst am nächsten. Der hier anzutreffende prototypische Pariser Rechtsanwalt ganz besonders. Keinesfalls werden wir das Boot wie verlangt quer zum Wind an der Hafeneinfahrt vertäuen. Wir entdecken einen Unterschlupf zwischen großen Motoryachten, bringen dicke Festmacherleinen in die erwartete Windrichtung aus. Dann kommt er, der Boß der mittelmeerischen Stürme. Mit brachialer Wucht fegt er von Port Grimaud heran. Eine furchtbare, anhaltende Böenwalze. Der idyllische Ankerplatz der vergangenen Nacht, der Logenplatz vor Saint Tropez ist eine schäumende Wasserwüste. Der Mistral läßt die Masten im Hafen dröhnen. Zwar sind wir im Hafen sicher, haben aber dennoch Angst. Angst vor der Urgewalt dieses entsetzlichen Sturms. An jeder Küste wachsen die Bäume vom Meer abgewandt. Weil der Wind von dort kommt. Jetzt verstehen wir, warum sich im Süden Frankreichs das Gehölz dem Meer entgegen beugt. Es verneigt, duckt sich vor dem Wind, den die Einheimischen „Maestrale“ nennen. Das bedeutet Herrscher oder Meister. Der Boss der Winde dominiert nicht allein Vegetation und Leben in der Provence, auch in Korsika und Sardinien, sogar weit in die Meerenge zwischen Sizilien und Afrika hinein. Majjistral nennen ihn die Malteser. Wenn er weht, heiß es abwarten, ihn ertragen. Der ungebetene Gast macht mürbe, nimmt Kraft und Konzentration Die Bauern der Provence errichteten ihre Häuser deshalb mit der fensterlos schmalen Stirnseite windschlüpfrig. Den besonders starken Mistral nennen sie Aurasso, den kalten Cisampo. Mit dem ärgsten aller mediterranen Winde ist nicht zu spaßen. Er ist wie ein ungebetener Gast plötzlich da. Er bleibt, schlimmer noch, lange. Einer Bauernregel zufolge weht er drei, sechs oder neun Tage. Er bläst mit unverminderter Kraft bei einem wolkenlos tiefblauen Himmel und ausgezeichneter Sicht. Nachts funkeln die Sterne mit dramatischer Prägnanz, wo sonst Dunst und Diesigkeit alles dämmen und dimmen. Der ungebetene Gast macht mürbe, nimmt Kraft und Konzentration. Der Mistral kündigt sich mit einem Gefühl von Niedergeschlagenheit an. Ist er dann da, beschert er wetterfühligen Zeitgenossen Kopfschmerz und erhöhte Reizbarkeit. Die neapoleonische Justiz gestand einem Mörder mildernde Umstände zu, wenn der Mistral drei Tage vor der Tat geweht hatte. Das ersparte ihm die Todesstrafe. Wer je eine vom Boss der Winde durchgepustete Ortschaft der Provence mit klappernden Fensterläden erkundete, die Tristesse der leer gefegten Gassen und das Dröhnen des Windes ertrug, versteht das. Die Einheimischen nennen ihn auch vent du fada, den verrückt machenden Wind. Hundert Tage im Jahr weht er, im Winter und Frühjahr am heftigsten. Natürlich hat er auch seine guten Seiten. Es gibt Herbstwochen, wo die Winzer ihn angesichts einer nassen Weinlese sehnsüchtig erwarten. Wie ein mächtiger Föhn trocknet der Mistral dann Tau und Regentropfen, verhindert Fäulnis und pustet Schädlinge weg. So hat der Mistral schon manchen Weinjahrgang gerettet. Und im Sommer bringt er willkommene Abkühlung. Wie der italienische Tramontana oder die adriatische Bora zählt er zu den katabatischen, aus großer Höhe, fallenden Winden. Das senkt die Temperatur im Sommer angenehm um zehn Grad. Er lüftet die Provence, weht den Dreck des industrialisierten und dicht besiedelten Rhonetals fort. Leider entfacht er manches Feuer des hochsommerlich ausgedörrten Landes zu Waldbränden und treibt gefürchtete Feuerwalzen vor sich her. Für Friedrich Nietzsche war der Mistral Freund und Weggefährte des anarchisch-wahren Lebens. „Brausender, wie lieb ich Dich. Sind wir zwei nicht eines Schoßes Erstlingsgabe?“ begeisterte er sich im Lied „An den Mistral“ für den ungestümen Gesellen. Auszug Merian Heft Provence April 2006

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Die Zwei von der Peute

An der Norderelbe zwischen den Elbbrücken der A255 und A1 liegt die Peute, ein Industriegebiet im Hamburger Stadtteil Veddel. Entlang der schnurgeraden Peutestraße parken die Lastwagen in Kolonne, daneben liegt manche Fläche brach. Das denkmalgeschützte Backsteingebäude der Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine von 1920 erinnert an die lebendige Vergangenheit der Peute. Hier gab es mal eine Druckerei, eine Kaffeerösterei und eine Waschmittel-Fabrik. Zwei Bootsbauer machen was aus dem brachliegenden Peuter Elbdeich 1 Wer in den Peuter Elbdeich abbiegt, die Bucht mit dem Liegeplatz für Hafenschuten umfährt und der Straße bis ans Ende folgt, entdeckt auf der Halbinsel zwischen dem Peutehafen und der Norderelbe einen Wendehammer-artigen Platz zwischen hohen Pappeln, die Peute 1. Hier haben der Hamburger Bootsbauer Jürgen Renken und sein Kollege Alexander Mühle in einjähriger Arbeit das Grundstück planiert und aus geschickt gestapelten Containern ihre eigene Werft und weitere Bootslagerhallen errichtet. Es ist der Auftakt zur Ansiedlung mehrerer auf den Wassersport spezialisierter Betriebe. Zwei Mieter gibt es schon. Weitere sollen folgen. Ein Bootspolsterer oder -persenningmacher könnten sich hier niederlassen, eine Schlosserei oder ein auf maritimes Zubehör spezialisierter Händler. Renken restauriert seit 1999 edle Riva-Motorboote, zuvor in Hamburg-Bahrenfeld. Mit sorgfältigem Handwerk und weithin geschätzten Bootssanierungen hat er sich gemeinsam mit seinem jungen Kollegen Alexander Mühle über Deutschland hinaus einen Namen gemacht. Es gibt sogar ein Buch über ihre Arbeit. Der sehens- und lesenwerte Bildband heißt „Riva Tritone 258“. Die letzten Monate haben sie aus zweistöckig gestapelten, innen aufgeschnittenen 40-Fuß Containern ein U-förmiges Gebäude errichtet, es überdacht und mit einer transparenten Front versehen, durch dessen Tor die Riva-Boote in die Halle gelangen. Ein Gabelstapler und Hebezüge in der Halle übernehmen die Handhabung 5 t schwerer Lasten. Die Halle besteht aus innen aufgeschnittenen Containern, die den Raum galerie- oder logenartig umschließen. Der Raum ist 11 m breit, 12 m tief und 7 m hoch. Hier steht eine in langjähriger Arbeit nebenbei restaurierte Ariston. Die Kostbarkeit Baujahr 1965 kam aus Japan nach Hamburg und ist mittlerweile fast fertig. Mehr als 3 Tausend Stunden stecken darin. Derzeit wird ein seltenes Exemplar einer Super Tritone überholt. Die beiden Riva-Spezialisten haben auch eine Aquarama Spezial von 1977 in Pflege. Bei diesem Boot sind der Boden und die Motoren zu sanieren. Die benachbarten Räumlichkeiten des ersten Mieters bestehen aus zwei aufgeschnittenen und geschickt zu einem Bootslager zusammengefügten Containern. Ein weiterer, 2,75 m hoher High Cube Container beherbergt ein kostbares Dreimann Segelboot vom Typ Drachen aus Holz. Der zwischen hohen Pappeln und Birken gelegene Platz bietet Blick über die Norderelbe nach Rothenburgsort und auch eine Rampe zum Slippen der Boote. Hier läßt es sich im Sommer im Grünen am Wasser wunderbar zur Mittagspause oder auf ein Feierabendbier mit Blick auf die elegante Stahlbogen-Elbbrücke der A255 aushalten. Das zwei Tausend Quadratmeter große Areal kann auf sechs Tausend qm erweitert werden. Es gibt eine Einwasserungsmöglichkeit in die Norderelbe mit sechs Metern Tiefgang bei Hochwasser und etwa 4 m bei Niedrigwasser. „Es war schon immer mein Traum auf einem wassernahen Grundstück Boote zu restaurieren“, sagt Renken. „Außerdem war es nach den vielen Jahren in Bahrenfeld Zeit für ein eigenes Projekt. Wer die Geschichte Hamburgs mit den vielen Bootsbaubetrieben und Werften rings um den Hafen kennt, weiß: es ist es Zeit, mal wieder etwas an der Elbe aufzubauen“ so Renken. „Man muß das aber zeitgemäß machen, also so modular, wie übliche 20 oder 40 Fuß Container sind. Der besonders resistente, nicht durchrostende Corteen Stahl, die einbruchssichere Verriegelung und nicht zuletzt die Möglichkeit, sie für die kalte Jahreszeit zu isolieren, machen sie zum idealen Baustein“, erklärt Renken, der „die gestalterische Vielseitigkeit des Containers als preiswertem Bauelement mag. Man kann die Module jederzeit an den Platzbedarf anpassen, sie mit vertretbarem Aufwand umbauen, erweitern, aufschneiden, abbauen und woanders wieder aufstellen.“ Das und die Kosten gebrauchter Container machen sie ideal für den Aufbau des neuen Standorts für das maritime Gewerbe. „Wir bauen jedem Mieter die Räumlichkeiten, die er braucht“ so Renken. „Wenn der Laden läuft vergrößern, verlängern, verbreitern wir oder setzen dem Mieter eine Etage drauf. Oder wir verkleinern wieder.“ Ein üblicher 40 Fuß Container ist 12,20 m lang, 2,45 m breit und 2,60 m hoch. Ein sogeannter High Cube bietet innen 2,75 m. Die Breite ergibt sich aus den 2,45 Metern der Container, wobei mehrere nebeneinander errichtet werden oder, wie bei der Halle der Riva-Restauratoren, eine U-förmige Gestaltung mit quer stehenden 20 oder 40 Fuß Containern möglich sind. Mit gewissen statischen Rücksichten können die Seitenwände komplett herausgenommen werden. Bereits die zweigeschossige Stapelung ergibt einen stabilen Verbund geöffneter Container. Renken und sein Kollege Mühle errichten dem Mieter innerhalb von 6 – 8 Wochen eine eingeschossige Halle. Hinzu kommt ein etwa zweimonatiger Vorlauf für die Planung und den Bauantrag. Die sanitären Einrichtungen wurden im Steuerhaus eines ehemaligen Binnenschiffes von 1920 untergebracht. Das haben die Bootsbauer selbst liebevoll restauriert. Auch die Autobahn- und Zentrumsnahe Lage mit fünfminütiger Verkehrsanbindung zur ganze 2 ½ km entfernten Abfahrt Veddel der A 225 ist interessant. Zum Hamburger Haupbahnhof sind es nur 6 Kilometer oder 12 Minuten. Der Container wurde bereits in den Dreißiger Jahre von einem Amerikaner erfunden. 1956 stach dann das erste Containerschiff in See. Seitdem ist der universale Behälter im weltweiten Güterverkehr von der Schiene, Straße oder See nicht wegzudenken. Mai 2016

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25. Januar

Heute versammeln sich Schotten in aller Welt, um ihr geheimnisumwittertes Nationalgericht zu verzehren. Eine kulinarische Aufklärung von Erdmann Braschos Täglich stellen Gewissens-, Glaubens- und Geschmacksfragen erhebliche Anforderungen an den modernen Menschen. Permanent soll er zu allem Möglichen eine Meinung haben. Wenn’s geht, eine eigene. Auch die Speise, um die es hier geht, polarisiert bereits bei erstmaligem Genuss. Einige Probanden behaupten unbeirrt, sie ließe sich goutieren, andere bestreiten ebendieses entschieden. Schwerlich wird der Schotte freiwillig, also zwanglos nüchtern, Auskunft über Herkunft, Konsistenz, geschweige denn Zubereitung des Haggis geben. Zum Glück gibt es noch Redaktionen, die Ergebnisse bollerharter Recherchen liefern. Was entdecken wir im Inneren eines Haggis, selbstredend pikant gewürzt? Innereien des Lamms, zusammen mit Hafermehl und Zwiebeln in einem Schafsmagen gekocht. „Various“ lautet die beunruhigend stereotype Erklärung zur Konsistenz seitens weiß bemützter Haggis-Spezialisten. Dazu werden tatties (gestampfte Kartoffeln) gereicht und neeps, weiße Rüben. Die Angelegenheit kommt unbedingt am 25. Januar, dem Geburtstag des schottischen Nationaldichters Robert Burns (1759 bis 1796) auf den Tisch. Im Verlauf eines Abendessens beschloss dieser Burns nämlich das Mahl zum Gegenstand seiner „Adress to a Haggis“, 1786 im Caledonian Mercury veröffentlicht, zu machen. Er widmet dem great chieftain o‘ the puddin race, dem Großmeister aller Wurstarten, volle acht Strophen. So versammelt sich am 25. Januar überall auf dem Erdenrund wer ein echter Schotte ist mit seinesgleichen. Der Eingeborene kleidet sich angemessen ethnisch, lässt auftischen und isst die Sache in der Regel samt tatties und neeps. Er trinkt. Er greift zum Dudelsack. Er singt. Der Abend wird besser. Übrigens ist in den freiheitsliebenden Vereinigten Staaten von Amerika, wo viele ungesunde Sachen wie beispielsweise der alltägliche Umgang mit Waffen erlaubt sind, die Zubereitung von Haggis nach schottischem Rezept unter Verwendung sämtlicher tradierter Innereien verboten. Bekanntlich nutzt der Brite seine Küche mit unbestrittenem Erfolg gegen das Verschlingen seiner Heimat durch den kontinentalen, sich europäisch gerierenden Okkupationswillen. Seine imperial measurements, seine Vorliebe, alles, was fährt und geht, in Gegenrichtung über die Straße zu schicken, diese Eigen- und Unarten ließen sich im europäischen Haus irgendwie mit einer geeigneten Kommission nivellieren, doch die nutrition? Das Satiremagazin Punch hat den Sachverhalt einmal so zusammengefasst: „Die Schotten machen Haggis aus Innereien, die alle Nationen außer den Barbaren wegwerfen“. Mancher Eingeborene behauptet daher in irreführender Absicht, es handele sich um ein seltenes, allenfalls von einem instinktsicheren Waidmann in Begleitung seines erfahrenen Rauhaardackels nur in den nebligsten der schottischen Highlands, selbstredend bloß zur allergünstigsten Stunde, ausfindig zu machendes Geschöpf – also die angelsächsische Variante des bayerischen Wolpertingers. Das World Wide Web bietet knapp 35.000 Referenzen zum Stichwort. Dort findet sich neben der Abbildung eines Haggis in freier Wildbahn folgende Beschreibung: „Dieser kleine Kerl ließe sich als gewöhnlicher Haggis beschreiben, obwohl man ihn selten zu Gesicht bekommt. Wie am vergleichsweise kleinen Kopf zu sehen, handelt es sich beim abgebildeten Exemplar um ein männliches Tier.“ Diese Zeilen kann nur eine Schottin verfasst haben. Richtig zubereitet und in einem Darm verschnürt, bietet Haggis interessante ballistische Eigenschaften. Am 24. Mai 1984 erschmiss sich Alan Pettigrew in Inchmurrin, Argyll, mit 180 Fuß und elf Zoll einen Vermerk im Guiness Buch. Wie jedes Brauchtum ist auch das Haggis-Werfen regional tief verwurzelt: Als die weibliche Bevölkerung des Dorfes Auchnaclory in Sutherland einst gucken wollte, ob ihre in freier Wildbahn beschäftigten Männer tatsächlich arbeiten, unternahmen sie die Observation unter dem Vorwand, ihnen das Mittagessen zu bringen. Wie manchmal im Leben trennte ein Hindernis die Geschlechter, ein Fluss. Doch hatten die Frauen die Mahlzeit in Schafs- oder Ziegenmägen eingenäht, einem biologisch gewonnenen Vorläufer der modernen Einkaufstasche. Sie warfen das 24 Unzen Gebinde über den Dromach. Schottische Quellen weisen darauf hin, dass etwa anderthalb pounds zur Versorgung eines Highlanders mit einem „substantial meal“ erforderlich seien. Aus den 0,68 Kilogramm Haggis ergibt sich, dass die Frauen außer Übung beim Wurf eine gewisse Standfestigkeit aufboten, das meal also auch selbst gegessen haben müssen. Das beweist ein bemerkenswertes Maß ehelicher Integrität: Bekanntlich ist es nicht in jeder Völkergemeinschaft üblich, dass die Frau die gleiche Speise verzehrt, die sie dem Gatten zubereitet hat. Manche moderne Frau geht heutzutage unter dem Vorwand, ihre beste Freundin zu treffen, bei ihrem Lieblingsitaliener um die Ecke gescheit essen.

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Barfuß im Regen

Die Bewohner von St. Kilda fühlten sich wie im Paradies. Sie lebten fernab der Zivilisation in einer idealen Gesellschaft. Dabei waren die Sturmzerzausten Inseln im Atlantik wahrlich kein Schlaraffenland. Mitten in Edinburgh, an der Ecke Charlotte Square und Young Street, im muffigen Tiefparterre des National Trust for Scotland, steht eine kleine, schwarze Blechbox des Earl of Dumfries. Zwei abgegriffene Exemplare der Heiligen Schrift auf Gälisch liegen darin, Briefe, Tagebücher und eine abgeschnittene Vogelkralle. Das ist alles, was von der Haushaltsauflösung einer ganzen Insel übrig geblieben ist. Viel mehr hatte der Earl of Dumfries, der letzte Eigentümer des Archipels, nicht in den Händen, als er die Inseln der schottischen Nationalstiftung vermachte. Die meisten Bewohner sind tot. Gestorben im Exil, in das sie 1930 gehen mussten. Doch der Mythos von St. Kilda lebt weiter. Dass die Inselgruppe draußen im Atlantik, 110 Meilen vom Festland entfernt, überhaupt Heimstatt für Menschen sein kann, wollte lange Zeit niemand so recht glauben. Waren doch schon die schottischen Highlands ein nasskaltes Armenhaus, die Lebensbedingungen im feuchten, vom Wind zerzausten Norden, hart. An der Nordwestküste der Britischen Insel zerfranste die zivilisierte Welt, kapitulierte sie vor der Natur. Dort begann das unberechenbare Meer, das Reich der Stürme. Ausgerechnet dort draußen, auf den Steinen am umtosten Horizont, auf den Inseln Hirta, Soay und Boreray, sollten Menschen leben? Schilderungen Schiffbrüchiger nährten die Vorstellung vom eigenartigen Leben auf dem Archipel. Ohne jedes Einkommen würden die Leute dort hausen. Auf der einzig bewohnten, der baumlosen Insel Hirta fänden sie ohne Boote, ohne Fischfang ihr Auskommen. Das Rad sei ihnen nicht bekannt. Leder und Glas hätten sie auch nicht. Sie würden weder lesen noch schreiben. Wie ließ sich dort satt werden? Und vor allem: Wie konnte es angehen, dass ausgerechnet dort ein Ort des Glücks sein sollte? Menschen, mit sich und der Welt vollkommen zufrieden? Von den bescheidenen Erträgen der Tierhaltung – es gab Schafe, ein paar Kühe und wenige Pferde – konnten die Insulaner nicht leben. Ackerbau war in der dünnen Humusschicht im Talkessel von Loch Hirta schwerlich möglich. Bootsbau war kaum entwickelt, es gab ja keine Bäume und kein Holz, und die wenigen importierten Kähne vergammelten schnell. Fischen war daher so gut wie unmöglich. Zum Glück kam das Hauptnahrungsmittel zu ihnen an Land geflogen: in Gestalt hunderttausender Seevögel. Die in luftigen Galerien und Felsnischen hockenden Vögel brauchten von den Bewohnern auf Hirta bloß eingesammelt zu werden. Die Männer erklommen die steilen Hänge des Talkessels der Village Bay und griffen sich die Vögel von dort, wo diese es nicht erwarteten: von oben über die Kliffkante. Die Insulaner fingen die Seevögel nicht nur. Sie lernten auch von ihnen. Als den Einheimischen Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Boote vom Festland zur Verfügung standen, mit denen man die Nachbarinseln zum Vogelfang besuchen konnte, war die Einschätzung des Wetters wichtig. Das Verhalten der Vögel kündigte den Kennern nahende Wetterwechsel an. Unterwegs vom Nebel überrascht, folgten sie eher den vertrauten Tieren als dem Kompass. Auszug Heft 31, April/Mai 2002

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Eine Scheibe abschneiden

Ein Außenseiter mischt das Geschäft mit dem Dartsport auf.Sein Motto: Das Bessere ist der Feind des Guten. Text: Erdmann Braschos Der ehemalige Bauunternehmer Charles Rechberger hat Ende des Jahres 2008 jede Menge Ärger. Er gehört zu den Geschädigten der Pleite des Baukonzerns Philipp Holzmann und ist auf einer Eine-Million-Euro-Forderung sitzengeblieben. Um auf andere Gedanken zu kommen, kauft sich der aus dem Allgäu stammende Wahl-Berliner eine handelsübliche Dartscheibe. Nach ein paar Würfen sieht er sie sich genauer an und wundert sich über die schlechte Qualität des Drucks und die Abgrenzung der Spielfelder mit grobem Draht. Das kann man besser machen, denkt sich der damals 48-Jährige. In ihm keimt die Idee für ein neues unternehmerisches Abenteuer. Rechberger ist ein geselliger Mensch, der „gern um die Häuser zieht“, sich beim Gespräch eine Zigarette nach der anderen ansteckt und stets für einen flotten Spruch zu haben ist. „In den Achtzigerjahren gab es in Kempten drei Leute mit Autotelefon. Den Chefarzt des örtlichen Krankenhauses, den Bürgermeister und Rechberger“, berichtet er aus seinem früheren Leben in Saus und Braus. Als er vor vier Jahren die Pfeile auf die Dartscheibe wirft, ist das längt Vergangenheit. Doch er resigniert nicht, sondern erkundet einen für ihn neuen Markt. Weltweit werden jährlich etwa 110 Millionen Dartscheiben verkauft. Das Geschäft ist fest in angelsächsischer Hand. Traditionsreiche britische Marken versorgen die Spieler seit je mit Scheiben und Pfeilen. Die Dartboards bestehen aus Sisalfasern, die mit einem speziellen Verfahren so gebündelt und zu Scheiben gepresst sind, dass die Pfeile darin stecken bleiben. Das funktioniert bei regelmäßigem Spiel etwa ein Dreivierteljahr, dann muss eine neue Scheibe her. Rechberger gelingt es nach einigen Mühen, besten mittelafrikanischen Sisal zu bekommen. Das Material gilt als besonders gut bedruckbar. „Es ist eine Frage des Breitengrads, der Sonne und Witterung. Brasilianischer Sisal beispielsweise eignet sich aufgrund der dunkleren Färbung der Faser und der Holzeinschlüsse weniger“, so seine Erkenntnisse aus dem Dartscheiben-Selbststudium. Das nächste Problem löst der Unternehmer mit einem auf die Verarbeitung von Naturfasern zu Dämmstoffen, Matten und Vliesen spezialisierten Kollegen. Nach einigen Experimenten verwandeln die beiden das Rohmaterial in borstenartig gebündelte und gepresste Ware. Sie konstruieren auch ein Werkzeug, das etwa 45 Sisalbündel mit bis zu zehn Tonnen Druck zu einer drei Zentimeter starken Scheibe mit 46 Zentimetern Durchmesser komprimiert. Und experimentieren mit Klebern und Trocknungstechniken, dem Schliff und weiteren Methoden zur Vorbereitung der Sisaloberfläche. Nach einem halben Jahr fährt Rechberger mit den Rohlingen zu einem befreundeten Drucker in seine alte Heimat ins Allgäu. Erste Versuche, das Material digital zu bedrucken, sind ernüchternd. Die Farben sind entweder zu hell oder zu dunkel, der Druck ist oft milchig. Aber das Duo gibt nicht auf. So oft es in der Druckerei tagsüber und nach Feierabend möglich ist, probieren sie es mit immer neuen Dartscheiben. Ihnen schweben gestochen scharfe, brillante Motive vor, damit die Scheiben sich zum Beispiel als Werbeträger gut vermarkten lassen. Nach sechs Wochen Experimentieren gelingt abends um halb elf der Durchbruch. Jetzt weiß Rechberger, wie man Sisal digital bedruckt. Und dass sich im Prinzip jedes Motiv auf das anspruchsvolle Naturprodukt bringen lässt. „Das“, sagt er stolz, „kann sonst keiner.“ Der Tüftler tauft seine neue Firma Pemizza GmbH und gewinnt einen Investor für den Aufbau des einige Hunderttausend Euro teuren Maschinenparks. Der besteht unter anderem aus der Druckmaschine und einer rechnergesteuerten CNC-Fräse. Damit können in wenigen Minuten acht Dartscheiben gleichzeitig und mit unterschiedlichen Motiven bedruckt werden. Die Spielfeldabgrenzungen aus hauchdünnem 0,5-mm-Blech integriert Rechberger in seine Scheiben. „Damit ist barrierefreies Darten möglich, und es bleibt mehr Platz für die Pfeile.“ Den Nachschub hat er sich schon mal gesichert Mit den Mitarbeitern des 15-köpfigen Betriebs hat er sich neue Spiele ausgedacht, die Schutzrechte geklärt und auch den Sisal-Nachschub gesichert. Nun fühlt sich der Newcomer gut gerüstet im Wettbewerb mit den Platzhirschen der Branche, die er nach eher unerfreulichen Erfahrungen als „internationale Sisal- und Dartscheibenmafia“ bezeichnet. Derzeit präsentiert er sein Produkt vor allem bei Brauereien und Fußballvereinen. „Jeder, dem ich die Scheibe zeige, staunt, grinst, hängt sie auf und fängt an zu spielen“, sagt Rechberger, der meint: „Ich hab’ den Mercedes unter den Dartscheiben.“ Der hat allerdings auch seinen Preis: Ein Board made in Germany mit drei Plastikpfeilen kostet mindestens 59 Euro. Rechberger steckt sich noch eine an und nimmt einen tiefen Zug. Die Zeiten, in denen er um die Häuser zog, sind vorbei. Er steht jetzt früh auf, geht früh schlafen und denkt nur noch an das eine: seine Scheiben. Heft 11/2012 Thema zweite Chance

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Der Tiefstapler

Im Bootsbau geht es zu wie in der Politik. Alles schielt mit unterschiedlichem Erfolg zur Mitte. Dank großer Stückzahlen bietet der umsatzstarke Massenmarkt dem Kunden viel Schiff zum interessanten Preis. Clever ködern die Großserienwerften mit variantenreichem Kajütausbau, einem betont modernen Ambiente und neuerdings markantem Falz in Aufbauten und Heckpartie. In die Rümpfe eingelassene Panoramafenster oder pfiffig eingebaute Kaffeeautomaten überzeugen selbst die bei der Anschaffung kostspieligen Segelspielzeugs generell zurückhaltende Ehefrau. Es ist eine mörderische Konkurrenz um Marktanteile, die da alljährlich auf den Bootsmessen mit immer neuen Gadgets ausgefochten wird. Vor einigen Jahren noch gehörten Badeplattformen und Flügelkiele zum Novitätenfeuerwerk. Denn mit etwas America’s Cup Appeal verkaufen sich auch gemütliche Familienkutschen und Segelurlaubsboote Welten besser. Mit diesem speziellen Kiel, er hat ähnlich wie der Flügel eines Flugzeugs kleine Winglets am Ende, beschäftigt sich Christof Wilke mitten im Berner Oberland am Thuner See auch. Allerdings aus anderen Gründen. Zudem schiebt sein elf Mannbetrieb jährlich gerade mal zwei bis vier, statt mehrere hundert neue Boote aus der Halle. Leissigen ist eine Ortschaft mit vielen Chalets, zwei Gasthäusern, einem Supermarkt und einem Cafe am Südufer der Thuner See. Rund sechshundert Meter über dem Meer fährt man auf der Schnellstraße flott in die alpine Enge der Zentralschweiz. Die Eiger Nordwand, Jungfrau und Mönch befinden sich um die Ecke. Ab und zu rauscht die Bahn auf der Strecke Spiez – Interlaken den See entlang. Wer einen mit mancher Finesse ausgefuchsten Neubau in der kompetitiven Dreimannkielboot-Konstruktionsklasse der 5.5er für sein Seglerglück braucht, ein Starboot, eine Finn-Jolle oder einfach nur einen auf das persönliche Gewicht, eigene Kondition und Segelstil maßgeschneiderten Jollenmast aus Karbon, der schaut früher oder später mal in Leissigen bei „Ch. Wilke Swiss Marine Composites“ rein. Im Neonlicht der Halle, die auch eine Bauschreinerei beherbergen könnte, steht ein glänzend lackierter „Fünfeinhalber“ Neubau neben einem Starboot, über das drei schweizerdeutsch redende Eidgenossen gebeugt sind. Nach einer Weile löst sich ein dunkelhaariger, sportlich schlanker Endvierziger im Sweatshirt aus der Gruppe. Wilke ist einer aus der Abteilung ernst und still, dabei von jener schweizerischen Freundlichkeit, die sich als schwer zu knackende Firewall erweist. Es braucht die gefühlte Ewigkeit etwa einer Stunde, bis sich das zähe Frage- und Antwortspiel zu einer Art Gespräch verflüssigt. Wilke erinnert an den prototypischen Radio- und Fernsehtechniker, der lieber über eine kniffelige Schaltung grübelt, als die kostbare Zeit mit Geplänkel und banalen Auskünften über sein Metier zu vertrödeln. Erst im technischen Detail wird Wilke mitteilsam. Sachlich informiert er aus einer exotisch anmutenden Welt abgefahrener Kleinstserien-Präzision. In dieser Wilke-Welt wird mittlerweile mit aufwändigen Kohlefaser- und Aluminiumformen die strömungstechnisch und seitens der Bauvorschriften geforderte Maßhaltigkeit bis zum Bereich der thermischen Verformung ausgereizt. Als der studierte Schiffbauingenieur und gelernte Bootsbauer Ende der 80er Jahre für einen Segelfreund und sich zwei 9 ½ Meter lange Boote aus Karbonfaser und arg adhäsivem Elefantenkleber (Epoxid) über einem Schaumkern zu einem gleichermaßen leichten wie ansehnlich sauber verarbeiteten Binnenrenner bauen möchte, hat Wilke Mühe, das damals in der Schweiz als militärisch relevant eingestufte Karbon überhaupt für seine eindeutig zivilen Zwecke zu bekommen. Auszug aus Süddeutsche Zeitung, Mobiles Leben, 6. Juni 2011

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Der Wald, die Reben und das Meer

Die Sonne glitzert auf dem trägen Gewoge des ligurischen Meeres. Kaum von einer thermischen Brise geschuppt, hält es noch seinen Mittagsschlaf. Links der Gleise eine Ortschaft, rechts etwas Strand. Durchgeschüttelt von einigen Stunden Bahnfahrt verlassen wir den Waggon. Monterosso al Mare. Am Meer, wo sonst könnten wir mit dem Mensch sein beginnen? Verreisen ist Wahnsinn. Nur daheimbleiben wäre schlimmer. Ab und zu muß der Mensch mal richtig weit weg. Städte, das hügelige Zwiebelturmland und Flüsse queren, in nachtschwarzen Tunneln und dämmrigen Galerien durch Alpen und Apenninen rasen und im nördlichsten Ort der legendär hübschen Cinque Terre, der fünf entlegenen Dörfer Liguriens aussteigen. Ein Gebirgsbach, der durch den Sand rinnt. Fischerkähne, die Sonne. Akazien, Mimosen, Pinien, eine Palme – prima. Betagtes Gemäuer, eine katholische Kirche. Monterosso al Mare. Gibt es einen geeigneteren Ort, den Mumpitz eines Alltags, den wir uns durchaus anders vorstellen können, hinter uns zu lassen? Eine Albergo findet sich. Wir haben eine wichtige Verabredung. Eine Verabredung mit uns. Wir reden nicht bloß davon, „wie schön es wäre, hier mal zwei Tage zu bleiben.“ Wir bleiben. Zwei Tage. Warten einfach ab, bis der Kopf, der notorische Nachzügler allzu schneller Auto-, Bahn- oder Flugreisen, eingetroffen ist. Die 12 Kilometer lange Via Lungomare verbindet die berühmten fünf Dörfer der Steilküste Liguriens: Monterosso, Vernazza, Corniglia, Manarola und Riomaggiore. Der italienische Alpenverein bezeichnet die Route, einen der schönsten Wanderwege der Welt, schlicht als Nummer zwei. Zu früher Morgenstunde, wo der normal menschliche Phlegmatiker noch schlummert, folgen wir dem groben Gemäuer der Stufen durch hüft- bis schulterhohe Weinstöcke. Der Weg ist eindeutig in rot und weiß markiert. Die Hähne legen sich lärmend ins Zeug, die erste Bahn der Strecke Genua – La Spezia rauscht übers Viadukt und verschwindet lärmend im Schlund des nächsten Tunnels. „Eine felsige, strenge Landschaft, die in ihrer Wildheit an Kalabrien erinnert, Zuflucht für Fischer und Bauern, die sich an ein Fleckchen Strand klammern – bloßgelegter und feierlicher Rahmen für eine der ursprünglichsten Gegenden in ganz Italien … wenige Dörfer oder Weiler, die sich zwischen Fels und Meer zwängen,“ faßte Eugenio Montale den Reiz der Gegend in den zwanziger Jahren zusammen. Besonders gut hat er sich mit den Eingeborenen nicht verstanden, doch sind Reisende dazu da? Außerdem sind die Ligurier stolze, dem Fremden eher skeptisch denn aufgeschlossen gegenübertretende Leute. … Heute gibt es ja überall alles. Sushi in Soho, Pesto in Pellworm oder Scholle in Schlangenbad. Einst waren Sardellen kleine Fische für kleine Leute. Denn vom Weinbau allein und dem bißchen Landwirtschaft wurden die Einheimischen kaum satt. Im Mai und Juni ißt man die Fische mit dem festen Fleisch frisch mit Ölivenöl, Zitronen und verfeinert mit Oregano, Knoblauch und Petersilie, später mariniert oder gebraten. Wie überall auf der Welt haben abgekochte Marketingstrategen aus der Notlösung für arme Schlucker einen derartigen Kult gemacht, daß man für die klitzekleinen Fische mit dem festen Fleisch und ein, zwei Fläschchen hiesigen Bianco manchen Euro opfert. Wer geneigt ist, sich darüber aufzuregen, ißt anders oder bleibt zuhause. Bis annähernd achthundert Meter erhebt sich das Gebirge. Die unzugängliche Steilküste bot Schutz vor feindlicher Übernahme, dem barbarischen Zugriff auf Weib und Kind, dem Raub von Hab und Gut. In prekärer Hanglage lebte man isoliert, zunächst vom Weinbau, später kam der Fischfang hinzu. Ein hartes, einfaches Leben. Zwei Kulturen, zwei Welten an einem kurzen, wenige Kilometer messenden Küstenabschnitt. Heute schützt die Lage der Dörfer in engen Tälern und abschüssigen Hängen vor ganz anderer Barbarei: vor Betonierung, Zersiedlung und der automobilisierten Zerstörung des Idylls – den fast überall zu besichtigenden Folgen des Fremdenverkehrs. Wahrscheinlich erkannten Bauern vor sieben Jahrhunderten den Wert der sonnenverwöhnten, zugleich sicheren Südwesthanglage und verwandelten mit der quadratmeterweisen Rodung von Macchia und Wäldern die Hänge in diese einzigartige Kulturlandschaft. Der Boden auf den engen Rebterrassen mußte auf Knien gepflügt werden. Die trocken, ohne Mörtel errichteten Mäuerchen verzögern den Abfluß des Wassers nach heftigen Niederschlägen und verhindern Erdrutsche. Würden die unteren Terrassen be-sonders abschüssiger Lagen vernachlässigt, kann der ge-samte darüberliegende Hang abrutschen. Deshalb darf das Natur-Kunstwerk der Cinque Terre nicht aufgegeben, müssen die sogenannten cian, die Rebterrassen weiter bewirtschaftet werden. Die regionalen Fördergelder zur Sicherung der cian reichen nicht. Der Konsument und durstige Wanderer kann es richten, indem er für lokale Weine zahlt, was Winzer für den Cinque Terre Bianco und den typischen Sciacchetrà samt einhergehendem Landschaftsschutz brauchen. Blöd und billig geht immer, Kultur kostet. Wird auch im 21. Jahrhundert nicht anders. Obgleich für den Sciacchetrà strenge Vorschriften gelten, mache man sich angesichts unterschiedlicher Anbaubedingungen auf Überraschungen gefaßt. Die Winzer von Monterosso, Riomaggiore, Tramonti di Bassa, Tramonti di Campiglia und Vernazza pflücken ihre Trauben in weit auseinanderliegenden, oft gerade mal zimmergroßen Anbauflächen, teils ganz unten am ligurischen Meer, teils oben am Hang in schwindelnder Höhe. Die ambitionierte Cooperativa Agricultura Cinque Terre bemüht sich um die Fortsetzung von Handwerk und Kultur des tradierten Weinanbaus. Der Saft der raffiniert rosinierten Reben ist so eigenartig wie der reizvolle Küstenstrich. Als „Wein von aromatischer und komplexer Süße ist er ein Tropfen für Kardinäle und reifere Damen“ meinte Paolo Monelli 1935 in seiner „gastronomischen Reise durch Italien“. Zeit für eine Pause im ligurischen Vorzeigedorf Vernazza. Der abschüssige Pfad schlängelt sich oberhalb des Tunnels der ligurischen Metro durch die Rebterrassen. Unter uns die Stimmen fröhlich am Strand spielender und im Hafenbecken planschender Kinder. Im Schatten der Bäume einige Bänke, dahinter die Piazza zwischen der Kirche am Wasser, pastellfarbenen Häusern, dem Castello Belforte und dem wehrhaft runden Turm auf dem Fels. Ein Idyll – nicht mehr von dieser Welt. Auszug aus Cinque Terre Artikel, erschienen 22. März 2003

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Der erfolgreiche Verlierer

Der prototypische America’s Cup Segler ist Entrepreneur, der seinen geschäftlichen Erfolg auf den Regattabahnen wiederholt und das gesellschaftliche Parkett des Yachtsports genießt. Seit Generationen Arrivierte verausgaben sich selten, Royals nie für den Cup. Im Rahmen der sommerlichen Segelfestspiele auf dem Solent stellt Osbourne House gern den schwarzen Rennkutter „Britannia“ als Sparringspartner. Der Wettkampf mit den Gatsbys jenseits des Atlantik bleibt bürgerlichen Emporkömmlingen überlassen, einem Selfmademan wie dem 1850 in die bescheidenen Verhältnisse einer Krämerfamilie geborenen Thomas Johnstone Lipton. Mit acht Dollar in der Tasche versucht sich der 15-jährige im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Nach einigen Jahren kehrt er mit einem Schaukelstuhl für die Mutter, 500 Dollar, Erfahrung als Tabakpflücker, Feuerwehrmann, Kutscher, schließlich Buchhalter eines New Yorker Lebensmittelgeschäfts zurück. Lipton hat verstanden: „Die Ware, die in den Staaten angeboten wird, ist nicht besser oder schlechter als in Irland oder Schottland. Sie wird bloß besser präsentiert und die Mitarbeiter sind der Kundschaft zugewandt.“ Wie das väterliche Lebensmittelgeschäft läuft, weiß er schon. Wie es besser geht, probiert Lipton an seinem 21. Geburtstag mit der Öffnung seines eigenen Ladens. Er bietet Butter, Eier, Schinken oder Speck – und Sinn für Publicity. Lipton läßt eine Sau durch Glasgow jagen. Sie wirbt aufmerksamkeitsstark für „den besten Laden für irischen Schinken.“ Weil das nur einmal geht, unterhält der gewitzte Krämer seine Kundschaft jeden Montag mit einem neuen Cartoon vor seinem Geschäft. Liptons Lebensmittelladen bietet mit Zerrspiegeln die Attraktion eines Jahrmarkts. Beim Kommen erscheint der Kunde dünn, nach dem Einkauf dick. Die ersten Jahre lebt er nicht bloß mit 18-Stunden Tagen fürs Geschäft, er schläft auch im Laden,. Lipton kauft direkt beim Produzenten. Er zahlt bar. Rasch hat Lipton 20 Filialen. Mit der „Strategie, jede Woche einen weiteren Shop zu öffnen“ kommen in Schottland, Irland und England 500 Lipton Läden zusammen. Sein Motto: „Work hard, deal honestly, be enterprising, exercise careful judgement, advertise freely but judiciously.“ Mit 30 ist er Millionär. Ein europäisches Händlernetz kauft im großen Stil ein, in den Staaten betreibt er Verpackungsfirmen, Warenhäuser, in Chicago Schinkenräuchereien. In den 90ern steigt er mit der Übernahme Ceylonesischer Plantagen in den einträglichen Teehandel ein. Sommer 1897 folgt die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Zeit für was Neues, ein Leben als Gentle- und Sportsman. Der pfiffige Krämer nächtigt nicht mehr unter Kasse. Lipton jagt kein Ferkel mehr durch Glasgows Gassen. Jetzt pflügt er auf dem dachschräg geneigten Deck seiner stattlichen „Shamrocks“ unter 1.300 Quadratmetern Segeltuch mit dem segelbegeisterten König Edward VII durch den Solent. Das kostet „etwas“, macht aber Spaß – und bringt Lipton und seiner Ltd. ganz andere Publicity. Lipton ist spendabel und amüsant. „The kings grocer“ ist Protagonist des gesellschaftlichen Lebens. Als Lipton eines Tages gefragt wird, ob er heute keinen König an Bord habe, entgegnet er kühn: „Keinen König, nur Asse“. Auszug aus der Handelsblatt-Beilage Sailaffairs 2/2006

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Kapitän Größenwahn

„Als Kapitän John Edward Smith in seiner Eigenschaft als Kommodore der White Star Line den Platz auf der Brücke des neuen Flaggschiffs Titanic einnahm, stand er kurz vor seiner Pensionierung. Die Jungfernfahrt des größten und komfortabelsten Ozeandampfers der Welt war für den 63-jährigen als gediegener Ausstand aus dem Berufsleben gedacht. Die finanziell angeschlagene White Star Line wollte mit dem elfstöckigen, mehr als als einen Viertel Kilometer langen Ozeanriesen ein neues Kapitel im profitablen Nordatlantikdienst aufschlagen. Es sollte viereinhalb Tage dauern. Wie es sich für einen richtigen Kapitän gehört, präsentierte sich der Alte vor dem Ablegen in Southampton im April 1912 dem Fotografen standesgemäß in vollem Wichs und großer Dienstmütze. Vier goldene Ringe am Ärmel und edles Metall auf der Brust verrieten: Der Maître d’Honneur stand in der maritimen Hierarchie ganz oben. Die Transport Medal, Reserve Decoration und den Rang eines Commanders der Royal Navy Reserve hatte Smith vom Burenkrieg mitgebracht, wo er Truppentransporter befehligt hatte. Ein Bilderbuchkapitän, den Blick kühn in die schwer bestimmbare Weite des Horizonts gerichtet, die Arme gravitätisch wie ein Herrscher verschränkt. Der Seebär mit dem sauber getrimmten Vollbart hatte zwei Millionen Seemeilen, ein Viertel Jahrhundert Erfahrung auf der Kommandobrücke hinter sich und brachte 1.250 Pfund Sterling mit nach Hause. Dieses Jahreseinkommen entspräche heute 197.000 Mark. Smith war der bestbezahlte Seemann der Welt. Der monatliche Sold seiner Funker lang bei 3,18 Pfund, etwa 500 Mark heutigen Geldwertes. Die Kundschaft aus der Ersten Klasse verpulverte solche Summen aus der Portokasse: Ein Kurztelegamm von zehn Worten, an die Lieben daheim oder als Anweisung an die Firma von hoher See gemorst, wurde vom Marconi-Telegrafenbüro mit hundert Mark abgerechnet. Für ein havariefreies Jahr bot die White Star Line ihrem Flottenchef eine Sonderzahlung von 200 £ (31.500 Mark). Smith kann die Tantieme selten bekommen haben, denn er fuhr gern schnell und hatte eine Schwäche für haarsträubend zackige Manöver. Kaum waren die Trossen von den Pollern gehoben, stob der Haudegen mit schäumendem Schraubenwasser vom Kai, als gelte es, augenblicklich das Blaue Band zu holen. So lag am 10. April 1912, dem Start zur Jungfernfahrt der Titanic, manches nautische Debakel in Smiths Kielwasser. Eine aufgeschlitze Bordwand des Schwesterschiffs Olympic, abgerissene und deformierte Propeller (Olympic), vom Sog unter den Schiffsleib gerissene Nachbarschiffe, ein beinahe versenkter New Yorker Hafenschlepper. Manchmal setzte Smith die ihm anvertrauten Schiffe auch komplett auf Grund. Der oberste Kapitän der White-Star-Line hatte wenig ausgelassen, als er auf dem obersten Deck der Titanic für den Fotografen posierte. Er war auch verantwortlich für die verspätete Inbetriebnahme der Titanic. Smith hatte die neue Olympic vor ihrer neunten Atlantiküberquerung dockreif gefahren. Deren Reparatur war der Fertigstellung der Titanic vorgezogen worden. Doch können solche Debakel einem selbstbewußten Mann wenig anhaben. Smith war wer. Und wer was ist, bleibt einstweilen an seinem Platz. Er sah aus wie eine Volksausgabe von König Edward VII. und verkörperte den maritimen Stolz des Empire. So heizte der späte Repräsentant der geltungssüchtigen viktorianischen Ära, was die Pleuelstangen hergaben. Mochten andere dem Teufel ein Ohr abfahren. Smith fuhr ihm über beide Hörner. Er liebte es, sein Schiff mit voller Geschindigkeit durch das gewundene Fahrwasser von New York gen Manhatten zu dirigieren und mit schäumendem Kielwasser zu drehen, daß sich seine Jungs auf der Brücke schier in die Hosen machten. Ein Kunststück, das besonderes Augenmaß und drahtharte Nerven verlangt. Ein in voller Fahrt drehender Dampfer ist so berechenbar wie ein rutschendes Bügeleisen. Meistens kam sein 270 Meter langes Spielzeug dort zum Stehen, wie der Meister des nautischen Husarenstücks es sich gedacht hatte. Mochten seine Kollegen auf anderen Schiffen in solch einem Moment den Messinghebel des Maschinentelegrafen zurückziehen und zunächst die Lage peilen, bis sich eine sichere Landung anbot – bei E. J., wie er in der Szene genannt wurde, blieben die Hebel vorn, full ahead. Wovor hätte einer wie Smith schon Angst oder Respekt haben sollen? Vor den Überraschungen der Weltmeere? Vor Wellen, Wind und Wetter, jetzt, wo sich mit schwimmenden Giganten aus Stahl und vielen tausend PS im Schiffsbauch unbeirrt Kurs halten ließ? Wo die voll motorisierte Schiffahrt mit von Jahr zu Jahr größeren und schnelleren Dampfern die Unwägbarkeiten der vor kurzem noch witterungsabhängigen Segelschiffahrt scheinbar ein für allemal überwunden hatte? Im Mai 1907 erklärt Smith einem zum artigen Mitschreiben bestellten Reporter der „New York Times“, er könne sich keine Bedingungen vorstellen, die ein Schiff zum Sinken bringen könnten. Der moderne Schiffbau sei darüber hinaus. (Textauszug) Auftakt zur fünfteiligen Titanic-Serie – Heft 1/98. Mit einer Auflage von 2,5 Millionen die erfolgreichste Serie der HörZu.

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Darf es etwas kleiner sein?

In Zeiten, wo Geld und Freizeit eher ab- als zunehmen, ist auch beim Segelspielzeug das Downsizing keine verkehrte Sache. Die Amerikanerin Elizabeth Ernst Meyer, bekannt durch ihren 40 Meter Schlitten „Endeavour“, macht es vor. Sie ist seit einigen Jahren mit der nicht mal halb so langen „Seminole“ glücklich. Die Cowes Week ist ein Härtetest für Mensch und Material. Tagsüber wird im Solent und rings um die Isle of Wight ernsthaft gesegelt. Das mit tückischen Sandbänken gespickte und von stündlich wechselnden Strömungen in sämtliche Richtungen durchspülte Gewässer ist nichts für Anfänger. Danach wird gesoffen. Teils zur Bewältigung der Bojenscharmützel, der semilegalen Interpretation von Vorfahrtsregeln, der kleinen Nötigungen beim Start, der gelungen vergeigten Manöver. Teils, weil Segler und Engländer, segelnde Engländer ganz besonders, geübte Saufnasen sind, die ungern in Trainingsrückstand geraten. Dieser zweite Teil ist übrigens auch nichts für Anfänger. Übel ist es, nach solchem Tages- und Nachtprogramm morgens mit einem entsetzlichen Schädel in der Red Funnel Fähre von Southampton nach Cowes zu sitzen und das Gequassel einer hyperaktiven wie mitteilungsfreudigen Amerikanerin zu ertragen. Sie hat anscheinend keinen Schluck getrunken, den Tag mit einer Scheibe Ananas begonnen und statt Kaffee eine Runde Tennis gespielt. „What kind of boat are you sailing“ und so weiter. Nach einer Weile tut ihr einer der Passagiere den Gefallen, in die Konversation einzusteigen. Wie sie denn nun segle, möchte ein genervter Seebär wissen. „Not quite ready, I am restoring Endeavour“. Diese J-Klasse, die seit Jahren in der stillgelegen Wasserflugzeugwerft von Calshot Spit herumstehe. „Tommy Sopwiths boat.“ Die Rede ist von diesem Eisenross, an deren Wiederherstellung sich schon mancher Phantast versucht hat. So schaffte es das Wrack im Lauf der vergangenen Jahrzehnte aus dem Schlammbett des Hamble durch den Modder des Medina River auf den Bootsschrottplatz von Calshot. Pause. Nur das sonore Brummen der Fähre ist zu hören. Mehrere benebelte Köpfe drehen sich um, recken sich über die Lehnen, wollen das Gesicht zu dieser Stimme, dieser größenwahnsinnigen Behauptung sehen. Damals, Mitte der 80er Jahre, sind so genannte Maxi Rennyachten, eine Bootskategorie um die 25 Meter, das Ultimo. Es ist die Kampfklasse des Salzburger Dirigenten Herbert von Karajan oder des New Yorker Reeders George Coumantaros, die mit „Helisara“ oder „Boomerang“ das große Rad drehen. Außerdem sind große Yachten Männersache. Der Rest ist eine meist falsch kolportierte, Mythen umrankte Geschichte. Elizabeth Ernst Meyer, die den teilweise sanierten Stahlrumpf 1984 günstig gekauft hatte, scheitert ebenfalls an der Herkulesaufgabe. Nach einem Nervenzusammenbruch begreift Meyer, dass sie es als Bauleiterin nicht in Eigenregie schafft. Die 33-jährige schreibt die Verwandlung des rostroten Problems in eine Luxuscharteryacht bei angesehenen nordeuropäischen Werften aus. 1989 schiebt die holländische Royal Huisman Werft nach zweijähriger Arbeit ein mittel- bis dunkelblaues Grandhotel vor die Halle und takelt es mit einem 50 Meter Mast auf. Hinter dem Interieur aus Kirsche und Oregon Pine sind ein begehbarer Kühlraum, Klimaanlage, Motor, Stromerzeuger, Tanks und Seewasserentsalzungsanlagen im torpedoförmigen Rumpf versteckt. Ein Kamin und das Artefakt des „Ranger“ Spiegels (der letzten amerikanischen J-Class) schmücken den Salon. Etwa so großartig wie das Schiff ist die Tatsache, dass es überhaupt in Holland fertig wurde. Denn zwischen Werftchef Wolter Huisman und der selbstbewussten Segelamazone hatte es geknirscht. Elisabeth Meyer ertrug die vom erfahrenen Metallbootsbauer dekretierten Grundsätze und den Gestank des kettenrauchenden Patriarchen während endloser Besprechungen, in denen der Segelsaurier von Anno 1934 neu erfunden wurde, schwer. Für den Patriarchen Huisman war das forsche Auftreten der Kundin, die fast seine Tochter hätte sein können, eine andere Herausforderung. Zwei starke Charaktere rieben aneinander. Es gab Momente, wo für Meyer einfach Feierabend war, sie das halbfertige Schiff aus der Halle nehmen und gehen wollte. So einen Schlitten vom Schrottplatz, aus dem Sepia der Geschichte zu holen, vergrößert das jeweilige Ego in schwer beherrschbare Größenordnungen. Doch Meyer und Huisman rissen sich zusammen. Zehn Jahre hatte die Powerfrau mit dem amerikanischen Faible für saalfüllende Statements und das seglerische Großformat eine Menge Spaß. Sie legte zu gediegenen Privatkreuzfahrten im Mittelmeer und der Karibik ab, pflügte durch den Atlantik, veranstaltete vor Newport ein Matchrace mit der mittlerweile ebenfalls von ihr bereederten „Shamrock V“, Sir Thomas Liptons letzter Amerika Pokal Herausfordereryacht von 1930. Sie steuerte nördliche Gewässer mit kalbenden Gletschern an. Die waffenscheinpflichtigen Proportionen des niedrig im Wasser liegenden Segelgeschosses mit dem endlos langen Mast, die segeltechnische Finesse, die abgefahrene maritime Welt aus Teakplanken, hochglanzpolierten Beschlägen und das Finish der mittelblauen Deckskante ließen keinen Segler kalt. Frau Meyer hatte aber auch einen gepfefferten Segeletat am Hals. Das Budget zum Betrieb des Schiffes bei durchschnittlich 30 Tausend Seemeilen lag damals bei einer Million Dollar im Jahr. Entgegen dem Klatsch ist sie weder Erbin der „Washington Post“, noch verfügt sie über sprudelnde Geldquellen der Jeansmarke „Levis Strauss.“ Es war ihr aber von 1977 bis ’83 gelungen, die 125 Tausend Dollar Erbschaft ihrer Eltern mit Immobiliengeschäften auf Martha‘s Vineyard, dem Sylt der Amerikaner, in 10 Millionen zu verwandeln, den Bootsbauetat für „Endeavour“, was keine schlechte Performance für eine Anglistin und übrigens auch brillante Journalistin ist. „Ich schlief schlecht“ erinnert Meyer die neunziger Jahre. Im Herbst ’99 verkauft Meyer ihre endeavourblaue „Darling Jade“ mit 150 Tausend Meilen unter dem Kiel für 15 Millionen Dollar an Dennis Kozlowski, den damaligen Geschäftsführer der Tyco International Ltd. Der Mischkonzern gilt damals als rasch wachsendes blue chip Unternehmen und Kozlowski shoppt auch privat im großen Stil. „Endeavour“ war eine Weile auf dem Markt, bis Meyer ihre selbstbewusste Preisvorstellung erzielte. Anstelle des Originals des Ranger Heckspiegels bekam Koslowski allerdings eine Kopie in den Salon gehangen. Von der Bürde des Bootsbetriebs befreit, konzentriert sich Meyer nun voll auf ihr Baby, die Bootsbauerschule „International Yacht Restoration School“ mitten in Newport. In den Staaten, wo es keine wie in Deutschland übliche Bootsbauerausbildung gibt und die Branche händeringend kompetenten Nachwuchs sucht, ist das eine verdienstvolle Sache. Während eines Besuchs vor einigen Jahren führte Meyer mit mütterlich warmer Stimme durch den zur Instandsetzung bereitstehenden Bootspark, wie die Leiterin eines Tierheims. Die IYRS wird ständig auf morsches Gebälk aufmerksam gemacht, unter anderem auf „Seminole“, einen gaffelgetakelten, herrlich anachronistischen Zweimaster von 1916. Meyer kauft das Boot anhand von Bildern und der Empfehlung eines Freundes für einen Dollar. 2003 bis 05 wird es von einer Werft in Maine mit kleinen Zugeständnissen an heutige Komfortbedürfnisse (Pantry mit 2004 zieht sich Meyer aus gesundheitlichen Gründen von der IYRS zurück. „Ich bin ausgebrannt“ begründet sie damals ihren Schritt. Die Bootsbauerschule kooperiert seit ‘07 mit dem Museum of Yachting und hat ihr Ausbildungsprogramm um moderne, zeitgemäßen Bedürfnissen der Branche angepasste Inhalte erweitert. Zeit für etwas Neues, für „Seminole“ und Zweisamkeit auf dem Wasser. Im Mai 05 zerren Meyer und ihr Mann, der Bootsbauer Michael McCaffrey erstmals die Gaffeln am Groß- und Besanmast ihrer liebevoll wiederhergestellten Segelantiquität hoch. „Ich mochte Seminole augenblicklich. Sie war mit dem vorn abgerundeten Deckshaus eigentlich schon 1916 retro. So wurden Fahrtenboote im 19. Jahrhundert gebaut. Aber ich hatte die Sorge, dass sie segelt wie ein Heustadel“ berichtet Meyer. „Natürlich geht Seminole nicht an der Wind wie „Endeavour“, doch welches Boot kann das schon? Mit ihrer universellen 167 qm Besegelung macht sie bereits bei leichtem Wind Fahrt und dank ihres formstabil breiten Rumpfes trägt sie alles bis Sechs Windstärken.“ Es ging nordwärts in das kernige Gewässer der Kanadischen Bay of Fundy, zu den Bahamas, die Westküste Floridas entlang, zu den Everglades, zur Baja California und in das Fjordland von Alaska. Elizabeth Meyer schwärmt für „Seminole“, wie schon für „Matinicus“ und „Endeavour“. „Wissen sie, was das Beste ist? Wir können zu zweit statt zu acht damit ablegen. Sie verdängt ganze 15 statt 166 Tonnen und mit 1,45 statt 4,50 Metern Tiefgang gibt es nachmittags, wenn wir uns über einen Liegeplatz für die Nacht Gedanken machen, herrlich viele Möglichkeiten.“ Tja, das Leben kann schön einfach sein, wenn man sich nicht zuviel Schiff ans Bein bindet. Zu dieser Erkenntnis gelangt, wenn man eine Weile das süchtig machende Vergnügen mit „Endeavour“ hatte und die Bürde, die Rechnungen zu bezahlen. Es ist orientierend, mal jemand kennen zulernen, der das in der ganzen Bandbreite durchgemacht und letztlich sogar die Kurve gekriegt hat: Von der Dollardruckmaschine auf Martha’s Vineyard bis zum Verkauf.

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Eine ernsthafte Sommerträumerei

Der Habsburger Prinz Ludwig Salvator entflieht den Zwängen der Donaumonarchie aufs Mittelmeer. Rastlos reist er, forscht und schreibt und malt – bis er auf Mallorca endlich sein Paradies findet. „Wenn man von Kuxhafen, wo die mächtig erweiterte Elbe schon meerähnlich erscheint, eine Strecke gegen Norden hinausfährt, so dauert es nicht lange, dass man am fernen Horizont allmählich eine dunkle, noch in märchenhaftem Dunst gehüllte Klippe aus den Wogen aufsteigen sieht.“ 1865 verbringt der 18-jährige Ludwig Salvator Maria Josef Johann Baptist Dominik Rainer Ferdinand Karl Zenobius Anton einen Sommermonat auf Helgoland. Der zweitgeborene Toskanerprinz des Hauses Habsburg-Lothringen reist unter dem Pseudonym Graf von Neudorf. Er beschäftigt sich, „jeden Winkel des kleinen Felseneilandes eifrig durchkriechend“, mit Unterkünften und Lebensweise der Einheimischen, schaut sich die Gestelle zum Trocknen des Fangs und die Herstellung von Fischtran an. Salvator begleitet die Helgoländer auf Haifisch-, Hummer- oder Krebsfang und „genießt jene träumerische Stille und jenes melodische Gefühl innerer Ruhe, das man nur am Meere empfindet“. Der sensible junge Mann mit den weichen Gesichtszügen hat sein Thema gefunden, das Glück einfachen insularen Lebens. „Man mag wollen oder nicht, man begegnet sich so immer wieder, dass man wie auf einem Schiff schon nach wenigen Tagen jeden einzelnen kennt. Aber gerade dieser Umstand macht mir Inseln und insbesondere kleine so überaus lieb, denn man fühlt sich dort gleich wie zu Hause.“ 1868 veröffentlicht er unter dem Titel „Süden und Norden“ eine vergleichende Betrachtung ausgerechnet Valencias mit Helgoland. Es braucht einen gelassen-arbiträren Blick auf die Welt, um eine arabisch geprägte Metropole im Westen Spaniens, wo Mandarinen reifen, dem Nordsee-Eiland gegenüberzustellen, wo bei ruhiger Wetterlage mit klammen Fingern Dorsch und Scholle ins Boot gehoben werden. Touristik ist Mitte des 19. Jahrhunderts ein Privileg. Reisen geben dem höfischen Leben als exklusive Abwechslung eine weltmännische Note. Man verreist und plaudert zu Hause darüber. So sind die Ausflüge des jungen Habsburgers als Kuraufenthalt des Asthmatikers, Sommerfrische und nobler Zeitvertreib gedacht. Doch nimmt Salvator seine Reisen weniger als Pläsier: Er nimmt sie ernst. Daheim in Prag lernt er „Geist und Formen der Administration des großen Kronlandes“ kennen. Doch reizen ihn der Spaziergang durch die in frischer Seeluft wogenden Gräser Helgolands und die Vertiefung eigener Gedanken eher als „die krausen Pfade bureaukratischer Geschäftsordnungen“. Das Ergebnis des Deutschen Krieges zwischen Preußen und Österreich erledigt 1866 die Frage der verwaltenden Tätigkeit im geschrumpften Kronland eh. Seit der entscheidenden Schlacht von Königgrätz gibt es für die vielen Habsburger kaum noch Arbeit. So widmet er sich dem amphibischen Leben am und auf dem Meer: „Wer kennt nicht den Zauber des Meeres, wer hat nicht die Macht seiner Anziehung gespürt, ewig verschieden in Bewegung, in Färbung und Stimmung! Und wer aus dem Becher dieser Wonne getrunken hat, der kann sich davon nicht trennen, und diese Liebe nimmt, wie jeder edlere Trieb, mit jedem Jahre zu, statt mit den Jahren zu schwinden.“ Bereits 1859 wurde die kinderreiche Familie des Großherzogs Leopold II. und Maria Antonia aus dem Palazzo Pitti in Florenz vertrieben. Das Großherzogtum Toskana wird italienisch. Kein Spiel mehr in den Boboli-Gärten, kein Blick auf die glitzernden Wogen des ligurischen Meeres, „die blaue Ferne der Kinderjahre“ scheint zu Ende. Es geht nach Böhmen, wo sich Salvators Vater den lieben langen Tag mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigt. Die gottesfürchtige Mutter näht für einen guten Zweck, die Kirche. Die standesgemäße Verbindung mit Erzherzogin Mathilde könnte das junge Leben Salvators in ehelich domestizierte Bahnen lenken. Jedoch raucht das „moderne, etwas freier als damals üblich denkende Fräulein“ heimlich. Eine aus gebotenem Anlass im Kleid versteckte Zigarette lässt es in Flammen aufgehen. Die Erzherzogin  erliegt den Brandverletzungen. Formal bleibt Salvator Junggeselle, tatsächlich lebt er damals schon selbstbestimmt und frei wie ein Europäer des späten 20. Jahrhunderts. Der Mann mit dem großen, weichen Herz hat manche ehrlich gelebte Beziehung. Salvator entscheidet sich gegen die geistige Enge des höfischen Lebens und für die weite Welt, wo sie am schönsten ist, das Meer. Statt sein Leben an eine Militärlaufbahn mit Galadiners zwischen Gobelins und Kronleuchtern in blasierter k.u.k. Gesellschaft zu verschwenden, setzt er sich ab. Lieber rudert er andächtig um die griechische Insel Zakynthos und genießt das friedliche Naturschauspiel. „Man muss sie mit einem Boot umfahren, die Wildtauben aus ihren schattigen Winkeln und Höhlen wegfliegen sehen“, schwärmt der Stimmungsmensch später in seiner Inselmonografie „Zante“. Reisen, gucken, das Erlebte in eigenen Skizzen und Worten festhalten wird seine Passion. So entstehen mehr als 80, meist anonym in kleiner Auflage erschienene bibliophile Kostbarkeiten über strategisch und wirtschaftlich meist unbedeutende Inseln von Alboran bis Zypern. Überwiegend im Selbstverlag als Geschenke für Freunde, Gönner und wissenschaftliche Institute erschienen, werden sie heute von Kennern hoch gehandelt. Auszug Heft 48, Februar/März 2005

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Michael Schmidt baut sein Traumboot

Nach dreijähriger Auszeit macht Hanse Yachts Gründer Michael Schmidt mit einem ungewöhnlichen 80 Füßer von sich reden. Der Prototyp der Brenta 80 mit italienischen Genen wird gerade in einem neuen Betrieb in Greifswald fertig. Eigentlich wollte Michael Schmidt seit dem Verkauf der Hanse Werft aufhören mit arbeiten. Hat er auch. Er segelte im Mittelmeer und Schwarzen Meer, querte den Atlantik und kreuzte in der Karibik. Jetzt ist das Powerhouse der deutschen Yachtbranche wieder da. Erholt treibt Schmidt sein neues Konzept mit bekanntem Drehmoment voran. Schmidt kennt praktisch alle Facetten seines Fachs: Von Jollen über die damals wegweisenden kanadischen Cuthbertson & Cassian (C&C) Serienboote, den Bau innovativer Admirals Cupper in den achtziger Jahren bis hin zur Gründung der Hanse Werft 1990 in Greifswald. 1982 wurde in Wedel der Ofen zum Backen von Cuppern wie „Düsselboot“, „Diva“, „Outsider“, „Pinta“ und „Rubin“ warm gemacht. 1985 wurde die Hochseesegel-WM exklusiv mit Schmidts Werftbauten gewonnen. „Ich habe dann nach Hanse die Marken Fjord, Moody, Dehler und die Varianta frisch vom Stapel gelassen. Jetzt baue ich einfach mal ein schönes Boot ohne Zugeständnisse an den Mainstream für mich, einfach und funktional“ erklärt Schmidt. „Deshalb hat es italienische Gene und ist Made in Germany. Mailand ist das Zentrum der Mode, des Stils. Ich wollte schon immer mit dem mailändischen Designer Brenta arbeiten.“ Gemeinsam mit seinem Kollegen Lorenzo Argento modernisierte Luca Brenta in den Neunziger Jahren den Cruiser Racer. Sie erfanden mit der 25 und 32 m „Wallygator“ die vielbeachteten Wallys. Auch ihre Daysailer vom Typ B-Yachts wurden Trendsetter. Mit „Ghost“ und „Chrisco“ brachten die Mailänder ihre Ästhetik auf den Punkt. Der gebürtige Engländer Chipperfield richtet die Flagshipstores von Valentino ein, ist als Architekt des America‘s Cup Gebäudes von Valencia, des Folkwang Museum in Essen oder der Museumsinsel in Berlin bekannt. „Es sollte ein zeitgemäßes, mit der Modernität der Brenta Boote korrespondierendes Interieur entstehen, das dennoch komfortabel ist. Abgerundete Ecken, gepolsterte Oberflächen und edle Materialien tragen zu einem eleganten, zugleich behaglichen Ausbau bei“ ergänzt Chipperfield. Schmidts neues Boot sollte schnell sein. Deshalb die seglerische Konzeption und der aufwändige Leichtbau. „Ein leichteres Boot ist einfacher und sicherer zu handhaben, weil geringere Kräfte wirken.“ Daher die gewichtsparende, anspruchsvolle Bauweise in zeitgemäßer Faserverbundtechnologie mit einem auf seine Anwendung abgestimmten Materialmix. Die hohe Segeltragezahl von 5,5 spricht für sich. Ebenso wichtig ist Schmidt auch die zweckmäßige Ausstattung. Das Boot ist betont einfach, nur mit bewährten Komponenten ausgerüstet. „Entbehrliche Spielereien, die es an Bord nicht gibt, muss ich später nicht reparieren“ meint der erfahrene Segler. Die eigentliche Herausforderung bei diesem Boot sei, es einfach zu machen. Die Abläufe beim Segeln und Bordleben müssten logisch sein. „Einfach ist schwer“ fasst Schmidt zusammen. Die Brenta 80 ist ein ungewöhnliches Design. Der Clou ist der gestreckte, das Boot zwischen Mast und Achterschiff abdeckende Aufbau. In dieses geduckte Deckshaus eingelassen ist die T-förmige Mittelplicht. Hier lässt sich das Boot einhand vom Rudergänger segeln. Die Plicht punktet mit der Übersicht eines Flushdeckers. Die mittschiffs und achtern zur umlaufenden Schanz angehobene Bordwand bietet auch ein großes Maß gefühlter Sicherheit. Von der Seite gesehen verschwindet das Deckshaus nahezu ganz hinter der schützend angehobenen Bordwand. Die schwarz gehaltenen Seiten strecken den Aufbau und geben ihm als umlaufendes Band eine moderne Anmutung, passend zur Brenta-typisch aufgeräumten Formensprache. Die Brenta 80 ist ein typisches Eignerschiff. Die Eignerkajüte nimmt ein Viertel der verfügbaren Länge unter Deck ein. Im breiten Achterschiff untergebracht gibt es unterwegs auf See oder vor Anker die wenigsten Wassergeräusche. Sie hat einen separaten Eingang und eine eigene Terrasse, wo man sich beim Ankern und Segeln zurückziehen kann. Die Technik wurde für weltweite Fahrt ausgelegt, möglichst simpel gehalten und nur vernetzt wo es sinnvoll ist. Bis hin zur Auswahl von Tauwerk und Klemmen zeigt sich die langjährige Erfahrung von Projektleiter Andreas Bock. Als Ergebnis einer eigenen Messreihe mit Klemmen und Tauwerk von 2,5 bis 5 t Haltekraft wurde die sicherste und verschleißärmste Kombination ausgesucht. Gemeinsam mit Bootsbauern befreundeten Bootsbauern der Vilm Werft richtete Schmidt eine kleine feine Manufaktur in seiner Wahlheimat an der Ostsee ein. Zum Team gehören auch langjährige Kollegen wie der versierte Regatta- und erfolgreiche DN-Schlitten Segler Andreas Bock oder Bootsbaumeister Johannes Malzahn. „Mich interessiert Effizienz, die Zusammenarbeit der besten Zulieferer in der modernen arbeitsteiligen Welt, höchste Kundenzufriedenheit. Deshalb entsteht das Endprodukt an der Ostsee, gebaut von Leuten, die Leidenschaft für Qualität und Liebe zum Bootsbau leben“ fasst Schmidt zusammen. Der Inbetriebnahme seines Bootes im kommenden Frühjahr möchte Schmidt weitere Exemplare folgen lassen. „Wir bauen Segelyachten bis 115 Fuß, eventuell auch ein Daycruiser Motorboot bis 50 Fuß.“ In jedem Fall soll es bei einer kleinen feinen Yachtmanufaktur bleiben. Michael Schmidt, der passionierte Segler und Admirals Cup-Bootsbauer kann es nicht lassen. Seit er sich als Jugendlicher in einem Keller in Kiel seinen ersten Opti baute, bleibt er bei seinem Thema. Daten Brenta 80Konstruktion & Exterieur Luca Brenta & C.Interieur David ChipperfieldLänge 23,99 mBreite 6,00 mTiefgang (Festkiel) 3,70 mFreie Segelhöhe 35,20 mVerdrängung (leer) 32,5 tKiel/Ballastanteil 11,6 t/36 %Dreisalings Karbonmast Axxon CompositesPark Avenue Baum Axxon CompositesAm Wind Besegelung 307 qmLattengroß 189 qm North SRPC 109Selbstwendefock: 118 qm North m. senkr. LattenCode 0 (rollbar) 230 qmGennaker (rollbar) 400 qmMaschine Yanmar 4LHA STP, 4 Zylinder, 230 PSGetriebe ZF63AGenerator Fischer Panda – 12 kW, 16 PSBugstrahlruder Maxpower VIP 250 – 13,5 kW, 18 PSDieseltank 2 x 450 lFrischwasser 4 x 215 lWassermacher Seafari Escape 24 90 l/StundeGrauwasser 3 x 16 lSchwarzwasser 2 x 60 l, 2 x 25 l, dezentral an jedem WCRumpfgeschwindigkeit 12 knSegeltragezahl (32,5 t) 5,5

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Elegante 68 Fuß Slup

Im Auftrag eines Berliner Seglers entwickelte der schwedische Konstrukteur Håkan Södergren einen eleganten 21 m Renner. Moderne Großserienboote bringen im heute üblichen zehn Meter Format sechs Kojen, Pantry und einen WC Raum unter. Diesen Komfort wird die doppelt so lange Swede 68 auf 20,60 m und einer Breite von 3,81 auch bieten. Swede 68 wurde für Segler entwickelt, denen Eleganz, Nähe zum Wasser und exquisiter Segelgenuss viel bedeuten. Wo ein sensibles Steuergefühl am Rad, hervorragende Segeleigenschaften und schiere Geschwindigkeit erwartet werden. Konstrukteur Håkan Södergren ließ den Rumpf mit einem ansehnlichen Löffelbug beginnen, der in ein modern U-spantig flaches Unterwasserschiff übergeht. Die Anhängsel des L-förmigen Kiels und das säbelförmige Ruderblatt bieten mit vorteilhaft tiefer Ballastanordnung und strömungsgünstigen Profilen allerhand aufrichtendes Moment und Auftrieb. 206 Quadratmeter am Wind Besegelung verteilt auf eine leicht überlappende 78 qm Fock und ein 128 qm Großsegel dürften die elegante Slup ausgezeichnet segeln lassen. Der 55 PS Volvo Vierzylinder wird mit günstigem Schwerpunkt und ringsum bestens zugänglich hinter dem Niedergang eingebaut. Unter Deck ist eine großzügige L-förmige Pantry backbord beim Niedergang, eine klassische Naviecke gegenüber, ein Salon mit U-förmigen Sofa und ein separater Eignerbereich im Vorschiff vorgesehen. Er besteht aus einem 1,80 m langen Sanitärraum und einer Kajüte. Dieses Refugium befindet sich acht Meter vor der Gästekajüte achtern. Steuerbord davor ist am bewährten Ort für die Lotsenkoje eine weitere Gäste- oder Crewkabine mit Etagenbetten vorgesehen. Swede 68 soll als Sandwichbau aus einem 25 bis 30 mm dicken Schaumkern entstehen. Die Schaumdichte wird lastabhängig zwischen 75 und 200 Kilo pro Kubikmeter variieren. Laminiert wird im Vakuum-Infusions-Verfahren mit Vinylesterharz. Innerhalb struktureller Notwendigkeiten hat der Auftraggeber die Möglichkeit, den Ausbau des Schiffes seinen individuellen Wünschen anzupassen. So sind beispielsweise achtern zwei Doppelkabinen statt einer möglich. Swede 68 wird wie ihre kleineren Schwestern Swede 52 und Swede 41 von der Rosättra Båtvarv AB in Norrtälje bei Uppsala gebaut. Der 1886 gegründete Betrieb baut seit vielen Jahren mit den Linjett Segelyachten eine kleine feine Range mittelgroßer Qualitäts-Werftbauten. Es handelt sich um einen Familienbetrieb, wo Daniel, Markus und Kristoffer unter der Anleitung ihres Vaters Mats Gustavsson arbeiten. Håkan Södergren kennen viele Segler als Konstrukteur beliebter Serienboote wie die Finngulf und Helmsman Yachten, die Sirena 38 oder Cayenne. Södergren zeichnete auch den schwedischen America’s Cupper „Tre Kronor“. Seine Finngulf 33 wurde Anfang der neunziger Jahre als Hanse 33 zum Bestseller. Nachdem er in den vergangenen Jahren die Swedestar 370 und 415 und den Daysailer Tarac 33 entwickelte, schuf der Södergren mit vierzigjährigem Background mit den J-Craft Motoryachten und Swede 68 zwei besonders schöne Modelle. Mit dem 68-Füßer beschäftigt Södergren sich seit 2007. Konzipiert wurde die Swede 68 nach den Vorstellungen des segelbegeisterten Immobilienentwicklers Michael Wolff (Jollenkreuzer, Dyas und deutscher Folkeboot Vizemeister 2002). Wolffs Erfahrungen mit einem Mitte der Neunziger Jahre übernommenen 16 Meter Touren-Schärenkreuzer ließen ihn über ein komfortableres und noch schnelleres Schiff mit mehr Platz für die Familie nachdenken. Die Swede 68 ist ein kühner Wurf gegen den Trend zum immer kompakteren und hochbordigeren Volumenmodell. Ein Renner für Individualisten, denen der Hingucker segelfertig in der Luxusversion 2,2 Millionen Euro zuzüglich MwSt. wert ist.

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Bewährte Systeme vom Sortierspezialisten

Effizienzgesichtspunkte und Produktvielfalt stellen Abfüllbetriebe und Logistikzentren vor neue Herausforderungen. Immer schnellere Durchsatzleistungen bringen herkömmliche Ausleit- und Verteilsysteme an ihre Grenzen. Erschwerend hinzu kommt die vertriebsseitig geforderte wachsende Gebinde- und Produktvielfalt. Die Anforderungen an ein materialschonendes Handling sind groß. Zugleich ist der reibungslose und störungsfreie Sortierbetrieb möglichst ohne Auszeiten ein wichtiger Beitrag zur Effizienz des gesamten Betriebs. Nach Entwicklung eines Sortiersystems für Getränkekästen stellte der südwestfälische Spezialist Sortec 2006 seine erste Drehstation für die Packbildzusammenstellung vor. Drei Jahre später wurden Getränke- und Lebensmittellogistikzentren mit eigens hierfür entwickelten Einrichtungen ausgerüstet. Mittlerweile werden mit gezielt weiterentwickelten Programmen vielfältige Sortieraufgaben übernommen. Eigens per IPOS-Programm gesteuerte Servoantriebe bieten einen an die Eigenschaften des Produkts und dessen jeweilige Position vor dem Überschubbrett im Millisekundenbereich angepassten Sortiervorgang. Damit ist es möglich, eine 500 Gramm leichte Faltkiste ebenso wie einen 40 Kilo schweren Karton materialschonend, störungsfrei und wiederholungsgenau positioniert zu sortieren. Dank Arbeitsweise mit einer rotierenden, stets in der gleichen Richtung wirkenden Mechanik mit zwei oder drei Überschubbrettern werden Verschleiß und damit der Wartungsaufwand über einen langen Zeitraum niedrig gehalten. Ein weiterer Vorzug sind platzsparende Lösungen mit neben- und übereinander angeordneten Systemen. Sortec bietet hierzu eine Profibus-Anbindung mehrerer in Reihe geschalteter Systeme. Mit zwei Überleitbrettern werden bis etwa 7.000 Einheiten/Stunde, mit drei Überleitbrettern mehr als 9.000 Einheiten sortiert. Sortec Systeme laufen bereits bei mehreren Großbrauereien, überregionalen Logistikzentren und Lebensmittelkonzernen.

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Elbe 33

Bei Lütje Yachts entsteht ein nostalgischer 33 Fuß Motorkreuzer im Stil der zwanziger Jahre. Die Merkmale: senkrechter Vorsteven, Backdeck, Bullaugen und eine unter dem Aufbau charmant zum offenen Achterschiff herabgeschwungene Deckskante. Das ebenfalls traditionell gehaltene Deckshaus aus glänzend lackiertem Mahagoni bietet neben ausgezeichneter Rundumsicht vom geschützten Steuerstand überdachten Lebensraum mit wesentlichen Annehmlichkeiten zum entspannten Bordleben an Deck; einen Kühlschrank, Plichttisch, Sitzgelegenheiten und bequem erreichbarem Stauraum. Lütje Yachts baut klassischen 10 m Motorkreuzer Das erhöhte Vorschiff beherbergt die Pantry mit Herd, Spülbecken, Schränken und Schubladen an backbord, den Sanitärraum auf der gegenüberliegenden Seite und davor eine komfortable Eignerkajüte mit Stehhöhe und Doppelkoje. Ausbau und Detaillierung erfolgt passend zur nostalgischen Note mit freundlich heller, in weiß gehaltener Wegerung und ausgesuchten Mahagonifurnieren in Lütje-Qualität. Das ideale Schiff für ein langes Wochenende auf heimischen Gewässern buten und binnen, die verlängerte Spritztour zur dänischen Südsee oder den ausgedehnten Dänemark- und Schwedentörn für ein Ehepaar. „Dank des angehobenen Vorschiffs steckt das Boot auch kurze steile See gut weg“, erklärt Geschäftsführer Jan-Hendrik Böhm. Senior Thomas Lütje ergänzt: „Die 80 Zentimeter Tiefgang, die sich mit angehobenem Z-Trieb erforderlichenfalls weiter reduzieren lassen, bieten Zugang zu ringsum geschützten und idyllischen Liegeplätzen beispielsweise in den schwedischen Schären oder bei uns hier an der Elbe. Man kann damit auch wunderbar auf Flüssen und Kanälen das Mittelmeer ansteuern.“ Der Entwurf des Bremerhavener Konstruktionsbüros Judel/Vrolijk & Co., mit dem die traditionsreiche Hamburger Werft eine langjährige Zusammenarbeit beim Bau individueller Motor- und Segelyachten von 41 bis 70 Fuß verbindet, wurde von der 15 Meter langen „Georgia“, ebenfalls einer Judel/Vrolijk Konstruktion, inspiriert. Diesen 50-Füßer mit 13 t Verdrängung baute Lütje Yachts vor einigen Jahren als eine Art Edelbarkasse im Auftrag eines privaten Eigners für Berliner Gewässer. Die Elbe 33 ist eine handlichere und dank einmotoriger Ausführung mit einem 220 PS Volvo Fünfzylinder mit Douprop-Antrieb zugleich ökonomischere Variante dieses vielbeachteten Lütje Werftbaues. Die Reisegeschwindigkeit wird bei 12 bis 16 Knoten liegen. Die klassische Form mit angehobener Back und ins Vorschiff eingelassenen Bullaugen, dem charmant zum Achterschiff herabgeschwungenem Schandeck und Mahagoni Süllrand erinnert an klassische Motorboote hierzulande. „Ich kenne den Bootstyp recht gut. Mein Vater hatte mal so eine Hamburger Hafenbarkasse. Deren Maschine nahm allerdings das gesamte Vorschiff ein“ erinnert Lütje. Neben cleverer Raumausnutzung galt stilistischen Finessen wie dem Radius der oben eingeschnürten Heckpartie der „Elbe 33“ besonderes Augenmerk. Um dieses Detail kümmerte sich Rolf Vrolijk, ansonsten mehr mit schnellen Regattayachten befasst, persönlich. Die Herausforderung war, das so zu formen, dass es reizvoll aber nicht übertrieben aussieht. Eine Edelstahl-armierte Scheuerleiste schützt die im Vorschiff oben ausgekragte, achtern zum Deck hin elegant zurück genommene Bordwand bei Anlegemanövern oder der Passage enger Pfahlreihen. Das Boot entsteht als bewährter Sandwichbau mit Glasfaser-Volllaminat in besonders beanspruchten Bereichen als Sonderanfertigung im Auftrag eines Hamburger Eigners. Die Lütje Werft, die mit ihrer Classic Coaster Range in Anlehnung an die Lobsterboote von der amerikanischen Ostküste, einem 45 Knoten Tender, der Hochgeschwindigkeitsmotoryacht „Feara“ und mehreren anspruchsvollen wie stilistisch ausgefeilten Segelyacht One Offs über einige Erfahrung in der Erfüllung von Kundenwünschen verfügt, sieht die „Elbe 33“ als Eröffnung einer neuen klassischen Motoryachtrange im Stil der zwanziger Jahre, der weitere Exemplaren in dieser und ähnlichen Größen folgen können. Das erste Exemplar der „Elbe 33“ wird im Spätsommer fertig. Länge: 10,05 mLänge WL: 10,00 mBreite: 3,00 mTiefgang: 0,80 mMaschine: Volvo Penta D3-200 DPS FünfzylinderDieseltank: circa 650 lVerdrängung: circa 4,8 tFrischwasser: circa 150 lFäkalientank: circa 40 lKonstruktion: Judel/Vrolijk & Co.Reisetempo: 12 – 16 knSpitze: über 20 kn

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Sozialismus – schön bunt

„Es gibt ein paar Dinge aus der Zeit vor der Revolution, die die Amis gut gemacht haben“, erklärt Mario, ein farbig junger Kubaner, mit feierlichem Ernst. Er zeigt auf das 25-stöckige Hochhaus. „Das Habana Libre ist großartig. Wir hatten in den vergangenen Jahrzehnten keine Reparaturen, keinen Ärger, nichts.“ Das Hotel wurde während der Revolution fertig, als die konfektionierten Wohnmaschinen der Moderne auch auf der Zuckerinsel errichtet wurden und ein Hilton her mußte. Havanna war damals ein karibischer Vorort von Miami. Wer Geld hatte, flog abends aus dem prüden Florida auf einen verlängerten Drink rüber. Die Hauptstadt der größten Antilleninsel war zu Batistas Zeiten im Wesentlichen ein von der Mafia kontrollierter Puff. Das änderte sich, als Castro in einer Suite im 24. Stock des Hilton die Regierungsgeschäfte übernahm. Seitdem heißt es Habana Libre Mario sagt „wir“. Er berichtet von seinem Land. Mario hat in Rostock studiert und freut sich über die Gelegenheit Deutsch zu sprechen. Er zeigt den Pabellón Cuba, einen vom Wind durchfächelten, überdachten Freizeitpark zwischen hohen Betonstelzen. Kinder jeden Alters toben darin herum, veranstalten Wettrennen mit einem selbst gezimmerten Holzroller. Die älteren hocken im Video- oder Computersaal. Viele albern in Gruppen herum. Die allgegenwärtige Musik, für das Ohr des aus dem fernen Europa angekommenen noch ungewöhnlich, macht das Leben zu einer einzigen Disco. So muß er sein, der Sozialismus. Schön bunt, fröhlich wie ein didaktisch präpariertes Bilderbuch. Coppelia, der kühn betonierte Tribut an die Leidenschaft der Kubaner für Eiskrem, sieht aus wie ein zwischen den Palmen niedergegangenes Ufo, eine Arena im Format eines Boxpalastes. „Früher gab es hier 60 verschiedene Eissorten“, berichtet Mario, „aber heute leben wir in einer besonderen Periode. Wir müssen sparen.“ Es ist Samstagabend und die Coppelia ist leer. Gern würde Mario jetzt noch das neue Krankenhaus zeigen, das modernste Kubas und ein Zentrum für Organtransplantationen in ganz Lateinamerika. Operieren für die Revolution. Jeder Dollar zählt. Gerade eine halbe Stunde in Habana Vieja, in einer der nur spärlich beleuchteten Straßenschluchten, beginne ich mich für diese Stadt zu begeistern. Wir laufen durch verfallene portales, reich verzierte Galerien vor den Häusern, denen ein erdschwer modriger Duft entströmt. Wir stolpern an schwarzen Fensteröffnungen vorbei, die mit gedrechselten Holzstäben oder schmiedeeisernen Gittern als Glasersatz offen und zugleich verschlossen sind. „Ssst, sst…“ zischt die Aufforderung, doch einmal stehen zu bleiben, aus dem Dunkel, „he – amigo“, schallt es von der anderen Straßenseite, wo eine Gruppe scherzender Jugendlicher schemenhaft zu erkennen ist; Einladungen, in einen 20 Quadratmeter Kosmos zu blicken. Die Bässe des Salsa oder Son dringen irgendwo aus einem ersten Stock herüber. Im garagenähnlichen Innenraum nebenan mischt sich der matte Schein einer Glühbirne mit dem Türkis, Gelb oder Rosa der Wände. Darunter, unter einer Weltkarte von Wasserflecken im Putz, steht ein Fernseher. Gezeigt wird einer der Si por Cuba -Spots: Düsenjäger reiten auf weißen Kondensstreifen durch den stahlblauen Himmel, jagen über grün wogende Zuckerrohrfelder. Man ist gewappnet gegenüber dem imperialismo. Andere Filme sind für Sekunden mit einem Porträt des bärtigen Comandante Fidel Castro unterschnitten. Wir laufen immer tiefer in das einstige Bermudadreieck Havannas hinein, bis wir in einer kleinen Bar eine kubanische Zarah Leander entdecken. Sie singt vor ergrautem Publikum Chansons aus vergangenen Zeiten. Die strengen, würdevollen Gesichter einer verblichenen Aristokratie schimmern fahl im matt erleuchteten Innenhof. Der Stuck von hundert, zweihundert Jahren hängt noch unter den hohen Decken. Habana vieja, das alte Havanna. Einst eine der reichsten Städte der neuen Welt. Heute wird hier Stadtteil für Stadtteil der Strom abgeschaltet. Einen Kilometer weiter schimmert die Neonbeleuchtung eines kleinen, feinen Studentenhotels im Dunkel des Stadtteils Colón. „Hey Chino, was habt ihr zu essen?“, ruft Mario den Kellner. Es gibt Hühnchen mit Reis. Dazu ein Hatuey. Selbst das kubanische Bier erzählt vom aufrechten Gang. Denn Indianerhäuptling Hatuey zog kurz vor dem Tod die Hölle dem Himmel vor: angesichts der Aussicht, letzteren mit Spaniern teilen zu müssen. Die Einheimischen der Antilleninsel hatten es nicht leicht. Dafür waren sie konsequent. Auszug aus der Titelgeschichte des Geo-Reisemagazins über Kuba – Heft 3/1993

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Die ersten Bilder des Nordens

Wenn Knud Knudsen Bustetun, der alte Knudsen vom Gehöft Buste durch das westnorwegische Fjordland in die Hauptstadt Bergen zum Einkaufen fuhr, nahm er seinen Sohn mit. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Odda eine kleine Siedlung am äußersten, südlichen Ausläufer des Hardangerfjords. Rechts das tausend Meter hohe, unwegsame Hardangerfjell, links der Gletscher Folgefonn. Von den Kanten des Hochlandes schwappte die Nässe förmlich zu Tal, stoben Wasserfälle in die Tiefe. Heute sind die meisten in den Rohren der Kraftwerke verschwunden, darunter einem der ältesten Norwegens, dem Industriegeschichtlichen Baudenkmal in Tyssedal. In Bergen half der Krämerssohn seinem Vater bei den Besorgungen und nahm Fühlung auf mit der Welt. In der Hansestadt lernte der junge Knudsen Deutsch, machte bald darauf eine Kaufmannslehre und die folgenschwere Bekanntschaft – mit der Fotografie. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts begeistertes sich Europa für die Lichtbildnerei, nachdem der Pariser Kunstmaler Louis J. M. Daguerre, 1839 respektable Ablichtungen auf seine mit Jodsilber beschichteten Kupferplatten gezaubert hatte. Obwohl der Hardangerfjord auf 60 Grad nördlicher Breite liegt, dem Nordpol so nahe wie Anchorage, Helsinki, Petersburg oder Sibirien, gibt es im fast durchgehend taghellen Sommerhalbjahr hier ideale Bedingungen für die Landwirtschaft. Der Golfstrom schiebt das warme Wasser der Karibik quer über den Atlantik vor die norwegische Küste, drückt es in die Fjorde hinein und macht die vom Fjell bewässerten, grünen und geschützten Ufer zu einem allsommerlichen Gewächshaus. Während über das Hochland ein eisiger Wind geht und der ewige Winter die Passage des Fjells erst ab April oder Mai ermöglicht, grünt und blüht an den sonnenbeschienenen Ufern des Fjords, was der Boden hergibt. Nur wußten die Norweger damals noch nicht, wie man das fruchtbare Land für den Obstanbau im großen Stil nutzt. Heute sind die milden Täler der norwegischen Provinz Hordaland das bedeutendste Obstanbaugebiet Norwegens. Dank der Neugier Knud Knudsens aus Odda. „Es tut mir beinahe weh, wenn ich einen Apfel gegessen habe, und die Kerne wegschmeißen muß“, ist vom jungen Krämerssohn Knudsen überliefert. „Viel lieber stecke ich sie in die Tasche“. Schon mit 18 Jahren soll er Setzlinge aus Dänemark, Holland oder Deutschland gekauft haben. Als der Garten der Familie nicht mehr reicht, bepflanzt er die Grundstücke der Nachbarn und verkauft die Bäume später. Das fiel in einer Region, wo die Einheimischen sich eher mit dem Fischfang, Ackerbau und Viehzucht befaßten, auf. So wurde Knudsen 1862 mit einem norwegischen Stipendium nach Reutlingen geschickt. Dort hatte der eigenwillige Botaniker und Querkopf Eduard Lucas zwei Jahre zuvor seine höhere Lehranstalt für „Pomologie, Obstcultur und Gartenbau“, gegründet. Knudsen blieb vier Semester in der Internatsschule, wo mit einem strammen Pensum ab Fünf in der Frühe Sortenkunde, Baumschnitt, Morphologie und Physiologie der Pflanzen und natürlich Obstanbau gelehrt wurde. Sein Faible für die Daguerrotypie perfektionierte Knudsen nebenher weiter. Das Bedürfnis nach der Fotografie Wie viele Zeitgenossen in Europa sah Knudsen den Markt, der sich dem Atelierfotografen bot. Für die Ablichtung in stolzer Pose würde der Bürger sein Portemonnaie öfter und weiter öffnen. Das Portrait war bislang ein von Hand gemaltes und entsprechend teures Priveleg gewesen. Jetzt wurde es ein erschwindliches Statussymbol zur Demonstration des eigenen oder, mit dem entsprechenden Hintergrund im Atelier, auch des erträumten Status. Die Sichtweise, das Setting wurde von der Malerei übernommen. Am 1864 eröffnete Knudsen sein Geschäft mit seiner 7 x 7,2 cm Stereoskopkamera. Die Portraitfotografie wurde das Brot- und Butter Geschäft Knudsens. Wie in einer Annonce Knudsens zur Eröffnung seines Ateliers angekündigt konnte man damals bereits stereoskopische Landschaftsaufnahmen bestellen. Bereits sein Vorgänger Sellmer hatte sogenannte „Bergen Prospekte“ angeboten, die Heimatstadt vom Berg hinab in der Totalen daguerrotypiert. Den Obstanbau betrieb Knudsen nebenher – bis er seine Naturnähe und die Begeisterung für die Möglichkeiten der Daguerrotypie zusammenführen konnte. Knudsen wurde zum berühmtesten Landschaftsfotografen Skandinaviens. Immer öfter zuckelte er mit seinem Karren, beladen mit der zerbrechlichen Fracht präparierter Glasplatten und Chemikalien, durch die Wildnis hinauf, auf’s Fjell: vor das Motiv, die seinerzeit noch verwegene, weder von Straßen noch Tunnels zugängliche und domestizierte Landschaft. Das Fjordland Norwegens mit seiner abwechslungs- und kontrastreichen Landschaft entsprach der bürgerlichen Sehnsucht nach unberührter Wildnis. Von lieblich bis schroff sind hier alle touristischen Temperamente in jedem Tal versammelt. Knudsen trug sie mit seinen Platten heim, in die Salons und Stuben. Die Daguerrotypie konnte in Norwegen nahtlos an die Tradition der Landschaftsmalerei – etwa des Romantikers J. C. Dahl – anknüpfen und als modernes, rasch reproduzierbares Surrogat ihren Platz einnehmen. Die Sichtweise auf die freie Wildbahn, auch der verkitschte Blick auf schroffen Fels und verwegene Schluchten war vorgegeben. Die Bilder existierten in den Köpfen – der Fotograf erfüllte als stellvertretender Reisender die visuellen Erwartungen nicht allein der daheim Gebliebenen sondern auch des wachsenden Zustroms von Urlaubern seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Bildhunger galt dem entfernten, schwer zugänglichen, dem exotischen Reiseziel – von dem Normalsterbliche damals nur träumen konnten. Je verwegener die Fotoreise war, desto größter der Erfolg für den Fotografen. So wurden Knudsens Streifzüge auf das Fjell zu ausgewachsenen Expeditionen – auch, wenn es bereits spektakuläre Reisen in ferne Länder gab. Der Brite Thomas Fryth hatte beispielsweise 1852 mit seinen Fotos aus Ägypten und Palästina Erfolg. John Thompson brachte mit seinen Holzkisten und Glasplatten aus dem fernen China exotische Bilderbeute mit. Drei Jahre später hatte Friedrich von Martens auf der Pariser Weltausstellung ein aus vierzehn Negativen zusammengesetztes Mont Blanc Panorama präsentiert. Als der südliche Ausläufer des Hardangerfjords 1889 – 1919 zum regelmäßigen Ankerplatz der „Hohenzollern“ wurde, spazierte Kaiser Wilhelm II. durch Knudsens Obstplantagen und ließ sich zum Abschluß des Besuches vor der dramatischen Szenerie des Fjordlandes von Knudsen ablichten. Heute ißt halb Norwegen wilheminische veredelte Hardanger Äpfel. Nordlandfahrer Kaiser Wilhelm brachte dem Pomologen und Hoffotografen Knudsen Reiser aus den kaiserlichen Obstgärten zum Okulieren mit. Auszug aus FAZ Magazin 715 vom 12. November 1993

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God bless America

An einem kühlen Maimorgen ist das Boot wieder in seinem Element. Der Blick schweift durch das elfenbein- und türkisfarben gepolsterte Cockpit. Er verweilt an der silbernen Kulisse der Hebel für Standgas, Reisetempo und volle Fahrt. Die beiden Speichen des vom Chrysler 300 der fünfziger Jahre inspirierten Steuerrads schimmern in der sich langsam durchsetzenden Morgensonne. Wie die Licht- und Blinkerhebel beim Wagen ragen dem Fahrer die elfenbeinfarbenen Knäufe der Getriebehebel für die beiden Motoren unter dem Lenkrad entgegen. Die Zeiger der großen schwarzen VDO Tourenzähler ruhen. Der Blick wandert an Deck, folgt den hellen Kotostreifen die Windschutzscheibe hindurch über das raffiniert wie eine Kühlerhaube gewölbte und zum Bug abgesenkte Vorschiff. Er schweift weiter nach vorn, auf die voraus offen daliegende Wasserfläche. Ein beglückender Moment nach über einem Jahr unzähliger Sondierungen, Abwägungen, Entscheidungen, Verabredungen, Aufträge, Gespräche, Termine, von Vor- und Rückschlägen, dem ganzen Stop and Go eines solchen Projekts und auch mancher, der gediegenen Arbeit angemessenen Rechnung. Sollte es die vergangenen Monate angesichts des Aufwands, mancher Hiobsbotschaft und Hürde je Zweifel an der Wiederherstellung der „Hermes“ gegeben haben: Sie verdampfen wie der Dunst einer kühlen Frühlingsnacht im Sonnenlicht über dem Scharmützelsee. Die beiden Zündschlüssel stecken in ihren Schlössern neben dem Steuer. Die Hand dreht erst den linken, dann den rechten. Brummend nehmen die Ventilatoren im Motorraum ihre Arbeit auf. Beinahe vergessen ist der Griff an die Knäufe der Gashebel vor der silbernen Kulisse an der backbord Seite der Plicht. Mit zwei energischen Schüben vorwärts bekommen die Motoren ihre Extra Ration Sprit. Der Daumen auf der linken Taste lässt die Stille des Morgens in einer zähen, metallisch bis heiser klingenden Bemühung des Anlassers verebben. Asthmatisch hustend kündet der vorerst trockene, noch nicht vom Kühlwasser durchströmte Auspuff vom Erwachen des Achtzylinders. Mit der gutturalen Begrüßung des Löwen von Metro-Goldwyn-Mayer meldet sich die in Gang gesetzte Materie. Der Zeiger des schwarzen VDO Tourenzählers schwingt über die türkisen Ziffern. Befeuert von einigen, mit anarchischer Rotzigkeit herausgeblasenen Gasstößen kommt die Maschine auf Touren. Der Salut wächst zum rhythmischen Gebrüll eines hungrigen, sich von seinem Lager erhebenden Löwen. Eigentlich sind Motoren zur Fortbewegung da. Diese weit verbreitete Ansicht würde Konrad Börries nicht bestreiten. Doch ist der köstliche Krach dieser lange entbehrten „fuel to sound conversion“ ein Präludium. Er verheißt mehr, kündigt den Aufbruch hinaus auf die Savanne der lichtüberfluteten Wasserfläche an. Das Klangerlebnis verlangt nach höheren Drehzahlen, der Pracht durchzugsstarker Kraftentfaltung in freier Wildbahn. Nach dem Anfeuern der zweiten, der rechten Maschine stehen 370 Pferdestärken aus neun Litern Hubraum zur Verfügung. Rhythmisch grollend werden die beiden Aggregate warm. God bless America. Mit blubbernden Schalldämpfern schiebt sich die „Hermes“ auf die Wasserfläche hinaus. Foto des Riva Tritone 258 Armaturenbretts von Nicole Werner

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Segler entdecken die verlorene Zeit

„Er wolle gern einen Satz Baumwollsegel haben, erkärte ein bedacht seine Worte wählender Schweizer mittleren Alters zu Besuch bei Ratsey & Lapthorn am Medina River in Cowes. Seit 1790 werden hier die Segel für das Königreich genäht. Als Viscount Horatio Nelson die spanisch-französische Flotte Napoléon Bonapartes vor Kap Trafalgar in der alles entscheidenden Seeschlacht anno 1805 in die Flucht schlug, hatte er Flachs der Marke Lapthorn unter den Rahen hängen. Seitdem schneidern Generationen von Segelmachern im Auftrag einer namhaften Kundschaft: für den segelnden König Georg V., den Weltumsegler Sir Francis Chichester, den griechischen Reeder Stavros Niarchos, für Avvocato Agnelli, Maurizio Gucci oder Baron de Rothschild. Nur war keiner dieser Kunden auf die Idee gekommen, den Handwerkern des Traditionsbetriebes zu erklären, wie die Arbeit auszuführen sei. Niemand geht zu John Lobbs in die Londoner Bond Street und erläutert beim Vermessen des Fußes, wie, aus welchem Leder, mit welchem Garn die Schuhe zu machen seien. Wenn es, bitteschön, gehe: aus ägyptischem, am besten sudanesischem Cotton. Sechshundert Quadratmeter in schmalen Bahnen. Mit der Hand genährt. Wie früher eben, wünschte der Baseler Geschäftsmann Albert Obrist. Im Unterschied zum in den dreißiger Jahren üblichen Mako, einer lehnigen Baumwollqualität von ägypischen Feldern, ist das Naturprodukt aus dem Sudan härter in der Faser. Nun ist manche Idee, die für viele Briten unnötigerweise vom europäischen Festland zum Mainland der Angeln und Sachsen vordringt, dem Commonwealth suspekt. Auf der Isle of Wight, wo die Uhr nochmals etwas anders geht, erscheint sie skurril – wie die phantastische Idee des Schweizers, wider alle Vernunft den obsoleten Stand der Technik aus den dreißiger Jahren hervorzukramen: Koste es, was es wolle. „Sir“, erklärte Mark Ratsey Woodroffe mit unmerklich bebender Stimme: „Ich fürchte Baumwollsegel werden seit einigen Jahrzehnten nicht mehr hergestellt. Außerdem ist sudanesische Baumwolle schwer zu bekommen.“ Der Segelmacher strich sich durch den Bart und suchte das Interesse auf Tuche aus leichter, langlebiger und Feuchtigkeits unempfindlicher Polyesterfaser zu lenken. Nun hatte der ideenreiche Fabrikant Obrist sein ganzes, jüngst mit dem Verkauf seines Unternehmens abgeschlossenes Arbeitsleben mit der Durchsetzung eigener Ideen gegen Widerstände aller Art verbracht. Hier in England suchte er mit der detailgetreuen Wiederherstellung seines zweimastigen Yachtklassikers Altaïr nicht mehr das Neue, vielmehr das Alte als Herausforderung. „Dann bauen wir die Baumwolle eben selbst an“, setzte Obrist mit freundlicher Bestimmtheit nach. „Das wäre möglich. Nur finden Sie vermutlich in ganz Manchester keine Maschine mehr zum Weben sudanesischer Baumwolle“, gab der Segelmacher zu bedenken. Da entschied sich der Schweizer schweren Herzens für Terylene, eine Chemiefaser. Um den Stilbruch erträglich zu gestalten, sollte Altaïr beige eingefärbtes, nicht schnöde weißes Tuch bekommen. Wie einst. In schmalen, achtzehnzölligen Bahnen, mit der Hand genäht. Natürlich nicht irgendein Beige, sondern exakt jene Tönung, die Baumwolle nach einer Weile draußen auf dem Wasser einzunehmen pflegt. „Polyestertuche sind immer weiß“, wurde der Romantiker aus der Schweiz belehrt. „Färben sie es“, beharrte Obrist. „Wir haben vor Jahren einmal künstlich patiniertes Polyestertuch angeboten. Niemand wollte es.“ „Ich möchte es bitte.“ So kam es, daß Ratsey Woodroffe dem freundlichen Pedanten später dreißig verschiedene Baumwolltönungen vorlegte. Die ersten Proben wollte er nicht zeigen. Die kamen aus unerfindlichen Gründen violett aus dem Bad. Obrist fand das gewünschte Beige. Seitdem wird es in der halben Welt bewundernd Altaïr-Cream genannt. Noch heute spricht Ratsey es mit einem mokanten Unterton aus, als würde es sich um eine in Großbritannien überflüssige Eisspeise handeln. Als der liebevoll restaurierte 40-Meter-Zweimaster Altaïr damals, 1988, das erstemal zur allherbstlich ausgesegelten Nioulargue Regatta im Golf von Saint Tropez aufkreuzte, war das vielbeachtete Debüt des Schweizers in der Segelszene das erste Schiff mit Tüchern im längst vergessenen Baumwoll-Look. Heute ist Obrists Altaïr-Cream Standard bei der Wiederinstandsetzung klassischer Yachten. In einem unscheinbaren Bauernhaus oberhalb von Gstaad lebt er. Wenn dieses Haus auffällt, dann einzig durch die kurze, im Ort ungewöhnliche Dachtraufe von einem statt der kantonal üblichen zwei Meter. Monate hat der sture, aus Basel zugezogene Liebhaber des Authentischen mit den Behörden um die Wiederherstellung dieser Einzelheit seines alten Bauernhauses gekämpft – und seinen Willen bekommen. Als Obrist das ehemalige Domizil von Curd Jürgens entdeckte, interessierte ihn allein die Lage mit dem Panorama zu den Les Diablerets bis hinüber zum Wildhorn und die Substanz des entstellten Hauses mit der Möglichkeit, es in seinen Urzustand zurückzubauen. Der ansonsten gemütlich wirkende Mann wird zornig, wenn das Gespräch auf den schweizerischen Einheits-Chaletstil kommt, wie er „unten im Ort“ allenthalben vollendet wird. „Die Leute kümmert es nicht, wie man früher im Saaner Land gebaut hat. Es ist furchtbar.“ (Auszug) FAZ Magazin 923 vom 7. November 1997  

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Leicht ist besser

Wie der altbackene Holz- und Metallbootsbau zum faszinierenden Faserverbund-Technologieschaufenster wurde. Von der Jolle aus Glasfaser-verstärktem Kunststoff bis zum 80 Stundenkilometer schnellen Tragflügel-Katamaran aus Karbon. Der Yachtsport ist eine spielerische Art des Jagens. Bei diesem Wettkampf geht es darum agiler, schneller, wendiger zu sein als andere. Nicht nur bei Grand Prix Regatten wie dem America’s Cup oder dem gerade ausgesegelten Volvo Ocean Race. Auch wenn sich Segelboote sonst begegnen erwacht bei jedem Segler der Jagdinstinkt. Er möchte gewinnen, erster sein. Wer das bessere, sprich leichtere Boot hat, ist schneller. Beim Sportwagen zählt jedes beschleunigte oder gebremste Kilo. Beim täglich genutzten Auto definiert das Gewicht den Spritverbrauch. Gleiches gilt für das Flugzeug. Je leichter, desto wirtschaftlicher und umweltfreundlicher ist es. Die bis zu 80 m langen Rotorblätter moderner Windräder können überhaupt nur in den heute üblichen Größen gebaut werden, weil sie leicht und belastbar sind. Auch beim Segelboot ist das Leistungsgewicht das Maß aller Dinge. Um das zu verstehen stellt man es sich als austariertes Gerät vor, wo die Gewichte über und unter der Wasserlinie in einem bestimmten Verhältnis stehen. Ist das Boot oben schwer, legt es sich bereits bei mäßiger Brise auf die Seite. Es kann den Wind nicht gescheit nutzen und kommt nicht voran. Bleibt das Boot oben leicht und steckt dank großem Ballastanteil viel Gewicht im Kiel trägt es die Segelfläche aufrecht im Wind. Deshalb arbeiten Materialhersteller, Yachtarchitekten, Ingenieure, Bootsbauer und auf weitere Komponenten spezialisierte Lieferanten beharrlich daran, die Boote und deren Zubehör immer leichter und belastbarer zu denken. Anhand angenommener Belastungen wird es per Finite Elemente Analyse im Rechner untersucht und später rigoros geprüft. Das Konzept leichter schneller Boote liegt bereits seit den Dreißiger Jahren in der Luft. Damals setzt sich der versierte Segler und Bootsbauer Uffa Fox im englischen Seglermekka Cowes für das sogenannte Leichtdeplacement ein. Doch ist das Material dazu, der Sandwichbau aus faserverstärktem Kunststoff über einem leichten Kern aus Balsaholz, Schaum oder Waben noch nicht erfunden. Bereits Ende der Vierziger Jahre experimentiert die für ihre America’s Cup Rennyachten berühmte Herreshoff Werft in Rhode Island mit einer Jolle aus Glasfaser verstärktem Kunststoff. Der Prototyp ist ein krudes Lowtech-Erzeugnis aus schwerem, sprödem Material. Das Potential zur preiswerten Serienfertigung und Lieferung pflegeleichter wie haltbarer Boote wird aber damals nicht erkannt. Lewis Francis Herreshoff, der Sohn des Werftgründers bezeichnet die Bauweise mit der unansehnlichen Rückseite im Rauhfaserfinish als „frozen snot“. Aus „gefrorenem Rotz“, so behauptet er, könne man keine Boote bauen. 1966, als sich das GfK-Massivlaminat gegen Vorurteile und Widerstände der Holz-, Aluminium- und Stahlbootsbauer weltweit durchsetzt, haben der Ingenieur George Cuthbertson und der Flugzeugkonstrukteur George Cassian das „frozen-snot“ Verfahren weiter entwickelt. Die cleveren Kanadier stellen mit „Red Jacket“ das erste Sandwichboot vor. Es besteht aus einem leichten Balsaholzkern zwischen der inneren und äußeren GfK-Laminatschicht. Der Siegeszug moderner Faserverbundwerkstoffe im Bootsbau ist eingeläutet. Er muß nur noch weltweit verstanden werden. Nachdem fünf Bootsbauer der angesehenen Nautor Werft vergeblich für den Generationswechsel vom schweren Massivlaminat zum intelligenten Leichtbau geworben haben machen sie sich 1973 mit der Baltic Werft selbstständig. Baltic Yachts gilt heute als erste Adresse für seglerische High Fidelity. Jahr für Jahr wird die Methode mit zugfesteren Fasern, besseren Harzen und reduziertem Harzanteil verbessert. Die gezielte Erhitzung der Epoxidharz-verklebten Bauteile gewährleistet die vollständige Verkettung der Harzmoleküle, das sogenannte Auspolymerisieren. Der Bootsbau ist vom traditionellen Handwerk mit Hobel und Schraubzwinge zur Chemiestunde geworden. Auszug aus der Rehau Kundenzeitschrift Unlimited Heft 8, März 2015

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Weniger Strippen, mehr Knoten

Die Branche hat ihn verschmäht und belächelt, aber Luca Bassani hat sich von seinem Ziel nicht abbringen lassen. Mit alten Erfindungen, neuen Ideen, mit Reduktion und Beharrlichkeit hat der Unternehmer die Luxusyacht neu erfunden, sich seinen eigenen Markt geschaffen – und der konservativen Yacht-Branche einen anderen Kurs gezeigt. Text: Erdmann Braschos

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Von der Kunst, Bilder zu schießen

Was gibt es schöneres, als ein richtiges Feuerwerk? Eine Annäherung an die Pyrotechnik, die mit höchster Präzision farbenfrohe Bilder in die Luft jagt – von Erdmann Braschos