Besuch im Ersatzkanzleramt

Nirgendwo ist der Comer See derart prima bacino wie zwischen Menaggio und Lenno. Die wenigen Kilometer dieses südwestlichen, vollends der Sonne zugewandten Uferabschnitts sind die Riviera des Gewässers. Ein bota­nischer Garten, aus dessen grüner Pracht historische Villen und traditionsreiche Hotels hervor lugen. Der lombardische Geldadel urlaubt schon länger hier. Auch der Klerus genoß die von der Breva ventilierte Auszeit am Lago und schlug mit manchem Bacchanal über die Stränge, statt anständig im stickigen Mailand zu schwitzen.

Konrad Adenauers Residenz am Comer See

Bereits im März melden sich die Magnolien mit weißen und rosafarbenen Blüten, die Mimosen leuchten gelb. Im April dauert es eine Weile, bis sich Nebelschwaden oder Dunst in der Sonne über dem Wasser verflüchtigen. In den Morgenstunden erscheint die pastellfarbene Häuserfront der gegenüber liegenden Ortschaft Bellagio unwirklich wie ein Kurort des 19. Jahrhunderts. Sacht nippt der See am Kies, das Wasser gluckst unter den Steinmolen. „Alles ist vornehm und sanft“ meinte Marie Henri Beyle alias Stendhal über die Gegend. Auch zwei Jahrhunderte später trifft die Beschreibung der Verhältnisse in der Vor- und Nachsaison zu.

Nebenan in Cadenabbia, einer Partnerstadt des rhein­ländischen Bad Honnef, geht es beim Britannia Hotel den Hang hinauf. Zwei Serpentinen, in der nächsten Kehre ein schmiedeeisernes Tor. „Attenti al cani“ warnt ein Schild von den Hunden. Das Zyklopenauge einer Kamera mustert den angemeldeten Besucher. Das Tor öffnet elektrisch. Kein Mensch weit und breit, nur subtropische Botanik und oben zwei schwarze, federnden Schritts nahende Boxer. „Die tun nichts“ ruft Antonia Sanchez, die Leiterin der „Internationalen Begegnungsstätte Villa La Collina“. Das behaupten Hundebefehlshaber immer, bis sie eines Tages von ihren Burschen eines Schlechteren belehrt werden, weil Hunde gelegentlich eine eigene Meinung haben.

Auszug aus einem unveröffentlichten Manuskript