Darf es etwas kleiner sein?

In Zeiten, wo Geld und Freizeit eher ab- als zunehmen, ist auch bei Segelspielzeug das Downsizing keine verkehrte Sache. Die Amerikanerin Elizabeth Ernst Meyer, bekannt durch ihren 40 Meter Schlitten „Endeavour“, macht es vor. Sie ist seit einigen Jahren mit der nicht mal halb so langen „Seminole“ glücklich.

Die Cowes Week ist ein Härtetest für Mensch und Material. Tagsüber wird im Solent und rings um die Isle of Wight ernsthaft gesegelt. Das mit tückischen Sandbänken gespickte und von stündlich wechselnden Strömungen in sämtliche Richtungen durchspülte Gewässer ist nichts für Anfänger. Danach wird gesoffen. Teils zur Bewältigung der Bojenscharmützel, der semilegalen Interpretation von Vorfahrtsregeln, der kleinen Nötigungen beim Start, der gelungen vergeigten Manöver. Teils, weil Segler und Engländer, segelnde Engländer ganz besonders, geübte Saufnasen sind, die ungern in Trainingsrückstand geraten. Dieser zweite Teil ist übrigens auch nichts für Anfänger.

Wie Elisabeth Meyer die Endeavour-Baustelle stemmt

Übel ist es, nach solchem Tages- und Nachtprogramm morgens mit einem entsetzlichen Schädel in der Red Funnel Fähre von Southampton nach Cowes zu sitzen und das Gequassel einer hyperaktiven wie mitteilungsfreudigen Amerikanerin zu ertragen. Sie hat anscheinend keinen Schluck getrunken, den Tag mit einer Scheibe Ananas begonnen und statt Kaffee eine Runde Tennis gespielt. „What kind of boat are you sailing“ und so weiter. Nach einer Weile tut ihr einer der Passagiere den Gefallen, in die Konversation einzusteigen. Wie sie denn nun segle, möchte ein genervter Seebär wissen. „Not quite ready, I am restoring Endeavour“. Diese J-Klasse, die seit Jahren in der stillgelegen Wasserflugzeugwerft von Calshot Spit herumstehe. „Tommy Sopwiths boat.“ Die Rede ist von diesem Eisenross, an deren Wiederherstellung sich schon mancher Phantast versucht hat. So kam das Wrack im Lauf der vergangenen Jahrzehnte aus dem Schlammbett des Hamble durch den Modder des Medina River auf den Bootsschrottplatz von Calshot. Pause.

Big Boats sind Männersache

Nur das sonore Brummen der Fähre ist zu hören. Mehrere benebelte Köpfe drehen sich um, recken sich über die Lehnen, wollen das Gesicht zu dieser Stimme, dieser größenwahnsinnigen Behauptung sehen. Damals, Mitte der 80er Jahre, sind so genannte Maxi Rennyachten, eine Bootskategorie um die 25 Meter, das Ultimo. Es ist die Kampfklasse des Salzburger Dirigenten Herbert von Karajan oder des New Yorker Reeders George Coumantaros, die mit „Helisara“ oder „Boomerang“ das große Rad drehen. Außerdem sind große Yachten Männersache.

Der Rest ist eine meist falsch kolportierte, Mythen umrankte Geschichte. Elizabeth Ernst Meyer, die den teilweise sanierten Stahlrumpf 1984 günstig gekauft hatte, scheitert ebenfalls. Nach einem Nervenzusammenbruch begreift Meyer, dass sie es als Bauleiterin nicht in Eigenregie schafft. Die 33-jährige schreibt die Verwandlung des rostroten Problems in eine Luxuscharteryacht bei angesehenen nordeuropäischen Werften aus. 1989 schiebt die holländische Royal Huisman Werft nach zweijähriger Arbeit ein mittel- bis dunkelblaues Grandhotel vor die Halle und takelt es mit einem 50 Meter Mast auf. Hinter dem Interieur aus Kirsche und Oregon Pine sind ein begehbarer Kühlraum, Klimaanlage, Motor, Stromerzeuger, Tanks und Seewasserentsalzungsanlagen im torpedoförmigen Rumpf versteckt. Ein Kamin und das Artefakt des „Ranger“ Spiegels (der letzten amerikanischen J-Class) schmücken den Salon.

Patriarch Wolter Huisman

Etwa so großartig wie das Schiff ist die Tatsache, dass es überhaupt in Holland fertig wurde. Denn zwischen Werftchef Wolter Huisman und der selbstbewussten Segelamazone hatte es geknirscht. Elisabeth Meyer ertrug die vom erfahrenen Metallbootsbauer dekretierten Grundsätze und den Gestank des kettenrauchenden Patriarchen während endloser Besprechungen, in denen der Segelsaurier von Anno 1934 neu erfunden wurde, schwer. Für den Patriarchen Huisman war das forsche Auftreten der Kundin, die fast seine Tochter hätte sein können, eine andere Herausforderung. Zwei starke Charaktere rieben aneinander. Es gab Momente, wo für Meyer einfach Feierabend war, sie das halbfertige Schiff aus der Halle nehmen und gehen wollte. So einen Schlitten vom Schrottplatz, aus dem Sepia der Geschichte zu holen, vergrößert das jeweilige Ego in schwer beherrschbare Größenordnungen. Doch Meyer und Huisman rissen sich zusammen.

Die Bootsbetriebsbürde Endeavour

Zehn Jahre hatte die Powerfrau mit dem amerikanischen Faible für saalfüllende Statements und das seglerische Großformat eine Menge Spaß. Sie legte zu gediegenen Privatkreuzfahrten im Mittelmeer und der Karibik ab, pflügte durch den Atlantik, veranstaltete vor Newport ein Matchrace mit der mittlerweile ebenfalls von ihr bereederten „Shamrock V“, Sir Thomas Liptons letzter Amerika Pokal Herausfordereryacht von 1930. Sie steuerte nördliche Gewässer mit kalbenden Gletschern an. Die waffenscheinpflichtigen Proportionen des niedrig im Wasser liegenden Segelgeschosses mit dem endlos langen Mast, die segeltechnische Finesse, die abgefahrene maritime Welt aus Teakplanken, hochglanzpolierten Beschlägen und das Finish der mittelblauen Deckskante ließen keinen Segler kalt.

Frau Meyer hatte aber auch einen gepfefferten Segeletat am Hals. Das Budget zum Betrieb des Schiffes bei durchschnittlich 30 Tausend Seemeilen lag damals bei einer Million Dollar im Jahr. Entgegen dem Klatsch ist sie weder Erbin der „Washington Post“, noch verfügt sie über sprudelnde Geldquellen der Jeansmarke „Levis Strauss.“ Es war ihr stattdessen von 1977 bis ’83 gelungen, die 125 Tausend Dollar Erbschaft ihrer Eltern mit Immobiliengeschäften auf Matha‘s Vineyard, dem Sylt der Amerikaner, in 10 Millionen zu verwandeln, den Bootsbauetat für „Endeavour“, was keine schlechte Performance für eine Anglistin und übrigens auch brillante Journalistin ist.

„Ich schlief schlecht“ erinnert Meyer die neunziger Jahre. Im Herbst ’99 verkauft Meyer ihre endeavourblaue „Darling Jade“ mit 150 Tausend Meilen unter dem Kiel für 15 Millionen Dollar an Dennis Kozlowski, den damaligen Geschäftsführer der Tyco International Ltd. Der Mischkonzern gilt damals als rasch wachsendes blue chip Unternehmen und Kozlowski shoppt auch privat im großen Stil. „Endeavour“ war eine Weile auf dem Markt, bis Meyer ihre selbstbewusste Preisvorstellung versilberte. Anstelle des Originals des Ranger Heckspiegels bekam Koslowski allerdings eine Kopie in den Salon gehangen.

Von der Bürde des Bootsbetriebs befreit, konzentriert sich Meyer nun voll auf ihr Baby, die Bootsbauerschule „International Yacht Restoration School“ mitten in Newport. In den Staaten, wo es keine wie in Deutschland übliche Bootsbauerausbildung gibt und die Branche händeringend kompetenten Nachwuchs sucht, ist das eine verdienstvolle Sache. Während eines Besuchs vor einigen Jahren führte Meyer mit mütterlich warmer Stimme durch den zur Instandsetzung bereitstehenden Bootspark, wie die Leiterin eines Tierheims.

Die IYRS wird ständig auf morsches Gebälk aufmerksam gemacht, unter anderem auf „Seminole“, einen gaffelgetakelten, herrlich anachronistischen Zweimaster von 1916. Meyer kauft das Boot anhand von Bildern und der Empfehlung des kalifornischen Bootskonstruketurs Doug Peterson für einen Dollar. 2003 bis 05 wird es von einer Werft in Maine mit kleinen Zugeständnissen an heutige Komfortbedürfnisse zurecht gemacht.

2004 zieht sich Meyer aus gesundheitlichen Gründen von der IYRS zurück. „Ich bin ausgebrannt“ begründet sie damals ihren Schritt. Die Bootsbauerschule kooperiert seit ‘07 mit dem Museum of Yachting und hat ihr Ausbildungsprogramm um moderne, zeitgemäßen Bedürfnissen der Branche angepasste Inhalte erweitert.

Zeit für etwas Neues, für „Seminole“ und Zweisamkeit auf dem Wasser. Im Mai 05 zerren Meyer und ihr Mann, der Bootsbauer Michael McCaffrey erstmals die Gaffeln am Groß- und Besanmast ihrer liebevoll wiederhergestellten Segelantiquität hoch. „Ich mochte Seminole augenblicklich. Sie war mit dem vorn abgerundeten Deckshaus eigentlich schon 1916 retro. So wurden Fahrtenboote im 19. Jahrhundert gebaut. Aber ich hatte die Sorge, dass sie segelt wie ein Heustadel“ berichtet Meyer. „Natürlich geht Seminole nicht an der Wind wie „Endeavour“, doch welches Boot kann das schon? Mit ihrer universellen 167 qm Besegelung macht sie bereits bei leichtem Wind Fahrt und dank ihres formstabil breiten Rumpfes trägt sie alles bis Sechs Windstärken.“ Es ging nordwärts in das kernige Gewässer der Kanadischen Bay of Fundy, zu den Bahamas, die Westküste Floridas entlang, zu den Everglades, zur Baja California und in das Fjordland von Alaska. Elizabeth Meyer schwärmt für „Seminole“, wie schon für „Matinicus“ und „Endeavour“. „Wissen sie, was das Beste ist? Wir können zu zweit statt zu acht damit ablegen. Sie verdängt ganze 15 statt 166 Tonnen und mit 1,45 statt 4,50 Metern Tiefgang gibt es nachmittags, wenn wir uns über einen Liegeplatz für die Nacht Gedanken machen, herrlich viele Möglichkeiten.“

Tja, das Leben kann schön einfach sein, wenn man sich nicht zuviel Schiff ans Bein bindet. Zu dieser Erkenntnis gelangt, wenn man eine Weile das süchtig machende Vergnügen mit „Endeavour“ hatte und die Bürde, die Rechnungen zu bezahlen. Es ist orientierend, mal jemand kennen zulernen, der das in der ganzen Bandbreite durchgemacht und letztlich sogar die Kurve gekriegt hat: Von der Dollardruckmaschine auf Martha’s Vineyard bis zum Verkauf.